Entscheidungsstichwort (Thema)
Anlaufhemmung der Festsetzungsfrist für KraftSt; Beweislast
Leitsatz (NV)
1. Die objektive Beweislast für Umstände, die eine steuerliche Anzeigeverpflichtung und eine daraus folgende Hemmung des Anlaufens der Festsetzungsfrist begründen, trägt grundsätzlich die Finanzbehörde.
2. Zur Anzeigeverpflichtung (1.) im Hinblick auf die KraftSt-Befreiung für ,,Berlin"-Anhänger.
Normenkette
AO 1977 § 170 Abs. 2 Nr. 1; FGO § 96 Abs. 1 S. 1; DVO Bln 1978/KraftStÄndG Bln 1950 § 1 Abs. 1 Nr. 2; DVO Bln 1978/KraftStÄndG Bln 1950 § 1 Abs. 2; DVO Bln 1978/KraftStÄndG Bln 1950 § 1 Abs. 3
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) war Halterin von neun für sie in Berlin zugelassenen, im Juni 1979 abgemeldeten Kraftfahrzeuganhängern, für deren Halten sie Kraftfahrzeugsteuerbefreiung nach § 1 Abs. 1 Nr.2 der - inzwischen aufgehobenen - Verordnung vom 8. Februar 1978 zur Durchführung des Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes vom 3. August 1950 (Gesetz- und Verordnungsblatt Berlin 1978, 745, Steuer- und Zollblatt Berlin - StZBl.Bln. - 1978, 637) - DVO - beantragt hatte. Das beklagte und revisionsklagende Finanzamt (FA) setzte, nachdem es die Klägerin 1985 vergeblich zur Vorlage der Kontrollbücher aufgefordert hatte, für die in Betracht kommenden Zeiträume der Jahre 1978/79 gegen die Klägerin Kraftfahrzeugsteuer fest (Bescheide vom . . .). Der Einspruch, mit dem die Klägerin u.a. geltend machte, die Vorlage der Kontrollbücher sei nicht möglich, da diese im Januar 1985 durch einen Flugzeugabsturz auf die Geschäftsräume vernichtet worden seien, blieb ohne Erfolg.
Erfolg hatte dagegen die Klage. Das Finanzgericht (FG) hielt die Kraftfahrzeugsteueransprüche für verjährt. Tatsachen, die eine Anlaufhemmung gemäß § 170 Abs. 2 Nr.1 der Abgabenordnung (AO 1977) begründen könnten, ständen nicht fest. Der Verlust eines Kontrollbuchs nach Ablauf der allgemeinen Verjährungsfrist sei nicht anzeigepflichtig, weil der Fortfall der Nachweismöglichkeit mittels Kontrollbuchs nach Erlöschen des Steueranspruchs diesen nicht wieder aufleben lasse. Auch eine Nichterfüllung von Aufbewahrungspflichten könne nur innerhalb der Verjährungsfrist Folgen haben. Die Feststellung, daß die Befreiungsvoraussetzung des Verbleibens der Anhänger im Berliner Anlagevermögen nicht erfüllt gewesen sei, die Klägerin mithin eine Anzeigepflicht verletzt habe, könne nicht getroffen werden. Dies wirke zu Lasten des FA, denn dieses habe darzulegen und ggf. zu beweisen, daß ,,die allgemeine Verjährungsfrist nicht eingetreten" sei. Von einer Beweisvereitelung durch die Klägerin sei nicht auszugehen.
Mit der Revision macht das FA geltend, die Feststellung des Wegfalls der Befreiungsvoraussetzungen könne nachträglich getroffen werden (§ 1 Abs. 2 Satz 2 DVO), und zwar - innerhalb der gemäß § 170 Abs. 2 Nr.1 AO 1977 verlängerten Festsetzungsfrist - noch nach Ablauf der allgemeinen vierjährigen Verjährungsfrist. Das gelte auch, wenn nachträglich festgestellt werde, daß der Nachweispflicht durch Vorlage des Kontrollbuchs nicht genügt worden sei. Die hierin liegende Ungewißheit, ob ein Fall von § 1 Abs. 2 Satz 2 DVO vorliege, gehe zu Lasten dessen, der die Steuervergünstigung beanspruche. Ein Steuerpflichtiger, der den Nachweis der Erfüllung der Befreiungsvoraussetzungen und damit über das Nichtbestehen einer Anzeigepflicht (§ 1 Abs. 2 Satz 1 DVO) nicht führe, dürfe nicht besser gestellt werden als derjenige, der es ermögliche, anhand des Kontrollbuchs eine nachträgliche Feststellung i.S. von § 1 Abs. 2 Satz 2 DVO zu treffen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Das FG hat zutreffend entschieden, daß die Kraftfahrzeugsteueransprüche gegen die Klägerin verjährt sind (§ 169 Abs. 2 Nr.2, § 170 Abs. 1 AO 1977). Die Änderung der ursprünglichen Freistellungen (vgl. Tz.27 der Verwaltungsanweisung zur DVO, StZBl.Bln. 1978, 638), die durch die angefochtenen Bescheide erfolgt ist, war mithin ausgeschlossen; § 169 Abs. 1 AO 1977.
