Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
"Tarifliche" Zuschläge im Sinn vom § 34 a EStG sind "tarifvertragliche" Zuschläge.
Ist der Arbeitgeber an einen Tarifvertrag gebunden, so sind nicht nur die Zuschläge begünstigt, die er an die einer tarifgebundenen Gewerkschaft angehörigen Arbeitnehmer zahlt, sondern auch die, die er an die keiner Gewerkschaft angehörigen Arbeitnehmer zahlt, sofern nach den Vereinbarungen zwischen diesen Arbeitnehmern und dem Arbeitgeber ebenfalls die Bestimmungen des Tarifvertrags gelten.
Besteht zwar ein Tarifvertrag, gilt er aber, weil der Arbeitgeber dem tarifgebundenen Arbeitgeberverband nicht angehört, für den Arbeitgeber nicht unmittelbar, so greift die Begünstigung des § 34 a EStG trotzdem ein, wenn die Bestimmungen des Tarifvertrags auf Grund der Vereinbarungen zwischen dem Arbeitgeber und dessen Arbeitnehmern in vollem Umfang übernommen worden sind.
Normenkette
EStG § 34a; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 9/3, Art. 12/1
Tatbestand
Die Bfin. hat ihren Arbeitnehmern in der Zeit vom 1. Januar 1954 bis 31. März 1960 Lohnzuschläge für Sonntags- und Feiertagsarbeit gewährt; außerdem hat sie in den Jahren 1954 und 1955 für Nachtarbeit einen pauschalen Zuschlag je Nachtschicht gezahlt. Alle Zuschläge sind ohne Einbehaltung von Lohnsteuer gezahlt worden.
Das Finanzamt zog die Bfin. als Arbeitgeberin heran, indem es die Lohnsteuer pauschal auf 16 v. H. der Zuschläge festsetzte. Nach der Auffassung des Finanzamts kann die Bfin. sich - entgegen ihrer Ansicht - nicht auf die Steuerbefreiungsvorschrift des § 34 a EStG - § 32 a LStDV - berufen, weil die Zuschläge keine "tariflichen Zuschläge" seien; sie beruhten zwar auf einer Betriebsvereinbarung; diese stehe aber einem Tarifvertrag nicht gleich.
Die Sprungberufung hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht, das einen der betroffenen Arbeitnehmer als Beteiligten zum Verfahren zugezogen hat, ist ebenfalls der Auffassung, die von der Bfin. gezahlten Zuschläge fielen nicht unter § 34 a EStG (ß 32 a LStDV), weil sie weder kraft Gesetzes noch auf Grund eines Tarifvertrags gezahlt worden seien. Selbst wenn man mit der Bfin. in Einzelarbeitsverträgen, die einem Tarifvertrag entsprächen, eine ausreichende Grundlage für die Steuerbefreiung sehen wollte, wäre dies im Streitfall doch nicht möglich, weil die Betriebsvereinbarung der Bfin. und die Bestimmungen des einschlägigen Manteltarifvertrags nicht übereinstimmten. Die Bfin. könne sich auch nicht auf eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes berufen. Die Regelung des § 34 a EStG (ß 32 a LStDV) sei nicht verfassungswidrig. Wenn sie es wäre, dann würde das im übrigen nur zur Folge haben, daß alle Lohnzuschläge, also auch die von der Bfin. gezahlten, als Teil des Arbeitslohns der Lohnsteuer unterlägen.
