Entscheidungsstichwort (Thema)
Gemeinschaftliches Versandverfahren; Entstehung der Zollschuld; Inanspruchnahme des Hauptverpflichteten
Leitsatz (NV)
1. Wird eine zum gemeinschaftlichen Versandverfahren abgefertigte Ware unmittelbar an den Empfänger ausgeliefert, ohne daß sie der Bestimmungszollstelle gestellt wird, so entsteht die Zollschuld jedenfalls durch Entziehung aus der zollamtlichen Überwachung.
2. Zu den Personen, die in einem solchen Fall zur Erfüllung der Zollschuld verpflichtet sind.
3. Zu den Fragen, ob eine Inanspruchnahme des Hauptverpflichteten als Zollschuldner gegen den Grundsatz von Treu und Glauben bzw. des Vertrauensschutzes verstößt und ob sie ermessensfehlerhaft ist.
Normenkette
EWGV 222/77 Art. 13 Buchst. a; EWGV 2144/87 Art. 2 Abs. 1 Buchst. c; EWGV 1031/88 Art. 4 Abs. 1-2, Art. 10 Buchst. a; ZG § 57 Abs. 2 S. 2; UStG § 21 Abs. 2
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ließ im Juni 1992 als Hauptverpflichtete glasierte Fliesen bei einem italienischen Zollamt auf Versandschein T 2 zum gemeinschaftlichen Versandverfahren nach Deutschland abfertigen. Die Fliesen wurden von der Spedition B von Italien zu der in Deutschland ansässigen X-KG (KG) befördert. Auf eine Suchanzeige des italienischen Zollamts stellte der Beklagte und Revisionskläger (das Hauptzollamt -- HZA --) fest, daß die Fliesen ohne vorherige Gestellung bei einer Bestimmungszollstelle an die KG ausgeliefert worden sind. Daraufhin nahm das HZA mit Steuerbescheid vom Dezember 1993 die Spedition B als Bevollmächtigte der KG auf Zahlung von ... DM Einfuhrumsatzsteuer in Anspruch. Wie sich später anläßlich einer Vollstreckungsmaßnahme herausstellte, hat die KG diesen Betrag auf eine Speditionsrechnung vom ... Dezember 1993 an die Spedition B überwiesen. Nachdem ein Antrag der Spedition B auf Eröffnung des Konkursverfahrens über ihr Vermögen mangels einer die Kosten des Verfahrens deckenden Masse abgelehnt worden war, nahm das HZA mit Steuerbescheid vom ... 1995 die Klägerin als Hauptverpflichtete auf Zahlung der Einfuhrumsatzsteuer in Höhe von ... DM in Anspruch. Der gegen den Steuerbescheid gerichtete Einspruch hatte keinen Erfolg.
Auf die von der Klägerin erhobene Klage hob das Finanzgericht (FG) die Verwaltungsentscheidungen auf. Es urteilte, die Einfuhrumsatzsteuerschuld sei spätestens mit Ablauf der Gestellungsfrist durch Entziehung der Fliesen aus der zollamtlichen Überwachung gemäß Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung (EWG) Nr. 2144/87 des Rates vom 13. Juli 1987 -- Zollschuld VO -- (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften -- ABlEG -- Nr. L 201/15) entstanden. Gesamtschuldner der Einfuhrumsatzsteuer seien zum einen die Klägerin als Hauptverpflichtete nach Art. 4 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1031/88 des Rates vom 18. April 1988 -- Zollschuldner-VO -- (ABlEG Nr. L 102/5) i. V. m. §21 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG), zum anderen die Spedition B gemäß Art. 4 Abs. 1 Zollschuldner-VO i. V. m. §21 Abs. 2 UStG, weil sie das zu gestellende Zollgut durch die Nichtgestellung der zollamtlichen Überwachung entzogen habe, und schließlich die KG als Empfängerin des Zollgutes gemäß Art. 4 Unterabs. 2 Buchst. a Zollschuldner-VO i. V. m. §57 Abs. 2 des Zollgesetzes (ZG). Obgleich die Klägerin zusammen mit den anderen Beteiligten gesamtschuldnerisch hafte, stünden ihrer Inanspruchnahme die Grundsätze von Treu und Glauben entgegen. Da es das HZA entgegen dem Erlaß des Bundesfinanzministeriums vom 8. Mai 1989 III B 1 -- Z 0909 -- 2/89 (veröffentlicht in der Vorschriftensammlung der Bundesfinanzverwaltung -- VSF -- Nachrichten N 28 89 Nr. 186 vom 22. Mai 1989) i. V. m. der Dienstanweisung in VSF Z 35 10 Abs. 63 unterlassen habe, die Steuerforderung rechtzeitig gegenüber der Spedition B -- vor Eröffnung des Konkursverfahrens -- und gegenüber der KG -- vor Ablauf der Nacherhebungsfrist -- geltend zu machen, sei es nunmehr treuwidrig, die Klägerin als die einzige an der Entstehung der Steuerschuld Unbeteiligte in Anbetracht des Fehlverhaltens der Spedition und der KG auf Zahlung der Einfuhrumsatzsteuer in Anspruch zu nehmen.
