Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifierung von Handtaschen
Leitsatz (NV)
1. Zur Tarifierung von Handtaschen aus kunststoffbeschichtetem Gewebe bzw. Gewirke (Außenseite Kunststoffschicht).
2. Eine mit Kunststoff beschichtete Außenseite (1.) ist keine ,,Außenseite aus Kunststoffolien".
Normenkette
KN Unterpos. 4202 2900; KN Unterpos. 4202 2210; KN Unterpos. 4202 12
Tatbestand
Die beklagte Oberfinanzdirektion (OFD) erteilte der Klägerin zwei verbindliche Zolltarifauskünfte (vZTA) über ,,Herrentaschen" und ,,Handtaschen", nach den Warenbeschreibungen mit Außenseite aus (Zell-)Kunststoffolien (mit Unterseite aus Spinnstoffgewebe bzw. -gewirke), unter Zuweisung der Waren zu der Unterposition 4202 2210 der Kombinierten Nomenklatur (KN) - Handtaschen mit Außenseite aus Kunststoffolien -. Die Klägerin berief sich in ihren Einsprüchen auf den Prüfungsbericht des Prüf- und Forschungsinstituts für die Schuhherstellung in P, in dem die Außenseiten der Taschen als aus ,,Kunstleder" - weder Kunststoffolie noch Spinnstoff - bestehend bezeichnet wurden. Die OFD wies die Einsprüche mit der Begründung zurück, die Taschen beständen aus einem Verbundmaterial aus kunststoffbeschichtetem Gewebe bzw. Gewirke; die - äußeren - Kunststoffschichten, entstanden durch vollständiges Überziehen oder Überstreichen des textilen Materials mit Kunststoff, bildeten folienartige Lagen und seien als Kunststoffolien anzusprechen (Einspruchsentscheidung vom 23. Juli 1990).
Mit der Klage wird vorgetragen, das Verbundmaterial sei als einheitliches Ganzes zu beurteilen, das wegen seiner Dicke nicht als Folie angesehen werden könne (,,Kunstleder"). Eine folienartige Lage, nämlich die Beschichtung des Trägermaterials, stelle keine Kunststoffolie dar.
Die OFD bezieht sich für ihre Tarifauffassung auf eine - entsprechende - Auslegung des Begriffs ,,Folien aus Zellkunststoff" i. S. von Anm. 2 a Nr. 5 zu Kapitel 59 KN.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Die Taschen sind innerhalb der Position 4202 nicht in die Unterposition 4202 2210, sondern, auf das als Verpflichtungsantrag zu verstehende Feststellungsbegehren der Klägerin, in die Unterposition 4202 2900 einzureihen. Ihre Außenseite besteht nicht aus Kunststoffolien (oder Spinnstoffen), sie sind vielmehr ,,andere" Handtaschen.
