Leitsatz (amtlich)
Ist nach Zurückverweisung der Sache an das FG im zweiten Rechtsgang weder mündlich verhandelt noch auf mündliche Verhandlung verzichtet noch ein Vorbescheid erlassen worden, so kann der Kläger seine Klage auch dann ohne Zustimmung des Beklagten zurücknehmen, wenn im ersten Rechtsgang auf mündliche Verhandlung verzichtet worden war.
Normenkette
FGO § 72 Abs. 1
Tatbestand
Im ersten Rechtsgang hatte der BFH die Sache an das FG zurückverwiesen zur Prüfung, ob und in welcher Höhe eine von der Klägerin (KG) gezahlte Abfindung von 220 000 DM als Anschaffungskosten für einen Anspruch auf Wettbewerbsunterlassung zu behandeln war. KG und Beklagter (FA) einigten sich dahin, daß das Wettbewerbsverbot mit 75 000 DM angesetzt und in zwei Jahren abgeschrieben werde. Anschließend nahm die KG ihre Klage ohne Einwilligung des FA zurück. Zu entscheiden ist, ob diese Klagerücknahme möglich war.
Das FA hält die Klagerücknahme ohne seine Einwilligung nicht für möglich, weil die KG im ersten finanzgerichtlichen Verfahren und im Revisionsverfahren auf mündliche Verhandlung verzichtet hatte und § 72 FGO das Gesamtverfahren betreffe. Die KG könne nicht besser gestellt werden als ein Kläger, der im Revisionsverfahren nach Verzicht auf mündliche Verhandlung die Klage nur mit Einwilligung des FA zurücknehmen könne.
Das FG erkannte: "Die Klage ist zurückgenommen. Das Verfahren wird eingestellt." Es führte zur Begründung aus, die Klagerücknahme sei ohne Einwilligung des FA zulässig, weil im zweiten Rechtsgang weder mündlich verhandelt noch auf mündliche Verhandlung verzichtet noch ein Vorbescheid erlassen worden sei. Der Verzicht auf mündliche Verhandlung im ersten Rechtsgang beziehe sich nur auf die jeweilige Instanz und nicht auf das Verfahren in seiner Gesamtheit.
Die Revision des FA wird im wesentlichen wie folgt begründet. Die streitigen Steuerbeträge - 19 000 DM und 51 000 DM - seien von der Rechtshängigkeit (Januar 1966) bis zum Tage der Bezahlung (Juni 1971) ausgesetzt gewesen, so daß zusammen 22 500 DM Aussetzungszinsen aufgelaufen seien. Das Rechtsschutzinteresse des FA ergebe sich, weil bei Rücknahme der Klage nach § 112 FGO Aussetzungszinsen nicht zu zahlen seien. Zwar beziehe sich der Verzicht auf mündliche Verhandlung nach § 90 Abs. 2 FGO nur auf die jeweilige Instanz. Die sich aus dem Verzicht ergebenden Folgen beträfen aber das Verfahren in seiner Gesamtheit. Auch im Schrifttum (Gräber, Deutsches Steuerrecht 1967 S. 177) werde die Auffassung vertreten, daß in der Revisionsinstanz die Einwilligung des Gegners zur Klagerücknahme immer erforderlich sei. Das werde auch durch das BFH-Urteil VI R 184/68 vom 5. März 1971 (BFH 101, 483, BStBl II 1971, 461) bestätigt. Bei Zurückverweisung könne nichts anderes gelten. Das Verfahren im zweiten Rechtsgang sei nicht durch einen völligen Neubeginn des Rechtsstreits gekennzeichnet, sondern durch die Ergänzung des bereits fortgeschrittenen Prozesses. Da in dem als Einheit anzusehenden Verfahren bereits zweimal auf mündliche Verhandlung verzichtet worden sei, könne die Klagerücknahme ohne Einwilligung des FA nicht wirksam sein.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die KG beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist nicht begründet.
