Zufluss nicht ausgezahlter Tantiemen

Tantiemeforderungen, die in den festgestellten Jahresabschlüssen nicht ausgewiesen sind, fließen dem beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer nicht zu, auch wenn eine dahingehende Verbindlichkeit nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung in den (festgestellten) Jahresabschlüssen hätte gebildet werden müssen.

Hintergrund: Gesetzliche Regelungen

Tantiemen gehören zum steuerpflichtigen Arbeitslohn (§ 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG). Ihre Besteuerung setzt allerdings voraus, dass sie als sonstiger Bezug dem Arbeitnehmer nach § 11 Abs. 1 Satz 4, § 38a Abs. 1 Satz 3 EStG zugeflossen sind.

Sachverhalt: Tantieme weder ausgezahlt noch in Jahresabschluss erfasst

Der Kläger ist alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der GmbH. Nach § 3 des Geschäftsführervertrags erhält er für seine Tätigkeit ein monatliches Bruttogehalt. Des Weiteren ist ihm darin eine Tantieme i. H. v. 20 % des Jahresgewinns zugesagt, die einen Monat nach Feststellung des Jahresabschlusses durch die Gesellschafterversammlung zu zahlen und der Höhe nach auf maximal 30 % der Festvergütung begrenzt ist.

Die vereinbarten Tantiemen wurden dem Kläger in den Streitjahren (2015 bis 2017) weder ausgezahlt noch hat die GmbH in den Jahresabschlüssen entsprechende Passivposten gebildet.

In den Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre gab der Kläger Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit ohne Tantiemen an. Das Finanzamt (FA) veranlagte ihn zunächst erklärungsgemäß.

Im Anschluss an eine Lohnsteuer-Außenprüfung bei der GmbH ging das FA davon aus, dass auch die nicht ausgezahlten Tantiemen jeweils in der vereinbarten Höhe von 20 % des Gewinns des Vorjahres vom Kläger als Arbeitslohn zu versteuern seien, und änderte die Einkommensteuerfestsetzungen für die Streitjähre insoweit als es den Arbeitslohn des Klägers in den Jahren 2015 bis 2017 erhöhte. Denn bei einem Gesellschafter-Geschäftsführer gälten Tantiemen zum Zeitpunkt der Bilanzerstellung als zugeflossen. Ob sie tatsächlich ausgezahlt worden seien, sei unerheblich, da es der Gesellschafter-Geschäftsführer selbst in der Hand habe, sich die Tantiemen auszahlen zu lassen.

FG gibt Klage statt

Der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage gab das FG statt. Vereinbarte, aber nicht ausgezahlte Tantiemen flössen auch einem beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer nicht zu, wenn bei der Gesellschaft keine entsprechende Verbindlichkeit passiviert worden sei und sich die Tantiemen deshalb weder in den Streitjahren noch in späteren Zeiträumen mindernd auf das Einkommen der Gesellschaft ausgewirkt hätten.

Entscheidung: Revision des FA begründet

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung. Der Senat kann auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des FG nicht beurteilen, ob die dem Kläger nicht ausgezahlten Tantiemen in den Streitjahren als Einnahmen aus nichtselbständiger Tätigkeit anzusetzen sind.

Zeitpunkt des Zuflusses von Einnahmen

Nach ständiger Rechtsprechung trete der Zufluss mit der Erlangung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht ein. Das sei i. d. R. der Zeitpunkt des Eintritts des Leistungserfolgs. Geldbeträge flössen danach zu, wenn sie dem Empfänger bar ausbezahlt oder einem Konto des Empfängers bei einem Kreditinstitut gutgeschrieben würden.

