Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Abgrenzung von Einfamilienhäusern und gemischtgenutzten Grundstücken bei freiberuflicher Mitbenutzung
Leitsatz (NV)
1. Ein Wohngrundstück wird in seiner Eigenart als Einfamilienhaus nicht allein dadurch wesentlich beeinträchtigt, daß die freiberuflich genutzten Räume von der Wohnung baukörpermäßig abgegrenzt sind. Dies gilt erst recht, wenn sich ein anderer, nicht unwesentlicher Teil des Wohnbereichs durch eine Terrasse erkennbar über dem freiberuflich genutzten Teil befindet.
2. Es gibt keinen Erfahrungssatz, daß eine durchgehende, bis zum Boden reichende Fensterfront stets auf eine gewerbliche (freiberufliche) oder öffentliche Nutzung schließen lasse; vielmehr sind bis zum Boden reichende Verglasungen bei Dielen, Wohnzimmern und Wintergärten nicht selten. Ebensowenig gibt es einen für das gesamte Bewertungsgebiet bestehenden Erfahrungssatz dahin, daß ein nicht als Vorgarten angelegter, sondern auch Stellplätze enthaltender Grundstücksstreifen zwischen Straße und Hausfront stets auf eine die Eigenart des Grundstücks bestimmende gewerbliche (freiberufliche) oder öffentliche Nutzung schließen lasse.
Normenkette
BewG 1965 § 75 Abs. 4-5
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) haben auf ihrem Grundstück ein Wohngebäude errichtet, in dem der Kläger auch seine Praxis als . . . arzt betreibt. Das Grundstück (ein Eckgrundstück) hat zur Straße hin leichte Hanglage. Das Gebäude ist vertikal in Praxisteil und Wohnteil gegliedert, allerdings mit der Einschränkung, daß über dem Praxisteil noch hinter einer in das Dach hineingezogenen Terrasse Wohnräume liegen. Das Gebäude ist ein zusammenhängender Baukörper. Von der Straßenseite sind jedoch zwei Bauteile erkennbar, weil der (Haupt-)Wohnteil gegenüber dem mit bis zum Boden reichenden Fenstern versehenen Praxisteil etwas zurückversetzt ist. Vor dem Praxisteil sind hinter einem kleinen offenen Vorgarten vier Parkplätze angelegt, die die Kläger der Praxis zugeordnet haben.
Die Wohnfläche beträgt 200 qm, die Nutzfläche der Praxis 101 qm. Praxis und Wohnung sind innen durch eine Tür verbunden, haben jedoch zwei getrennte Außeneingänge. Der Eingang zur Praxis liegt auf der Straßenseite, der Eingang zur Wohnung auf der Rückseite des Praxisteils.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) hat durch Art- und Wertfortschreibung zum 1. Januar 1977 mit Bescheid vom 4. September 1985 das Grundstück als Einfamilienhaus bewertet.
Der Sprungklage hat das Finanzgericht (FG) stattgegeben. Es hat für das Grundstück auf den 1. Januar 1977 die Grundstücksart gemischtgenutztes Grundstück festgestellt.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung des § 75 Abs. 5 des Bewertungsgesetzes (BewG).
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie zur Abweisung der Klage.
Das FG-Urteil ist aufzuheben, weil es unzutreffend davon ausgegangen ist, daß die Mitbenutzung zu freiberuflichen Zwecken die Eigenart des Wohngrundstücks als Einfamilienhaus wesentlich beeinträchtige.
1. Wohngrundstücke (§ 75 Abs. 1 Nrn. 1, 3 bis 5, Abs. 2, 4 bis 6 BewG) sind dadurch gekennzeichnet, daß sie - wenn auch in unterschiedlichem Umfang - Wohnzwecken dienen. Die Art der Wohngrundstücke wird ausgehend von der Anzahl der Wohnungen bestimmt: Wohngrundstücke mit nur einer Wohnung sind Einfamilienhäuser (§ 75 Abs. 5 Satz 1 BewG), Wohngrundstücke mit nur zwei Wohnungen sind Zweifamilienhäuser (§ 75 Abs. 6 Satz 1 BewG). Erst wenn ein Wohngrundstück weder ein Einfamilienhaus noch ein Zweifamilienhaus ist, stellt sich kraft des entsprechenden Vorbehalts in § 75 Abs. 2 bzw. 4 BewG die Frage, ob es ein Mietwohngrundstück oder ein gemischtgenutztes Grundstück ist (vgl. Senatsurteil vom 9. November 1988 II R 61/87, BFHE 155, 128, 130, BStBl II 1989, 135, 136).