Das FG hat mit Recht die Rücknahme der Klage ohne Einwilligung des FA für möglich gehalten. Nach § 72 Abs. 1 Satz 2 FGO ist die Rücknahme nur mit Einwilligung des Beklagten möglich in den drei Fällen: nach Schluß der mündlichen Verhandlung, bei Verzicht auf die mündliche Verhandlung und nach Ergehen eines Vorbescheids. Keiner dieser Fälle ist hier gegeben. Die Tatsache, daß bereits im ersten Rechtszuge im Verfahren vor dem FG und im Revisionsverfahren auf mündliche Verhandlung verzichtet worden war, macht das finanzgerichtliche Verfahren im zweiten Rechtsgang noch nicht zu einem Verfahren "bei Verzicht auf die mündliche Verhandlung". Die früheren Verzichtserklärungen wirkten nicht für das erneute Verfahren vor dem FG nach der Zurückverweisung. Wollten die Beteiligten das Verfahren auch im zweiten Rechtsgang in das fortgeschrittene Stadium eines nicht mehr mündlichen Verfahrens, bei dem die Klagerücknahme nur mit Einwilligung des Beklagten möglich würde, versetzen, bedurfte es eines neuen Verzichts auf mündliche Verhandlung. Insofern, nämlich hinsichtlich der Notwendigkeit eines erneuten Verzichts auf mündliche Verhandlung, war das Verfahren durch die Zurückverweisung an das FG entgegen der Auffassung des FA doch durch einen Neubeginn des Rechtsstreits gekennzeichnet, ohne Rücksicht darauf, daß der Streitstoff des Prozesses durch die den ersten Rechtsgang beendende Entscheidung des Revisionsgerichts mit der Folge der Bindung des FG in bestimmten Fragen (§ 126 Abs. 5 FGO) bereits eingeengt ist.
Zu Unrecht verweist das FA auf Änderungen des Schrifttums, wonach in der Revisionsinstanz in jedem Fall eine Klagerücknahme nur mit Einwilligung des Gegners möglich sei. Ist ein Urteil der ersten Instanz vorhanden und damit das Verfahren in einem Stadium, das die Einwilligung des Gegners zur Klagerücknahme erforderlich macht, so wird gleichwohl später nach der Zurückverweisung wiederum ein Stadium des Verfahrens erreicht, bei dem das erstinstanzliche Urteil aufgehoben, ein Verzicht auf mündliche Verhandlung erneut erforderlich und die Klagerücknahme demgemäß ohne Einwilligung des Gegners möglich ist. Der Hinweis auf das BFH-Urteil VI R 184/68 führt zu keinem anderen Ergebnis. Dort ging es um eine Klagerücknahme nach Einlegung der Revision durch das FA, aber vor einer etwaigen Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils, so daß mit Recht die Einwilligung des FA verlangt wurde.
Gegen die Entscheidung des FG läßt sich schließlich auch nichts aus der Gegenüberstellung der Regelung in § 72 Abs. 1 Satz 2 FGO mit der in § 141 Satz 2 FGO entnehmen. Nach § 141 Satz 2 FGO ermäßigt sich die Gebühr auf die Hälfte nur, wenn der Rechtsbehelf zurückgenommen wird, bevor ein Vorbescheid ergangen, mit der Erörterung der Streitsache in mündlicher Verhandlung begonnen worden oder eine den Rechtsstreit beendende Entscheidung ergangen ist. Da es hier darum geht, das Mehr oder Weniger an bereits eingetretenen Belastungen des Gerichts abzudecken, muß es sinnvoll erscheinen, hier die volle Gebühr bereits mit Beginn der Erörterung in mündlicher Verhandlung als entstanden zu betrachten, auch wenn das daraufhin ergangene Urteil später aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen wird. Die Forderung des FA, bei mehreren Rechtsgängen auf das Gesamtverfahren abzustellen, ist bei der Auslegung des § 141 Satz 2 FGO am Platze, nicht aber bei § 72 Abs. 1 Satz 2 FGO.
Fundstellen
Haufe-Index 413229 |
BStBl II 1972, 625 |
BFHE 1972, 447 |