Leitsatz (amtlich)
Hat das FG aufgrund einer mündlichen Verhandlung entschieden, bei der die ordnungsmäßig geladenen Prozeßbevollmächtigten der Klägerin unentschuldigt ausgeblieben sind, wird der Anspruch auf rechtliches Gehör nicht dadurch verletzt, daß das Gericht bei seiner Entscheidung vom FA in der mündlichen Verhandlung erstmals vorgetragene Tatsachen berücksichtigt.
Normenkette
GG Art. 103 Abs. 1; FGO § 96 Abs. 2, § 119 Nr. 3
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) - eine GmbH - betrieb den Erwerb und die Verwertung von Grundbesitz. Gesellschafter waren je zur Hälfte B und L. Aufgrund des bei einer Betriebsprüfung festgestellten Sachverhalts - Verkauf von Garagenplätzen - nahm der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) verdeckte Gewinnausschüttungen der Klägerin an ihre Gesellschafter an.
Auf der Grundlage des Betriebsprüfungsberichts erging der endgültige Körperschaftsteuerbescheid 1971. Der Einspruch der Klägerin, mit der sie sich vornehmlich gegen den Ansatz verdeckter Gewinnausschüttungen wandte, hatte insoweit keinen Erfolg.
Ihre Klage wies das Finanzgericht (FG) nach mündlider Verhandlung, zu der weder ein Geschäftsführer der Klägerin noch einer ihrer Prozeßbevollmächtigten erschienen waren, als unbegründet ab. Das FG bejahte das Vorliegen verdeckter Gewinnausschüttungen in der vom FA errechneten Höhe.
Gegen diese Entscheidung wendet sich die Klägerin mit der Revision.
Die Klägerin rügt, das FG habe seine Entscheidung auf eine vom FA in der mündlichen Verhandlung vorgelegte unvollständige Kopie eines Kaufvertrags vom 22. Juni 1971 über den Weiterverkauf einer Garage durch einen der ehemaligen Bauherren gestützt. Das FG habe der Klägerin keine Gelegenheit gegeben, hierzu Stellung zu nehmen. Ihr sei daher das rechtliche Gehör verweigert worden.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Die Rüge der Klägerin, ihr sei das rechtliche Gehör dadurch verweigert worden, daß das FG ihr keine Gelegenheit zur Stellungnahme zu einer vom FA in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Kopie eines Kaufvertrags gegeben habe, greift nicht durch.
Die Klägerin war in der mündlichen Verhandlung, zu der ihre Prozeßbevollmächtigten ordnungsmäßig geladen worden waren und deren Ergebnis die Grundlage für die Entscheidung des FG geworden ist, nicht vertreten. In der Ladung zu diesem Termin sind ihre Prozeßbevollmächtigten unter Bezugnahme auf § 91 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ausdrücklich darauf hingewiesen worden, daß bei einem Ausbleiben ohne sie verhandelt und entschieden werden könne. Aus welchen Gründen die Vertreter der Klägerin der mündlichen Verhandlung ferngeblieben sind, ist nicht dargetan. Die Klägerin hat damit die Gelegenheit nicht wahrgenommen, durch ihre Prozeßvertreter ihren Standpunkt in mündlicher Rede dem Gericht vorzutragen und dem Vorbringen der Gegenseite entgegenzutreten.
Der Anspruch auf rechtliches Gehör wird in der Weise verwirklicht, daß den Beteiligten Gelegenheit gegeben wird, sich zu den rechtserheblichen Tatsachen und Beweisergebnissen zu äußern. Das setzt grundsätzlich voraus, daß die Beteiligten diese rechtserheblichen Tatsachen und Beweisergebnisse - den einschlägigen Sachverhalt - kennen. Aber auch hier ist es Sache des Beteiligten selbst, daß er die Gelegenheit wahrnimmt, sich über den vorgetragenen oder einen vom Gericht festgestellten Sachverhalt zu unterrichten. Das geschieht dadurch, daß er Einsicht in die Akten nimmt (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. Januar 1968 I R 47/66, BFHE 91, 338, BStBl II 1968, 349) oder zu den angesetzten Beweisaufnahmeterminen oder zu der das Verfahren in der Regel abschließenden mündlichen Verhandlung erscheint. Macht er von den Möglichkeiten der Kenntnisnahme keinen Gebrauch, so kann er sich später insoweit nicht mehr auf die Verletzung seines Rechts auf Gehör berufen (vgl. Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 13. August 1974 I CB 11.74, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, 310 § 108 Nr. 75). Die Gelegenheit war gegeben, das Recht ist verbraucht (Maunz/Dürig/Herzog, Grundgesetz, Art. 103, Rdnr. 49). Aus den genannten Gründen stellt es z. B. keinen Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs dar, wenn in dem Versäumnisverfahren nach der Zivilprozeßordnung gegen die nicht erschienene Partei entschieden wird. Das gleiche gilt, wenn in einem Strafverfahren gegen einen unentschuldigt ausgebliebenen Angeklagten auf Strafe erkannt wird (Maunz/Dürig/Herzog, a. a. O., Art. 103, Rdnr. 52).
Im Streitfall haben es die Vertreter der Klägerin bewußt unterlassen, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen. Als mit der Sach- und Rechtslage vertraute Prozeßbevollmächtigte mußten die Vertreter der Klägerin damit rechnen, daß die Gegenseite - das FA - neue Argumente oder Nachweise, z. B. durch Vorlage von Urkunden, während der mündlichen Verhandlung in das Verfahren einführt, die die Behauptung des FA stützen sollen, die Klägerin habe die Garagen an ihre Gesellschafter oder an nahe Angehörige eines Gesellschafters unter dem erzielbaren Preis verkauft. Die Vertreter der Klägerin haben damit die ihnen vom Gericht gebotene Gelegenheit versäumt, von rechtserheblichen Tatsachen Kenntnis zu nehmen und sich dazu zu äußern. Hat das FG aufgrund dieser mündlichen Verhandlung, zu der die Vertreter der Klägerin ordnungsgemäß geladen aber nicht erschienen waren, den Streitfall entschieden, beruht die angefochtene Entscheidung nicht auf der Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs.
Fundstellen
Haufe-Index 73021 |
BStBl II 1979, 191 |
BFHE 1979, 368 |