Die Bfin. und der beteiligte Arbeitnehmer haben Rb. erhoben und rügen unrichtige Anwendung des bestehenden Rechts. Sie führen im wesentlichen aus: Es verstoße gegen den klaren Wortlaut des Gesetzes, wenn nur solche Zuschläge begünstigt würden, die unmittelbar auf einer gesetzlichen oder tariflichen Grundlage beruhten. In § 34 a EStG (ß 32 a LStDV) sei nur von "tariflichen" Zuschlägen die Rede. Dieser Ausdruck dürfe nicht in "tarifvertraglich" umgedeutet werden. Im übrigen seien die gezahlten Zuschläge "gesetzliche" Zuschläge, weil die zugrunde liegende Betriebsvereinbarung ein Gesetz des Betriebs sei, das objektives Recht schaffe und damit eine Rechtsnorm im Sinne des § 2 AO sei. Es würde gegen das in Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) enthaltene Grundrecht der negativen Koalitionsfreiheit verstoßen, wenn man § 34 a EStG so auslegte, wie es das Finanzgericht tue. Diese Auslegung stehe auch mit Art. 12 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG nicht in Einklang. Verfassungskonform sei nur eine Auslegung, die alle Zuschläge steuerfrei lasse, die auf Grund eines Tarifs oder eines Gesetzes gezahlt würden. Würde man der Auffassung des Finanzgerichts folgen, so müßten, selbst wenn ein Tarifvertrag bestehe, die Arbeitnehmer desselben Betriebs verschieden behandelt werden, je nachdem, ob sie einer tarifgebundenen Gewerkschaft angehören oder nicht, sofern nicht ausnahmsweise eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung des Tarifvertrags ausgesprochen worden sei.
Der Bundesminister der Finanzen, der dem Verfahren gemäß § 287 Ziff. 2 AO beigetreten ist, will den in § 34 a EStG verwendeten Ausdruck "tariflich" im Sinn des Arbeitsrechts verstanden wissen, weil das auch dem Zweck und der Entstehungsgeschichte der Vorschrift entspreche. Wenn Zuschläge an Arbeitnehmer gezahlt werden, die keiner tarifbeteiligten Gewerkschaft angehören, so hält der Bundesminister der Finanzen es für ausreichend, daß die Zuschläge in einem für den Betrieb bindenden Tarifvertrag vorgesehen sind. Ist aber der Betrieb nicht tarifgebunden, vor allem weil der Arbeitgeber keinem tarifbeteiligten Arbeitgeberverband angehört, so erkennt der Bundesminister der Finanzen "tarifliche" Zuschläge an, wenn die Zuschläge nicht bloß in Anlehnung an einen einschlägigen Tarifvertrag gezahlt werden, sondern der Tarifvertrag im ganzen und für alle Betriebsangehörigen maßgebend ist. Bei einer derartigen Auslegung verstößt § 34 a EStG nach Auffassung des Bundesministers der Finanzen nicht gegen das GG. Im Streitfall hält der Bundesminister der Finanzen die Zuschläge nicht für steuerfrei, weil der einschlägige Tarifvertrag nicht in vollem Umfang angewandt worden sei.
Der Bundesminister der Finanzen hat auf Anregung des Senats zur Auslegung des § 34 a EStG auch die Stellungnahme der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände des Deutschen Gewerkschaftsbundes, der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft und des Christlichen Gewerkschaftsbundes Deutschlands eingeholt. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hält neben den gesetzlichen Zuschlägen nur die auf Grund und in Erfüllung eines Tarifvertrags gezahlten Zuschläge für begünstigt; die von einem nichttarifgebundenen Arbeitgeber gezahlten Zuschläge und die an nichttarifgebundene Arbeitnehmer gezahlten Zuschläge seien darum nicht begünstigt. Der gleichen Auffassung ist die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände läßt es als ausreichend gelten, daß sich ein Arbeitgeber hinsichtlich der Lohnzuschläge streng an die Bestimmungen des einschlägigen Tarifvertrags hält; ob der Arbeitgeber oder die Arbeitnehmer tarifgebunden seien, will er nicht ausschlaggebend sein lassen. Dies ist auch die Auffassung des Christlichen Gewerkschaftsbundes Deutschlands.
Entscheidungsgründe
Die Rb. führte zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Nach § 34 a EStG sind nur "gesetzliche" oder "tarifliche" Zuschläge begünstigt. Die streitigen Zuschläge sind aber weder gesetzliche noch tarifliche Zuschläge.
Wenn die Bfin. meint, die Zuschläge seien "gesetzliche" Zuschläge, so ist das rechtsirrig. Eine Betriebsvereinbarung setzt zwar ebenso wie ein Tarifvertrag objektives Recht. Wie sich aus der Gegenüberstellung von gesetzlichen und tariflichen Zuschlägen in § 34 a EStG ergibt, ist hier aber an Gesetze im formellen Sinne gedacht. Denn anders wäre die Erwähnung der auf Tarifvertrag beruhenden Zuschläge überflüssig gewesen.
