Entscheidungsstichwort (Thema)
(Option für die Steuerpflicht einer Grundstückslieferung: Unzulässigkeit nach Ablauf der Festsetzungsfrist, Wirksamkeit einer "hilfsweisen" Option in einem Klageverfahren bezüglich eines anderen Kalenderjahres - Ablaufhemmung nach § 171 Abs.4 AO 1977 nur bezüglich der in Prüfungsanordnung genannten Besteuerungszeiträume)
Leitsatz (amtlich)
Eine Grundstückslieferung kann wirksam nur vor Ablauf der Festsetzungsfrist für den Besteuerungszeitraum, in dem sie ausgeführt worden ist, als steuerpflichtiger Umsatz behandelt werden.
Orientierungssatz
1. Die Ablaufhemmung nach § 171 Abs.4 AO 1977 kann nur für die Festsetzungsfristen hinsichtlich der in der Prüfungsanordnung bezeichneten Steueransprüche gelten, soweit sich die Prüfungsanordnung wirklich auf sie erstreckt hat. Auf in der Prüfungsanordnung nicht bezeichnete Steueransprüche bezieht sich die Hemmungswirkung selbst dann nicht, wenn der Prüfer auf Sachverhalte außerhalb des in der Prüfungsanordnung genannten Prüfungszeitraums eingeht. Die für den Vorsteuerabzug aus Rechnungen über im Prüfungszeitraum bezogene Bauleistungen notwendige Beurteilung der Verwendung des in einem späteren Kalenderjahr fertiggestellten Gebäudes erweitert die Außenprüfung nicht.
2. Ein Unternehmer kann auf die Steuerbefreiung einer Grundstückslieferung verzichten. Die Option wird regelmäßig dadurch wirksam ausgeübt, daß die Grundstückslieferung dem Erwerber unter gesondertem Ausweis der Umsatzsteuer in Rechnung gestellt oder in einer Steueranmeldung als steuerpflichtig behandelt wird. Es genügt nicht, in einem --den Vorsteuerabzug früherer Kalenderjahre betreffenden-- Klageverfahren hilfsweise auf die Steuerbefreiung der Grundstücksveräußerung zu verzichten (vgl. BFH-Urteil vom 1. 12.1994 V R 126/92).
Normenkette
UStG 1980 § 4 Nr. 9 Buchst. a, § 9 Abs. 1, § 15 Abs. 2 S. 1 Nr. 1; AO 1977 § 171 Abs. 4; UStG 1980 § 15 Abs. 1 Nr. 1
Tatbestand
I. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) verweigerte dem Kläger und Revisionskläger (Kläger) in den angefochtenen Umsatzsteueränderungsbescheiden (§ 164 Abs.2 der Abgabenordnung --AO 1977--) für 1987 und 1988 den Vorsteuerabzug aus Rechnungen über den Wiederaufbau eines abgebrannten, aber nicht wiedereröffneten, sondern 1989 zwangsversteigerten Hotelgebäudes. Das FA ordnete die vom Kläger beanspruchten Vorsteuerabzugsbeträge aus Rechnungen über Wiederaufbauleistungen der steuerfreien Grundstückslieferung zu und schloß dadurch den Vorsteuerabzug nach § 15 Abs.2 Satz 1 Nr.1 i.V.m. § 4 Nr.9 Buchst.a des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1980) aus.
Der Kläger hatte im ersten Rechtsgang den Standpunkt vertreten, die Wiederaufbauleistungen seien den vor dem Brandunfall ausgeführten steuerpflichtigen Hotelumsätzen zuzurechnen. Er hatte "hilfsweise" auf die Steuerbefreiung der Grundstückslieferung durch Zwangsversteigerung verzichtet. Der Bundesfinanzhof (BFH) hob mit dem Urteil vom 1. Dezember 1994 V R 126/92 (BFHE 176, 491, BStBl II 1995, 426) die erstinstanzliche Vorentscheidung auf, in der das Finanzgericht (FG) den Verzicht als wirksam beurteilt hatte, weil er, der BFH, dem festgestellten Sachverhalt nicht entnehmen könne, ob der Kläger wirklich wirksam auf die Steuerbefreiung verzichtet habe. Ein nur hilfsweise in einer Klageschrift erklärter Verzicht auf die Steuerbefreiung sei jedenfalls unwirksam.