Mit seiner vom FG zugelassenen Revision rügt das HZA die Verletzung von Bundesrecht. Es ist der Auffassung, im Streitfall sei weder die Spedition B noch die KG Abgabenschuldner geworden. Entgegen der Ansicht des FG hätte die KG die Zollguteigenschaft im Zeitpunkt der Warenanlieferung nicht kennen können. Nach den Vereinbarungen des Warenempfängers mit dem Warenbeförderer habe letzterer die Waren erst nach Abfertigung zum freien Verkehr ausliefern dürfen. Es entspreche den Geschäftsgewohnheiten in der Gemeinschaft, die Verzollungsunterlagen erst zu einem späteren Zeitpunkt zu übergeben. Die Spedition B habe deshalb nicht Abgabenschuldnerin werden können, weil ihr weder Pflichten nach dem Versandrecht oblagen noch sie einen Tatbestand i. S. des §57 Abs. 2 Satz 2 ZG i. V. m. Art. 10 Buchst. a Zollschuldner-VO erfüllt habe. Auch eine Zollschuldentstehung nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. c Zollschuld-VO scheide aus, da der Tatbestand des Buchst. d bereits durch die Pflichtverletzung der Klägerin als Hauptverpflichtete verwirklicht worden sei. Auch für den Fall, daß der Bundesfinanzhof (BFH) entgegen dieser Ansicht von mehreren Gesamtschuldnern ausgehe, begegne die Inanspruchnahme der Klägerin keinen rechtlichen Bedenken. Das erstinstanzliche Urteil weiche nämlich von der Entscheidung des Senats vom 29. Januar 1985 VII R 115/82 (BFHE 143, 187) ab. Dort habe der Senat die Haftung des Hauptverpflichteten, der grundsätzlich auch ohne eigenes Verschulden hafte, aufgrund der besonderen Garantenstellung als Haftung eigener Art angesehen. Dieser Umstand berechtige die Finanzbehörde, in erster Linie den Hauptverpflichteten unabhängig davon in Anspruch zu nehmen, ob weitere Abgabenschuldner existierten. Schließlich seien die vom FG zur Entscheidungsfindung herangezogenen Dienstanweisungen als interne Verwaltungsregelungen anzusehen, von denen im Einzelfall auch abgewichen werden könne, ohne daß dies zur Rechtswidrigkeit des Abgabenbescheides führe.
Das HZA beantragt, die erstinstanzliche Entscheidung aufzuheben und die Klage als unbegründet abzuweisen; hilfsweise die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuweisen.
Die Klägerin hat keinen Antrag gestellt und sich zur Sache auch nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
Die Revision des HZA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Die Inanspruchnahme der Klägerin als Hauptverpflichtete verstößt im Streitfall nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben.
1. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Einfuhrumsatzsteuerschuld nicht nur in der Person der Klägerin entstanden. Wie das FG zu Recht entschieden hat, sind neben der Klägerin auch die mit der Beförderung des Zollgutes beauftragte Spedition B und die KG als Empfängerin des Zollgutes Abgabenschuldner geworden.
