Entscheidungsstichwort (Thema)
Verhältnis von einstweiliger Anordnung zu Aussetzung der Vollziehung; Nichtigkeit eines Steuerbescheids
Leitsatz (NV)
1. Einem Antrag auf einstweilige Anordnung fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, wenn vorläufiger Rechtsschutz nach § 69 FGO möglich ist.
2. Die Feststellung der Nichtigkeit eines Steuerbescheids steht einer Aufhebung des Verwaltungsakts i.S. des § 257 Abs. 1 Nr.2 AO 1977 gleich.
Normenkette
AO § 257 Abs. 1 Nr. 2; FGO §§ 69, 114 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
1. Die Geschäftsanteile der Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) wurden am 14. Dezember 1988 an den Steuerberater (S) abgetreten. Dieser bestellte sich am gleichen Tage in notariell beurkundeter Erklärung zum Geschäftsführer und änderte die Firma in ,,S und Partner Steuerberatungsgesellschaft mit beschränkter Haftung". Am 30. Januar 1989 beschloß die Gesellschafterversammlung, die Firma nochmals in ,,S Steuerberatungsgesellschaft mit beschränkter Haftung" zu ändern. Der Beschluß wurde notariell beurkundet.
Im August 1990 unterrichtete das Finanzamt (FA) den Antragsgegner und Beschwerdegegner (das FA), daß die Antragstellerin Inventar veräußert habe. Der Geschäftsführer gab jedoch hierzu noch zur Anfrage, ob die Änderung des Firmennamens rechtswirksam sei, eine Stellungnahme ab. Darauf änderte das FA am 18. Januar 1991 bzw. 6. Februar 1991 den Körperschaftsteuer-, den Umsatzsteuer- und den Gewerbesteuermeßbescheid 1988 und erließ erstmals einen Körperschaftsteuer-, einen Umsatzsteuer- und einen Gewerbesteuermeßbescheid für 1989. Alle Bescheide waren gerichtet an:
Herrn Dipl.-Kfm. S (voller Name und Adresse), als Empfangsbevollmächtigter für Firma X-GmbH, (volle Adresse).
Am 17. Mai 1991 erhob die Antragstellerin, vertreten durch ihren Geschäftsführer S beim Finanzgericht (FG) Feststellungsklage mit dem Ziel, die Nichtigkeit der Bescheide feststellen zu lassen. Zur Begründung führte sie aus, daß die Steuerbescheide nicht erkennen ließen, wer der Steuerschuldner, wer der Adressat und wer der Empfänger sein solle. Sie sei unter der Firma X-GmbH im Handelsregister von Z eingetragen. Die beabsichtigte Umwandlung in eine Steuerberatungsgesellschaft sei bisher nicht erfolgt. Der ehemalige Geschäftsführer habe die Antragstellerin am 31. Januar 1989 gewerberechtlich abgemeldet.
Über die Klage ist noch nicht entschieden.
Die Antragstellerin legte ferner Einspruch gegen die Steuerbescheide ein. Auch über diese Rechtsbehelfe ist noch nicht entschieden.
Am 9. September 1991 beantragte die Antragstellerin, wiederum vertreten durch ihren Geschäftsführer S, beim FG den Erlaß einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, dem FA Vollstreckungsmaßnahmen aufgrund der Steuerbescheide zu untersagen. Durch die Vollstreckung drohe der Antragstellerin ernsthafter Schaden. Sollten Vollstreckungsmaßnahmen in Höhe von rund 150000 DM nicht aufgehoben werden, müsse die Antragstellerin Konkurs anmelden.
2. Das FG wies den Antrag als unbegründet ab, da die Antragstellerin die Nichtigkeit der umstrittenen Steuerbescheide nicht glaubhaft gemacht habe.
3. Die Antragstellerin hat gegen den Beschluß des FG fristgerecht Beschwerde eingelegt.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig, jedoch nicht begründet. Sie war deshalb zurückzuweisen.
