Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Ordnungsmäßigkeit der Buchführung einer GmbH bei verspäteter Bilanzaufstellung
Leitsatz (NV)
1. Will ein Revisionskläger als Verfahrensmangel formgerecht rügen, daß ihm keine Einsicht in bestimmte Teile der Steuerakten gewährt wurde (Verletzung rechtlichen Gehörs), dann muß er auch darlegen, was er Entscheidungserhebliches vor dem Finanzgericht vorgebracht hätte, wenn ihm das begehrte rechtliche Gehör gewährt worden wäre.
2. Die Buchführung einer GmbH ist dann nicht mehr ordnungsmäßig, wenn die Bilanz erst rd. 17 Monate nach Ablauf des maßgebenden Wirtschaftsjahres erstellt wird. Die Überschreitung der Frist ist ein Mangel der Buchführung im ganzen mit der zwangsläufigen Folge, daß die an die ordnungsmäßige Buchführung anknüpfenden Steuervergünstigungen ausnahmslos entfallen.
3. Seit Inkrafttreten der AO 1977 sind Steuerbescheide einerseits und Entscheidungen über abweichende Steuerfestsetzungen aus Billigkeitsgründen nach § 163 AO 1977 andererseits selbständige, mit unterschiedlichen Rechtsbehelfen anfechtbare Verwaltungsakte, die lediglich äußerlich miteinander verbunden werden können.
Normenkette
FGO § 118 Abs. 3 S. 1, § 120 Abs. 2; AO 1977 § 163; EStG § 5 Abs. 1, § 10d; GmbHG § 41
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klin. ist eine GmbH, die im Wirtschaftsjahr 1974 einen Verlust erlitt, dessen Vortrag auf die Veranlagungszeiträume 1975 und 1976 das FA ablehnte, weil die Buchführung des Wirtschaftsjahres 1974 nicht ordnungsgemäß sei. U. a. seien im Oktober 1975 nicht alle Geschäftsvorfälle verbucht gewesen.
Einspruch, Klage und Revision blieben erfolglos.
Entscheidungsgründe
Die Revisionen sind unbegründet. Sie waren daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).
A. Dem FG sind keine Verfahrensfehler unterlaufen.
1. Die Rüge der Klägerin, ihr Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs sei dadurch verletzt worden, daß ihr keine Einsichtnahme in den sog. ,,grünen Aktenvermerk" gewährt worden sei, ist nicht formgerecht erhoben. Nach § 120 Abs. 2 FGO ist ein Verfahrensmangel nur dann formgerecht gerügt, wenn auch die Tatsachen bezeichnet werden, die den Mangel ergeben. Dazu gehört in der Regel der Vortrag, was der in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör angeblich Verletzte vorgebracht hätte, wenn das begehrte rechtliche Gehör gewährt worden wäre. Dieser Vortrag muß zudem entscheidungserheblich sein, weil die Aufhebung der Vorentscheidung und die Zurückverweisung der Sache entfallen, wenn die Gehörsverletzung für das angefochtene Urteil unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt relevant ist (vgl. Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 119 Anm. 6 F a. E.). Zumindest an letzterer Voraussetzung fehlt es im Streitfall. Da der ,,grüne Aktenvermerk" nach seiner Wiedergabe im FG-Urteil nur den Zeitpunkt der Erstellung der Buchführung 1974 betrifft, während das FG seine Entscheidung auf den Zeitpunkt der Bilanzaufstellung 1973 gestützt hat, ist nicht zu erkennen, aus welchem Grunde ein wie auch immer gearteter Sachvortrag der Klägerin zum Inhalt des ,,grünen Aktenvermerks" entscheidungserheblich sein könnte.
Ist aber ein Verfahrensmangel nicht formgerecht gerügt, so kann der Bundesfinanzhof (BFH) sachlich über ihn nicht entscheiden (§ 118 Abs. 3 Satz 1 FGO).
