Entscheidungsstichwort (Thema)
Übertragung einer "Rechtsstellung"
Leitsatz (NV)
1. Das Umsatzsteuerrecht knüpft an tatsächliche Leistungsvorgänge an.
2. Ob eine schriftlich vereinbarte "Übertragung einer Rechtsstellung" an einer Halle zivilrechtlich wirksam war und welche Rechtsstellung im Einzelnen bürgerlich-rechtlich übertragen wurde, ist unerheblich, wenn keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Übertragung gewissermaßen "nur auf dem Papier" stand.
Normenkette
UStG § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 15
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine durch Vertrag vom 21. Dezember 1992 gegründete Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). Gründungsgesellschafter waren Frau A und Herr M. Zweck und Gegenstand der Gesellschaft war die Verwaltung und Vermietung einer Auto-Service-Halle.
Herr A, der Ehemann von Frau A, war seit 1981 Pächter eines der X-AG gehörenden Grundstücks, auf dem er eine Tankstelle und einen Kfz-Service-Betrieb (Reifenverkauf und Reifenmontage) betrieb. Zur Fortentwicklung des Betriebs gründete er zusammen mit Herrn M die (A-GmbH), die fortan als Unterpächterin des Herrn A auf derselben --zuvor durch weitere Parzellen der X-AG erweiterten-- Grundstücksfläche ein Auto-Service-Unternehmen betrieb.
Im Jahr 1992 errichtete die A-GmbH auf dem Pachtgrundstück eine Auto-Service-Halle. Mit Vertrag vom 21. Dezember 1992 übertrug die A-GmbH "ihre Rechtsstellung hinsichtlich der Halle mit Wirkung zum heutigen Tage auf die GbR gegen Zahlung eines Betrages in Höhe von DM … zuzüglich Umsatzsteuer in gesetzlicher Höhe".
Mit Rechnung vom 30. Dezember 1992 stellte die A-GmbH der Klägerin für die Übertragung der Rechtsstellung an der Halle 1 041 000 DM zuzüglich 14 % Mehrwertsteuer (145 740 DM) in Rechnung. Die Klägerin zahlte diesen Betrag im Jahr 1993 an die A-GmbH.
Mit Vertrag vom 7. Januar 1993 vermietete die Klägerin die Halle ab dem 1. Januar 1993 steuerpflichtig an die G-GmbH; diese vermietete die Halle durch "Unter-Mietvertrag" ab dem 1. Januar 1993 steuerpflichtig an die A-GmbH. Bis Ende 1992 war die Halle ohne zusätzliche schriftliche Absprache wie bisher von der A-GmbH weiter benutzt worden.
Mit ihrer Umsatzsteuer-Voranmeldung für Dezember 1992 machte die Klägerin bei Umsätzen von 0 DM einen Vorsteuerbetrag in Höhe von 145 740 DM --zunächst erfolgreich-- geltend.
Nach Durchführung einer Außenprüfung bei der Klägerin gelangte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) zu der Auffassung, der Vorsteuerabzug sei gemäß § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. § 4 Nr. 12 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes 1991 (UStG) zu versagen. Nach dieser Vorschrift sei der Vorsteuerabzug ausgeschlossen für Lieferungen, die der Unternehmer für sonstige Leistungen verwende, die steuerfrei wären, wenn sie gegen Entgelt ausgeführt würden. Diese Voraussetzungen lägen vor. Die A-GmbH habe die Halle nach der Übertragung ihrer Rechtsstellung auf die Klägerin noch bis Ende 1992 unentgeltlich tatsächlich wie bisher weiter benutzt. Dies habe die Klägerin hingenommen oder gestattet. Sie habe damit die Halle noch im Jahr 1992 selbst erstmalig durch "unentgeltliche Vermietung" verwendet.
Dementsprechend setzte das FA die Umsatzsteuer-Vorauszahlung für Dezember 1992 durch Bescheid vom 15. März 1995 auf 0 DM fest.
Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte zur Begründung u.a. aus:
Nach dem Wortlaut der Vereinbarung vom 21. Dezember 1992 habe zwar die A-GmbH "ihre Rechtsstellung hinsichtlich der Halle" auf die Klägerin übertragen. Bei näherer Betrachtung erweise sich indessen, dass die A-GmbH "rechtlich und tatsächlich nichts" auf die Klägerin übertragen habe, mithin ein Leistungsaustausch nicht stattgefunden habe.
Werde mit der Klägerin davon ausgegangen, dass die A-GmbH Eigentümerin der Halle geworden sei, so habe dieses Eigentum nicht aufgrund der Vereinbarung vom 21. Dezember 1992 auf die Klägerin übertragen werden können, weil die Halle selbst weder an die Klägerin übergeben worden sei noch der Besitz an ihr aufgrund eines zusätzlich vereinbarten Besitzmittlungsverhältnisses (§§ 929, 930, 868 des Bürgerlichen Gesetzbuches --BGB--) bei der A-GmbH verblieben sei. Die Vereinbarung vom 21. Dezember 1992 enthalte keine Vereinbarung eines Besitzmittlungsverhältnisses i.S. des § 868 BGB, nämlich die Vereinbarung, dass die A-GmbH die Halle künftig auf der Grundlage eines konkreten Besitzgrundes als unmittelbare Fremdbesitzerin für die Klägerin auf Zeit besitzen solle. Die vereinbarte "Übertragung" der "Rechtsstellung" der A-GmbH lasse weder einen konkreten Besitzgrund noch eine (bestimmte oder unbestimmte) zeitliche Begrenzung erkennen. Sie besage vielmehr, dass die A-GmbH keinerlei Rechtsbeziehung zu der Halle zurückbehalte.
Werde dagegen angenommen, dass die "Rechtsstellung" der A-GmbH lediglich eine schuldrechtlich begründete (Unterpacht) oder eine auf dem Gesellschaftsverhältnis beruhende tatsächliche Befugnis zur Nutzung der Halle beinhalte, so habe die A-GmbH die Stellung als Unterpächter ohne Zustimmung von Herrn A nicht auf die Klägerin übertragen können. Diese Zustimmung fehle. Deshalb habe die Klägerin keine "Rechts"-Stellung erworben.
Ihre evtl. rein tatsächlich aus dem Gesellschaftsverhältnis zu Herrn A resultierende Nutzungsbefugnis habe die A-GmbH ebenfalls nicht rechtlich, jedenfalls ohne Zustimmung des Herrn A und möglicherweise der X-AG nicht mit Außenwirkung diesen gegenüber auf die Klägerin übertragen können.
Es möge nicht ausgeschlossen sein, dass die A-GmbH tatsächlich eine sonstige Leistung durch Übertragung ihrer "Rechtsstellung" erbracht habe, wenn die Vertragsparteien das wirtschaftliche Ergebnis ihrer Vereinbarung tatsächlich hätten eintreten lassen (vgl. § 41 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung --AO 1977--). Dies sei indessen nicht geschehen. Nicht die Klägerin, sondern die A-GmbH habe die Halle uneingeschränkt weiter wie bisher genutzt. Nicht die Klägerin, sondern die A-GmbH habe nach wie vor die Stellung eines Unterpächters ausgefüllt. Die Vertragsparteien hätten die "Vereinbarung" mithin nicht vollzogen. Dem entspreche es, dass das Endziel des Gesamtvertragswerks --nach Weitervermietung an die G-GmbH und Weiter-Untervermietung an die A-GmbH-- die Hallennutzung durch die A-GmbH gewesen sei. Darüber hinaus sei die Klägerin personell gar nicht in der Lage gewesen, die Halle gleich einem Pächter zu nutzen.
