Leitsatz (amtlich)
Für ein Gebäude, das außer zwei Wohnungen, die zu Wohnzwecken benutzt werden, eine dritte Wohnung enthält, in der eine Zahnarztpraxis betrieben wird, können die erhöhten Absetzungen nach § 54 EStG nicht gewährt werden.
Normenkette
EStG § 54
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Steuerpflichtige) ist selbständiger Zahnarzt. Er errichtete in den Jahren 1963 und 1964 ein Gebäude mit zwei Vollgeschossen und einem ausgebauten Dachgeschoß. Im Erdgeschoß befindet sich die Praxis des Steuerpflichtigen mit 101 qm Nutzfläche, im Obergeschoß die von der Familie des Steuerpflichtigen benutzte Wohnung mit 104 qm und im Dachgeschoß eine Wohnung mit 73,5 qm Wohnfläche; sie wird von der Schwester des Steuerpflichtigen bewohnt.
Die vom Steuerpflichtigen für das Streitjahr 1964 beantragte erhöhte Absetzung nach § 54 EStG lehnte der Beklagte und Revisionskläger (FA) ab. Der Einspruch blieb erfolglos.
Die Klage hatte Erfolg. Das FG führte aus, das FA habe das vom Steuerpflichtigen errichtete Gebäude zu Unrecht nicht als Eigenheim im Sinn des § 54 EStG behandelt. Hierfür sei die Begriffsbestimmung des § 9 II. WoBauG maßgebend. Diese Vorschrift enthalte aber nichts über die hier bedeutsame Frage, ob ein Eigenheim außer zwei Wohnungen auch noch andere als Wohnzwecken (z. B. gewerblichen oder beruflichen Zwecken) dienende Räume haben dürfe und in welchem Umfang. Zu beachten sei die in engem Zusammenhang mit § 9 des II. WoBauG stehende Vorschrift des § 7 Abs. 2 des II. WoBauG, die den Begriff des Familienheims umschreibe. Ein Familienheim verliere nach § 7 Abs. 2 des II. WoBauG seine Eigenschaft nicht, wenn weniger als die Hälfte der Wohn- und Nutzfläche des Gebäudes anderen als Wohnzwecken, insbesondere gewerblichen oder beruflichen Zwecken diene. Wenn danach für ein Familienheim eine teilweise gewerbliche oder berufliche Nutzung unschädlich sei, so müsse das auch für ein Eigenheim überhaupt gelten. Bei der Frage der Anwendung des § 54 EStG komme noch hinzu, daß dort, wie der Steuerpflichtige mit Recht hervorhebe, der Umfang der Wohnzwecken dienenden Nutzung keineswegs auf 100 v. H., sondern lediglich auf mehr als 66 2/3 v. H. der gesamten Nutzfläche bestimmt sei. Daraus ergebe sich zwingend, daß eine nicht Wohnzwecken dienende Nutzung von weniger als 33 1/3 v. H. der Gewährung der Sonderabsetzung grundsätzlich nicht entgegenstehe. Zu beachten bleibe nur, daß der Begriff des Eigenheims in jedem Fall ein Wohngebäude voraussetze und auch der § 54 EStG gemäß seiner Überschrift eine "Sondervorschrift für Wohngebäude" darstelle. Im Streitfall handle es sich um ein Haus mit zwei Vollgeschossen und einem ausgebauten Dachgeschoß. Es stelle im Sinn der vorstehenden Darlegungen ein Wohngebäude dar. Es diene überwiegend - unstreitig zu mehr als 2/3 - Wohnzwecken. Auch nach dem äußeren Eindruck, der durch die mit den Bauplänen vorgelegten Ansichten vermittelt werde, sei es ein typisches Wohnhaus. Eine Gleichstellung des hier vorliegenden Hauses mit dem Gebäude, das im Fall des Urteils des BFH VI 201/65 U vom 20. Oktober 1965 (BFH 84, 51, BStBl III 1966, 18) zur Beurteilung gestanden habe, sei nicht möglich. In dem dort entschiedenen Fall habe das Haus nach außen hin den Eindruck eines typischen Geschäftshauses gemacht.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 54 EStG. Es sei dem FG nicht zu folgen, wenn es für die Abgrenzung der schädlichen von der unschädlichen beruflichen Nutzung auf den Begriff des Familienheims abstelle. Das streitige Gebäude umfasse drei Wohneinheiten, von denen die Wohneinheit im Erdgeschoß jedoch nicht vermietet sei, sondern vom Steuerpflichtigen für berufliche Zwecke genutzt werde. Dabei seien wegen der Einrichtung der Zahnarztpraxis keine besonderen Maßnahmen und Ausbauten an dem Gebäude erforderlich gewesen. Es sei nach Auffassung des FA mit der den § 7b EStG einschränkenden Absicht des § 54 EStG nicht zu vereinbaren, für derartige Gebäude die erhöhten Absetzungen dann zu gewähren, wenn anstelle einer dritten Wohnung gewerblich oder beruflich genutzte Räume geschaffen würden.
