Entscheidungsstichwort (Thema)
Umsatzsteuersatz für Telefonkarten
Leitsatz (NV)
Für neue und gebrauchte Telefonkarten kommt, sofern es sich nicht ausnahmsweise um Sammlungsstücke von geschichtlichem Wert handelt, der ermäßigte Umsatzsteuersatz in Betracht. Insbesondere sind Telefonkarten nicht als "Briefmarken und dergleichen" i. S. der Positionen 4907 und 9704 KN anzusehen.
Normenkette
UStG § 12 Abs. 2 Nr. 1 S. 1; KN Pos. 4907 Anlage Nr. 49 Buchst. f., Nr. 54; KN Pos. 9704; KN Pos. 9705
Tatbestand
Das beklagte und revisionsbeklagte Finanzamt (FA) wandte auf die Umsätze (1990 bis 1993) der vom Kläger und Revisionskläger (Kläger) im Rahmen seines Gewerbebetriebs verkauften gebrauchten und ungebrauchten Telefonkarten den Regelumsatzsteuersatz an. Mit seiner Klage begehrte der Kläger die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 des Umsatzsteuer gesetzes (UStG) i. V. m. Nr. 49 Buchst. f der Anlage -- "Briefmarken und dergleichen (z. B. Ersttagsbriefe, Ganzsachen, vorphilatelistische Briefe und freigestempelte Briefumschläge) als Sammlungsstücke, aus Positionen 49.07 und 97.04" des Zolltarifs -- bzw. i. V. m. Nr. 54 Buchst. b der Anlage ("Sammlungsstücke von geschichtlichem, archäologischem, paläontologischem oder völkerkundlichem Wert aus Position 97.05" des Zolltarifs).
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, daß Telefonkarten weder "Briefmarken und dergleichen" noch "Sammlungsstücke von geschichtlichem Wert" im Sinne der angeführten Zolltarifpositionen seien. Eine Einreihung der Telefon karten als Briefmarken, insbesondere Ganzsachen, wie vom Kläger begehrt, scheide aus, weil Telefonkarten nicht zum Freimachen von Postsendungen verwendet würden, ihnen also keine Funktion im Zusammenhang mit der Beförderung von Postsendungen zukäme. Für die Einreihung als Sammlungsstücke von geschichtlichem Wert fehle den Telefonkarten als Massenware im allgemeinen die Eigenschaft, einen möglicherweise charakteristischen Schritt in der Entwicklung der menschlichen Errungenschaften, nämlich den Wandel menschlicher Kommunikation sowie die Ablösung des Bargelds durch elektronische Zahlungsmittel, exemplarisch zu belegen. Schließlich habe der Kläger trotz Aufforderung auch nicht dargetan, daß einzelne der von ihm verkauften Telefonkarten einen solchen Schritt exemplarisch veranschaulichen könnten. Die Darstellung historischer Motive auf den Telefonkarten begründe den erforderlichen geschichtlichen Wert nicht. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf das in der Zeitschrift Umsatzsteuer- und Verkehr steuer-Recht 1996, 307 veröffentlichte Urteil des FG verwiesen.
Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung der genannten umsatzsteuerrechtlichen Vorschriften durch das FG. Er hält an seiner Auffassung fest, daß Telefonkarten Ganzsachen und damit Briefmarken im zolltariflichen Sinne seien. Moderne Telefon karten dienten dem Freimachen von Postsendungen im weiteren Sinne; statt eines Briefes werde das gesprochene Wort befördert. Die bisherige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) aus dem Jahr 1986 zum Begriff der Briefmarke habe dies noch nicht berücksichtigen können, da es damals die moderne Telefonkarte noch nicht gegeben habe. Im übrigen habe man das dem FG vorgelegte Telefon-Billet, in das eine Briefmarke eingedruckt sei, zur damaligen Zeit ausschneiden, auf einen Brief kleben und somit zum Versenden eines Briefes verwenden können. Ebenso verhalte es sich bei den in Österreich verwendeten Karten zum telefonischen Sprechen, auf denen Marken aufgeklebt oder aufgedruckt gewesen seien.