a) Als Hauptverpflichtete des von ihr beantragten gemeinschaftlichen Versandverfahrens oblag es der Klägerin, das Versandgut gemäß Art. 13 Buchst. a der Verordnung (EWG) Nr. 222/77 des Rates vom 13. Dezember 1976 -- Versand-VO -- (ABlEG Nr. L 38/1) der Bestimmungszollstelle innerhalb der hierfür festgelegten Frist zu gestellen. Nach den vom FG getroffenen und den Senat mangels rechtzeitig erhobener bzw. durchgreifender Verfahrensrügen gemäß §118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen hat die mit dem Transport beauftragte Spedition B das Versandgut ohne die zur ordnungsgemäßen Verfahrensbeendigung erforderliche Gestellung an die von der Klägerin als Empfängerin bestimmte KG ausgeliefert. Mit der Übergabe der Fliesen an die KG wurde dieser die Möglichkeit verschafft, durch Verarbeitung oder direkten Weiterverkauf über das Zollgut frei zu verfügen. Auch eine nachträgliche Gestellung des Zollguts ist nicht erfolgt, so daß die Auslieferung im Ergebnis dazu geführt hat, daß die Bestimmungszollstelle die vollständige oder unveränderte Gestellung nicht mehr überprüfen konnte. Wie das FG zutreffend erkannt hat, ist das Zollgut in einem solchen Fall durch die Nichtgestellung zugleich der zollamtlichen Überwachung entzogen worden, so daß die Klägerin jedenfalls nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. c Zollschuld-VO i. V. m. Art. 4 Abs. 2 Zollschuldner-VO, §21 Abs. 2 UStG Schuldnerin der auf den eingeführten Fliesen ruhenden Einfuhrumsatzsteuer geworden ist (vgl. Senatsurteil vom 13. August 1985 VII R 93/81, BFHE 144, 311; Senatsbeschluß vom 13. März 1997 VII R 65/96, Zeitschrift für Zölle + Verbrauchsteuern -- ZfZ -- 1997, 236; Entstehung nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. c oder d Zollschuld-VO dahingestellt gelassen im Senatsurteil vom 16. Juli 1996 VII R 97/94, BFH/NV 1997, 79). Daneben ist die Spedition B nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. c Zollschuld-VO i. V. m. Art. 4 Abs. 1 Satz 1 Zollschuldner-VO, §21 Abs. 2 UStG Abgabenschuldner geworden, da sie das Zollgut nicht gestellt und durch die Auslieferung an die KG bewirkt hat, daß die einfuhrumsatzsteuerpflichtigen Waren der zollamtlichen Überwachung entzogen worden sind.
b) Entgegen der Ansicht des HZA ist auch die KG in ihrer Eigenschaft als Empfängerin des Zollgutes nach Art. 10 Buchst. a Zollschuldner-VO i. V. m. §57 Abs. 2 Satz 2 ZG (vgl. zu den Rechtsgrundlagen Hohrmann in Bail/Schädel/Hutter, Kommentar Zollrecht, §41 ZG, B/41 Rdnr. 87 a) und §21 Abs. 2 UStG Schuldnerin der Einfuhrumsatzsteuer geworden, denn sie hätte zumindest wissen müssen, daß es sich bei den angelieferten Fliesen um Zollgut handelte. Nach der Rechtsprechung des Senats ist bei der Frage, ob der Erwerber der Ware um die Zollguteigenschaft hätte wissen müssen, auf die individuellen Verhältnisse, d. h. die einzelnen Umstände des Falles und die persönlichen Kenntnisse und Fähigkeiten des Betreffenden abzustellen (Senatsurteil vom 13. März 1973 VII R 40/70, BFHE 109, 397). Im Streitfall hat das FG festgestellt, daß der KG -- die nach dem Vorbringen des HZA die Spedition B mit der Abfertigung der eingeführten Ware zum freien Verkehr beauftragt hatte -- bei der Auslieferung der Fliesen weder eine Zollquittung noch eine Speditionsabrechnung vorgelegt worden ist. Ein Ausweis der angeblich verauslagten Einfuhrumsatzsteuer in einer Speditionsabrechnung erfolgte erst eineinhalb Jahre nach Ablauf der im Versandschein gesetzten Geltungsfrist. In Ansehung dieser Umstände begegnet die Schlußfolgerung des FG keinen Bedenken, die KG hätte an der zollamtlichen Abfertigung der Fliesen zum freien Verkehr Zweifel haben und wissen müssen, daß es sich nicht um abgefertigte Ware handelte. Gegen die vom FG getroffenen Feststellungen hat das HZA Verfahrensrügen nicht erhoben. Bei dem nicht näher substantiierten Vorbringen, der Warenbeförderer hätte die Waren vereinbarungsgemäß erst nach ihrer Abfertigung zum freien Verkehr ausliefern dürfen, und daß es den Geschäftsgewohnheiten in der Europäischen Union entspreche, die Verzollungsunterlagen erst zu einem späteren Zeitpunkt zu übergeben, handelt es sich um neuen Tatsachenvortrag, der im Revisionsverfahren nicht mehr berücksichtigt werden kann.