Wird ein Wohngrundstück, das - wie im Streitfall - nur eine Wohnung enthält, zu öffentlichen, gewerblichen oder freiberuflichen Zwecken mitbenutzt, so gilt es (auch dann) als Einfamilienhaus, wenn durch diese Mitbenutzung die Eigenart als Einfamilienhaus nicht wesentlich beeinträchtigt wird (§ 75 Abs. 5 Satz 4 BewG). Das Gesetz bietet damit zwei Abgrenzungskriterien, nämlich zum einen den Begriff der ,,Mitbenutzung" und zum anderen die dadurch verursachte wesentliche Beeinträchtigung der Eigenart des (Wohn-)Grundstücks als Einfamilienhaus.
a) ,,Mitbenutzung" i. S. des § 75 Abs. 5 Satz 4 BewG kann nur dann vorliegen, wenn die Nutzung zu anderen als Wohnzwecken nicht den Umfang der Nutzung zu Wohnzwecken erreicht bzw. übersteigt (vgl. Bundesfinanzhof - BFH - in BFHE 155, 128, 130, BStBl II 1989, 135, 136).
Diese Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt, da die Mitbenutzung die Nutzung zu Wohnzwecken nicht überwiegt.
b) Ein Grundstück, das derart zu anderen als Wohnzwecken mitbenutzt wird, gilt nur dann nicht als Einfamilienhaus, wenn dadurch die Eigenart als Einfamilienhaus wesentlich beeinträchtigt wird. Diese Frage ist in erster Linie nach dem äußeren Erscheinungsbild des Grundstücks unter Berücksichtigung von bewertungsrechtlichen Einfamilienhäusern zu beantworten, die nicht zu öffentlichen, gewerblichen oder freiberuflichen Zwecken mitbenutzt werden. Dabei beeinträchtigt die freiberufliche Mitbenutzung in der Regel die Eigenart des Grundstücks als Einfamilienhaus weniger stark als eine Mitbenutzung zu gewerblichen Zwecken (BFH-Urteil vom 9. Oktober 1985 II R 249/81, BFHE 145, 232, 234, BStBl II 1986, 172). Da der Begriff des Einfamilienhauses im bewertungsrechtlichen Sinne ein durch die Umschreibung in § 75 Abs. 5 BewG gekennzeichneter Rechtsbegriff ist (vgl. Senatsurteile vom 5. Februar 1986 II R 31/85, BFHE 146, 167, BStBl II 1986, 448 sowie in BFHE 155, 128, 131, BStBl II 1989, 135, 136), kann nicht von einer etwa bestehenden allgemeinen Vorstellung vom Erscheinungsbild eines Einfamilienhauses ausgegangen werden. Daraus folgt, daß eine dem Begriff des Einfamilienhauses entgegenstehende Mitbenutzung des Wohngrundstücks zu anderen als Wohnzwecken nach außen in der Weise hervortreten muß, daß sie die Eigenart des Grundstücks deutlich prägt, also in den Vordergrund tritt. Der Senat teilt nicht die von der Vorinstanz geäußerten Bedenken, daß die vorstehend aufgezeigten Abgrenzungsmerkmale zu einer zu starken Einschränkung des Anwendungsbereichs des § 75 Abs. 4 BewG (gemischtgenutzte Grundstücke) führen könnten.
Entgegen der Auffassung der Vorinstanz beeinträchtigt die Mitbenutzung zu freiberuflichen Zwecken die Eigenart des Grundstücks als Einfamilienhaus im Streitfall nicht wesentlich.
Die Zurücksetzung des Wohnteils verändert nicht das Erscheinungsbild des Grundstücks als Wohngrundstück. Denn die bauliche Absetzung nicht zu Wohnzwecken benutzter Gebäudeteile ist nach dem BFH-Urteil vom 20. April 1988 II R 198/85 (BFH/NV 1989, 216) für sich alleine noch kein Anlaß, eine wesentliche Beeinträchtigung anzunehmen. Dies gilt erst recht, wenn - wie im Streitfall - zwar ein Teil des Wohnbereichs vom Teil der freiberuflich genutzten Flächen baukörpermäßig abgegrenzt ist, jedoch ein anderer nicht unwesentlicher Teil des Wohnbereichs durch eine Terrasse erkennbar sich über dem freiberuflich genutzten Teil befindet. Daß der Baukörper nicht einheitlich gestaltet ist, steht der Eigenart ,,Einfamilienhaus" nicht entgegen (BFH in BFH/NV 1989, 216).
