Entscheidungsstichwort (Thema)
Rücklage für Ersatzbeschaffung und Umsatzsteuer
Leitsatz (amtlich)
1. Wird einem vorsteuerabzugsberechtigten Unternehmer anläßlich eines Versicherungsfalls der Wiederbeschaffungswert einschließlich Umsatzsteuer ersetzt, so kann auch der auf die Umsatzsteuer entfallende Entschädigungsbetrag in eine Rücklage für Ersatzbeschaffung eingestellt werden.
2. Die spätere Inanspruchnahme eines Vorsteuerabzugs im Zusammenhang mit der Wiederbeschaffung führt nicht dazu, daß die Rücklage in Höhe des Vorsteuerbetrags gewinnerhöhend aufzulösen ist.
Orientierungssatz
1. Die Rücklage für Ersatzbeschaffung ist ihrer Natur nach eine "Gewinnrücklage". Sie bezieht sich auf einen Teilbetrag des ohne Rücklagenbildung realisierten Gewinns. Der Teilbetrag errechnet sich aus dem Saldo zwischen der als Betriebseinnahme anzusetzenden Entschädigung und dem Buchwert des ausgeschiedenen Wirtschaftsguts; der Teilwert des zerstörten Wirtschaftsguts hat dafür keine Bedeutung.
2. Wird mit der Entschädigung auch Umsatzsteuer erstattet, so kann diese in die Rücklage für Ersatzbeschaffung eingehen, gleichgültig ob der Empfänger zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, einen pauschalierten Vorsteuerabzug in Anspruch nimmt oder vom Abzug der Vorsteuer ausgeschlossen ist.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 1; EStR R 35
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches FG (Dok.-Nr. 0144331; EFG 1997, 1367) |
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) wurden in den Streitjahren 1986 und 1987 als Ehegatten zur Einkommensteuer zusammenveranlagt. Der Kläger betreibt eine Landwirtschaft. Den Gewinn ermittelte er für das Normalwirtschaftsjahr der Land- und Forstwirte nach § 4 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) durch Bestandsvergleich, seine Umsätze versteuerte er bis zum 31. Dezember 1985 gemäß § 24 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) nach Durchschnittsätzen für land- und forstwirtschaftliche Betriebe. Zum 1. Januar 1986 ging er nach § 24 Abs. 4 UStG zur Regelbesteuerung über.
Im Herbst 1985 brannte das als Stall, Getreidelager und Maschinenhalle genutzte Wirtschaftsgebäude ab. Der Kläger erhielt eine Versicherungsentschädigung, die mit 899 776 DM auch die für Wiederaufbau und Ersatzbeschaffung anfallenden Vorsteuerbeträge enthielt. Eine in die Bilanz zum 30. Juni 1986 eingestellte Rücklage für Ersatzbeschaffung in Höhe von 705 527 DM übertrug der Kläger im Wirtschaftsjahr 1986/87 zu 468 897,03 DM (netto) auf die Herstellungskosten eines Stalls und zu 64 234 DM (netto) auf die Anschaffungskosten von Ersatzmaschinen, so daß die Rücklage zum 30. Juni 1987 noch mit 172 395,97 DM ausgewiesen war. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) führte für die Streitjahre entsprechende Einkommensteuerveranlagungen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung durch und erstattete dem Kläger bei den Umsatzsteuerveranlagungen die auf die Ersatzwirtschaftsgüter entfallende Vorsteuer.
Nach einer die Wirtschaftsjahre 1986/87 bis 1988/89 umfassenden Betriebsprüfung erließ das FA geänderte Einkommensteuerbescheide, die durch die Einspruchsentscheidung nochmals zum Nachteil der Kläger geändert wurden. Das FA war der Auffassung, die Rücklage sei zum 30. Juni 1987 insoweit aufzulösen, als sie auch die als Vorsteuer abziehbare Umsatzsteuer enthalte. Der Kürzungsbetrag in Höhe von 74 638,34 DM setzte sich aus den auf die Herstellungskosten des Stalls (468 897,03 DM) und die Wiederbeschaffungskosten der Maschinen (64 234 DM) entfallenden Umsatzsteuerbeträgen von 65 645,58 DM und 8 992,76 DM zusammen.