2. Entgegen der Rechtsauffassung des FG verstößt die Inanspruchnahme der Klägerin als Hauptverpflichtete nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben.
a) Im Streitfall kann offen bleiben, ob auch im Falle der nach §21 Abs. 2 UStG nur sinngemäßen Anwendung von Gemeinschaftsrecht (vgl. zum Begriff der "sinngemäßen" Anwendung Senatsurteil vom 12. September 1989 VII R 24/87, BFHE 158, 185, 187, m. w. N.) oder bei der Auswahl zwischen mehreren in Betracht kommenden Gesamtschuldnern die Gewährung von Vertrauensschutz nach den hierzu im Gemeinschaftsrecht entwickelten Grundsätzen oder nach den innerstaatlichen Grundsätzen von Treu und Glauben zu beurteilen ist. Denn jedenfalls fehlt es im Streitfall bereits an einer besonderen Vertrauenslage, die sowohl nach dem Gemeinschaftsrecht (vgl. Borchardt in Lenz, Kommentar zum EG-Vertrag, Art. 164 Rdnr. 55) als auch nach dem nationalen Recht (vgl. Senatsurteil vom 5. Februar 1980 VII R 101/77, BFHE 130, 90, m. w. N.) unabdingbare Voraussetzung für die Gewährung von Vertrauensschutz ist.
b) Im Streitfall konnte und durfte die Klägerin nicht darauf vertrauen, daß das HZA die Spedition B und die KG als weitere Gesamtschuldner vorrangig in Anspruch nehmen werde und daß sie trotz ihrer Stellung als Hauptverpflichtete auf Dauer von einer Inanspruchnahme verschont bliebe. Nach der Rechtsprechung des Senats kommt dem Hauptverpflichteten aufgrund der ihm in Art. 13 Versand-VO auferlegten Pflichten eine besondere Garantenstellung im Hinblick auf die ordnungsgemäße Durchführung des gemeinschaftlichen Versandverfahrens zu. In der Entscheidung in BFHE 143, 187, die vor Inkrafttreten der Zollschuldner-VO ergangen ist, hat der Senat diese Garantenstellung aus den Pflichten nach Art. 13 Versand-VO abgeleitet, die darin bestehen, daß der Hauptverpflichtete die Vorschriften über das gemeinschaftliche Versandverfahren und über den Versand in den bei der Beförderung berührten Mitgliedstaaten einzuhalten und daß er die Waren innerhalb der vorgeschriebenen Frist unverändert der Bestimmungszollstelle zu gestellen hat. Aufgrund dieser Garantenstellung hat grundsätzlich der Hauptverpflichtete dafür einzustehen, daß das Versandverfahren ordnungsgemäß beendet wird. Infolgedessen kann er grundsätzlich auch nicht darauf vertrauen, von einer Inanspruchnahme verschont zu werden (Senatsurteil in BFHE 143, 187, 189, und Senatsurteil vom 5. März 1985 VII R 13/82, BFH/NV 1986, 73). Diese Grundsätze gelten erst recht nach der neuen Rechtslage, nach der der Hauptverpflichtete nicht mehr als Haftungsschuldner, sondern gemäß Art. 4 Abs. 2 Zollschuldner-VO als Zollschuldner für die geschuldeten Abgaben einzustehen hat (vgl. BFH-Beschluß in ZfZ 1997, 236). Nach wie vor ist das besondere Verhältnis zwischen dem Hauptverpflichteten und der Zollbehörde dadurch gekennzeichnet, daß ihm die unter zollamtlicher Überwachung stehenden Waren zur Beförderung anvertraut werden und er als Gegenleistung die Verantwortung für die ordnungsgemäße Durchführung des Versandverfahrens -- einschließlich des damit verbundenen Risikos, als Abgabenschuldner auch für fremdes Fehlverhalten einstehen zu müssen, -- übernimmt.
c) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze läßt die Entscheidung des HZA, den Steueranspruch gegenüber der Klägerin erst nach Ablauf von nahezu drei Jahren nach dem Zeitpunkt der Entstehung der Einfuhrumsatzsteuerschuld geltend zu machen, weder einen Ermessensfehler durch Mißachtung der einschlägigen Dienstanweisungen noch einen Verstoß gegen Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes erkennen. Zu berücksichtigen ist, daß das HZA -- unter Beachtung der Dienstanweisung in VSF Z 35 10 Abs. 63 -- mit Steuerbescheid vom Dezember 1993 zunächst den Versuch unternommen hat, den Steueranspruch gegenüber der im Inland ansässigen Spedition B zu realisieren. Eine erfolgreiche Inanspruchnahme der Spedition B scheiterte jedoch an der unzureichenden Konkursmasse in dem im August 1994 gegenüber der Gesamtschuldnerin eingeleiteten Konkursverfahren. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz bestand für das HZA dagegen keine Verpflichtung, gegenüber der Spedition B zeitnahe Vollstreckungsmaßnahmen zu ergreifen. Wie sich aus den Verwaltungsanordnungen in VSF Z 35 10 Abs. 63 ergibt, sollen die entstandenen Abgaben von einem inländischen Abgabenpflichtigen nur dann angefordert werden, falls dieser zur Zahlung in der Lage ist. Dem Wortlaut der Verwaltungsvorschrift läßt sich indes nicht entnehmen, daß das HZA nach einer erfolglosen ersten Anforderung sämtliche zu Gebote stehenden Vollstreckungsmöglichkeiten ausschöpfen müßte und erst danach auf den Hauptverpflichteten zurückgreifen könnte. Der Sinn und Zweck der Regelung besteht nämlich darin, die Geltendmachung des Abgabenanspruchs durch Zugriff auf einen im Inland ansässigen Zollschuldner -- unter Vermeidung der oft schwierigeren Rechtsverfolgung im Ausland -- zu erleichtern. Diese Zielsetzung kann jedoch dann nicht mehr zum Tragen kommen, wenn die Durchsetzung einer Abgabenforderung im Inland die Einleitung von Vollstreckungsmaßnahmen erfordert, deren Erfolg in den meisten Fällen mit Unsicherheiten behaftet ist. Daher wird die Ansicht des FG weder dem Sinn und Zweck der Verwaltungsanweisung noch der besonderen Garantenstellung des Hauptverpflichteten gerecht.