Der Senat gelange nach allem zu der Überzeugung, dass ein Leistungsaustausch zwischen der A-GmbH und der Klägerin nicht stattgefunden habe. Unter diesen Umständen möge zwar die A-GmbH die in der Rechnung vom 30. Dezember 1992 ausgewiesene Umsatzsteuer gemäß § 14 Abs. 3 UStG schulden, ein Vorsteuerabzug durch die Klägerin komme indessen nicht in Betracht.
Im Sinne des § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG seien nämlich keine Lieferungen oder sonstigen Leistungen von der A-GmbH für das Unternehmen der Klägerin ausgeführt worden.
Unabhängig davon sei der Vorsteuerabzug gemäß § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 UStG ausgeschlossen. Insoweit folgte das FG der Auffassung des FA.
Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2003, 1128 abgedruckt.
Mit der Revision macht die Klägerin im Wesentlichen geltend: Hinter der für den Außenstehenden auf den ersten Blick etwas ungewöhnlich erscheinenden Vorgehensweise der am Sachverhalt Beteiligten verberge sich kein irgendwie geartetes Steueroptimierungsmodell. Der Hintergrund der "Gestaltung" seien zwingende wirtschaftliche Notwendigkeiten gewesen, verbunden mit schwierigen Verhandlungen unter maßgeblicher Beteiligung der G-GmbH, deren Bonität und deren Interesse am Verkauf von Reifen etc. maßgeblich in die Vertragsgestaltung eingeflossen seien.
Die sachenrechtlichen Überlegungen des FG seien unzutreffend. Die Voraussetzungen eines Besitzmittlungsverhältnisses hätten vorgelegen. Es sei auch unzutreffend, dass die vom FG vermisste Zustimmung zur Vertragsübernahme gefehlt habe. Unabhängig davon hätten die Voraussetzungen für einen Leistungsaustausch vorgelegen.
Das vom FG gefundene Ergebnis widerspreche der Neutralität der Umsatzsteuer. Die A-GmbH habe Umsatzsteuer in Rechnung gestellt und an das FA bezahlt. Korrespondierend hierzu müsse die Neutralität durch den Vorsteuerabzug der Leistungsempfängerin (der Klägerin) hergestellt werden.
Auch § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 UStG stehe dem Vorsteuerabzug nicht entgegen. Denn die Halle sei erstmals bestimmungsgemäß durch Vermietung an die G-GmbH ab 1. Januar 1993 genutzt worden.
Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Umsatzsteuer-Vorauszahlung der Klägerin für Dezember 1992 auf ./. 145 740 DM festzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Es ist der Auffassung, das FG habe insbesondere zutreffend entschieden, dass mit Abschluss der "Vereinbarung" vom 21. Dezember 1992 keine Lieferung oder sonstige Leistung an die Klägerin ausgeführt worden sei. Aus der tatsächlichen Zahlung des in der Vereinbarung genannten Betrages könne nicht auf das Vorliegen eines umsatzsteuerrechtlichen Leistungsaustausches im Jahr 1992 geschlossen werden. Die Zahlung (in mehreren Einzelbeträgen im Folgejahr 1993) könne vielmehr grundsätzlich auch andere Gründe haben. Auch die Voraussetzungen des § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 UStG habe das FG (hilfsweise) zu Recht bejaht. Die Klägerin habe die Halle im Dezember 1992 erstmals tatsächlich unentgeltlich durch Überlassung an die A-GmbH verwendet.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur antragsgemäßen Festsetzung der Steuer (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Entgegen der Auffassung des FG sind die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG gegeben. Der Vorsteuerabzug scheitert auch nicht an § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 UStG.
1. Ein Unternehmer kann nach § 15 Abs. 1 Satz 1 UStG die in Rechnungen i.S. des § 14 UStG ausgewiesene Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge abziehen.
