Leitsatz (amtlich)

Ermittlungen, die das Finanzamt vor der Veranlagung zur Feststellung des Steueranspruchs oder des Verpflichteten vornimmt, unterbrechen die Verjährung auch dann, wenn sie nicht zu einer Abweichung von der Steuererklärung führen.

 

Normenkette

AO § 147 Abs. 1

 

Tatbestand

Die Bfin., die im Jahre 1950 zur Abgabe der Einkommensteuererklärung aufgefordert worden war, wurde im Jahre 1951 nach ihrer im gleichen Jahr abgegebenen Erklärung für die Veranlagungszeiträume II/1948 und 1949 zunächst zu einer Einkommensteuer von insgesamt 10 990 DM veranlagt. Im Jahre 1957 wurde sie auf Grund einer im Dezember 1956 und im Januar 1957 durchgeführten Betriebsprüfung für die genannten Veranlagungszeiträume durch Berichtigungsbescheid gemäß § 222 Abs. 1 AO zu einer Mehrsteuer von insgesamt 8169 DM veranlagt.

Sie wendet sich gegen die Berichtigungsveranlagung lediglich mit dem Hinweis, daß der Steueranspruch für die Veranlagungszeiträume II/1948 und 1949 in Höhe der geltend gemachten Nachforderung von 8169 DM bereits mit Ablauf des Jahres 1955 durch Verjährung erloschen sei (§ 148 AO). Die Vorinstanzen sind dem nicht gefolgt und haben demgemäß den Einspruch bzw. die Berufung der Bfin. als unbegründet zurückgewiesen.

 

Entscheidungsgründe

Auch die Rb. kann keinen Erfolg haben.

Das Finanzamt hat vor der Einkommensteuerfestsetzung für II/1948 und 1949 mit Schreiben vom 11. April 1951 bei der Bfin. zu einer Reihe von Zweifelspunkten Rückfrage gehalten. Die Rückfrage betraf:

a) Maschinen

Entwicklung des Maschinenkontos zum 20. Juni 1948, 21. Juni 1948 und der Absetzung für Abnutzung zum 31. Dezember 1949;

b) Reisekosten

Aufgliederung und Erläuterung der für II/1948 und 1949 mit insgesamt 11 215,12 DM geltend gemachten Reisekosten;

c) Warenvorräte

Erläuterung der zum 21. Juni 1948 mit 34 031 DM angesetzten Warenvorräte;

d) Kapitalkonto

Erläuterung des zum 21. Juni 1948 mit 71 366,30 DM ausgewiesenen Kapitalkontos;

e) Kapitalanteile der Töchter der Bfin.

Erläuterung unter Vorlage der zwischen den Beteiligten getroffenen schriftlichen Vereinbarung (Töchter Mitunternehmer oder Bfin. Alleininhaberin?);

f) Verbindung der Geschäftsjahre II/1948 und 1949 nach Art. I der 26. Durchführungsverordnung zum Umstellungsgesetz.

Aufforderung zur Vorlage der Abschrift der Anzeige an das Registergericht.

Nach Beantwortung des Schreibens vom 11. April 1951 wurde die Bfin. nach ihrer Erklärung veranlagt.

Das Finanzgericht sieht in der Rückfrage des Finanzamts mit Recht eine Handlung im Sinne des § 147 Abs. 1 AO, durch die die Verjährung des Steueranspruchs im Jahre 1951 in voller Höhe unterbrochen und gemäß § 147 Abs. 3 AO eine neue, bis zum Ablauf des Jahres 1956 reichende Verjährungsfrist in Lauf gesetzt worden ist. Es stützt sich dabei auf das Urteil des Reichsfinanzhofs VI 162/41 vom 18. Juni 1941 (RStBl 1941 S. 457). In diesem Urteil hat der Reichsfinanzhof ausgeführt: "... Dagegen wird die Verjährung des Steueranspruchs in voller Höhe unterbrochen durch die Aufforderung zur Abgabe einer Steuererklärung (Urteil des Reichsfinanzhofs vom 21. März 1939, RStBl 1939 S. 650). Dasselbe gilt von Ermittlungen, zu denen auch Rückfragen gehören, die das zuständige Finanzamt vor der Veranlagung zur Feststellung des Steueranspruchs oder des Verpflichteten vornimmt (Urteil des Reichsfinanzhofs vom 30. November 1932, RStBl 1933 S. 7)." Der erkennende Senat hält an dieser Rechtsprechung fest. Er hat in seinem Urteil IV 108/59 U vom 19. November 1959 (BStBl 1960 III S. 30), auf das Bezug genommen wird, zu der Bedeutung derartiger Rückfragen als verjährungsunterbrechende Handlungen folgendes bemerkt: "Diese Maßnahmen sind Handlungen des Finanzamts im Sinne des § 147 Abs. 1 AO zur Feststellung des Anspruchs. Da sie im Veranlagungsverfahren nach ihrem objektiven Zweck der Vorbereitung der Steuerfestsetzung und damit der Verwirklichung des gesamten Steueranspruchs dienen, steht jede einzelne von ihnen auch in Beziehung zum gesamten Steueranspruch und nicht nur zu seinen einzelnen Grundlagen. Jede einzelne von ihnen unterbricht daher auch die Verjährung des Steueranspruchs in seiner Gesamtheit." Es kann mithin -- entgegen der auch im Schrifttum vertretenen abweichenden Auffassung (vgl. zum Beispiel Kühn, Kommentar zur Reichsabgabenordnung, § 147 Anm. 4) -- nicht anerkannt werden, daß die Ermittlungen des Finanzamts nur zu der von der Bfin. dargelegten Teilunterbrechung geführt haben. Da es für den Umfang der Unterbrechung allein auf den objektiven Zweck der Ermittlungshandlungen -- die Feststellung des Anspruchs in seiner tatsächlichen Höhe -- ankommt, kann auch nicht anerkannt werden, daß der Umfang der durch sie bewirkten Verjährungsunterbrechung durch die Höhe der nachfolgenden Steuerfestsetzung bestimmt wird. Unerheblich ist demnach auch, ob die Rückfrage des Finanzamts zu einer Abweichung von der Steuererklärung geführt hat, da es allein auf ihre Zweckbestimmung und nicht auf ihren Erfolg ankommt (Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 552/36 vom 17. Februar 1937, RStBl 1937 S. 387). Das Finanzgericht hat hierzu zutreffend ausgeführt, daß dem Gesetz für die gegenteilige Auffassung der Bfin. nichts zu entnehmen ist.

Da nach alledem der -- im übrigen unbestrittene -- Anspruch auf die vom Finanzamt nachgeforderte Einkommensteuer im Jahre 1956 noch nicht verjährt war und durch die im Dezember 1956 begonnene Betriebsprüfung eine erneute Unterbrechung der Verjährung im Sinne des § 147 Abs. 3 AO erfolgte, kann der Einwand der Verjährung nicht durchgreifen, so daß die Rechtsbeschwerde als unbegründet zurückzuweisen ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 409560

BStBl III 1960, 32

BFHE 1960, 87

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