Leitsatz (amtlich)
Zu den Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 HAG. Bei echten Hausgewerbetreibenden ist für die Gewährung der Umsatzsteuerfreiheit nach § 4 Ziff. 18 UStG die Schutzbedürftigkeit nur zu prüfen, wenn der Gesamtumsatz die 40 000 DM-Grenze überschritten hat.
Normenkette
UStG § 4 Ziff. 18; UStDB § 44; HAG § 1 Abs. 2, § 2 Abs. 2
Tatbestand
Die Bfin. betreibt in X. eine ....-Werkstatt. Sie hat im Jahre 1955 unter Mitwirkung ihres Ehemanns und einer fremden Hilfskraft für elf Auftraggeber ....-Arbeiten an Gegenständen ausgeführt, die von den Auftraggebern stammten. Unter den elf Auftraggebern befanden sich fünf, mit denen sie in einem nur geringfügigen Geschäftsverkehr stand.
Seit der Eröffnung der Werkstatt bis zum Jahre 1955 hat die Bfin. die folgenden Umsätze und Gewinne ererzielt:
Umsatz: Gewinn:
1953--1955 .... DM .... DM
Die Auftraggeber haben die in § 6 des Heimarbeitsgesetzes (HAG) vom 14. März 1951 -- BGBl 1951 I S. 191 -- (Listenführung), § 8 HAG (Entgeltverzeichnisse) und § 9 HAG (Entgeltbelege) vorgeschriebenen Schutzbestimmungen nicht oder nur unzureichend eingehalten. Streitig ist, ob die im Jahre 1955 aus dem Geschäftsverkehr mit den elf Auftraggebern erzielten Umsätze in Höhe von ... DM nach § 4 Ziff. 18 UStG in Verbindung mit § 44 UStDB umsatzsteuerfrei sind. Das Finanzamt hat die Bfin. in vollem Umfange zur Umsatzsteuer herangezogen, weil die von der Rechtsprechung für die Gewährung der Steuerfreiheit nach § 4 Ziff. 18 UStG verlangte Schutzbedürftigkeit bei der Bfin. nicht gegeben sei. Das Finanzgericht hat sich im Hinblick auf die günstige Entwicklung des Unternehmens der Bfin in den Jahren 1953 bis 1955, vor allem im Hinblick auf die Höhe ihrer Umsätze und Gewinne in 1954 und 1955, die Steigerung ihres Anlagevermögens von 1953 bis 1955, die Höhe der Betriebsausgaben (insbesondere der Kraftfahrzeugkosten, Reise- und Bewirtungsspesen, Buchhaltungs- und Beratungskosten und Werbespesen) im Jahre 1957 der Ansicht des Finanzamts angeschlossen. Als Beweisanzeichen gegen die Eigenschaft der Bfin. als Hausgewerbetreibende hat es außerdem die Zahl der Auftraggeber, die Art der Geschäftsabwicklung und das Nichteinhalten der im HAG vorgesehenen Schutzvorschriften durch die Auftraggeber gewertet.
Entscheidungsgründe
Der Rb. ist der Erfolg nicht zu versagen.
Nach § 4 Ziff. 18 UStG in Verbindung mit § 44 UStDB sind Umsätze von Hausgewerbetreibenden im Sinne des HAG vom 14. März 1951, die überwiegend mit bestimmten Unternehmern in festem Geschäftsverkehr stehen, insoweit umsatzsteuerfrei, als sie Umsätze an diese Unternehmer bewirken. Nach § 2 Abs. 2 HAG ist Hausgewerbetreibender, wer in eigener Arbeitsstätte (eigener Wohnung oder Betriebsstätte) mit nicht mehr als zwei fremden Hilfskräften im Auftrage von Gewerbetreibenden oder Zwischenmeistern Waren herstellt, bearbeitet oder verpackt, wobei er selbst wesentlich am Stück mitarbeitet, jedoch die Verwertung der Arbeitsergebnisse dem unmittelbar oder mittelbar auftraggebenden Gewerbetreibenden überläßt.