Die Bescheide wären nur dann noch innerhalb der Festsetzungsfrist ergangen, wenn deren Anlauf gemäß § 170 Abs. 2 Nr.1 AO 1977 (,,spätestens") durch Nichterstattung der Anzeige nach § 1 Abs. 2 Satz 1 DVO gehemmt gewesen wäre. Es ist indessen nicht festgestellt, daß die Voraussetzung für die Steuerbefreiung nach § 1 Abs. 1 Nr.2 DVO - hier: Verbleibungsvoraussetzung im Hinblick auf den im Kontrollbuch (§ 1 Abs. 3 DVO) zu dokumentierenden Berlin-Verkehr der Anhänger - weggefallen, die Klägerin mithin zur Erstattung von Anzeigen verpflichtet war. Die infolge der Nichtvorlage der (nach dem Vorbringen der Klägerin durch höhere Gewalt vernichteten) Kontrollbücher bestehende Ungewißheit, ob die Verbleibensvoraussetzung in den maßgebenden Nachweiszeiträumen entfallen war, wirkt, wie die Vorinstanz im Ergebnis richtig erkannt hat, nicht zu Lasten der Klägerin. Die Nachweispflicht gemäß § 1 Abs. 1 Nr.2 Satz 2 DVO erstreckt sich nicht auf den Nachweis, daß keine Anzeigepflicht bestanden hat. Der Verlust des Kontrollbuchs selbst ist nicht anzeigepflichtig (so auch das FA).
Allerdings hat der Senat entschieden (Urteile vom 15. Oktober 1991 VII R 70, 71 und 72 mit 73/89, letzteres veröffentlicht in BFH/NV 1992, 567, dort m.N.), daß der Steuerpflichtige die Feststellungslast trägt, wenn er sich darauf beruft, daß die Verbleibensvoraussetzung der Kraftfahrzeugsteuerbefreiung nicht entfallen sei. Dies bezog sich jedoch auf Fälle, in denen sich aufgrund nachträglicher Auswertung der Kontrollbücher ergab, daß eine Vewendung der Anhänger im begünstigten Berlin-Verkehr nicht oder nicht in dem erforderlichen Umfang erfolgt war (was die Verpflichtung zu einer Anzeige und die Anlaufhemmung ausgelöst hätte), und auf hiergegen gerichtete Einwendungen der Steuerpflichtigen, die Verbleibensvoraussetzung sei aus besonderen Gründen, zumindest nach ihrer (der Steuerpflichtigen) Einschätzung, doch gegeben gewesen. In solchen Fällen ist es nach dem Grundsatz der ,,Beweisnähe" gerechtfertigt, die Feststellungs- und Beweislast dem Steuerpflichtigen aufzubürden, der in seinem Verantwortungsbereich begründete besondere, vor allem betrieblich bedingte Umstände im Sinne einer zweckgerechten Verwendung geltend macht.
Der Streitfall liegt indessen anders. Hier fehlt es an Anhaltspunkten für die Annahme einer steuerschädlichen Verwendung. Die Klägerin hat nicht nur hinsichtlich einzelner Anhänger (im Verwaltungsverfahren), sondern im Einspruchs- und Klageverfahren hinsichtlich aller Fahrzeuge behauptet, diese seien im Sinne der Steuerbefreiung eingesetzt gewesen. Dieser Behauptung vermochte das FA verständlicherweise nichts entgegenzusetzen. Es vertritt lediglich - im Ergebnis - die Auffassung, schon die abstrakte Möglichkeit einer Nichterfüllung der Anzeigepflicht mache die Klägerin beweispflichtig. Dieser Ansicht, die praktisch darauf hinausläuft, daß in Fällen dieser Art allgemein von einer um drei Jahre verlängerten Festsetzungsfrist auszugehen wäre, kann nicht gefolgt werden. Insoweit gilt vielmehr der Grundsatz, daß die Finanzbehörde die Feststellungslast für alle Tatsachen trägt, die vorliegen müssen, um einen Steueranspruch geltend machen zu können (z.B. Senat, Urteil vom 15. Juli 1986 VII R 145/85, BFHE 147, 208, 210, BStBl II 1986, 857). Hierzu gehören auch die Umstände, die eine Anzeigeverpflichtung und eine daraus folgende Anlaufhemmung, praktisch die Verlängerung der Festsetzungsfrist, begründen. In dieser Lage wirkt as ,,non liquet" zu Lasten der Finanzbehörde.
Die Regelung in § 1 Abs. 2 Satz 2 DVO kann zu keinem anderen Ergebnis führen. Sie ermöglicht die Neufestsetzung der Kraftfahrzeugsteuer bei nachträglicher Feststellung des Nichtvorliegens der Befreiungsvoraussetzungen nur innerhalb noch offener Frist (ggf. unter Berücksichtigung von § 170 Abs. 2 Nr.1 AO 1977), nicht aber nach Eintritt der Verjährung, von dem hier auszugehen ist.
Nicht stichhaltig ist die Erwägung der Revision, die Klägerin dürfe nicht besser gestellt werden als Fahrzeughalter, die auf Grund der Auswertung vorgelegter Kontrollbücher beweispflichtig sind (vgl. BFH/ NV 1992, 567). Fehlt es an Anhaltspunkten für eine steuerschädliche Verwendung, und sei es auch nur infolge Nichtvorlage der Bücher, so ist die Frage der Feststellungs- und Beweislast, wie ausgeführt, anders zu beurteilen.
Eine durch die Klägerin erfolgte Beweisvereitelung ist nicht festgestellt worden. Über die mit ihr verbundenen Folgen braucht nicht entschieden zu werden. Dasselbe gilt hinsichtlich der Frage, ob die Klägerin sich innerhalb noch offener - allgemeiner - Festsetzungsfrist mit Erfolg auf einen unverschuldeten Verlust der Kontrollbücher hätte berufen können (vgl. insoweit § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO, § 162 Abs. 2 Satz 2 AO 1977).
Fundstellen
Haufe-Index 418987 |
BFH/NV 1993, 691 |