Nunmehr reichte der Kläger am 12. Mai 1995 eine berichtigte Steuererklärung für 1989 ein und erklärte darin (im Gegensatz zu der ursprünglichen, am 29. Juni 1990 abgegebenen und vom FA nicht beanstandeten Steueranmeldung) die Grundstückslieferung als steuerpflichtigen Umsatz. Das FG beurteilte diesen Verzicht in dem angefochtenen Urteil im zweiten Rechtsgang aber nicht als wirksam, weil die Steuerfestsetzung für 1989 wegen Ablaufs der Festsetzungsverjährung mit dem Ende des Jahres 1994 nicht mehr änderbar sei. Eine Hemmung des Ablaufs der Festsetzungsfrist sei weder durch eine auf die Besteuerungszeiträume 1987 bis 1988 beschränkte Betriebsprüfung noch durch einen zulässig gestellten Antrag auf anderweitige Festsetzung der Steuer eingetreten.
Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das FG habe gegen §§ 9 und 15 UStG 1980 verstoßen, weil der Verzicht auf die Steuerbefreiung wirksam vor Ablauf der Festsetzungsverjährung erklärt worden sei. Die Ablaufhemmung sei nach § 171 Abs.3 und 4 AO 1977 eingetreten.
Das Begehren, den Grundstücksumsatz 1989 --hilfsweise-- der Umsatzsteuer zu unterwerfen, habe einen wirksamen Antrag nach § 171 Abs.3 AO 1977 eingeschlossen. Für die Hemmungswirkung sei unerheblich, ob der Antrag unzulässig oder unbegründet sei. Im übrigen sei der Ablauf der Festsetzungsfrist nach § 171 Abs.4 AO 1977 gehemmt worden, weil der Betriebsprüfer unter Tz.8 seines Prüfungsberichts ausgeführt habe, daß die Grundstücksveräußerung 1989 steuerfrei ausgeführt worden sei. Damit habe sich die Betriebsprüfung mit Zustimmung des Klägers nach den tatsächlichen Prüfungshandlungen auch auf 1989 erstreckt.
Der Kläger rügt außerdem Verletzung rechtlichen Gehörs und die Nichtbeachtung von § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Er begehrt unter Aufhebung der Vorentscheidung, die Umsatzsteuer für 1987 und 1988 unter Berücksichtigung der bezeichneten Vorsteuerbeträge festzusetzen.
Das FA ist der Revision entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet (§ 126 Abs.2 FGO). Die Vorentscheidung hält den Revisionsangriffen stand.
1. Die vom Kläger gerügten Verfahrensmängel sind nicht vorhanden.
a) Soweit der Kläger beanstandet, das FG habe über die Umsatzsteuer 1989 befunden, ohne ihm rechtliches Gehör zu gewähren, genügt die Rüge nicht den gesetzlichen Anforderungen (§ 120 Abs.2 Satz 2 FGO). Der zur mündlichen Verhandlung ordnungsgemäß geladene, aber nicht erschienene Kläger hat nicht dargelegt, was er vorgetragen hätte, wenn ihm das FG --das im übrigen nicht über die Umsatzsteuer 1989, sondern nur über 1988 und 1987 entschieden hat-- dazu Gelegenheit gegeben hätte.
b) Die Vorentscheidung, die die Umsatzsteuerfestsetzungen für 1987 und 1988 betrifft, beruht auch nicht auf einer Verletzung von § 74 FGO. Nach § 74 FGO darf ein Klageverfahren grundsätzlich nur ausgesetzt werden, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist. Da weder ein Rechtsstreit über die Rechtmäßigkeit der Umsatzsteuer für 1989 anhängig war noch insoweit eine Feststellung des FA oder einer anderen Verwaltungsbehörde zu treffen war, sind die bezeichneten Voraussetzungen nicht erfüllt. Soweit die Entscheidung über die Festsetzung von Umsatzsteuer für einen Besteuerungszeitraum (Vorsteuerabzug in den Jahren 1987 und 1988) von der Beurteilung von Sachverhalten in anderen Besteuerungszeiträumen (Verwendung der Leistungsbezüge 1989) abhängt, bleibt die Entscheidung über den anderen Besteuerungszeitraum rechtlich selbständig und ist für die umstrittene Steuerfestsetzung nicht vorgreiflich. Nur wegen Vorgreiflichkeit einer Entscheidung "kann" das FG die Entscheidung eines Rechtsstreits nach § 74 FGO aussetzen. Die vom BFH vollständig überprüfbare Ermessensentscheidung des FG, die Entscheidung des anhängigen Rechtsstreits wegen Umsatzsteuer 1987 und 1988 nicht auszusetzen, ist auch nicht mangels Auseinandersetzung des FG mit erheblichem Vorbringen des Klägers zu beanstanden (vgl. BFH-Beschluß vom 27. November 1992 III B 133/91, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Finanzgerichtsordnung, § 74, Rechtsspruch 51).
