Leitsatz (amtlich)

Hat ein Versicherungsnehmer auf einen Lebensversicherungsvertrag gegen Einmalprämie über eine sofort beginnende Leibrente vor dem Ende des Jahres Einzahlungen geleistet und von sich aus alles getan, um den Vertragsabschluß herbeizuführen, so sind die Einzahlungen noch Sonderausgaben des alten Jahres, es sei denn, daß begründete Zweifel am Zustandekommen des Versicherungsvertrags bestanden.

 

Normenkette

EStG 1961 § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin stellte am 16. Dezember 1964 bei einer Versicherungsanstalt einen Antrag auf Abschluß einer Rentenversicherung, an den sie zwei Monate lang gebunden war. Am 22. Dezember 1964 zahlte sie die Hälfte des Prämienbetrages (= 4 000 DM) an die Versicherungsanstalt. Der Versicherungsschein vom 12. Januar 1965 lautete dem Antrag entsprechend auf eine sofort beginnende Leibrente von jährlich 713,28 DM; außerdem wurde eine Rentenzahlungsgarantie bis zum 1. Januar 1970 übernommen, der Versicherungsbeginn auf den 1. Januar 1965 festgesetzt und eine Bezugsberechtigung der Schwester der Revisionsklägerin für den Fall des vorzeitigen Ablebens der Revisionsklägerin vereinbart.

Das Verlangen der Revisionsklägerin, die Zahlung von 4 000 DM als Beitrag für eine Versicherung auf den Lebens- oder Todesfall im Sinn von § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG 1961 bereits für das Jahr 1964 anzuerkennen, wurde vom FA zurückgewiesen. Die Klage hatte keinen Erfolg. Das FG führte u. a. aus: Der im Jahre 1964 geleistete Betrag sei auf einen Vertrag gezahlt worden, der im Streitjahr 1964 und im Augenblick der Zahlung der Versicherungsprämie noch nicht bestanden habe. Daran ändere es nichts, daß für die Revisionsklägerin - wie sie meine - nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise schon im Jahr 1964 eine Verbindlichkeit entstanden sei. Denn allein durch Abgabe eines verbindlichen Vertragsangebots komme ein Versicherungsvertrag nicht zustande; eine wirtschaftliche Belastung für die Revisionsklägerin entstehe mithin nicht mit ihrem Vertragsangebot, sondern erst mit der Vertragsannahme durch den Versicherungsgeber. Im Fall des Urteils VI 193/59 U vom 10. Februar 1961 (BFH 72, 479 BStBl III 1961, 175) habe der BFH zwar steuerlich eine Rückwirkung des Vertrags dann anerkannt, wenn bei Vertragsangebot und Zahlung gegen Jahresende und Vertragsannahme erst im folgenden Jahr eine Rückwirkung des Vertrags auf das Jahr der Zahlung vereinbart worden sei. Gerade so liege es hier aber nicht. Die Revisionsklägerin habe im Streitjahr lediglich ein Vertragsangebot auf Abschluß eines Versicherungsvertrags abgegeben. Sie habe ferner nicht den nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG 1961 erforderlichen Einmalbetrag von 8 000 DM, sondern nur die Hälfte gezahlt. Außerdem sei der Versicherungsbeginn im Vertrag vom 12. Januar 1965 auf den 1. Januar 1965 festgelegt und somit nicht in das Streitjahr zurückdatiert worden. Ob die Revisionsklägerin, wie sie behaupte, mündlich oder schriftlich eine Deckungszusage der Versicherungsgesellschaft erhalten habe, sei underheblich; denn eine Deckungszusage bewirke nicht den Abschluß bzw. die Rückwirkung eines Versicherungsvertrags.

Mit der Revision macht die Revisionsklägerin erneut geltend, das FG weiche in dem angefochtenen Urteil von dem BFH-Urteil VI 193/59 U (a. a. O.) ab. Dort sei ausdrücklich hervorgehoben, daß auch kurz vor Ablauf des Jahres geleistete Zahlungen als vertragsgemäß anzuerkennen seien, wenn im übrigen der einzahlende Vertragspartner von sich aus alles getan habe, um das Zustandekommen eines Vertrags herbeizuführen und aus den Umständen zu entnehmen sei, daß er auf eine ausdrückliche Annahme des Vertragsangebots verzichtet habe. In ihrem Fall sei nicht nur von diesen tatsächlichen Sachgegebenheiten auszugehen. Es sei vielmehr unstreitig, daß - über einen stillschweigenden Verzicht auf Vertragsannahme hinaus - von der Versicherung noch im Streitjahr 1964 eine Deckungszusage erteilt worden sei, der Versicherungsvertrag also durch die Annahmeerklärung bereits verbindlich zustande gekommen sei. Die spätere Ausstellung des Versicherungsscheins stelle lediglich eine formale Bestätigung der bereits getroffenen vertraglichen Regelung dar. Damit habe festgestanden, daß sie mit ihrer Zahlung im Dezember 1964 eine vertragsgemäße Leistung im Sinn der angeführten Entscheidung des BFH erbracht habe.