Entgegen der Auffassung des FG und des FA hat die Klägerin für ihr Unternehmen aufgrund der Vereinbarung vom 21. Dezember 1992 eine Lieferung oder sonstige Leistung für ihr Unternehmen bezogen.
a) Durch die genannte Vereinbarung hat die A-GmbH "ihre Rechtsstellung hinsichtlich der Halle" auf die Klägerin übertragen. Dadurch ist der Klägerin entweder die --möglicherweise der A-GmbH zustehende-- Verfügungsmacht an der Halle übertragen worden (vgl. § 3 Abs. 1 UStG) oder ihr ist die der A-GmbH (lediglich) zustehende schuldrechtliche Rechtsstellung übertragen worden.
Welche Rechtsstellung dies im Einzelnen bürgerlich-rechtlich war, mag offen bleiben. Jedenfalls hat die A-GmbH sämtliche ihr zustehenden Rechte an der Halle auf die Klägerin übertragen.
b) Ob diese Rechtsübertragung zivilrechtlich wirksam war, ist entgegen der Auffassung des FG unerheblich. Das Umsatzsteuerrecht knüpft an tatsächliche Leistungsvorgänge an, ohne dass auf das Vorhandensein wirksamer zugrunde liegender Verträge oder sonstiger Leistungspflichten abgestellt würde (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 21. Januar 1993 V R 30/88, BFHE 170, 283, BStBl II 1993, 384, unter II.1. b, bb). Die einem Leistungsaustausch zugrunde liegenden Verträge sind nicht steuerbegründend; sie erleichtern in Zweifelsfällen lediglich die Beantwortung der Frage nach dem Vorhandensein und dem Umfang einer --für den Leistungsaustausch maßgeblichen-- Wechselbeziehung (vgl. BFH-Urteil vom 28. Februar 1980 V R 90/75, BFHE 130, 430, BStBl II 1980, 535; BFH-Beschluss vom 23. Juni 1995 V B 2/95, BFH/NV 1996, 85).
Im Übrigen ist für die Besteuerung unerheblich, ob ein Rechtsgeschäft unwirksam ist, soweit und solange die Beteiligten das wirtschaftliche Ergebnis dieses Rechtsgeschäfts gleichwohl eintreten und bestehen lassen (§ 41 Abs. 1 Satz 1 AO 1977). Diese Voraussetzungen liegen vor. Die Klägerin sollte rechtlich an die Stelle der A-GmbH treten, damit sie (aus wirtschaftlichen Gründen) die Halle ab dem 1. Januar 1993 an die G-GmbH vermieten konnte. Dass nicht die Klägerin, sondern die A-GmbH die Halle uneingeschränkt weiter wie bisher nutzte, steht dieser Beurteilung entgegen der Auffassung des FG nicht entgegen.
Anhaltspunkte dafür, dass die "Übertragung der Rechtsstellung" gewissermaßen "nur auf dem Papier" stand oder dass ein Gestaltungsmissbrauch (§ 42 AO 1977) vorlag, bestehen unter diesen Umständen nicht.
2. Der Vorsteuerabzug scheitert auch nicht an § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 UStG, wonach vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen ist die Steuer für Lieferungen und sonstigen Leistungen, die der Unternehmer zur Ausführung unentgeltlicher Leistungen verwendet, die steuerfrei wären, wenn sie gegen Entgelt ausgeführt würden.
Es kann offen bleiben, ob die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Vorschrift im Streitfall erfüllt sind. Wäre dies der Fall, könnte sich die Klägerin darauf berufen, dass ihr der Vorsteuerabzug nach Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) zusteht (vgl. BFH-Urteil vom 11. Dezember 2003 V R 48/02, BFHE 204, 349, BFH/NV 2004, 595, unter II.3.).
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
4. Der Senat erkennt gemäß § 121 Satz 1 i.V.m. § 90 Abs. 2 FGO im Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung.
Fundstellen
BFH/NV 2005, 1160 |
HFR 2005, 887 |