Der dagegen gerichteten Klage gab das Finanzgericht (FG) mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1997, 1367 veröffentlichten Gründen statt.
Mit seiner vom FG zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung von Abschn. 35 der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR). Diese Regelung sei revisibles Bundesrecht, weil sie in ihrer Bedeutung über eine innerdienstliche Anweisung hinausgehe. Das FG habe die der Rücklage für Ersatzbeschaffung zugrundeliegenden Prinzipien verkannt. Danach solle eine Gewinnrealisierung nur vermieden werden, wenn die sofortige Realisierung eines Gewinns bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise zu einem unbefriedigenden Ergebnis führe.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zulässig, aber unbegründet.
1. Der Zulässigkeit der Revision steht nicht entgegen, daß das FA nur die Verletzung einer Verwaltungsanordnung geltend gemacht hat. Die Frage, ob Abschn. 35 EStR revisibles Bundesrecht i.S. des § 118 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist, kann im Streitfall dahinstehen. Für den Senat ist aus dem Vorbringen des FA ohne weiteres erkennbar, daß die Verletzung des § 4 Abs. 1 EStG und der darauf beruhenden Grundsätze der Gewinnrealisierung gerügt wird. Dies genügt den Anforderungen, die nach § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO an das Bezeichnen einer Rechtsnorm zu stellen sind (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 18. Dezember 1990 VIII R 290/82, BFHE 163, 423, BStBl II 1991, 391).
2. Zu Recht hat das FG die Auflösung der für die Brandentschädigung gebildeten steuerfreien Rücklage in Höhe der geltend gemachten Vorsteuern aus den Anschaffungskosten der ersatzweise angeschafften Maschinen und den Herstellungskosten des wiedererrichteten Stallgebäudes abgelehnt.
a) Nach den von der Rechtsprechung entwickelten und von der Finanzverwaltung in Abschn. 35 EStR (in den für die Streitjahre geltenden Fassungen der EStR 1987/90 jetzt R 35 EStR) übernommenen Grundsätzen zur sog. Rücklage für Ersatzbeschaffung kann eine Gewinnrealisierung durch Aufdeckung stiller Reserven ausnahmsweise dann vermieden werden, wenn ein Wirtschaftsgut aufgrund höherer Gewalt oder infolge bzw. zur Vermeidung eines behördlichen Eingriffs gegen eine Entschädigung aus dem Betriebsvermögen ausscheidet und alsbald ein funktionsgleiches Ersatzwirtschaftsgut angeschafft wird (s. etwa Senatsurteile vom 17. Oktober 1991 IV R 97/89, BFHE 166, 149, BStBl II 1992, 392).
b) Im Streitfall lagen die Voraussetzungen zur Bildung einer Rücklage für Ersatzbeschaffung gemäß Abschn. 35 EStR in der Bilanz zum 30. Juni 1986 nach Grund und Höhe unzweifelhaft vor. Als Ereignis höherer Gewalt löste der Brandschaden die Zahlung der Entschädigung aus und führte dadurch zur Aufdeckung der in den zerstörten Wirtschaftsgütern enthaltenen stillen Reserven, die in die Gewinnrücklage eingestellt werden konnten. Zutreffend und mit Billigung des FA bezog der Kläger auch die von der Versicherungsgesellschaft als Teil der Entschädigung gezahlten Vorsteuerbeträge in die Bildung der Rücklage ein. Folgerichtig war der in die Rücklage eingestellte Gewinn auch in diesem Umfang auf die Anschaffungs- und Herstellungskosten der Ersatzwirtschaftsgüter zu übertragen oder bis zur anderweitigen Auflösung der Rücklage fortzuführen. Denn die Rücklage für Ersatzbeschaffung ist ihrer Natur nach eine "Gewinnrücklage". Sie bezieht sich auf einen Teilbetrag des ohne Rücklagenbildung realisierten Gewinns. Der Teilbetrag errechnet sich aus dem Saldo zwischen der als Betriebseinnahme anzusetzenden Entschädigung und dem Buchwert des ausgeschiedenen Wirtschaftsguts; der Teilwert des zerstörten Wirtschaftsguts hat dafür keine Bedeutung (Urteil vom 9. Dezember 1982 IV R 54/80, BFHE 137, 453, BStBl II 1983, 371; vgl. auch Abschn. 