Diese Voraussetzungen werden sämtlich von der Bfin. erfüllt. Nach Ansicht der Vorinstanz läßt die vom Vertreter der Bfin. geschilderte Geschäftsabwicklung nicht erkennen, daß die Bfin. zu ihren Auftraggebern als "Hausgewerbetreibende" und damit als "in Heimarbeit Beschäftigte" in ein "Heimarbeitsverhältnis" getreten sei; die Geschäftsabwicklung deute vielmehr auf eine von arbeitsrechtlichen Bindungen freie Vertragsgestaltung hin. Diese Ausführungen sind nicht hinreichend begründet. Offensichtlich hält es die Vorinstanz für bedenklich, daß die Bfin. mit den Auftraggebern über die Höhe des Entgelts gesprochen hat. Solche Gespräche brauchen das Heimarbeitsverhältnis insbesondere dann nicht zu stören, wenn sie die Vereinbarung eines auskömmlichen Preises zum Ziele haben und -- wie die Bfin. unwiderlegt behauptet -- nur bei neuen Mustern, für die noch kein Preis besteht, geführt werden. Auch aus der Zahl der Auftraggeber, mit denen die Bfin. im Jahre 1955 in Geschäftsbeziehungen stand, lassen sich Schlüsse gegen ihre Eigenschaft als Hausgewerbetreibende nicht ziehen. Eine Höchstzahl von Auftraggebern läßt sich nicht bestimmen. Eine größere Zahl von Auftraggebern ist nur dann bedenklich, wenn die Aufträge nicht laufend erteilt werden, weil dann ein fester Geschäftsverkehr im Sinne des § 44 UStDB nicht mehr vorliegt. Bei der Art der Tätigkeit der Bfin. kann nicht festgestellt werden, daß die Zahl der Auftraggeber, mit denen die Bfin. Umsätze von einiger Bedeutung getätigt hat (sechs), ein hinreichender Grund ist, der Bfin. die Umsatzsteuerfreiheit zu versagen.
Die Einhaltung der im dritten Abschnitt des HAG enthaltenen allgemeinen Schutzvorschriften ist keine zusätzliche Voraussetzung der Steuerbefreiung nach § 4 Ziff. 18 UStG. Dem Einhalten oder Nichteinhalten der Vorschriften kommt jedoch die Bedeutung eines Beweisanzeichens für oder gegen das Vorliegen einer besonderen Schutzwürdigkeit zu, die -- wie die Vorinstanz zutreffend ausführt -- schon der Reichsfinanzhof (Urteil V A 263/36 vom 21. Dezember 1936, RStBl 1937 S. 326, Slg. Bd. 40 S. 257) unter Hinweis auf die Begründung zum HAG 1934 (Deutscher Reichsanzeiger und Preußischer Staatsanzeiger 1934 Nr. 72 S. 2) als weiteres Erfordernis für die Gewährung der Steuerfreiheit für Hausgewerbetreibende aufgestellt hat. Aus der Einhaltung der Schutzvorschriften ist in der Regel zu schließen, daß Schutzbedürftigkeit im arbeitsrechtlichen und im umsatzsteuerrechtlichen Sinne gegeben ist. Dagegen läßt sich der Umkehrschluß, daß bei Nichteinhalten der Schutzvorschriften eine starke Vermutung gegen die Schutzbedürftigkeit spreche, nicht allgemein ziehen. Jedoch bedarf es, wie der Senat im Urteil V 26/54 U vom 21. Dezember 1954 (BStBl 1955 III S. 79, Slg. Bd. 60 S. 207) dargelegt hat, in diesen Fällen einer sorgfältigen Prüfung, ob lediglich ein Verstoß der Auftraggeber gegen die Schutzvorschriften vorliegt oder ob die Beteiligten einen zur Beachtung der Schutzvorschriften zwingenden Fall nicht für gegeben erachtet haben.