2. Der Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs ist im FG-Verfahren auch insoweit nicht verletzt worden, als das FG keine Überraschungsentscheidung getroffen hat. Dazu kann dahinstehen, ob die entsprechende Rüge von der Klägerin überhaupt formgerecht erhoben wurde. Jedenfalls besteht der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs im wesentlichen darin, daß der Klägerin als einer am Verfahren beteiligten Person Gelegenheiten gegeben werden mußte, sich zu den Tatsachen und Beweisergebnissen zu äußern, die der gerichtlichen Entscheidung zugrunde gelegt werden sollten (Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 11. Oktober 1966 2 BvR 252/66, BVerfGE 20, 280, 282, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Finanzgerichtsordnung, § 119 Nr. 3, Rechtsspruch 2, und vom 14. Januar 1969 2 BvR 314/68, BVerfGE 25, 40, 43, StRK, Grundgesetz, Art. 103 Abs. 1, Rechtsspruch 100; BFH-Urteile vom 26. Oktober 1970 III R 122/66, BFHE 101, 49, BStBl II 1971, 201, 203, und vom 22. Dezember 1981 VII R 104/80, BFHE 135, 149, BStBl II 1982, 356). Dazu ergibt sich aus der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 16. Dezember 1982, daß das FG auf Antrag der Klägerin deren Buchhalter als Zeugen vernommen hat. Der Buchhalter A hat sich als Zeuge u. a. zum Zeitpunkt der Erstellung der Bilanz 1973 geäußert und bekundet, diese sei erst unmittelbar vor ihrer Übersendung an das FA im Juni 1975 erstellt worden. Nach der Niederschrift haben sich die Beteiligten zum Ergebnis der Beweisaufnahme geäußert. Nach § 155 FGO i. V. m. § 415 der Zivilprozeßordnung (ZPO) erbringt die Niederschrift den vollen Beweis des durch das FG beurkundeten Vorgangs. Deshalb ist davon auszugehen, daß die Klägerin Gelegenheit hatte, zu dem Beweisergebnis Stellung zu nehmen.
B. Das FG hat die Klagen zu Recht abgewiesen.
1. Im Streitfall kommt § 10d EStG in der vor 1975 geltenden Fassung zur Anwendung. Zwar sind mit den Klagen die Körperschaftsteuerbescheide 1975 und 1976 angefochten. Auch wurde § 10d EStG einmal durch das Einkommensteuerreformgesetz vom 5. August 1974 - EStRG - (BGBl I 1974, 1769, BStBl I 1974, 530) sowie ein weiteres Mal durch das Einkommensteuer-Änderungsgesetz vom 20. April 1976 - EStÄndG - (BGBl I 1976, 1054, BStBl I 1976, 282) jeweils neu gefaßt. Jedoch sind die Neufassungen nach Art. 1 Nr. 68 Abs. 16 EStRG, Art. 1 Nr. 7 EStÄndG und § 52 Abs. 16 EStG 1975 (BGBl I 1974, 2165, BStBl I 1974, 733) erstmalig auf Verluste bzw. auf nicht ausgeglichene Verluste anzuwenden, die in einem nach dem 31. Dezember 1974 endenden Wirtschaftsjahr bzw. im Veranlagungszeitraum 1975 entstanden sind. Daraus folgt im Umkehrschluß, daß auf Verluste, die im Wirtschaftsjahr 1974 entstanden sind, § 10d EStG i. d. F. des Steueränderngsgesetzes vom 18. Juli 1958 - EStG 1958 - (BGBl I 1958, 473, BStBl I 1958, 412) anzuwenden ist.
2. Nach § 10d EStG 1958 konnten Steuerpflichtige, die ihren Gewinn nach § 4 Abs. 1 oder nach § 5 EStG aufgrund ordnungsmäßiger Buchführung ermittelten, die Verluste der fünf vorangegangenen Veranlagungszeiträume aus Gewerbebetrieb wie Sonderausgaben vom Gesamtbetrag der Einkünfte abziehen, soweit ein Ausgleich oder Abzug der Verluste in den vorangegangenen Veranlagungszeiträumen nicht möglich war.