Der Senat sieht nach Art.1 Nr.8 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs von einer weiteren Begründung ab.
2. Die Vorentscheidung hält auch den sachlichen Angriffen der Revision stand.
a) Wie der Senat im ersten Rechtsgang in BFHE 176, 491, BStBl II 1995, 426 entschieden hat, kann der Kläger Vorsteuerbeträge aus Rechnungen über den Wiederaufbau des abgebrannten Hotels nicht abziehen (§ 15 Abs.2 Satz 1 Nr.1 UStG 1980), weil die vom Kläger bezogenen Wiederaufbauleistungen nicht den zuvor ausgeführten steuerpflichtigen Hotelzimmervermietungen (§ 4 Nr.12 Satz 2 UStG 1980), sondern der anschließend bewirkten steuerfreien Grundstückslieferung (§ 4 Nr.9 Buchst.a UStG 1980) durch Zwangsversteigerung zuzurechnen sind.
b) Ein wirksamer Verzicht (§ 9 Abs.1, 2 UStG 1980) auf die Steuerbefreiung der Grundstückslieferung im Jahr 1989 ist nicht vorhanden.
aa) Der Verzicht konnte --wie der Senat im ersten Rechtsgang entschieden hat-- nicht hilfsweise in einem Rechtsstreit wegen Umsatzsteuer 1987 und 1988 erklärt werden. Der Kläger hat die Grundstückslieferung nach den insoweit nicht mit begründeten Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des FG auch nicht auf andere Weise wirksam als steuerpflichtigen Umsatz behandelt. Er hat weder gegenüber dem Leistungsempfänger mit gesondertem Steuerausweis über die Grundstückslieferung abgerechnet noch hat er durch die am 12. Mai 1995 bei dem FA eingegangene berichtigte Steueranmeldung für 1989 wirksam auf die Steuerbefreiung der Lieferung verzichtet.
bb) Der Kläger hat die Grundstückslieferung auch durch die am 12. Mai 1995 bei dem FA eingereichte berichtigte Umsatzsteuererklärung für 1989 nicht wirksam als steuerpflichtigen Umsatz behandelt (§ 9 Abs.1 UStG 1980). Die damit verbundene Wirkung, nach der ein Steuer(erhöhungs)anspruch wegen der Grundstückslieferung entstehen sollte, konnte wegen Ablaufs der Festsetzungsverjährung (§ 169 Abs.1 AO 1977) nicht mehr eintreten. Der Verzicht auf die Steuerbefreiung wirkt auf den Zeitpunkt der Ausführung des Umsatzes zurück. Da der Kläger das Grundstück 1989 geliefert und die in diesem Besteuerungszeitraum ausgeführten Umsätze dem FA im Jahr 1990 angemeldet hatte (§ 18 Abs.3 UStG 1980), begann die Festsetzungsfrist, bis zu deren Ablauf die Steuerfestsetzung geändert werden durfte (§ 169 Abs.1 AO 1977), mit Ablauf des Jahres 1990 (§ 170 Abs.2 Satz 1 Nr.1 AO 1977, § 18 Abs.3 UStG 1980) und lief nach vier Jahren (§ 169 Abs.2 Satz 1 Nr.2 AO 1977) mit Ablauf des Jahres 1994 ab. Bis dahin nicht festgesetzte Steueransprüche erloschen (§ 47 AO 1977). Sie können nicht dadurch wieder entstehen, daß der Unternehmer nach Ablauf der Festsetzungsfrist einen steuerfreien, einem Verzicht zugänglichen Umsatz als steuerpflichtig behandelt.
3. Eine Hemmung des Ablaufs der Festsetzungsfrist für die Umsatzsteuer 1989 des Klägers war weder durch einen Antrag auf Änderung der für dieses Jahr festgesetzten Umsatzsteuer noch durch die für 1987 und 1988 angeordnete Außenprüfung eingetreten.
a) Nach § 171 Abs.3 AO 1977 läuft, wenn vor Fristablauf ein Antrag auf Steuerfestsetzung oder auf Änderung einer Steuerfestsetzung gestellt wird, die Festsetzungsfrist insoweit nicht ab, bevor über den Antrag unanfechtbar entschieden wird. Die Einreichung der berichtigten Steueranmeldung (§ 18 Abs.3 Satz 1 UStG 1980) für 1989 im Jahr 1995 erfüllt diese Anforderungen nicht, weil der Kläger den Antrag auf Änderung der vorhandenen Steuerfestsetzung erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist gestellt hatte. Nach den Feststellungen des FG hatte der Kläger zuvor keine Änderung der Steuerfestsetzung für 1989 beantragt.
