Leitsatz (amtlich)
- Die Anwendung des § 9 GrEStG setzt voraus, daß die Absicht, das Grundpfandrecht zu retten, der Hauptzweck des Erwerbs gewesen ist. Dies gilt auch dann, wenn ein Grundpfandgläubiger das mit dem Pfandrecht belastete Grundstück durch Kaufvertrag erwirbt.
- Ist eine Rechtsfrage durch ein Urteil des Bundesfinanzhofs im ersten Rechtsgang geklärt, so ist es Sache der Beteiligten, sich im zweiten Rechtsgang auf Grund ihrer Mitwirkungspflicht in dem durch den Inhalt dieses Urteils gebotenen Umfang zu erklären und ggf. entsprechende Beweisanträge zu stellen.
Normenkette
GrEStG § 9 Abs. 1, 3; FGO §§ 76-77
Streitjahr(e)
1954, 1955
Tatbestand
Streitig ist, ob der Erwerb eines Grundstücks durch die Revisionsklägerin (Steuerpflichtige - Stpfl. -) als Erwerb zur Rettung eines Grundpfandrechts anzusehen und ob demgemäß nach § 9 Abs. 1 und 3 GrEStG von der Erhebung der Steuer abzusehen ist.
Die Sache befindet sich im zweiten Rechtsgang. Im ersten Rechtsgang hatten Finanzamt (FA) und Finanzgericht (FG) - letzteres nach mündlicher Verhandlung - im Ergebnis übereinstimmend die Anwendung des § 9 Abs. 1 und 3 GrEStG zugunsten der Stpfl. abgelehnt.
Auf die Rb. der Stpfl. hat der erkennende Senat durch das Urteil II 47/61 vom 16. August 1962 das Urteil des FG im ersten Rechtsgang aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. Der Senat führte damals aus: Sei das FG der Auffassung gewesen, daß die Absicht das Grundpfandrecht zu retten, nicht der Hauptzweck des Erwerbs gewesen sei, so hätte es seine Entscheidung auf den Zeitpunkt des Grundstückserwerbs abstellen müssen, d. h. auf den Tag der Annahme des Verkaufsangebots und nicht auf die Verhältnisse am 23. Dezember 1954 (Zeitpunkt des von der Stpfl. veranlaßten Verkaufsangebots). Wolle aber das FG seine Entscheidung darauf stützen, daß die Voraussetzung des § 9 Abs. 1 Ziff. 3 GrEStG nicht erfüllt sei, so bedürfe es einer Begründung hierfür, damit der Senat dies nachprüfen könne.
Im zweiten Rechtsgang wies das FG, nachdem es zuvor den Beteiligten Gelegenheit zur schriftsätzlichen Äußerung gegeben hatte, die Berufung - wiederum nach mündlicher Verhandlung - erneut zurück. Das FG vertrat unter Hinweis auch auf das eigene schriftsätzliche Vorbringen der Stpfl. wiederum die Auffassung, die Stpfl. habe das Grundstück auch bei der Annahme des Verkaufsangebots am 22. Mai 1955 nicht - zumindest nicht hauptsächlich - zur Rettung ihrer Grundschuld erworben, sondern nach den Gesamtumständen zu dem Zweck, die Gaststätte in dem Grundstück betreiben zu können. Jedenfalls sei der weitaus größte Teil der Zahlungen zugunsten der Voreigentümerin des Grundstücks und an deren Gläubiger erst nach Eintragung von Sicherungshypotheken für das FA und erst nach dessen Antrag auf Fortsetzung des bereits eingeleiteten Zwangsversteigerungsverfahrens geleistet worden. Die Grundschuldvaluta sei also zum größten Teil von der Stpfl. erst nach der, wie sie angebe, unerwarteten Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Voreigentümerin und auch erst nach deren Verkaufsangebot gezahlt worden, wohl in der Erwartung, den Betrieb der Voreigentümerin übernehmen zu können, wenn nicht durch Mietvertrag, dann doch durch den Erwerb des Grundstücks.
Mit der gegen das Urteil des FG erneut eingelegten Rb. rügt die Stpfl. Verfahrensmängel, vor allem mangelndes rechtliches Gehör und Verletzung der Aufklärungs- und Ermittlungspflicht.
Entscheidungsgründe
Die nach dem Inkrafttreten der FGO am 1. Januar 1966 als Revision zu behandelnde Rb. ist unbegründet.