35 Abs. 2 Satz 4 EStR 1987). Die Rücklage für Ersatzbeschaffung setzt nicht voraus, daß die Ersatzbeschaffung speziell durch die Entschädigung finanziert wird. Auch wenn die Rücklage die ungeschmälerte Verwendung der Ersatzleistung für die Wiederbeschaffung gewährleisten soll (Senat in BFHE 137, 453, BStBl II 1983, 371), unterliegt die Art ihrer Finanzierung der freien Entscheidung des Steuerpflichtigen. Entsprechend ist allein nach der Wiederbeschaffungsmaßnahme zu entscheiden, wie eine in Rechnung gestellte Umsatzsteuer ertragsteuerlich zu behandeln ist. Wird dem Kläger mit der Entschädigung auch Umsatzsteuer erstattet, so kann diese in die Rücklage für Ersatzbeschaffung eingehen, gleichgültig ob dieser zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, einen pauschalierten Vorsteuerabzug in Anspruch nimmt oder vom Abzug der Vorsteuer ausgeschlossen ist (s. auch Urteil des Niedersächsischen FG vom 2. August 1985 I 157/84, Die Information über Steuer und Wirtschaft --Inf-- 1985, 550). Das FG hat insoweit zu Recht darauf hingewiesen, daß auch eine fehlerhaft zu hoch bemessene Entschädigung zur Aufdeckung stiller Reserven führen würde und nach den vorgenannten Grundsätzen der Rechtsprechung auch insoweit in die Ersatzbeschaffungsrücklage einzustellen wäre. Dies folgt letztlich aus der Tatsache, daß die erstattete Umsatzsteuer ertragsteuerlich gewinnwirksam zu erfassen ist. Ihr steht im Zeitpunkt der Vereinnahmung keine Umsatzsteuerverbindlichkeit gegenüber.
Zivilrechtlich mindert die Umsatzsteuer zwar die Schadensersatzleistung im Wege der Vorteilsausgleichung, wenn der Geschädigte nach § 15 UStG zum Vorsteuerabzug berechtigt ist (vgl. nur Staudinger/Schiemann, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Zweites Buch, 13. Bearbeitung, § 249 Rdnr.171 f, m.w.N.). Für die Übertragung der stillen Reserven nach den Grundsätzen der Rücklage für Ersatzbeschaffung ist diese zivilrechtliche Folge aber dann ohne Bedeutung, wenn der Schadensersatzverpflichtete --aus welchen Gründen auch immer-- von einer Anrechnung der Umsatzsteuer absieht.
c) Entgegen der Auffassung des FA war die Rücklage in der Bilanz zum 30. Juni 1987 auch nicht insoweit gewinnerhöhend aufzulösen, als der Kläger nach dem Übergang zur umsatzsteuerlichen Regelbesteuerung einen Vorsteuerabzug geltend machen konnte. Nach Meinung des FA entspricht die teilweise Auflösung der stillen Reserven einem der Rücklage für Ersatzbeschaffung zugrundeliegenden Prinzip, wonach eine Gewinnrealisierung nur vermieden werden solle, wenn die sofortige Versteuerung des Gewinns bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise zu einem unbefriedigenden Ergebnis führe. Ob ein derartig unbestimmter Grundsatz tatsächlich existiert, kann dahinstehen; er würde jedenfalls dem erwähnten (s. 2. a) von der Rechtsprechung anerkannten Zweck der Rücklage entgegenstehen, die ungeschmälerte Verwendung der Ersatzleistung für die Wiederbeschaffung zu gewährleisten.