Zu diesen Voraussetzungen hat das FG in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, daß die Klägerin eine Kapitalgesellschaft ist, die gemäß § 41 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung i. d. F. vor der Änderung durch Art. 3 des Bilanzrichtlinien-Gesetzes vom 19. Dezember 1985 - GmbHG a. F. - (BGBl I 1985, 2355) Bücher führen und gemäß § 41 Abs. 2 GmbHG a. F. ihre Gewinne durch Aufstellen einer Bilanz und einer Gewinn- und Verlustrechnung zu ermitteln hatte. Da die Klägerin bezüglich der Feststellung ihres gesellschaftsrechtlichen Charakters keine Revisionsrügen erhoben hat, ist der Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO an die Feststellung des FG gebunden. Als Kapitalgesellschaft ist die Klägerin gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Körperschaftsteuergesetzes i. d. F. vom 13. Oktober 1969 - KStG 1968 - (BGBl I 1969, 1869, BStBl I 1969, 633) unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig. Gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 KStG 1968 hat sie ihr zu versteuerndes Einkommen nach den Vorschriften des EStG und den §§ 7 bis 16 KStG 1968 zu ermitteln. Zu den Vorschriften des EStG, auf die § 6 Abs. 1 Satz 1 KStG 1968 verweist, zählt auch § 10d EStG 1958.
3. Die Vergünstigung des § 10d EStG setzt allerdings nach dem Wortlaut der Vorschrift u. a. voraus, daß der Verlust, dessen Abzug begehrt wird, aufgrund ordnungsmäßiger Buchführung ermittelt wurde (vgl. BFH-Urteil vom 26. Oktober 1977 I R 131/73, BFHE 124, 315, BStBl II 1978, 315, m. w. N.). Ob eine Buchführung ordnungsmäßig ist, beurteilt sich bei Steuerpflichtigen, die ihren Gewinn nach § 5 Abs. 1 EStG ermitteln, nach den Grundsätzen des Handelsrechts. Danach ist eine Buchführung dann nicht mehr ordnungsmäßig, wenn die Bilanz wesentlich verspätet aufgestellt wird (vgl. BFH-Urteile vom 5. März 1965 VI 154/63 U, BFHE 82, 104, BStBl III 1965, 285; vom 12. Dezember 1972 VIII R 112/69, BFHE 109, 167, BStBl II 1973, 555; vom 11. Oktober 1973 IV R 181/72, BFHE 110, 528, BStBl II 1974, 65; vom 24. September 1974 VIII R 125/70, BFHE 113, 500, BStBl II 1975, 78; BFHE 124, 315, BStBl II 1978, 315; vom 25. April 1978 VIII R 96/75, BFHE 125, 165, BStBl II 1978, 525; vom 28. Oktober 1981 I R 115/78, BFHE 135, 1, BStBl II 1982, 485; vom 6. Dezember 1983 VIII R 110/79, BFHE 140, 74, BStBl II 1984, 227). Für eine GmbH hat der Senat entschieden (BFHE 124, 315, BStBl II 1978, 315), daß die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung die Einhaltung der in § 41 Abs. 2 und 3 GmbHG a. F. festgelegten Fristen voraussetzt. Nach § 41 Abs. 2 GmbHG a. F. beträgt die Frist drei Monate nach Ablauf des Geschäftsjahres. Sie kann gemäß Abs. 3 durch Gesellschaftsvertrag auf sechs Monate verlängert werden. Die Frist bezieht sich auf das Aufstellen der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung.
Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG hat die Klägerin die Bilanz 1973 unmittelbar vor ihrer Einreichung beim FA im Juni 1975, also rd. 17 Monate nach Ablauf des Wirtschaftsjahres 1973, erstellt. Da die Klägerin bezüglich dieser Feststellung des FG keine begründeten Revisionsrügen erhoben hat, ist der Senat an sie gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO). Aus ihr ergibt sich, daß der Jahresabschluß 1973 der Klägerin außerhalb der Frist des § 41 Abs. 2 GmbHG a. F. erstellt wurde. Dann aber ist die Buchführung der Klägerin unabhängig von den sachlichen Auswirkungen der Fristüberschreitung nicht ordnungsmäßig. Die Überschreitung der Frist ist ein Mangel der Buchführung im ganzen mit der zwangsläufigen Folge, daß die an die ordnungsmäßige Buchführung anknüpfenden Steuervergünstigungen ausnahmslos entfallen (BFHE 124, 315, BStBl II 1978, 315, und BFHE 140, 74, BStBl II 1984, 227). Ist damit der Jahresabschluß für das Wirtschaftsjahr 1973 nicht ordnungsmäßig, so ist auch die Buchführung für das Wirtschaftsjahr 1974 nicht ordnungsmäßig. Wie in dem BFH-Gutachten vom 25. März 1954 IV D 1/53 S (BFHE 58, 740, BStBl III 1954, 195) unter Hinweis auf das BFH-Urteil vom 20. März 1953 IV 376/52 U (BFHE 57, 300, BStBl III 1953, 120) ausgesprochen wurde, kann die Buchführung für ein Wirtschaftsjahr nur dann als ordnungsmäßig angesehen werden, wenn ordnungsgemäße Anfangs- und Schlußbilanzen vorliegen. Ist der Jahresabschluß eines Wirtschaftsjahres nicht ordnungsgemäß aufgestellt, dann ist zwangsläufig auch die Anfangsbilanz für das folgende Wirtschaftsjahr nicht ordnungsmäßig. Insoweit wirkt sich das Fehlen eines ordnungsgemäßen Jahresabschlusses auf zwei Wirtschaftsjahre aus.
4. Zu Unrecht beruft sich die Klägerin auf das Schreiben des Bundesministers der Finanzen vom 28. Juni 1979 IV B 2 - S 2160 - 2/79 (BStBl I 1979, 370). Dieses Schreiben sieht eine Billigkeitsmaßnahme vor. Hätte die Klägerin eine abweichende Festsetzung von Steuern aus Billigkeitsgründen gemäß § 163 der Abgabenordnung (AO 1977) begehren wollen, so hätte sie gegen die dies ablehnenden Steuerbescheide Beschwerde gemäß § 349 AO 1977 einlegen müssen. Seit Inkrafttreten der AO 1977 sind Steuerbescheide einerseits und Entscheidungen über abweichende Steuerfestsetzungen aus Billigkeitsgründen nach § 163 AO 1977 andererseits selbständige, mit unterschiedlichen Rechtsbehelfen anfechtbare Verwaltungsakte, die lediglich äußerlich miteinander verbunden werden können (§ 163 Abs. 1 Satz 3 AO 1977). Wegen der Selbständigkeit der Billigkeitsentscheidung und der Unterschiedlichkeit der Rechtsbehelfsverfahren ist es den FG seit Inkrafttreten der AO 1977 nicht mehr erlaubt, in einer gegen einen Steuerbescheid gerichteten Klage bzw. in einem sich anschließenden Revisionsverfahren allgemeine Billigkeitsanweisungen der Finanzverwaltung bei der Steuerfestsetzung gemäß § 100 Abs. 2 Satz 1 FGO mitzuberücksichtigen (vgl. BFH-Urteile vom 21. Dezember 1977 I R 247/74, BFHE 124, 199, BStBl II 1978, 305; vom 28. Februar 1980 IV R 19/78, BFHE 130, 244, BStBl II 1980, 528; vom 28. November 1980 VI R 226/77, BFHE 132, 264, BStBl II 1981, 319). Dem erkennenden Senat ist damit in dem anhängigen Verfahren die Prüfung untersagt, ob die Klägerin einen Anspruch auf eine bestimmte Billigkeitsmaßnahme hat.
Fundstellen
Haufe-Index 415045 |
BFH/NV 1987, 581 |