Die Stpfl. erstrebt unter Hinweis auf § 9 GrEStG die Nichterhebung der Grunderwerbsteuer für einen Grundstückskauf, der auf Grund eines durch sie veranlaßten Kaufangebots der Voreigentümerin vom 23. Dezember 1954 und der von ihr erklärten Annahme des Angebots vom 22. Mai 1955 zustande gekommen ist. Nach § 9 Abs. 1 und 3 GrEStG bleibt die Grunderwerbsteuer unter gewissen, im Gesetz näher bestimmten Voraussetzungen unerhoben, wenn ein Grundpfandgläubiger das mit dem Pfandrecht belastete Grundstück zur Rettung seines Rechts in der Zwangsversteigerung bzw. durch Kaufvertrag erwirbt. Der für die Nichterhebung der Grunderwerbsteuer maßgebende Gesichtspunkt ist in beiden Fällen, daß der Erwerb zur Rettung des Grundpfandrechts erfolgt. Die Rettung des Grundpfandrechts muß also auch im Falle des freihändigen Erwerbs der hauptsächliche Zweck des Erwerbsgeschäftes sein (vgl. Boruttau-Klein, Kommentar zum Grunderwerbsteuergesetz, 8. Auflage, Tz. 32, 33 zu § 9 GrEStG; Urteil des Reichsfinanzhofs - RFH - II 150/41 vom 1. April 1943, Sammlung der Entscheidungen des Reichsfinanzhofs Bd. 53 S. 83 - RFH 53, 83 -), wenngleich die Verfolgung anderer Nebenzwecke nicht ausgeschlossen ist. Die Nichterhebung der Steuer ist aber außerdem davon abhängig, daß kein Anhalt dafür besteht, der Pfandgläubiger habe das Pfandrecht bereits im Hinblick auf die Ersparung von Abgaben bei dem beabsichtigten künftigen Erwerb des Grundstücks erworben (ß 9 Abs. 1 Ziff. 3 GrEStG). Das FA lehnte allein auf Grund der letztgenannten Bestimmung den Antrag der Stpfl. auf Nichterhebung der Grunderwerbsteuer ab, weil nach seiner Überzeugung die Stpfl. sich schon am 20. November 1954, den das FA als den Zeitpunkt des Grundschulderwerbs ansah, der Tatsache bewußt gewesen sei, daß die damalige Grundstückseigentümerin sich in erheblichen Zahlungsschwierigkeiten befand, daß über ihr Grundstück ein Zwangsversteigerungsverfahren anhängig war und daß sie sich deshalb um einen freihändigen Verkauf des Anwesens bemühte, dessen Erwerb sie am 23. Dezember 1954 der Stpfl. antrug. Das FA glaubte, diesem Sachverhalt genügend Anhaltspunkte dafür entnehmen zu können, daß die Stpfl. schon beim Erwerb der Grundschuld die Absicht eines späteren (steuerfreien) Grundstückserwerbs gehabt hat.
Das FG war zwar der Einspruchsentscheidung des FA im Ergebnis gefolgt, hatte aber möglicherweise Bedenken gegen den vom FA angenommenen Zeitpunkt des Grundschulderwerbs sowie gegen die Annahme, daß die Stpfl. schon am 20. November 1954 die Absicht des Grundstückserwerbs gehabt habe; es hatte deshalb sein Urteil, ohne auf die Begründung des FA einzugehen, mit anderen Erwägungen gerechtfertigt. Nach einer eingehenden Schilderung der Verhältnisse am 23. Dezember 1954, dem Tage des von der Stpfl. veranlaßten Kaufangebotes, war das FG bereits im ersten Rechtsgang zu dem Ergebnis gekommen, daß die Rettung der erst am 13. Januar 1955 durch Eintragung im Grundbuch entstandenen Grundschuld nicht der Hauptzweck des Grundstückserwerbs gewesen sei. Auch nach der Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und der Zurückverweisung der Sache ist das FG im zweiten Rechtsgang wiederum nicht auf die vom FA mit dem Hinweis auf § 9 Abs. 1 Ziff. 3 GrEStG begründete Ablehnung zurückgekommen. Es hat vielmehr an der von ihm selbst gegebenen Begründung für die Ablehnung des Antrags der Stpfl. festgehalten, weil es auf Grund des eigenen Vorbringens der Stpfl. zu der Überzeugung gelangte, daß auch am Tag der Annahme des Verkaufsangebots die Rettung des Grundpfandrechts nicht das maßgebende Motiv für den Erwerb des Grundstücks gewesen sei.
Die Prüfung der Rb. beschränkt sich daher auf die Frage, ob das FG es zutreffend verneint hat, daß die Rettung des Grundpfandrechts Hauptzweck des Grundstückserwerbs der Stpfl. gewesen ist.
Die Verfahrensrügen (Verletzung des rechtlichen Gehörs und der Aufklärungs- und Ermittlungspflicht durch das FG) beziehen sich in erster Linie darauf, daß das FG das FA nicht zu einer substantiierten Begründung darüber veranlaßt habe, wie das FA seinen Antrag auf Ablehnung der von der Stpfl. begehrten Nichterhebung der Steuer nach der durch das vorerwähnte Urteil des BFH geschaffenen Lage rechtfertigen wolle, und daß das FG damit eine Gegenstellungnahme der Stpfl. vereitelt habe.