Soweit sich das FA auf das Schrifttum bezieht, das in derartigen Fällen die Übertragung der Rücklage ablehnen soll, vermag ihm der Senat nicht zu folgen. Zwar wird dort ausgeführt, bei einem Landwirt, der § 24 UStG anwende, sei eine Rücklage für Ersatzbeschaffung in Höhe der in ihr enthaltenen Vorsteuerbeträge nicht auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten des Ersatzwirtschaftsguts zu übertragen; insoweit sei sie vielmehr gewinnerhöhend aufzulösen, um eine Gewinnminderung durch die Vorsteuer auszugleichen (vgl. so Leingärtner/Zaisch, Die Einkommensbesteuerung der Land- und Forstwirtschaft, 2. Aufl. 1991, Rdnr. 1532; ähnlich Felsmann/Pape, Einkommensbesteuerung der Land- und Forstwirte, 3. Aufl. 1983, Anm. A 1247a). Diese Auffassungen beziehen sich allerdings nur auf den Fall, daß der Landwirt auch im Zeitpunkt der Rücklageübertragung noch der umsatzsteuerlichen Durchschnittsbesteuerung unterliegt. Im Streitfall hat aber der Kläger zur Regelbesteuerung optiert. Für diese bei Anfall größerer Investitionen durchaus übliche Maßnahme (s. etwa Flock, Inf 1993, 516) wird in Anlehnung an die Entscheidung der Vorinstanz auch im Schrifttum eine Zwangsauflösung der Rücklage abgelehnt (Leingärtner/Zaisch, Besteuerung der Landwirte, 3. Aufl. 1998, Kap. 45 Rz. 54).
Im übrigen beruht die Auffassung von der Gewinnminderung durch Vorsteuer, die durch Auflösung der Rücklage zu kompensieren sei, auf der durchaus zweifelhaften Vorstellung, daß die Pauschalierung der Vorsteuerbeträge für die Anwendung des § 9b EStG keine Bedeutung haben soll (s. koordinierte Ländererlasse vom 26. April 1972, Finanz-Rundschau --FR-- 1972, 236, und vom 11. April 1975, FR 1975, 272). Danach "mindern auch bei Land- und Forstwirten die tatsächlichen - nicht die nach § 24 Abs. 1 Satz 4 UStG den Umsätzen zuzurechnenden - Vorsteuerbeträge die Anschaffungs- oder Herstellungskosten der Wirtschaftsgüter" (Ländererlasse in FR 1972, 236, und in FR 1975, 272). Die gezahlten Vorsteuern sind daher auch insoweit sofort abziehbarer Aufwand, als sie bei der Umsatzsteuer nicht abgezogen werden können. § 9b Abs. 1 Satz 1 EStG kann im Umkehrschluß aber auch so zu verstehen sein, daß der nicht mit der geschuldeten Umsatzsteuer zu verrechnende Vorsteuerbetrag zu den Anschaffungs- oder Herstellungskosten der Ersatzwirtschaftsgüter gehört, weil er insoweit bei der Umsatzsteuer nicht abgezogen werden kann (so Grundschok, Umsatzsteuer-Rundschau 1971, 261). Die praktischen Schwierigkeiten, die diese Auffassung bewirken würde (dazu Sauer in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, 21. Aufl., § 9b Anm. 18 a.E.), können nach Auffassung des Senats jedenfalls nicht dazu führen, aus einer begünstigenden, dem Wortlaut des § 9b EStG widersprechenden Vereinfachungsregelung eine belastende Folgerung für die Behandlung einer Rücklage für Ersatzbeschaffung zu ziehen.
Fundstellen
Haufe-Index 56109 |
BFH/NV 1999, 1548 |
BStBl II 1999, 561 |
BFHE 189, 128 |
BFHE 2000, 128 |
BB 1999, 1749 |
BB 1999, 1749 (Leitsatz) |
BB 1999, 2024 |
DB 1999, 1931 |
DStR 1999, 1349 |
DStR 1999, 1349-1350 (Leitsatz und Gründe) |
DStRE 1999, 697 |
DStRE 1999, 697 (Leitsatz) |
DStZ 1999, 915 |
HFR 1999, 885 |