1. Der Antrag der Antragstellerin auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung und die dagegen erhobene Beschwerde sind statthaft.
Das FG kann unter den Voraussetzungen des § 114 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) in bezug auf den Streitgegenstand einstweilige Anordnungen treffen. Durch einstweilige Anordnung kann grundsätzlich auch Vollstreckungsaufschub angeordnet werden (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 22.September 1971 I B 26/71, BFHE 103, 390, BStBl II 1972, 83; vom 17. April 1989 VII B 226/88, BFH/NV 1990, 687). § 114 Abs. 5 FGO steht der Statthaftigkeit im Streitfall nicht entgegen. Einem Antrag auf einstweilige Anordnung fehlt zwar das Rechtsschutzbedürfnis, wenn vorläufiger Rechtsschutz nach § 69 FGO möglich ist (§ 114 Abs. 5 FGO; BFH-Beschlüsse vom 11.Januar 1984 II B 35/83, BFHE 139, 508, BStBl II 1984, 210; vom 19. April 1988 VII B 167/87, BFH/NV 1989, 36). Diese Möglichkeit besteht jedoch im Streitfall nicht. Die Antragstellerin hat im Hauptverfahren Klage auf Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts erhoben. Eine Aussetzung der Vollziehung ist im Hinblick auf dieses Klageziel begrifflich nicht denkbar (BFH-Beschluß vom 1. Oktober 1981 IV B 13/81, BFHE 134, 223, BStBl II 1982, 133).
Es kann dahinstehen, ob der Antrag der Antragstellerin auch insoweit zulässig war, als sie beantragte, dem FA Vollstreckungsmaßnahmen aus den Gewerbesteuermeßbescheiden zu untersagen. Auf der Grundlage dieser Bescheide konnte das FA keine Vollstreckungsmaßnahmen anordnen. Aus den unter Abschnitt 2 genannten Gründen entsprach die Entscheidung des FG jedoch in jedem Fall der Rechtslage.
2. Die Beschwerde der Antragstellerin ist unbegründet.
Das FG hat den Erlaß einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt.
a) Eine einstweilige Anordnung setzt voraus, daß der Antragsteller eine Rechtsposition innehat, die einstweilige Maßnahmen rechtfertigt (Anordnungsanspruch), und daß die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung des Anordnungsanspruchs vereitelt oder erschwert wird - Antragsgrund - (§ 114 Abs. 3 FGO i.V.m. § 920 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung - ZPO -; Gräber/ Koch, Finanzgerichtsordnung, § 114 Rz.35).
b) Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch weder dargelegt noch glaubhaft gemacht (vgl. § 114 Abs. 3 FGO i.V.m. § 920 Abs. 1 und 2 ZPO). Ein Anordnungsanspruch bestünde, wenn die Antragstellerin schlüssig dargelegt hätte, daß ihr Vollstreckungsmaßnahmen aus einem nichtigen Steuerbescheid drohen. Nach § 257 Abs. 1 Nr.2 der Abgabenordnung (AO 1977) ist die Vollstreckung einzustellen, wenn der Verwaltungsakt, aus dem vollstreckt wird, aufgehoben wird. Die von der Antragstellerin beantragte Feststellung der Nichtigkeit ist einer Aufhebung des Verwaltungsakts i.S. des § 257 Abs. 1 Nr.2 AO 1977 gleichzustellen (vgl. Szymczak in Koch, Abgabenordnung, Kommentar, 3. Aufl., § 257 Rz.3).
c) Die Darlegungen der Antragstellerin ergeben jedoch keine Nichtigkeit der Steuerbescheide.
aa) Die Bescheide sind auch auf der Grundlage des Sachvortrags der Klägerin inhaltlich hinreichend bestimmt. Insbesondere ist aus den Bescheiden klar zu entnehmen, wem gegenüber der Einzelfall geregelt werden sollte (sog. ,,Inhaltsadressat"; vgl. BFH-Urteil vom 25. September 1990 IX R 84/88, BFHE 162, 4, BStBl II 1991, 120). Die Bescheide sind adressiert an den Geschäftsführer der Antragstellerin mit dem Zusatz: ,,als Empfangsbevollmächtigter für Fa. X-GmbH (+ volle Adresse)." Dieser Zusatz läßt klar erkennen, daß es sich um Steuerbescheide gegen die X-GmbH und nicht gegen S handelte.