Der Revisionsbeklagte (FA) beantragt Zurückweisung der Revision. Er ist der Ansicht, das angeführte Urteil des BFH sei auf den vorliegenden Sachverhalt nicht anzuwenden; es betreffe die steuerliche Behandlung von Prämien an Bausparkassen, die innerhalb des Vertrags nach Vertragsbeginn auf zurückdatierte Verträge geleistet würden. Im Streitfall sei der Versicherungsbeginn aber auf dem 1. Januar 1965 festgelegt worden. Eine Rückdatierung des Versicherungsscheins sei nicht erfolgt. Der Versicherungsbeitrag von 4 000 DM sei somit vor Vertragsbeginn geleistet worden und daher im Jahre 1964 als Sonderausgabe nicht abzugsfähig.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Herabsetzung der Einkommensteuer 1964 entsprechend dem Antrag der Revisionsklägerin.

Der erkennende Senat hat in dem angeführten Urteil VI 193/59 U (a. a. O.) u. a. ausgeführt, die bei Abschluß eines Bausparvertrags vereinbarte Rückwirkung des Vertragsbeginns sei prämienrechtlich ohne Wirkung. Habe aber der Prämienberechtigte vor Jahresende Einzahlungen geleistet und von sich aus alles getan, um den Vertragsabschluß herbeizuführen, so seien die Einzahlungen noch als prämienbegünstigte Aufwendungen des alten Jahres anzuerkennen. Daß der Vertragsbeginn auf den 1. Dezember des alten Jahres vordatiert worden sei, habe keine Bedeutung, weil eine solche vertraglich vereinbarte Rückwirkung prämienrechtlich nicht anerkannt werden könne. Im Hinblick auf die bereits am 29. Dezember 1954 geleistete Zahlung sei klar gewesen, daß es dem Prämienberechtigten auf einen Vertragsabschluß noch im Jahre 1954 entscheidend angekommen sei. Als der Vertragsantrag bei der Bausparkasse am 31. Dezember 1954 eingegangen sei, habe er sofort wirksam angenommen werden können. Die Vertragsurkunde vom 6. Januar 1955 enthalte demnach nur eine Bestätigung des bereits am 31. Dezember 1954 geschlossenen Vertrags.

Der Senat verbleibt nach nochmaliger Überprüfung bei dieser Auffassung und wendet die in dem bezeichneten Urteil entwickelten Grundsätze auch auf den Streitfall an, der einen Versicherungsvertrag über eine Leibrente betrifft. Auch hier hat die Revisionsklägerin noch im Streitjahr alles getan, was von ihrer Seite zum Zustandekommen des Vertrags erforderlich war, und es spricht nichts dafür, daß ihr Angebot nicht angenommen werde. Bei dieser Sachlage kann es dahingestellt bleiben, ob der Zugang einer ausdrücklichen Erklärung über die Annahme des Versicherungsantrags an den Versicherungsnehmer überhaupt erforderlich war (vgl. § 151 BGB) und erst der Ausstellung und Übersendung des Versicherungsscheins eine rechtsbegründende Bedeutung zukam. Entscheidend ist, daß der Vertrag so wie es dem Antrag entsprach, alsbald abgeschlossen wurde. Es ist Blümich-Falk (Einkommensteuergesetz, 10. Aufl., § 10 Anm. 3) zuzugeben, daß eine andere Betrachtung erforderlich ist, wenn die Annahme des Antrags nicht ohne weiteres selbstverständlich ist, insbesondere weil ihr noch eine besondere Risikoprüfung vorauszugehen hat und begründete Zweifel am Zustandekommen des Versicherungsvertrags bestanden. Hierzu ist aber den Feststellungen des FG nichts zu entnehmen. Die kurze Zeitspanne, in der sich die maßgebenden Dinge abgespielt haben, spricht auch dagegen. Das FG hat zudem die Anerkennung von Sonderausgaben nicht abgelehnt, weil es die sofortige Annahme des Antrags in Zweifel gezogen hätte, sondern allein deshalb, weil eine Rückwirkung des Vertrags auf das Streitjahr 1964 nicht vereinbart worden sei. Auf eine solche Rückbeziehung kommt es aber, wie bereits in dem Urteil des Senats VI 193/59 U (a. a. O.) ausgeführt wurde, gerade nicht an, weil sie steuerlich nicht anerkannt werden könnte. Gegen die Annahme, daß die Revisionsklägerin noch im Streitjahr alles getan habe, spricht auch nicht, daß sie nur die Hälfte der Prämie zahlte. Auch diese Hälfte wurde wie dargelegt bereits auf den Versicherungsvertrag gezahlt: Selbst wenn der Vertrag zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen war, war der Abschluß doch so vorbereitet und in greifbare Nähe gerückt, daß der kurzen Spanne zwischen Angebot und Annahme keine schädliche Wirkung beigemessen werden kann.

Entgegen der Ansicht des FG und des FA steht dieser Beurteilung auch nicht der Umstand entgegen, daß als Versicherungsbeginn der 1. Januar 1965 festgelegt wurde. Bei einem Versicherungsvertrag über eine sofort beginnende Leibrente bezeichnet der Versicherungsbeginn den Zeitpunkt, ab dem die Leibrente zu laufen beginnt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 413167

BStBl II 1972, 484

BFHE 1972, 121

Dieser Inhalt ist unter anderem im Haufe Steuer Office Excellence enthalten. Sie wollen mehr?