Der Senat folgt dem FG auch nicht darin, daß deswegen, weil ein unbefangener Beobachter in der besonders gestalteten Fensterfront auf der Vorderseite des Hauses sogar ein Ingenieurbüro vermuten könnte, eine wesentliche Beeinträchtigung des äußeren Erscheinungsbildes des (Wohn-)Grundstücks als Einfamilienhaus vorliege. Da der Begriff des Einfamilienhauses im bewertungsrechtlichen Sinn keinen von der Verkehrsauffassung bestimmten Begriff, sondern einen durch die Umschreibung in § 75 Abs. 5 BewG gekennzeichneten Rechtsbegriff darstellt, von dem augehend die Frage der Beeinträchtigung durch die Mitbenutzung zu anderen als Wohnzwecken zu beantworten ist, kommt es auf den unbefangenen Beobachter nicht an. Es gibt auch keinen Erfahrungssatz, daß eine durchgehende bis zum Boden reichende Fensterfront stets auf eine gewerbliche (freiberufliche, vgl. § 96 BewG) oder öffentliche Nutzung schließen lasse; vielmehr sind bis zum Boden reichende Verglasungen bei Dielen, Wohnzimmern und Wintergärten nicht selten.
Nach den vom FG in Bezug genommenen Plänen und Fotografien wird das äußere Erscheinungsbild durch die vor dem Baukörper befindlichen vier Stellplätze nicht derart geprägt, daß die Eigenart ,,Einfamilienhaus" wesentlich beeinträchtigt wird. Ein für das gesamte Bewertungsgebiet bestehender Erfahrungssatz dahingehend, daß ein nicht als Vorgarten angelegter, sondern auch Stellplätze enthaltender Grundstücksstreifen zwischen Straße und Hausfront stets auf eine die Eigenart des Grundstücks bestimmende gewerbliche (freiberufliche) oder öffentliche Nutzung schließen lasse, besteht nicht (vgl. BFH in BFHE 155, 128, 132, BStBl II 1989, 135).
Auch sonstige äußere Merkmale, die die Eigenart des Wohngrundstücks in den Hintergrund treten lassen, sind nicht ersichtlich.
Daß die Praxis durch Beschilderung kenntlich gemacht ist und der Praxiseingang zur Straßenseite hin liegt, ist unerheblich. Beide Merkmale sprechen nicht gegen ein Wohngrundstück. Denn auch die auf einem Wohngrundstück untergebrachte Praxis muß kenntlich gemacht werden und leicht zugänglich sein.
Ebensowenig ist von Bedeutung, daß das Grundstück in der Nähe der Autobahn liegt und die Praxis des Klägers, der als . . . arzt tätig ist, dadurch besonders intensiv genutzt wird. Das äußere Erscheinungsbild wird von dem Grundstück, insbesondere dem Gebäude geprägt. Die Intensität der Benutzung der Parkplätze und der Praxisräume beeinflußt das äußere Erscheinungsbild des Grundstücks unter Berücksichtigung von bewertungsrechtlichen Einfamilienhäusern ebensowenig wie eine etwaige besondere Ausrichtung der Praxis.
Soweit das FG hervorhebt, das Innere des Gebäudes sei so gestaltet, daß es jederzeit ohne größeren Aufwand in zwei wirtschaftliche Einheiten aufgeteilt werden könne, ist dies kein geeignetes Kriterium für die Bewertung der Grundstücksart. Denn es ist nicht eine mögliche künftige Aufteilung entscheidend, sondern der Zustand zum Feststellungszeitpunkt. Zudem führt der Umstand, daß die freiberuflich genutzten Räume baulich von der Wohnung getrennt sind und eine gewisse Selbständigkeit aufweisen, im Streitfall weder zwingend zur Annahme von zwei wirtschaftlichen Einheiten (vgl. BFH-Urteil vom 22. März 1989 II R 44/86, BFH/NV 1990, 487) noch zu einer wesentlichen Beeinträchtigung des Einfamilienhauscharakters (BFH in BFHE 145, 232, BStBl II 1986, 172). Für die Bewertung als Einfamilienhaus ist es grundsätzlich ohne Bedeutung, ob Wohnungen und Praxisräume miteinander verbunden sind. Wesentlich ist vielmehr, daß sich nur eine Wohnung in dem Grundstück befindet; dies hat das FG festgestellt.
Die Vorentscheidung ist von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen und war deshalb aufzuheben.
Die Sache ist spruchreif. Der Senat entscheidet in der Sache selbst. Die Klage ist abzuweisen. Der angefochtene Verwaltungsakt ist rechtmäßig.
Fundstellen
Haufe-Index 418076 |
BFH/NV 1992, 511 |