Entscheidungsstichwort (Thema)
Körperschaftsteuer
Leitsatz (amtlich)
Bei der liquidationslosen Verschmelzung zweier Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit entsteht kein körperschaftsteuerpflichtiger Verschmelzungsgewinn.
Normenkette
KStG § 15 Abs. 2; KStDV §§ 22-23
Tatbestand
Streitig ist, ob bei der Verschmelzung zweier Versicherungsvereine a. G. (VVaG) ein körperschaftsteuerpflichtiger Verschmelzungsgewinn entstanden ist.
Die steuerpflichtige Versicherungsgesellschaft a. G. (im folgenden Verein A), ein Versicherungsverein a. G., verschmolz sich auf Grund übereinstimmender Beschlüsse der Versammlungen der Mitgliedervertreter mit der Bfin., der ebenfalls einem VVaG. Die Verschmelzung, durch die der Verein A als übertragender VVaG in die Bfin. als den übernehmenden VVaG aufgenommen werden sollte, wurde vom Bundesaufsichtsamt für das Versicherungs- und Bausparwesen (BAV) genehmigt und 1953 in das Handelsregister eingetragen.
Bei der Veranlagung des übertragenden Vereins A zur Körperschaftsteuer 1953 nahm das Finanzamt einen steuerpflichtigen Verschmelzungsgewinn in Höhe von 227 347 DM an. Es nahm für die darauf entfallende Körperschaftsteuer die Bfin. als Rechtsnachfolgerin in Anspruch. Das Finanzamt ging auch in der Einspruchsentscheidung davon aus, daß die in den Grundstücken, Wertpapieren und der Geschäftseinrichtung des Vereins A steckenden stillen Reserven durch die Fusion aufgedeckt und in dieser Höhe Gewinn realisiert worden sei.
Die Berufung, mit der die Bfin. für die liquidationslose, unter entsprechender Anwendung der Vorschriften des Aktienrechts (§§ 233 ff. des Aktiengesetzes) und des Genossenschaftsrechts (§§ 93 a ff. des Genossenschaftsgesetzes) durchgeführte Verschmelzung unter Fortführung der Buchwerte die entsprechende Anwendung des § 15 Abs. 2 KStG forderte, hatte keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht, dessen Entscheidung in den "Entscheidungen der Finanzgerichte" 1960 S. 382 veröffentlicht wurde, hielt weder die unmittelbare noch die entsprechende Anwendung des § 15 Abs. 2 KStG für möglich. Der Gesetzgeber habe lediglich für Kapitalgesellschaften eine Regelung getroffen, die er, obwohl nunmehr die Fusion von Versicherungsvereinen anerkannt sei, nicht auf die VVaG erstreckt habe. Es könne deshalb dahingestellt bleiben, ob im Streitfall die im § 15 Abs. 2 KStG geforderten Voraussetzungen erfüllt seien. Das sei schon deshalb zweifelhaft, weil die künftige Besteuerung der stillen Reserven (ß 15 Abs. 2 Ziff. 2 KStG) wegen der Abzugsfähigkeit der Beitragsrückerstattungen (ß 22 KStDV 1953, § 6 Abs. 2 bis 4 KStG 1955 ff.) nicht sichergestellt sei.
Mit der Rb. wird im wesentlichen geltend gemacht: Die Tatsache, daß die Verschmelzung zweier VVaG nach den Vorschriften des Aktienrechts zugelassen werde, lege den Gedanken nahe, § 15 Abs. 2 KStG entsprechend anzuwenden. Es sei nicht einzusehen, warum der VVaG anders behandelt werden solle als die Versicherungs-AG, bei der § 15 Abs. 2 KStG zur Anwendung komme. Bei beiden Versicherungsgesellschaften handelt es sich trotz unterschiedlicher Rechtsform um eine Gefahrengemeinschaft der Versicherten; bei beiden würden die aus dem Lebensversicherungsgeschäft entstandenen überschüsse fast ausschließlich den Versicherungsnehmern gutgebracht. Durch die Fortführung der Buchwerte sei die künftige Besteuerung der bei der Verschmelzung vorhandenen stillen Reserven gesichert. § 15 Abs. 2 KStG verlange lediglich, daß die bei der übertragenden Gesellschaft vorhandenen stillen Reserven auch nach der Verschmelzung bei der übernehmenden Gesellschaft dann zu versteuern seien, wenn ohne Verschmelzung die Versteuerung unter sonst gleichen Umständen bei der übertragenden Gesellschaft hätte erfolgen müssen. Diese Voraussetzungen seien auch bei der Verschmelzung zweier in der Form des VVaG betriebenen Lebensversicherungsunternehmen gegeben. Selbst wenn man aber mit der Vorentscheidung eine entsprechende Anwendung des § 15 Abs. 2 KStG verneine, komme die Versteuerung eines Verschmelzungsgewinns im Streitfalle nicht in Betracht; denn nach den allgemeinen Grundsätzen des Einkommensteuer- und Körperschaftsteuerrechts führe die übertragung eines Betriebs im ganzen bei bestehenbleibenden Herrschaftsrechten des bisherigen Eigentümers am Betriebsvermögen nicht zu einer Realisierung stiller Reserven, wenn die bisherigen Buchwerte fortgeführt würden und eine etwaige künftige Besteuerung sich im Bereich der Körperschaftsteuer vollziehe.