Die Waren bestehen aus kunststoffbeschichtetem Gewebe / Gewirke (Spinnstoff). Sie fallen nach ihrer Beschaffenheit und ihrem Verwendungszweck unter die Position 4202 (vgl. Erläuterungen zu dieser Position, Harmonisiertes System - ErlHS - Rz. 04.0; Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften - EuGH -, Urteil vom 19. Mai 1983 Rs. 192/82, EuGHE 1983, 1769, 1779, Absatz 12 der Urteilsgründe). Ihre Außenseite bildet die Beschichtung mit Kunststoff. Bei dieser Beschaffenheit liegt eine Außenseite aus Spinnstoffen (Unterposition 4202 2290) nicht vor. Die Außenseite besteht aber auch nicht aus Kunststoffolien. Der Auffassung der OFD, eine durch Bestreichen oder Überziehen mit Kunststoff entstandene ,,folienartige Lage" sei gleichfalls als Kunststofffolie anzusprechen, ist nicht zu folgen. Kunststoffolien sind eigenständige, als solche schnittfähige Flächenerzeugnisse aus Kunststoff in bestimmter Form (vgl. Anm. 10 zu Kap. 39; ErlHS zu Kapitel 39 Rz. 49.0, 50.0). Diese Begriffsbestimmung ist auch hier zugrunde zu legen. Es kann nicht davon ausgegangen werden, daß der Begriff ,,Kunststoffolien" i. S. von Unterposition 4202 2210 in einem anderen - weiteren - Sinne zu verstehen ist. Ob das im Falle der Anm. 2 a Nr. 5 zu Kapitel 59 KN, d. h. bei der u. a. für Zellkunststoffolien in Verbindung mit Geweben zu treffenden Abgrenzung zwischen Position 5903 und dem Kapitel 39 in Betracht kommt, ist unerheblich. Selbst wenn dies anzunehmen wäre, so ließe sich daraus nichts für die von der OFD auch zu Position 4202 vertretene Auslegung herleiten. Abgesehen davon, daß innerhalb des Zolltarifs Analogieschlüsse grundsätzlich nicht zulässig sind (Senat, Urteile vom 6. November 1990 VII R 38/87, BFHE 162, 524 vom 21. August 1990 VII K 16-26/89, BFH/NV 1991, 422, und vom 27. Juni 1989 VII K 10/88, BFH/NV 1990, 467), ergibt sich auch aus dem Aufbau der Position 4202, daß im Hinblick auf die Außenseite zwischen ,,Kunststoff" als Oberbegriff und ,,Kunststoffolien" als Unterbegriff zu unterscheiden ist (vgl. Unterposition 4202 12). Diese Unterscheidung muß bei der Auslegung der Unterposition 4202 2210 beachtet werden. Kunststoff (in Form der äußeren Beschichtung eines die Innenseite bildenden Gewebes oder Gewirkes) ist auch in diesem Zusammenhang etwas anderes als eine Kunststoffolie. Dies gilt selbst dann, wenn die Beschichtung ,,folienartig" sein sollte. Auch ein derart beschichtetes Gewebe weist außen keine Folie auf.
Für die Richtigkeit dieses Ergebnisses - Außenseite nicht aus Kunststoffolien - sprechen auch die Erläuterungen zum früheren Gemeinsamen Zolltarif. Nach ihnen (zu Tarifnr. 42.02 Teil II Rz. 3) waren Reiseartikel - z. B. Reisetaschen -
aus kunststoffüberzogenen Geweben (Similileder) ,,andere", nämlich nicht aus Kunststoffolien bestehende Erzeugnisse (Tarifst. 42.02 B). Auch wenn darin unmittelbar noch keine Aussage über die Beschaffenheit der (damals noch nicht tarifierungserheblichen) Außenseite liegt, so deutet der Erläuterungswortlaut doch darauf hin, daß ein bloßer Kunststoffüberzug nicht als Verbindung des Gewebes mit Kunststoffolien gewertet wurde. Anderenfalls hätte es, da Reiseartikel aus Kunststoffolien in Tarifst. 42.02 A ausdrücklich aufgeführt waren, nahegelegen, Gewebe mit Kunststoffolien ,,einschließlich kunststoffüberzogener Gewebe" anzusprechen.
Da die Erzeugnisse hiernach als ,,andere" Handtaschen einzureihen sind, ist die OFD unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide antragsgemäß zu verpflichten.
An der Tarifierung bestehen, vor allem wegen der der Position 4202 selbst zu entnehmenden Unterscheidung zwischen Kunststoff und Kunststoffolien, keine Zweifel. Die Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH, wie sie die Klägerin angeregt hat, ist somit nicht veranlaßt (EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 Rs. 283/81, EuGHE 1982, 3415, 3430; Senat, Urteil vom 23. Oktober 1985 VII R 107/81, BFHE 145, 266, 270).
Fundstellen
Haufe-Index 417644 |
BFH/NV 1991, 783 |