Zu Unrecht habe das FG auch die Einreihung der Telefonkarten als Sammlungsstücke abgelehnt, denn diese seien nicht stets als Massenware zu charakterisieren. Gerade auf die Testkarten aus den Versuchsgebieten treffe dies nicht zu, da deren Auflagen sich nicht selten zwischen 1 und 20 Stück bewegt hätten und entsprechend Erlöse von einigen tausend DM je Karte erzielt worden seien. Jedenfalls diesen Testkarten könne man nicht die Eigenschaft eines exemplarischen Belegs für die Errungenschaften "Telefonkarte" aberkennen. Aber auch Telefonkarten aus neuerer Zeit in größeren Auflagen seien als Sammlungsstüke von geschichtlichem Wert anzusehen. Da es hierzu noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung gäbe, erscheine die Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) angebracht.
Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Verwaltungsentscheidungen nach Maßgabe seines Antrags in der Klageschrift abzuändern.
Das FA beantragt, die Revision aus den Gründen des vorinstanzlichen Urteils zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist gemäß § 116 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zulassungsfrei statthaft (vgl. etwa Senat, Beschluß vom 20. Februar 1990 VII R 125/89, BFHE 159, 573, 575, BStBl II 1990, 546), aber nicht begründet (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG hat rechtsfehlerfrei erkannt, daß die streitgegenständlichen Telefonkarten nicht in den Genuß des ermäßigten Umsatzsteuersatzes kommen können.
1. Zutreffend hat das FG die ungebrauchten und gebrauchten Telefonkarten, die der Kläger in den Jahren 1990 bis 1993 im Rahmen seines Gewerbebetriebs verkauft hat, nicht als "Briefmarken und dergleichen" i. S. von § 12 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG i. V. m. der Nr. 49 Buchst. f der Anlage hierzu angesehen. Die Anwendung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes aus diesem Grund kommt daher nicht in Betracht.
a) Maßgeblich für die Auslegung des Begriffs "Briefmarken" ist der Gemeinsame Zolltarif (GZT), da in Nr. 49 Buchst. f der Anlage zu § 12 Abs. 1 und 2 UStG (Anlage) nur Briefmarken aus den Zolltarifpositionen 49.07 und 97.04 -- das sind die Positionen 4907 und 9704 der Kombinierten Nomenklatur (KN) -- begünstigt sind. Nach den Erläuterungen zum Harmonisierten System (ErlHS) Position 97.04 Rz. 02.0 sind Briefmarken "Marken, die gewöhnlich zum Freimachen von Briefen, Karten oder Postkarten verwendet werden". Diese Erläuterungen sind nach ständiger Rechtsprechung des EuGH und des erkennenden Senats maßgebliche Auslegungsmittel für die Auslegung des GZT. Sie machen, wie der Senat bereits zu der vor Einführung der KN für Briefmarken maßgeblichen Tarifnr. 99.04 entschieden hat (Urteil vom 6. Mai 1986 VII K 8/85, BFHE 146, 310 -- Goldmarken Staffa --), deutlich, daß eine Marke zolltariflich nur dann als Briefmarke anzusehen ist, wenn sie zum Freimachen von Postsendungen verwendet zu werden pflegt, d. h. potentiell und im Regelfall dazu bestimmt ist, durch Aufkleben auf entsprechende Sendungen den Beweis für die Zahlung des Beförderungsentgelts oder eine besondere Beförderungsberechtigung zu erbringen. In seinem Urteil vom 10. September 1991 VII K 35/90 (BFH/NV 1992, 494 -- Sambia Goldbriefmarken --) hat der Senat entschieden, daß an dieser Rechtsprechung auch für die Zeit nach Inkrafttreten der KN zum 1. Januar 1988 festzuhalten ist, da die besagte Erläuterung in ihren wesentlichen Teilen unverändert aus dem alten System übernommen worden ist und somit kein Anlaß zu einer neuen zolltariflichen Begriffsbestimmung hinsichtlich Briefmarken besteht.
Telefonkarten erfüllen die Merkmale, welche die bis heute unverändert fortgeltende Erläuterung für Briefmarken aufstellt, nicht, was keiner näheren Begründung bedarf. Eine Ausweitung des Begriffs "Briefmarke" auf Telefonkarten kommt nicht in Betracht. Dies verstieße gegen den klaren Wortlaut der Erläuterung und käme damit einer Auslegung contra legem gleich (vgl. auch Senatsurteil vom 12. März 1991 VII R 34/89, BFH/NV 1992, 71, 72 vorletzter Absatz). Keine Bedeutung hat in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß die Telefonkarte eine relativ neu entwickelte Ware ist, an die der Tarifgesetzgeber bei der Aufstellung des Tarifs möglicherweise nicht gedacht hat. Abgesehen davon, daß der Zolltarif ständiger Überprüfung und Anpassung durch den EG-Gesetzgeber sowie durch die für das Harmonisierte System (HS) zuständigen internationalen Organe unterliegt und in der Gemeinschaft jedes Jahr mindestens einmal neu herausgegeben wird, wären jedenfalls nicht die Gerichte, sondern die genannten Organe dazu berufen, Telefonkarten, wenn dies so gewünscht würde, durch Gesetzgebungsakt in die für Briefmarken bestehenden Tarifpositionen einzureihen oder anzuordnen, daß sie zolltariflich wie Briefmarken zu behandeln sind.