Diesen Ausführungen der Rb. vermag der Senat nicht zu folgen. Der Stpfl. war der Ablehnungsgrund des FA seit dem Erlaß der Einspruchsentscheidung auch in den Einzelheiten bekannt. Bis zum Ende des ersten Rechtsganges war zunächst durch das Urteil des FG, noch deutlicher aber durch das Urteil des Senats klargestellt worden, daß die Nichtanwendung des § 9 GrEStG nicht nur auf die Begründung des FA, sondern ebenso auf den Ablehnungsgrund des FG gestützt werden könne. Denn der Senat hatte trotz der Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils in seiner ersten Entscheidung deutlich zum Ausdruck gebracht, daß jeder der beiden Ablehnungsgründe - der des FA und der des FG - rechtlich geeignet sei, die Ablehnung der erstrebten Steuervergünstigungen zu rechtfertigen. Die Stpfl. hätte deshalb bei der weiteren Rechtsverfolgung im zweiten Rechtsgang ihr Vorbringen auf diese beiden Möglichkeiten einrichten können, ohne daß es überhaupt einer Stellungnahme des FA bedurft hätte. Eine weitere Aufklärung der Beteiligten über die bereits ausreichend geklärte Rechtslage durch das FG war nicht erforderlich. Das FG hat zudem den Beteiligten auch im zweiten Rechtsgang Gelegenheit gegeben, sich nochmals schriftsätzlich und mündlich zu äußern.
Die Rüge einer mangelnden Aufklärung des Sachverhalts ist auch insoweit unbegründet, als das FG die Stpfl. und ihre bevollmächtigten Vertreter nicht persönlich vernommen hat. Nicht nur die Vernehmung von Beteiligten und Auskunftspersonen ist als Beweismittel geeignet, auch Urkunden und insbesondere der Akteninhalt können zur Beweisführung herangezogen werden. Deshalb ist es an sich nicht zu beanstanden, wenn das FG das eigene schriftsätzliche Vorbringen der Stpfl. als Beweismittel verwertet hat. Erschien ihm hierdurch der Fall nach erneuter mündlicher Verhandlung geklärt, konnte es von einer persönlichen Vernehmung der Stpfl. und ihrer Bevollmächtigten absehen. Deren persönliche Vernehmung ist nach Lage der Akten nicht beantragt worden.
Im übrigen läßt auch die Tatsachenwürdigung des FG Rechtsverstöße nicht erkennen. Das FG hat bei der nochmaligen Prüfung der Rechtslage die Entscheidung der Frage, ob das Erwerbsgeschäft der Stpfl. hauptsächlich der Rettung ihrer Grundschuld diente, entsprechend dem ersten Revisionsurteil auf den Tag der Annahme des Verkaufsangebotes abgestellt. Das FG ist aber bei der erneuten Prüfung wiederum zu dem Ergebnis gelangt, daß die Stpfl. auch an diesem Tage das Grundstück nicht - zumindest nicht hauptsächlich - zur Rettung ihrer Grundschuld erworben habe, sondern zu dem Zweck, in diesem Grundstück eine schon früher dort befindliche Gaststätte betreiben zu können. Da das FG mit dieser Entscheidung nicht ausschließt, daß auch andere Erwerbszwecke vorhanden sein könnten, sondern ausdrücklich nur verneint, daß ein anderer Zweck als der geplante Betrieb der Gastwirtschaft für den Erwerb maßgebend gewesen sein könnte, braucht auf die Frage, ob im Zeitpunkt der Annahme des Verkaufsangebotes auch die Rettung der Grundschuld bzw. der dafür inzwischen gezahlten Darlehnsvaluta als Nebenzweck mitbestimmend gewesen ist, nicht näher eingegangen zu werden. Entscheidend ist vielmehr, ob das FG auf Grund seiner Feststellungen zu dem Ergebnis kommen konnte, daß nicht die Rettung des Grundpfandrechts, sondern der geplante Betrieb der Gaststätte der leitende Beweggrund für den Erwerb des Grundstücks gewesen ist. Das FG hat sich insoweit auf das eigene schriftsätzliche Vorbringen der Stpfl. bezogen. Daraus ergibt sich als der maßgebliche Grund für das Kaufangebot vom 23. Dezember 1954 die Befürchtung, durch das Eingreifen des FA im Zwangsversteigerungsverfahren könne die Übernahme des Gaststättenbetriebs gestört oder verhindert werden. Zumindest im Zeitpunkt des Kaufangebots war daher nach den eigenen Erklärungen der Stpfl. die