Der Bundesminister der Finanzen trat dem Verfahren bei und bezog sich auf seine Stellungnahme im Verfahren betreffend die Verschmelzung von Genossenschaften (vgl. das Urteil des Senats I 155/59 U vom 25. Mai 1962, BStBl 1962 III S. 351).
Entscheidungsgründe
Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidungen.
Der Senat hat im Urteil I 155/59 U vom heutigen Tage entschieden, daß die liquidationslose Verschmelzung von Genossenschaften bei der übertragenden Genossenschaft nicht zur Realisierung der stillen Reserven führen muß. Bei der Verschmelzung von VVaG gelten dieselben Grundsätze. In beiden Fällen handelt es sich um die Verschmelzung unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtiger Subjekte, die im § 15 KStG nicht bezeichnet sind und bei denen auch eine entsprechende Anwendung dieser Vorschrift ausscheidet. Ein Unterschied besteht allerdings insofern, als die Verschmelzung von Genossenschaften und Aktiengesellschaften gesetzlich in der Weise geregelt ist, daß der Aufnehmende Gesamtrechtsnachfolger des übertragenden wird, während für VVaG eine solche gesetzliche Regelung fehlt. Deshalb war jahrzehntelang die rechtliche Zulässigkeit einer liquidationslosen Verschmelzung von VVaG umstritten. Nunmehr ist die Streitfrage vom BAV im Sinn der Zulässigkeit der Verschmelzung entschieden. Dieser Auffassung sind die Registergerichte gefolgt. Die Entscheidung des BAV (vgl. Veröffentlichungen des BAV 1954 S. 64) beruht auf der Auffassung, daß die Fusionsvorschriften des Aktienrechts keinen Ausnahmecharakter hätten und auch auf andere Körperschaften angewendet werden könnten.
Der Senat sieht keine Veranlassung, von dieser handelsrechtlichen Beurteilung abzuweichen. Es besteht deshalb wegen der weitgehend übereinstimmenden Sach- und Rechtslage keine Veranlassung, die Verschmelzung von VVaG steuerlich anders zu beurteilen, als es in der Entscheidung I 155/59 U bei Genossenschaften geschehen ist. Auf diese Entscheidung wird verwiesen.
Die Sicherstellung der künftigen Besteuerung der stillen Reserven des übertragenden VVaG kann nicht deshalb verneint werden, weil der übernehmer unter Umständen die Möglichkeit hat, die aufgelösten stillen Reserven als Gewinnteile der Rücklage für Beitragsrückerstattungen zuzuführen und die Voraussetzungen für die Mindestbesteuerung nach § 23 KStDV 1953 (ab 1955 § 6 Abs. 4 KStG) zu schaffen. Denn die Sicherstellung der künftigen Besteuerung der stillen Reserven bedeutet nicht, daß sich die künftige Auflösung der stillen Reserven in derselben Weise steuerlich auswirken muß, wie es im Falle der Gewinnrealisierung im Zeitpunkt der Verschmelzung der Fall gewesen wäre. Es genügt, daß der Auflösungsbetrag bei dem übernehmer voraussichtlich in derselben Weise besteuert wird, wie er ohne Verschmelzung bei gleichliegendem Sachverhalt bei dem übertragenden VVaG steuerlich erfaßt worden wäre. Da auch der übertragende VVaG die Möglichkeit gehabt hätte, die durch Aufdeckung der stillen Reserven sich ergebenden Gewinne der Gewinnrücklage der Versicherten zuzuführen, hat sich durch die Verschmelzung nichts Wesentliches geändert.
Die Vorentscheidungen waren wegen Rechtsirrtums aufzuheben. Die Sache wird an das Finanzamt zurückverwiesen, das nun unter Beachtung der dargelegten Grundsätze erneut im Einspruchsverfahren zu entscheiden hat.
Fundstellen
Haufe-Index 410484 |
BStBl III 1962, 354 |
BFHE 1963, 238 |
BFHE 75, 238 |
BB 1962, 1364 |
DB 1963, 293 |