b) Die Positionen 4907 KN und 9704 KN erfassen allerdings neben Briefmarken, Stempelmarken und Steuerzeichen -- in Position 9704 KN sind in der Aufzählung zusätzlich noch Ersttagsbriefe und Ganzsachen individualisiert -- auch "dergleichen". Im Wortlaut der bis zum Inkrafttreten der KN geltenden Vorgängerregelung zu Position 9704 KN, der Tarifnr. 99.04 GZT, ist eine beispielhafte Aufzählung dessen, was der GZT unter "dergleichen" wie Brief marken versteht, enthalten, nämlich "Ganzsachen, vorphilatelistische Briefe, frei gestempelte Briefumschläge" (vgl. Senatsurteil in BFHE 146, 310). Zwar ist diese Aufzählung in ihrer Ausführlichkeit jetzt nicht mehr im Wortlaut der Tarifposition 9704 KN enthalten. Doch ergibt sich aus den Erläuterungen zu Position 97.04 HS Rz. 04.0 bis 10.0 deutlich, daß mit dem Übergang auf das neue System der KN und der Modifizierung des Wortlauts der betreffenden Position insoweit keine Rechtsänderung beabsichtigt war. Der nationale Gesetzgeber hat dies zutreffend dadurch zum Ausdruck gebracht, daß er die beispielhafte Aufzählung zu "dergleichen" in Nr. 49 Buchst. f der Anlage ("z. B. Ersttagsbriefe, Ganzsachen, vorphilatelistische Briefe und freigestempelte Briefumschläge") trotz Wechsels des Zolltarifsystems unverändert -- zur Klarstellung lediglich um die "Ersttagsbriefe" ergänzt -- beibehalten hat (vgl. Schlienkamp/Rondorf in Plückebaum/Malitzky, Umsatzsteuergesetz, § 12 Abs. 2 Nr. 1 Rz. 369/2).
In der Zusammenschau von Wortlaut der Tarifposition und den dazu gegebenen Erläuterungen sind Telefonkarten den Briefmarken, Ersttagsbriefen und Ganzsachen nicht als gleich zu erachten. Sie weisen eine andere Materialbeschaffenheit -- Kunststoff -- als diese anderen Waren auf, können daher auch nicht auf Postsendungen aufgeklebt werden; vor allem aber erfüllen sie nicht die diesen Waren zukommende Funktion, potentiell und im Regelfall dazu bestimmt zu sein, (durch Aufkleben auf entsprechende Sendungen) den Beweis für die Zahlung des Beförderungsentgelts oder für eine besondere Beförderungsberechtigung zu erbringen (Senat in BFH/NV 1992, 494). Insofern fehlt, wie das FG richtig erkannt hat, ein Zusammenhang mit der Beförderung von Postsendungen.
Aus allen in den Erläuterungen angeführten Beispielen erhellt, daß damit allein die Beförderung von körperlichen Postsendungen vom Absender zum Empfänger, mithin die Übermittlung des geschriebenen Wortes, gemeint ist. Das gilt gerade auch für die Ganzsachen, als die der Kläger die Telefonkarten gewertet wissen will. In den ErlHS zu Position 97.04 Rz. 06.0 sind Ganzsachen nämlich beispielhaft umschrieben mit "z. B. Briefumschläge, Kartenbriefe, Postkarten, Kreuzbänder für Zeitungen, frankiert". Quittungen für die Bezahlung des Entgelts für die postalische Übermittlung des gesprochenen Wortes, sofern man mit dem Kläger Telefonate überhaupt als "Postsendungen" und Telefonkarten als bloße Zahlungsbelege charakterisieren möchte, werden davon nicht erfaßt. Auch die Hinweise des Klägers auf frühere Telefon-Billette und die in Österreich zur Verwendung gekommenen Karten zum telefonischen Sprechen, bei denen man die aufgeklebte oder eingedruckte Briefmarke angeblich hätte ausschneiden und zum Frankieren von Postsendungen einsetzen können, führen zu keiner anderen Beurteilung, denn eine atypische Verwendung vermag nicht die zolltarifliche Einordnung einer Ware zu ändern.