Der Bfin. ist auch nicht darin zu folgen, daß die Zuschläge "tariflich" im Sinn des § 34 a EStG seien, weil sie, wie es der Begriff "Tarif" nach dem allgemeinen Sprachgebrauch erfordere, nach festen Merkmalen abgestuft seien. Mit dem Bundesminister der Finanzen ist der Senat der Auffassung, daß "tarifliche" Zuschläge im Sinn des § 34 a EStG "tarifvertragliche" Zuschläge sind. Wäre der Ausdruck "tariflich" so weit auszulegen, wie es die Bfin. will, dann hätte man auf jede Einschränkung verzichten können; denn nach irgendwelchen Merkmalen abgestuft sind Zuschläge der hier in Betracht kommenden Art immer. Daß das Wort "tariflich" in § 34 a EStG als "tarifvertraglich" verstanden werden muß, hat der Senat in den Urteilen VI 20/58 U vom 28. Februar 1958 (BStBl 1958 III S. 196, Slg. Bd. 66 S. 512) und VI 78/61 vom 9. Februar 1962 (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1962 S. 263) als selbstverständlich vorausgesetzt.
Sind danach nur auf einem Tarifvertrag beruhende Zuschläge begünstigt, so könnte man nach dem Wortlaut zu der engen Auslegung kommen, daß nur die auf Grund eines Tarifvertrags von einem tarifgebundenen Arbeitgeber an einen tarifgebundenen Arbeitnehmer gezahlten Zuschläge begünstigt seien. Mit Recht führt aber der Bundesminister der Finanzen aus, daß die Praxis bisher anders verfahren ist und daß sich gegen diese enge Auslegung zum mindesten verfassungsmäßige Bedenken ergeben, wenn es sich um Zuschläge an nichttarifgebundene Arbeitnehmer handelt. In den erwähnten Urteilen hat der Senat zwar die Beschränkung der Steuerfreiheit nach § 34 a EStG auf gesetzliche und tarifliche Zuschläge für nicht verfassungswidrig bezeichnet, weil nur bei einer gesetzlichen oder tarifvertraglichen Grundlage für die Zuschläge die vom Gesetzgeber für erforderlich gehaltene Sicherheit in der Abgrenzung der Steuerbefreiung gegeben sei. Damals ging es um Fälle, in denen weder der Arbeitgeber noch die Arbeitnehmer tarifgebunden waren. Bedenkt man, daß der einzelne Arbeitnehmer nicht tariffähig ist, als nicht selbst einen Tarifvertrag abschließen kann, so würde eine Auslegung, die innerhalb eines Betriebs nur die Zuschläge für tarifgebundene (gewerkschaftlich organisierte) Arbeitnehmer steuerfrei ließe, wenn nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, so doch wohl gegen den Grundsatz der Koalitionsfreiheit verstoßen. Es ist bestritten, ob das Grundrecht des Art. 9 GG auch die sogenannte negative Koalitionsfreiheit umfaßt, d. h. die Freiheit, keiner Gewerkschaft beizutreten. Nach der Auffassung des Senats umfaßt die Koalitionsfreiheit auch das Recht der freien Entschließung, einer Vereinigung beizutreten oder nicht (Mangoldt-Klein, Das Bonner Grundgesetz, Bd. I, 1957, Bem. V 11 zu Art. 9, S. 330). Der Senat nimmt darum mit dem Bundesminister der Finanzen an, daß man bei verfassungsgerechter Auslegung des § 34 a EStG zu dem Ergebnis kommen muß, daß, wenn ein Betrieb tarifgebunden ist, auch die an die nichttarifgebundenen Arbeitnehmer gezahlten Zuschläge steuerfrei sind.