Die Vorinstanz hat die Schutzbedürftigkeit der Bfin. eingehend geprüft. Allerdings durfte das Finanzgericht aus der Höhe bestimmter Betriebsausgaben im Jahre 1957 keine Schlüsse auf das Fehlen der Schutzbedürftigkeit im Jahre 1955 ziehen. Im übrigen trifft es zu, daß der Geschäftsbetrieb der Bfin. im Jahre 1955, insbesondere was Umsatz, Gewinn und Betriebsvermögen anbelangt, ein beachtliches Ausmaß angenommen hat. Das kann jedoch im Streitfalle aus dem folgenden Grunde nicht zu einer Versagung der Umsatzsteuerfreiheit führen:
Nach § 1 Abs. 2 Buchstabe b HAG können Hausgewerbetreibende, die mit mehr als zwei fremden Hilfskräften arbeiten, den in Heimarbeit Beschäftigten wegen Schutzbedürftigkeit gleichgestellt werden. Die arbeitsrechtliche Gleichstellung erstreckt sich nicht ohne weiteres auf die umsatzsteuerrechtliche Behandlung. Hierfür gilt vielmehr der vom Senat (Urteil V 53/54 U vom 17. Mai 1955, BStBl 1955 III S. 218, Slg. Bd. 61 S. 54) als allgemeine Billigkeitsmaßnahme für weiterhin rechtsverbindlich erklärte Erlaß des Reichsministers der Finanzen vom 15. Oktober 1942 -- S 4161 -- 21 III (RStBl 1942 S. 969 = Umsatzsteuer-Kartei S 4161 Karte 3), der vom Bundesminister der Finanzen durch Erlaß vom 16. August 1950 -- III S 4161 -- 1/50 (Umsatzsteuer-Kartei S 4161 Karte 51) bestätigt worden ist. In diesen Erlassen haben sich Reichsminister der Finanzen und Bundesminister der Finanzen damit einverstanden erklärt, daß die gleichgestellten Unternehmer ohne Rücksicht auf die Zahl der Hilfskräfte hinsichtlich der Umsatzbesteuerung als schutzbedürftig angesehen werden, wenn ihr Gesamtumsatz (§ 13 UStDB) im Kalenderjahr 40 000 RM bzw. DM nicht überschreitet. In diesem Falle sind die Umsätze aus der Tätigkeit als Hausgewerbetreibender nur insoweit zur Umsatzsteuer heranzuziehen, als sie 12 000 RM bzw. DM (nach Einführung des § 7 a UStG 20 000 DM) übersteigen.
Wenn aber nach einem heute noch geltenden Milderungserlaß bei gleichgestellten Hausgewerbetreibenden mit Umsätzen bis zu 40 000 DM jährlich ohne weitere Prüfung der Schutzbedürftigkeit wenigstens bis zum Umsatzbetrage von 12 000 DM (jetzt 20 000 DM) Steuerfreiheit zu gewähren ist, kann bei Gesamtumsätzen echter Hausgewerbetreibender bis zu 40 000 DM jährlich, sofern die übrigen Voraussetzungen erfüllt sind, die Umsatzsteuerfreiheit nach § 4 Ziff. 18 UStG nicht versagt werden. Man würde sonst diejenigen, die schon von Gesetzes wegen umsatzsteuerbegünstigt sind, schlechter stellen als diejenigen, die erst durch einen Verwaltungsakt den echten Hausgewerbetreibenden gleichgestellt werden. Der Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung schließt daher auch bei den echten Hausgewerbetreibenden eine Prüfung der Schutzbedürftigkeit aus, wenn -- wie im Streitfalle -- der Gesamtumsatz die 40 000 DM-Grenze nicht überschritten hat (ebenso mehrere Oberfinanzdirektionen in Rundverfügungen, die auf Grund einer Besprechung im Bundesfinanzministerium ergangen sind, zum Beispiel Rundverfügung der Oberfinanzdirektion Stuttgart vom 5. September 1958 -- S 4161 -- St 61). Soweit aus dem Urteil des Bundesfinanzhofs V 15/56 U vom 30. August 1956 (BStBl 1956 III S. 312, Slg. Bd. 63 S. 301) etwas anderes geschlossen werden könnte, ist künftig der neue Standpunkt des Senats zu berücksichtigen.
Fundstellen
BStBl III 1960, 242 |
BFHE 1960, 653 |