Der Antrag auf Änderung der vorhandenen Steuerfestsetzung für 1989 ist auch nicht durch den während des Rechtsstreits im ersten Rechtsgang wegen der Umsatzsteuer 1987 und 1988 "hilfsweise" erklärten Verzicht gestellt worden. Diese Erklärung war --wie der Senat im ersten Rechtsgang entschieden hat-- als Verzichtserklärung unwirksam. Einer Gesetzesauslegung dahin, daß mit einer unwirksamen Verzichtserklärung ein Antrag auf Änderung der Steuerfestsetzung für 1989 verbunden sei, steht entgegen, daß mit dieser Erklärung nicht auf die Änderung der Steuerfestsetzung eingewirkt werden konnte; denn solange eine wirksame Verzichtserklärung nicht vorlag, war die vorhandene Steuerfestsetzung zutreffend. Im übrigen hatte der Kläger den Antrag nur hilfsweise für den Fall gestellt, daß sich seine Rechtsansicht über die Zuordnung der bezogenen Wiederaufbauleistungen zu den vor dem Hotelbrand erbrachten Vermietungsumsätzen nicht durchsetzen sollte. Der Kläger wollte somit erkennbar keine Änderung der Steuerfestsetzung 1989, weil er auch ohne die Steuerpflicht der Grundstückslieferung zum Vorsteuerabzug zu gelangen hoffte.
b) Der Ablauf der Festsetzungsfrist war schließlich nicht durch die im August 1990 für die Kalenderjahre 1987 und 1988 angeordnete und begonnene Umsatzsteuer-Sonderprüfung gehemmt worden. Zwar läuft die Festsetzungsfrist für die Steuern nicht ab, auf die sich eine vor Ablauf der Festsetzungsfrist begonnene Außenprüfung erstreckt, bevor die aufgrund der Außenprüfung zu erlassenden Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind (§ 171 Abs.4 Satz 1 AO 1977). Die bezeichnete Umsatzsteuer-Sonderprüfung, eine Außenprüfung i.S. von §§ 193, 196 AO 1977, konnte aber nur den Ablauf der Festsetzungsfrist für die in der Prüfungsanordnung bezeichneten Steueransprüche beeinflussen, soweit sich die Prüfung wirklich auf sie erstreckt hatte (vgl. BFH-Urteil vom 18. Juli 1991 V R 54/87, BFHE 165, 13, BStBl II 1991, 824 m.w.N.). Auf in der Prüfungsanordnung nicht bezeichnete Steueransprüche bezog sich die Hemmungswirkung selbst dann nicht, wenn der Prüfer auf Sachverhalte außerhalb des in der Prüfungsanordnung genannten Prüfungszeitraums einging. Die für den Vorsteuerabzug aus Rechnungen über die vom Kläger im Prüfungszeitraum bezogenen Wiederherstellungsleistungen notwendige Beurteilung der Verwendung dieser Leistungen in anderen Kalenderjahren erweitert die Außenprüfung nicht. Sie ermöglicht nur eine rechtliche Beurteilung der im Prüfungszeitraum geprüften tatsächlichen Verhältnisse. Im übrigen beruhen notwendige Beurteilungen von Sachverhalten außerhalb des Prüfungszeitraums nicht auf einer Prüfung i.S. von § 193 Abs.1 AO 1977, sondern auf dem anderweitig erkannten, z.B. unstreitigen, Sachverhalt. Der Steueranspruch für die Zeiträume außerhalb der Prüfungsanordnung wird dadurch nicht berührt.
Fundstellen
Haufe-Index 65871 |
BFH/NV 1996, 153 |
BStBl II 1996, 338 |
BFHE 179, 480 |
BFHE 1996, 480 |
BB 1996, 1049 |
BB 1996, 1049-1050 (LT) |
DB 1996, 866 (L) |
DStR 1996, 508 (K) |
HFR 1996, 348-349 (L) |
StE 1996, 266 (K) |