Das FA beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
Der Steuerpflichtige beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Der dem Verfahren gemäß § 122 Abs. 2 FGO beigetretene BdF hat ausgeführt: Maßgebend sei § 9 Abs. 2 des II. WoBauG. Bei der Entscheidung darüber, ob das Gebäude des Steuerpflichtigen als Eigenheim anzusehen sei, müßten zwei Fragen unterschieden werden, die völlig unabhängig voneinander zu beantworten seien. Die erste Frage sei, welche absolute Größe ein Eigenheim haben könne. Die zweite Frage gehe dahin, inwieweit die gewerbliche oder berufliche Nutzung eines Gebäudes für die Anerkennung als Eigenheim schädlich sei. § 9 Abs. 1 des II. WoBauG bestimme hinsichtlich der Größe eines Eigenheims, daß das Gebäude nicht mehr als zwei Wohnungen enthalten dürfe. Der Gesetzgeber habe hiermit eine klare und eindeutige Aussage getroffen. Eine Auslegung des Gesetzes dahin, daß zu diesen nach § 9 Abs. 1 des II. WoBauG zulässigen zwei Wohnungen noch eine dritte Wohnung hinzutreten dürfe, vorausgesetzt nur, daß sie nicht zu Wohnzwecken benutzt werde und das Gebäude seinen Charakter als Wohngebäude behalte, würde somit gegen den eindeutigen Gesetzeswortlaut verstoßen. Sie wäre außerdem nicht mit der den § 7b EStG a. F. einschränkenden Absicht des § 54 EStG zu vereinbaren. Wenn danach schon vom Wortlaut und Sinn des § 9 Abs. 1 des II. WoBauG her eine erweiternde Auslegung dieser Vorschrift nicht möglich sei, so lasse sich dies erst recht nicht aus § 7 Abs. 2 Satz 2 des II. WoBauG rechtfertigen. Diese Vorschrift enthalte lediglich eine Regelung darüber, welchen Einfluß die gewerbliche oder berufliche Nutzung eines Gebäudes auf den Begriff des Familienheims bzw. des Eigenheims habe. Über die zulässige Größe eines Eigenheims besage sie nichts. Da im Streitfall das Haus des Steuerpflichtigen den Umfang von zwei Wohnungen überschreite, könne es schon aus diesem Grund nicht als Eigenheim angesehen werden.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.
Die erhöhten Absetzungen nach § 54 EStG werden u. a. für Eigenheime gewährt. Der Begriff des Eigenheims findet sich in § 9 Abs. 1 des II. WoBauG. Die Begriffsbestimmung ist nach § 100 des II. WoBauG auch im Rahmen anderer Gesetze maßgebend, sofern in ihnen nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist. Das EStG enthält keinen eigenen Begriff des Eigenheims; für ihn ist deshalb § 9 Abs. 1 des II. WoBauG maßgebend. Danach ist ein Eigenheim ein im Eigentum einer natürlichen Person stehendes Wohngebäude, das nicht mehr als zwei Wohnungen enthält, von denen eine Wohnung zum Bewohnen durch den Eigentümer oder seine Angehörigen bestimmt ist.
Die Anwendung des § 54 EStG setzt also zunächst voraus, daß es sich um ein Wohngebäude handelt. Der Begriff des Wohngebäudes ergibt sich weder aus § 54 EStG noch aus dem Wohnungsbaurecht. Er kann dem Urteil des BGH V ZR 157/54 vom 2. Mai 1956 (DB 1956, 568) entnommen werden. Danach wird allgemein unter einem "Wohngebäude" auch ein Gebäude verstanden, das einzelne Räume für gewerbliche Zwecke enthält, im übrigen aber für den dauernden Aufenthalt von Menschen geeignet und bestimmt ist. Nach dem Sprachgebrauch hebt somit der Einbau einzelner Läden den Begriff des "Wohnhauses" nicht auf. Maßgebend dafür, ob ein Gebäude trotz Vorhandenseins gewerblich oder beruflich genutzter Räume noch als Eigenheim angesehen werden kann, ist letzten Endes die Verkehrsauffassung. Nach der Verkehrsauffassung muß der Wohnzweck im Vordergrund stehen (Fischer-Dieskau, Zweites Wohnungsbaugesetz, § 9 Anm. 1). Es muß sich um ein Gebäude handeln, das nach seinem äußeren Erscheinungsbild und seinem ganzen Charakter als Wohngebäude anzusprechen ist. Es darf durch die Nutzung eines Teils der Räume der gesamte Charakter des Gebäudes als Wohngebäude nicht in Frage gestellt werden.