Ist dagegen der Arbeitgeber nicht tarifgebunden, weil er keinem tarifbeteiligten Arbeitgeberverband angehört, so ist die Rechtslage nicht ohne weiteres gleich. Vor allem ist zu beachten, daß auch ein einzelner Arbeitgeber tariffähig ist, also einen Tarifvertrag abschließen kann (den sogenannten Haustarif). Indessen stößt die theoretische Möglichkeit, einen Haustarif abzuschließen und dadurch die nach § 34 a EStG begünstigte Situation für einen Betrieb herbeizuführen, für einen Arbeitgeber in der Praxis auf Schwierigkeiten. Unter diesen Umständen tritt der Senat dem Bundesminister der Finanzen bei, der befürwortet, die Vergünstigung des § 34 a EStG auch zu gewähren, wenn zwar der Arbeitgeber nicht tarifgebunden ist, aber durch Einzelverträge oder eine Betriebsordnung mit allen seinen Arbeitnehmer in vollem Umfang die Bestimmungen des für die Branche einschlägigen Tarifvertrags übernimmt. Die Lage muß also die gleiche sein, wie wenn der einschlägige Tarifvertrag um deswillen anzuwenden wäre, weil der Arbeitgeber dem tarifbeteiligten Arbeitgeberverband angehörte. Auf diese Voraussetzung kann nicht verzichtet werden, weil nur so die Erfordernisse erfüllt sind, die § 34 a EStG bei der Abgrenzung der "tariflichen" Zuschläge gewahrt wissen will.
Nach diesen Rechtsgrundsätzen sind die von der Bfin. gezahlten Zuschläge nicht begünstigt. Die Bfin. war in den Streitjahren nicht tarifgebunden. Daß sie inzwischen einem tarifbeteiligten Arbeitgeberverband beigetreten ist, spielt keine Rolle. Die Bfin. hat die streitigen Zuschläge auf Grund einer Betriebsvereinbarung gezahlt. Wenn auch die Zuschläge im wesentlichen dem einschlägigen Tarifvertrag angeglichen waren, so war doch nicht der Tarifvertrag in vollem Umfange in die Betriebsvereinbarung übernommen worden.
Die Vorinstanzen haben demnach mit Recht angenommen, daß die von der Bfin. gezahlten Zuschläge nicht nach § 34 a EStG begünstigt sind. Hat ein Arbeitgeber zu Unrecht keine Lohnsteuer einbehalten, so kann er nach § 38 Abs. 3 EStG als Haftender in Anspruch genommen werden. Wie der Senat wiederholt entschieden hat, muß aber in jedem Fall geprüft werden, ob die Inanspruchnahme des Arbeitgebers Recht und Billigkeit entspricht (vgl. z. B. die Urteile VI 134/57 U vom 18. Juli 1958, BStBl 1958 III S. 384, Slg. Bd. 67 S. 290; VI 183/59 S vom 24. November 1961, BStBl 1962 III S. 37, Slg. Bd. 74 S. 97; VI 270/62 U vom 5. Juli 1963, BStBl 1963 III S. 468). Dies ist bisher nicht geschehen.
Das angefochtene Urteil war deswegen aufzuheben. Dem Senat erschien es, weil nur noch die Frage der Billigkeit zu prüfen ist, zweckmäßig, die Sache unmittelbar an das Finanzamt zur nochmaligen Entscheidung im Einspruchsverfahren zurückzuverweisen.
Bei der Prüfung, ob die Inanspruchnahme der Bfin. Recht und Billigkeit entspricht, hat das Finanzamt insbesondere zu beachten, daß auch ein entschuldbarer Rechtsirrtum des Arbeitgebers seine Inanspruchnahme unbillig machen kann. Dabei ist zu beachten, daß der Arbeitgeber die Möglichkeit hat, beim Finanzamt gemäß § 56 LStDV eine Auskunft einzuholen, und daß bei schuldhafter Versäumung dieser Möglichkeit in aller Regel seine Inanspruchnahme nicht unbillig ist. Voraussetzung ist aber jedenfalls, daß dem Arbeitgeber bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt Zweifel über die Rechtslage kommen mußten. Im Streitfall ist das Finanzamt durch die Anfrage der Bfin. selbst auf den Sachverhalt hingewiesen worden. Daraus ergibt sich jedoch nicht ohne weiteres, daß die Bfin. schon eher hätte Zweifel haben und beim Finanzamt anfragen müssen.
Fundstellen
Haufe-Index 410991 |
BStBl III 1964, 11 |
BFHE 1964, 27 |
BFHE 78, 27 |