Der BFH gehe zudem in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass bei beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführern ein Zufluss von Einnahmen auch ohne Zahlung oder Gutschrift vorliegen könne. Danach flössen dem alleinigen oder jedenfalls beherrschenden Gesellschafter eine eindeutige und unbestrittene Forderung gegen „seine“ Kapitalgesellschaft bereits mit deren Fälligkeit zu. Denn ein beherrschender Gesellschafter habe es regelmäßig in der Hand, sich geschuldete Beträge auszahlen zu lassen, wenn der Anspruch eindeutig, unbestritten und fällig sei. Allerdings würden von dieser Zuflussfiktion nur Gehaltsbeträge und sonstige Vergütungen erfasst, die die Kapitalgesellschaft den sie beherrschenden Gesellschaftern schulde und die sich bei der Ermittlung des Einkommens der Kapitalgesellschaft ausgewirkt hätten. Fällig werde der Anspruch auf Tantiemen erst mit der Feststellung des Jahresabschlusses, sofern die Vertragsparteien nicht zivilrechtlich wirksam und fremdüblich eine andere Fälligkeit im Anstellungsvertrag vereinbarten.

Zufluss bei Verzicht und verdeckter Einlage

Überdies könne der Verzicht des Gesellschafters auf seinen Vergütungsanspruch zum Zufluss des Forderungswerts führen, soweit mit ihm eine verdeckte Einlage erbracht werde.

Eine verdeckte Einlage liege nach ständiger Rechtsprechung des BFH vor, wenn ein Gesellschafter oder eine ihm nahestehende Person der Gesellschaft einen einlagefähigen Vermögensvorteil zuwende, ohne dass der Gesellschafter hierfür neue Gesellschaftsanteile erhalte, und wenn diese Zuwendung ihre Ursache im Gesellschaftsverhältnis habe. Letztere Voraussetzung sei gegeben, wenn ein Nichtgesellschafter der Gesellschaft den Vermögensvorteil bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht eingeräumt hätte.

Als verdeckte Einlage seien nur Wirtschaftsgüter geeignet, die das Vermögen der Kapitalgesellschaft vermehrt hätten, sei es durch den Ansatz oder die Erhöhung eines Aktivpostens, sei es durch den Wegfall oder die Verminderung eines Passivpostens. Ob als Voraussetzung für eine verdeckte Einlage das Vermögen der Kapitalgesellschaft durch den Ansatz oder die Erhöhung eines Aktivpostens oder durch den Wegfall oder die Verminderung eines Passivpostens vermehrt sei, bestimme sich nach Bilanzrecht. Insofern sei maßgeblich, inwieweit Bilanzposten in eine Bilanz hätten eingestellt werden müssen, die zum Zeitpunkt des Verzichts erstellt worden wäre.

Keine Fälligkeit der Tantiemeforderungen

Die GmbH habe die Tantiemeforderungen des Klägers in ihren Jahresabschlüssen nicht als Verbindlichkeit abgebildet. Diese Jahresabschlüsse habe die Gesellschafterversammlung der GmbH entsprechend (unverändert) festgestellt. Folglich seien die streitigen Tantiemeansprüche nicht fällig. Ob die dahingehenden Verbindlichkeiten nach den Grundsätzen der ordnungsgemäßen Buchführung hätten passiviert werden müssen, sei insoweit unerheblich. Denn ein dahingehender Pflichtenverstoß könne die Fälligkeit einer im festgestellten Jahresabschluss nicht enthaltenen Tantiemeforderung nicht begründen. Deshalb sei insoweit auch ohne Bedeutung, ob die fehlende Passivierung einer Verbindlichkeit einem Buchungsfehler geschuldet sei, oder ob eine Bilanzierung aus anderen Gründen von vornherein nicht in Betracht komme, etwa weil die Tantiemezusage vor der Entstehung der darin vereinbarten Tantiemeansprüche einvernehmlich aufgehoben worden sei.

FG hat noch Feststellungen wegen möglicher verdeckter Einlage zu treffen

Die Feststellungen des FG reichten allerdings nicht aus, um entscheiden zu können, ob dem Kläger die Forderungswerte der Tantiemeansprüche zugeflossen seien, weil er durch einen Verzicht auf seine Tantiemeansprüche eine verdeckte Einlage in die GmbH erbracht habe.