c) Eher als an einen Vergleich mit den Ganzsachen könnte man im übrigen an einen Vergleich mit den ebenfalls in den Positionen 4907 und 9704 aufgeführten Stempelmarken denken, unter die beispielsweise die früher verwendeten und auch vom Kläger angeführten Telegraphenmarken als Nachweis für die Zahlung der Übermittlungsgebühr -- allerdings auch für das in Zeichen gefaßte Wort -- einzureihen wären (vgl. ErlHS zu Position 49.07 Rz. 06.0). Eine solche Gleichstellung würde dem Kläger indessen nichts nützen, da Stempelmarken aus den Positionen 4907 bzw. 9704 KN gemäß Nr. 49 Buchst. f der Anlage nicht in den Genuß des ermäßigten Steuersatzes kommen.
2. Die streitgegenständlichen Telefonkarten unterliegen auch nicht als "Sammlungsstücke von geschichtlichem Wert aus Position 97.05 des Zolltarifs" (Nr. 54 Buchst. b der Anlage zu § 12 Abs. 1 und 2 UStG) dem ermäßigten Steuersatz. Zur Begründung verweist der Senat auf die klaren und zutreffenden Ausführungen der Vorinstanz (Nr. 2 des Urteils), die keiner Ergänzung bedürfen. Diese Ansicht stimmt im Grundsatz mit der vom Bundesministerium der Finanzen (BMF) im Schreiben vom 31. Januar 1992 IV A 2 -- S 7210 -- 1/92 (BStBl I 1992, 141) an die obersten Finanzbehörden der Länder vertretenen Auffassung überein.
Die gegen die Würdigung durch das FG gerichteten Angriffe der Revision gehen, weil sie vornehmlich im Tatsächlichen liegen und unzulässigerweise neue Tatsachen in das Revisionsverfahren einführen, fehl. Das FG hat zutreffend nicht jeder Telefonkarte die Eigenschaft als Sammlungsstück von vornherein aberkannt, sondern lediglich den Telefonkarten, die im allgemeinen als Massenware mit hoher Auflage gehandelt werden, was nach den Feststellungen des FG auch für die Testkarten aus Versuchsgebieten zutrifft. Hiergegen hat der Kläger keine zulässigen und begründeten Revisionsrügen erhoben (vgl. § 118 Abs. 2 FGO). Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß der Kläger vom FG ausdrücklich aufgefordert war darzulegen, welche der von ihm in den Streitjahren verkauften Telefonkarten Merkmale und Eigenschaften aufwiesen, die einen charakteristischen Schritt in der Entwicklung menschlicher Errungenschaften veranschaulichten (z. B. die erste Telefonkarte nach Einführung des Telefons). Der Kläger ist dieser Aufforderung nicht nachgekommen und hat lediglich auf die Darstellung historischer Motivgebiete auf den Telefonkarten verwiesen, was natürlich keineswegs den geschichtlichen Wert der Telefonkarte selbst begründen kann. Mit weiterem Tatsachenvortrag hierzu in der Revisionsinstanz kann der Kläger nicht mehr gehört werden.
3. Eine Subsumtion der Telefonkarten unter andere Nummern der Liste der dem ermäßigten Steuersatz unterliegenden Gegenstände in der Anlage ist nicht ersichtlich, so daß die Revision keinen Erfolg haben konnte. Der Senat brauchte nicht zu entscheiden, unter welche Tarifpositionen Telefonkarten einzureihen sind und ob die vom BMF hierzu vertretene Tarifauffassung (BStBl I 1992, 141) zutrifft.
Auch ist der Senat in Anwendung der Grundsätze des EuGH-Urteils vom 6. Oktober 1982 Rs. 283/81 (EuGHE 1982, 3415) nicht nach Art. 177 Abs. 3 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft zur Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH verpflichtet. Der Senat hält die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts im vorliegenden Fall für offenkundig; er ist davon überzeugt, daß für die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und für den EuGH die gleiche Gewißheit bestünde.
Fundstellen