Fraglich könnte sein, ob die Bezeichnung: ,,als Empfangsbevollmächtigter" schädlich ist, da S als Geschäftsführer der Antragstellerin deren gesetzlicher Vertreter ist. Das ist jedoch zu verneinen. Auch wenn die Bezeichnung nur einen Teil der Funktionen des S abdeckt, kann sich die Antragstellerin darauf nicht berufen. Sie würde sich sonst in Widerspruch zu ihrem eigenen vorangegangenen Verhalten setzen. Der Geschäftsführer S der Antragstellerin hat in dem an das FA Z gerichteten Schreiben vom 26. Juli 1990 ausdrücklich darum gebeten, künftig als Empfangsbevollmächtigter der Antragstellerin angeschrieben zu werden. Wenn die Antragstellerin nunmehr die Auffassung vertritt, daß die Bescheide nicht an S als ,,Empfangsbevollmächtigter" der Antragstellerin hätten gerichtet werden dürfen, setzt sie sich in Widerspruch zu den Angaben ihres Organs, auf die das FA sein Verhalten eingerichtet hat (vgl. BFH-Urteil vom 10. November 1987 VII R 171/84, BFHE 151, 123, BStBl II1988, 41).
bb) Die Bescheide sind auch wirksam bekanntgegeben worden. Die Antragstellerin bestreitet nicht, daß die Bescheide ihrem Geschäftsführer S bekanntgegeben wurden. Die an juristische Personen gerichteten Steuerbescheide (Verwaltungsakte) sind grundsätzlich dem gesetzlichen Vertreter (Organ) bekanntzugeben (BFH-Beschluß vom 7. August 1970 VI R 24/67, BFHE 100, 71, BStBl II 1970, 814). Sie können auch einem Bevollmächtigten bekanntgegeben werden (§ 122 Abs. 1 Satz 2 AO 1977).
S erfüllte beide Voraussetzungen, da er als Geschäftsführer gesetzlicher Vertreter der Antragstellerin ist. Er war nach seinen eigenen Angaben gegenüber dem FA im Schreiben vom 26. Juli 1990 auch Empfangsbevollmächtigter.
3. Für den BFH bestand keine Veranlassung, die Akten des Steuerstrafverfahrens beizuziehen. Auf den im Steuerstrafverfahren zu klärenden Sachverhalt kommt es nicht an. Wenn - entsprechend dem Vortrag der Antragstellerin - die vom FA den Steuerbescheiden zugrunde gelegten Veräußerungsgeschäfte nicht von der Antragstellerin, sondern von einem Dritten getätigt wurden, so handelt es sich um Einwendungen gegen die materielle Richtigkeit der Steuerbescheide. Derartige Einwendungen können nur durch Anfechtungsklage, nicht aber durch eine Feststellungsklage geltend gemacht werden. Soweit jedoch Anfechtungsklage zu erheben ist, kann vorläufiger Rechtsschutz nur durch Aussetzung der Vollziehung (§ 69 FGO) gewährt werden. Insoweit wäre ein Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung nicht statthaft. Der Antrag müßte als unzulässig verworfen werden.
Im übrigen ist im Verfahren gemäß § 114 FGO die Beiziehung anderer Akten als der Akten des FA und des FG grundsätzlich ausgeschlossen, da die Entscheidung allein aufgrund präsenter Beweismittel ergeht (§§ 114 Abs. 3 FGO, 920, 294 Abs. 2 ZPO; vgl. auch Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 114 FGO Tz.41).
Fundstellen