Nach dieser Umschreibung kann das Gebäude im Streitfall als Wohngebäude angesehen werden. Trotz der Zahnarztpraxis im Erdgeschoß ist es nach seinem äßeren Erscheinungsbild und seinem ganzen Charakter als Wohngebäude anzusehen.
Handelt es sich hiernach im Streitfall zwar um ein Wohngebäude, so handelt es sich dennoch nicht um ein Eigenheim im Sinn des § 9 Abs. 1 des II. WoBauG. Die Voraussetzung, daß das Gebäude nicht mehr als zwei Wohnungen enthält, ist nicht erfüllt. Zwar wohnen tatsächlich nur zwei Parteien in dem Haus; es ist aber eine weitere Wohnung vorhanden, die jedoch nicht zum Wohnen verwendet wird, sondern die Zahnarztpraxis des Steuerpflichtigen aufgenommen hat. Das Gebäude enthält also mehr als zwei Wohnungen, wenngleich eine dieser Wohnungen durch die Verwendung als Praxisräume zweckentfremdet ist. Ein solches Gebäude ist kein Eigenheim im Sinn des § 54 EStG mehr. Eine andere Auslegung würde zu dem sachfremden Ergebnis führen, daß ein Gebäude, das drei Wohnungen enthält, die zu Wohnzwecken benutzt werden, nicht als Eigenheim anzusehen ist, während, wenn in demselben Gebäude eine Wohnung für gewerbliche oder berufliche Zwecke genutzt wird, der Eigentümer in den Genuß der Vorteile des § 54 EStG gelangen würde. Ein sachlicher Grund, der eine derartige unterschiedliche Behandlung rechtfertigen würde, ist nicht ersichtlich; sie dürfte auch nicht im Sinn des Gesetzgebers liegen.
Dieser Auslegung steht nicht entgegen, daß ein Gebäude seine Eigenschaft als Eigenheim nicht ohne weiteres verliert, wenn es nicht in vollem Umfang zu Wohnzwecken genutzt wird. Nach § 7 Abs. 2 Satz 2 des II. WobauG verliert ein Familienheim seine Eigenschaft nicht, wenn weniger als die Hälfte der Wohn- und Nutzfläche des Gebäudes anderen als Wohnzwecken, insbesondere gewerblichen oder beruflichen Zwecken dient. Diese Begriffsbestimmung ist nach § 100 des II. WoBauG auch im Rahmen anderer Gesetze maßgebend, sofern in ihnen nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist. Das ist aber in § 54 EStG geschehen. Die zusätzlichen Absetzungen werden nach dieser Vorschrift bei solchen Eigenheimen gewährt, die zu mehr als 66 2/3 v. H. Wohnzwecken dienen. Eine sich in diesem Rahmen haltende gewerbliche oder berufliche Nutzung ist unschädlich. Das trifft aber nur dann zu, wenn dadurch der Charakter des Gebäudes als "Eigenheim" nicht verlorengeht. Geben Art und Ausmaß der gewerblichen Nutzung dem Gebäude den Charakter eines Geschäftshauses, wie das im Fall des Urteils VI 201/65 U (a. a. O.) zutraf, so entfällt die Anwendung des § 54 EStG von vornherein. Es handelt sich dann nicht mehr um ein Wohngebäude, wie oben ausgeführt wurde. Das gleiche Ergebnis tritt aber ein, wenn neben zwei vollwertigen Wohnungen oder einer vollwertigen Wohnung und einer Einliegerwohnung gewerbliche oder beruflich genutzte Räume vorhanden sind, die den Umfang einer weiteren Wohnung einnehmen, die also, würde sie nicht für gewerbliche oder berufliche Zwecke genutzt, eine dritte Wohnung darstellen würde.
Fundstellen
Haufe-Index 69467 |
BStBl II 1971, 490 |
BFHE 1971, 63 |