Es fehle vorliegend an Feststellungen des FG, warum die Tantiemen nicht ausgezahlt bzw. entsprechende Forderungen des Klägers nicht als Verbindlichkeiten passiviert worden seien. Zwar lasse sich den Akten entnehmen, dass die Nichterfassung einer Verbindlichkeit in den Jahresabschlüssen (auch) darauf gründe, dass dem Steuerberater der GmbH der entsprechende Geschäftsführervertrag nicht vorgelegen und er deshalb – auch im Rahmen der Bilanzbesprechung mit dem Kläger – keine Kenntnis von den Tantiemeansprüchen gehabt habe. Weshalb die GmbH die dem Kläger vertraglich zugesagten Tantiemen in den Streitjahren nicht ausgezahlt habe, erkläre sich daraus jedoch nicht.

Insbesondere sei aus den Akten nicht zu erkennen, ob der Kläger einvernehmlich mit der GmbH die Tantiemezusage vor der Entstehung der Tantiemeansprüche zum jeweiligen Jahresende aufgehoben habe, oder ob der Kläger auf die bereits entstandenen Tantiemeansprüche verzichtet habe. Nur in letzterem Fall wäre eine verdeckte Einlage der Forderungswerte der Tantiemeansprüche in die GmbH zu bejahen.

Der Umstand, dass (Gehalts )Ansprüche dem Arbeitnehmer über mehrere Jahre hinweg unverändert weder ausbezahlt noch in der Gewinnermittlung der GmbH als Aufwand erfasst worden seien, könne zwar für eine konkludente Aufhebung der Ansprüche – hier der Tantiemen – sprechen und damit gegen eine den Zufluss begründende verdeckte Einlage streiten. Zwingend sei dies jedoch nicht. Vielmehr sei entscheidend, ob das Verhalten der Beteiligten als ein dahingehendes planvolles Vorgehen zu würdigen sei. Denn nur dann lasse sich die widerspruchslose Fortsetzung der Tätigkeit durch den Arbeitnehmer als Annahme der Vertragsänderung nach einem Änderungsangebot des Arbeitgebers nach §§ 133, 157 BGB ansehen.

Andernfalls – bei einem Verzicht auf bereits entstandene Tantiemeansprüche – hätte die GmbH zunächst jeweils Verbindlichkeiten passivieren müssen. Verzichte der Geschäftsführer auf einen solchen bereits entstandenen Anspruch aus gesellschaftsrechtlichen Gründen, erbringe er insoweit, als seine Forderung im Zeitpunkt des Verzichts werthaltig sei, eine bei ihm zum Zufluss (§ 11 Abs. 1 EStG) führende verdeckte Einlage in die Kapitalgesellschaft. Dies gelte auch dann, wenn die Gehaltsverbindlichkeit nicht passiviert worden sei. Denn insoweit sei nach ständiger Rechtsprechung des BFH maßgeblich, inwieweit Bilanzposten in eine Bilanz hätten eingestellt werden müssen, die zum Zeitpunkt des Verzichts erstellt worden wäre.

Das FG wird im zweiten Rechtsgang festzustellen haben, ob und falls ja, wann der Kläger auf die in dem Geschäftsführervertrag vereinbarten Tantiemeansprüche gegenüber der GmbH verzichtet habe.

Hinweis: BMF anderer Auffassung

Der BFH folgt mit seiner Entscheidung nicht der Verwaltungsauffassung (vgl. BMF, Schreiben vom 12.5.2014, BStBl 2014 I S. 860). Die Verwaltung geht zwar – ebenso wie der BFH – davon aus, dass dem beherrschenden Gesellschafter eine eindeutige und unbestrittene Forderung gegen „seine“ Kapitalgesellschaft bereits mit deren Fälligkeit zufließe. Ob sich der Vorgang in der Bilanz der Kapitalgesellschaft tatsächlich gewinnmindernd ausgewirkt habe, etwa durch die Bildung einer Verbindlichkeit, sei allerdings für die Anwendung dieser sog. Zuflussfiktion – nach Meinung der Verwaltung – unerheblich, sofern eine solche Verbindlichkeit nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung hätte gebildet werden müssen.

BFH, Urteil v. 5.6.2024, VI R 20/22; veröffentlicht am 4.7.2024

Alle am 4.7.2024 veröffentlichten Entscheidungen des BFH mit Kurzkommentierungen