geplante Übernahme bzw. Eröffnung des Gaststättenbetriebs in dem Kaufgrundstück der entscheidende Gesichtspunkt, weshalb sie den Kauf des Grundstücks ins Auge faßte, der es ermöglichen sollte, mit Hilfe der Kaufpreiszahlungen die Gläubiger der Voreigentümerin zu befriedigen und damit die Gefahr weiterer Vollstreckungsmaßnahmen abzuwenden. Diese eigenen Angaben der Stpfl. erscheinen durchaus überzeugend, weil zu diesem Zeitpunkt das Grundpfandrecht selbst im Grundbuch noch nicht eingetragen und die Valuta des zu sichernden Darlehens nur in der geringen Höhe von rund 400 DM bezahlt war. Die Stpfl. hätte deshalb sehr wohl, wenn nicht schon auf Grund ihrer Abmachungen mit der Voreigentümerin des Grundstücks, so doch auf Grund gesetzlicher Bestimmungen (ßß 610, 321 BGB) die weiteren Zahlungen der Valuta ablehnen und das Kreditgeschäft, zu dessen Sicherung die Grundschuld eingetragen werden sollte, rückgängig machen können, wenn sie nicht ungeachtet einer möglichen Gefährdung dieser Kreditbeträge an der Kaufabsicht des Grundstücks festhalten wollte. Das FG hatte deshalb schon im ersten Rechtsgang zutreffend festgestellt, daß im Zeitpunkt des Kaufangebots vom 23. Dezember 1954 die beabsichtigte Inbetriebnahme der Gastwirtschaft der eigentliche Anlaß für die Stpfl. gewesen ist, sich dieses Angebot machen zu lassen. Diese Feststellung konnte allerdings nicht ausreichen, weil insoweit nicht auf den Tag der Abgabe des Verkaufsangebots, sondern auf den Tag seiner Annahme abzustellen war. Indessen hat der Senat in seinem ersten Urteil deutlich zu erkennen gegeben, daß diese Feststellungen des FG nicht bedeutungslos sind, daß vielmehr das FG die Begleitumstände, die vor oder nach dem maßgeblichen Stichtag, d. h. vor oder nach der Annahme des Vertragsangebots vorhanden waren, berücksichtigen könne. Das hat das FG getan und auch für das neue Verfahren zutreffend festgestellt, daß zumindest der ursprüngliche Anlaß, in die Kaufverhandlungen einzutreten, der beabsichtigte Betrieb der Gaststätte war. Das FG läßt in seinem Urteil auch klar die Auffassung erkennen, die ursprüngliche Absicht habe bis zum endgültigen Erwerb des Grundstücks durch Annahme des Verkaufsangebots fortbestanden und die Durchführung des Kreditgeschäfts, die weitere Auszahlung der Darlehnsvaluta und die Rettung der Grundschuld seien nicht der eigentliche Anlaß für die Durchführung des Kaufgeschäfts gewesen. Eine solche Würdigung des Sachverhalts ist jedenfalls deshalb möglich, weil die Stpfl. selbst nichts dafür vorgetragen hat, daß sie ihr ursprüngliches Motiv für den Kauf aufgegeben habe. Sie hat insbesondere nicht geltend gemacht, daß sie die Absicht, eine Gaststätte zu betreiben, aufgegeben und deshalb das Grundstück nur noch oder überwiegend zur Rettung ihres Grundpfandrechts erworben habe. Wenn die Stpfl. meint, der Betrieb der Gaststätte wäre allein auf Grund eines dreijährigen Pachtvertrages gesichert und deshalb ein Kauf des Anwesens nicht erforderlich gewesen, so ist es nicht verständlich, weshalb sie sich überhaupt ein Kaufangebot hat machen lassen. Im übrigen trifft es nicht zu, daß auch bei einer Durchführung des Zwangsversteigerungsverfahrens der ungestörte Betrieb der Gaststätte hätte sichergestellt werden können, weil dem Zwangsversteigerungserwerber ein gesetzliches Kündigungsrecht zugestanden hätte (ß 57 a des Zwangsversteigerungsgesetzes), dessen Gefahren die Stpfl. durch den Erwerb des Grundstücks offenbar vermeiden wollte.
Da die rechtliche Würdigung des FG somit auch dann möglich erscheint, wenn man die Fortsetzung des Zwangsversteigerungsverfahrens durch den Beschluß vom 18. Mai 1955 und die damit für das Grundpfandrecht herbeigeführte Gefahr nicht unberücksichtigt läßt, so erweist sich das Rechtsmittel als unbegründet.
Fundstellen
Haufe-Index 425802 |
BFHE 1966, 432 |
BFHE 86, 432 |