d) Der Umstand, daß das HZA nicht zeitgleich mit der Übersendung des Steuerbescheides an die Spedition B auch die KG auf Zahlung der Einfuhrumsatzsteuer in Anspruch genommen hat, vermag den Rückgriff auf die Klägerin unter Vertrauensschutzgesichtspunkten nicht zu verwehren. Selbst wenn darin ein Abweichen von der durch VSF Z 35 10 Abs. 63 vorgezeichneten Reihenfolge bei der Inanspruchnahme verschiedener Gesamtschuldner gesehen werden könnte, führt der Verzicht auf die Geltendmachung der Abgabenforderung gegenüber der KG auch unter dem Gesichtspunkt der Selbstbindung der Verwaltung nicht dazu, daß die spätere Heranziehung der Klägerin in ihrer Eigenschaft als Hauptverpflichtete deren Vertrauen in einem Maße enttäuscht hätte, daß sie mit dem allgemeinen Rechtsempfinden unvereinbar und daher rechtswidrig wäre.
Wie bereits aufgezeigt, dient die vorrangige Inanspruchnahme von im Inland ansässigen Zollschuldnern der Erleichterung der Durchsetzung des Abgabenanspruchs und damit auch der Minimierung des Verwaltungsaufwands. Die Regelung entfaltet jedoch keine Schutzwirkung zugunsten des im Ausland ansässigen Hauptverpflichteten in dem Sinne, daß dieser darauf vertrauen könnte, erst dann in Anspruch genommen zu werden, wenn es der Zollbehörde nachweislich nicht gelungen ist, die ausstehenden Abgabenforderungen bei sämtlichen als Gesamtschuldner in Betracht kommenden inländischen Abgabenpflichtigen zu realisieren. Wie der Senat vor Inkrafttreten der Zollschuldner-VO zu §41 Abs. 2 ZG mehrfach entschieden hat, ist es der Finanzbehörde aufgrund der besonderen Garantenstellung des Hauptverpflichteten zuzugestehen, in erster Linie den Hauptverpflichteten in Anspruch zu nehmen, so daß bei dieser Entscheidung im Regelfall nicht berücksichtigt zu werden braucht, ob auch andere Haftungsschuldner oder Zollschuldner in Anspruch zu nehmen sind (Senatsurteil in BFH/NV 1986, 73, m. w. N.). Für die rechtliche Beurteilung der Vorgehensweise des HZA ist im Streitfall auch von Bedeutung, daß die Geltendmachung der Steuerforderung gegenüber der KG letztendlich deshalb unterblieben ist, weil diese den Abgabenbetrag bereits an die Spedition B überwiesen hatte. Entgegen der Rechtsauffassung der Vorinstanz vermag das grundsätzlich anzuerkennende Bemühen um die Vermeidung einer doppelten Belastung eines neben dem Hauptverpflichteten haftenden Gesamtschuldners den Vorwurf eines treuwidrigen Verhaltens zu Lasten des Hauptverpflichteten nicht zu begründen.
Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte kann ein schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin auf das von der Vorinstanz geforderte und im Streitfall unterbliebene Tätigwerden der Finanzbehörde nicht anerkannt werden, so daß die Geltendmachung der Abgabenforderung gegenüber der Klägerin zu Recht erfolgt ist.
Fundstellen
Haufe-Index 67069 |
BFH/NV 1998, 1008 |
HFR 1998, 629 |