Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Wirksamkeit einer Prüfungsanordnung
Leitsatz (NV)
Eine Prüfungsanordnung darf nach der handelsrechtlichen Vollbeendigung einer KG an diese gerichtet werden (Anschluß an BFH-Urteil vom 1. Oktober 1992 IV R 60/91, BFHE 169, 294, BStBl II 1993, 82). Eine vor der handelsrechtlichen Vollbeendigung der KG erlassene Prüfungsanordnung darf deshalb auch nach diesem Zeitpunkt vollzogen werden.
Normenkette
AO § 91 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) waren -- ebenso wie zahlreiche weitere natürliche Personen sowie mehrere Kapital- und Personenhandelsgesellschaften -- Kommanditisten einer KG. Persönlich haftende Gesellschafterin war eine GmbH.
Die KG wurde 1973 aufgelöst und ihre Firma nach Abschluß der Liquidation am 15. Januar 1976 im Handelsregister gelöscht. Die GmbH, der durch den Gesellschaftsvertrag die Liquidation der KG übertragen war, wurde nach Ablehnung eines Konkursantrags mangels Masse am 22. Juli 1978 im Handelsregister gelöscht.
Mit Verfügung vom 6. Juni 1973 ordnete der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) bei der KG für den Zeitraum 1969 bis 1971 eine steuerliche Betriebsprüfung an, die sich u. a. auf die Gewinnfeststellungen erstreckte. Die -- ohne weitere Zusätze -- an die KG adressierte Prüfungsanordnung wurde am 6. Juni 1973 zur Post gegeben.
Im Anschluß an die in der Zeit vom 10. März 1975 bis 3. November 1976 durchgeführte Betriebsprüfung ging das FA davon aus, daß die Buchführung der KG u. a. für die Jahre 1970 und 1971 nicht ordnungsgemäß gewesen sei. Die von einer Ordnungsmäßigkeit der Buchführung abhängigen Steuervergünstigungen seien für 1970 und 1971 zu versagen. Das FA erließ geänderte Gewinnfeststellungsbescheide für 1969 bis 1972, die nach den Vermerken in den Akten, soweit sie an die GmbH gerichtet sind, am 24. Oktober 1978 und, soweit sie an die Kommanditisten gerichtet sind, am 7. Februar 1979 zur Post gegeben worden sind. Während des Einspruchsverfahrens erließ das FA erneut gemäß § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderte Gewinnfeststellungsbescheide für 1969 bis 1972 (mit gleichem Inhalt), die wiederum an die GmbH und alle ehemaligen Kommanditisten der KG gerichtet waren; diese Bescheide sandte das FA am 8. April 1982 an alle Gesellschafter, die Einspruch eingelegt hatten, mit der Erläuterung, die Zustellung werde, da die vorausgegangene Zustellung fehlerhaft gewesen sei, jetzt wiederholt.
Die Einsprüche blieben ohne Erfolg.
Die Kläger begehrten mit ihren Klagen die Aufhebung der Gewinnfeststellungsbescheide 1970 und 1971. Sie führten aus: Die bei der Prüfung getroffenen Feststellungen seien unzutreffend. Die Prüfungsanordnung sei unwirksam, da die KG bei Erlaß der Prüfungsanordnung bereits aufgelöst gewesen sei; im übrigen werde der Zugang der Prüfungsanordnung mit Nichtwissen bestritten.
Das Finanzgericht (FG) beschloß am 7. April 1986, das Klageverfahren des Klägers zu 1 in entsprechender Anwendung des § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) bis zur Bekanntgabe der Feststellungsbescheide an alle ehemaligen Gesellschafter auszusetzen. Der erkennende Senat hat diesen Beschluß auf die Beschwerde des FA mit Beschluß vom 15. Januar 1987 IV B 95/86 (BFH/NV 1987, 659) aufgehoben.
Das FG verband die Klagen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung und lud sämtliche in den Streitjahren 1970 und 1971 an der KG als Kommanditisten beteiligten natürlichen Personen oder deren Rechtsnachfolger gemäß § 60 Abs. 3 FGO zum Verfahren bei.
Das FG gab der Klage statt. Es hob die Gewinnfeststellungsbescheide 1970 und 1971 und die Einspruchsentscheidung mit der Erwägung auf, das FA habe die Prüfungsfeststellungen nicht verwerten dürfen. Die Prüfungsanordnung vom 6. Juni 1973 sei zwar dadurch, daß sie der GmbH als vertretungsberechtigte Liquidatorin der KG zugegangen sei, wirksam geworden. Die KG sei aber vor Beginn der Prüfung handelsrechtlich voll beendet und demnach nicht mehr existent gewesen. Die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), wonach eine Personengesellschaft unabhängig von den Bestimmungen des Gesellschaftsrechts bis zur Beendigung aller Rechtsbeziehungen zum FA fortbestehe, sei unzutreffend. Die Prüfungsanordnung sei -- auch in bezug auf die GmbH -- mit der Folge wirkungslos geworden, daß ein Verwertungsverbot eingreife.
Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Es trägt vor: Die Prüfungsanordnung habe die KG auch noch beim Beginn der Prüfung verpflichtet, da in bezug auf die Durchführung der Prüfung noch eine gemeinsame Rechtsbeziehung zwischen der KG und dem FA bestanden habe; die KG sei demnach steuerrechtlich noch nicht voll beendet gewesen. Im übrigen greife ein Verwertungsverbot selbst dann nicht ein, wenn eine Prüfungsanordnung unwirksam sei. Eine Verwertung von Prüfungsfeststellungen sei nämlich zulässig, soweit eine Prüfungsanordnung hätte erlassen werden dürfen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
1. Das FG hat zu Recht die Klage als zulässig erachtet und von einer Beiladung der GmbH sowie der im Handelsregister gelöschten Kapital- und Personenhandelsgesellschaften, die an der KG als Kommanditisten beteiligt waren, abgesehen. Eine Beiladung der erwähnten Gesellschaften war nicht nach § 60 Abs. 3 FGO notwendig, weil die als vermögenslos gelöschte GmbH vom Inhalt der Feststellungsbescheide nicht mehr "berührt" wird (vgl. BFH-Urteil vom 16. Dezember 1981 I R 93/77, BFHE 135, 271, BStBl II 1982, 474) und die übrigen Gesellschaften ausweislich der Anlagen zu den Betriebsprüfungsberichten erst ab 1972 an der KG beteiligt waren.
2. Das FG hat zu Unrecht ein Verwertungsverbot angenommen.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH dürfen im Rahmen einer Betriebs- bzw. Außenprüfung getroffene Feststellungen nicht in einem Steuer- oder Feststellungsbescheid ausgewertet werden, wenn die Rechtswidrigkeit der Prüfungsanordnung im Wege der Anfechtungsklage oder nach Erledigung der Prüfungsanordnung im Wege der Fortsetzungsfeststellungsklage festgestellt worden ist (Urteile vom 7. Juni 1973 V R 64/72, BFHE 109, 500, BStBl II 1973, 716; vom 9. Mai 1978 VII R 96/75, BFHE 125, 144, BStBl II 1978, 501; vom 23. Februar 1984 IV R 154/82, BFHE 140, 505, BStBl II 1984, 512; vom 21. Oktober 1986 VIII R 243/83, BFHE 148, 400, BStBl II 1987, 284; vom 10. Mai 1991 V R 51/90, BFHE 164, 495, BStBl II 1991, 825; vom 21. April 1993 X R 112/91, BFHE 171, 15, BStBl II 1993, 649). Ein solches Verwertungsverbot hat der BFH ferner dann angenommen, wenn die Prüfungsanordnung nichtig ist (Urteile vom 10. April 1987 III R 202/83, BFHE 150, 1, BStBl II 1988, 165; vom 20. Februar 1990 IX R 83/88, BFHE 160, 391, BStBl II 1990, 789) oder wenn keine Prüfungsanordnung erlassen wurde (Beschluß vom 4. Oktober 1991 VIII B 93/90, BFHE 165, 339, BStBl II 1992, 59; Urteil vom 1. Dezember 1992 VII R 53/92, BFH/NV 1993, 515).
Der BFH hat demgegenüber mit seinen Urteilen vom 29. September 1987 X R 15/82 (BFH/NV 1988, 333 unter 3.) und in BFHE 164, 495, BStBl II 1991, 825 entschieden, daß das FA neu bekanntgewordene Tat sachen bei einer erstmaligen Veranlagung berücksichtigen darf, selbst wenn die Tat sachen im Rahmen einer Betriebsprüfung ermittelt worden sind und die Prüfungsanordnung verfahrensfehlerhaft bzw. nicht bekanntgegeben worden war (ebenso Schick in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., Vor § 193 AO 1977 Rdnr. 351; Tipke/Kruse, Abgabenordnung -- Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 196 AO 1977 Tz. 9 a. E.). In der finanzgerichtlichen Rechtsprechung und im Schrifttum wird darüber hinaus die Ansicht vertreten, die Verwertung von Prüfungsfeststellungen könne in einem nach § 164 Abs. 2 AO 1977 geänderten Bescheid nicht verboten sein, da ein solcher Änderungsbescheid einer erstmaligen Veranlagung gleichstehe (Urteile des FG Nürnberg vom 5. Dezember 1989 II 269/85, Entscheidungen der Finanzgerichte -- EFG -- 1990, 399; vom 25. Februar 1992 II 64/89, EFG 1992, 575; Schick in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., Vor § 193 AO 1977 Rdnr. 351; Tipke/Kruse, a.a.O., § 196 AO 1977 Tz. 9).
Der Senat kann im Streitfall die Frage, ob bei der Verwertung von Prüfungsfeststellungen in einem nach § 164 Abs. 2 AO 1977 geänderten Bescheid die Annahme eines Verwertungsverbots von vornherein ausscheidet, offenlassen; denn die Prüfungsanordnung blieb entgegen der Ansicht des FG wirksam. Eine Prüfungsanordnung behält ihre Wirksamkeit grundsätzlich bis zu ihrem Vollzug; sie ist erst mit der Durchführung der Prüfung "auf andere Weise" erledigt (vgl. BFH-Urteil vom 9. Mai 1978 VII R 96/75, BFHE 125, 144, BStBl II 1978, 501; jetzt § 124 Abs. 2 AO 1977). Nichts anderes gilt, wenn eine KG vor Beginn der Prüfung handelsrechtlich voll beendet ist. Denn eine Prüfungsanordnung darf auch nach der handelsrecht lichen Vollbeendigung einer KG an diese gerichtet werden (Senatsurteil vom 1. Oktober 1992 IV R 60/91, BFHE 169, 294, BStBl II 1993, 82 m. w. N.). Sie darf darum auch nach diesem Zeitpunkt vollzogen werden.
3. Die Änderung der Gewinnfeststellungsbescheide war auch nicht wegen Verjährung unzulässig.
Die Änderung eines Gewinnfeststellungsbescheids für vor dem 1. Januar 1977 liegende Veranlagungszeiträume ist unzulässig, wenn die Steueransprüche, für die der Bescheid bindende Feststellungen trifft, verjährt sind. Nach Art. 97 § 10 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. Abs. 2 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO 1977) richtet sich die Verjährung der vor dem 1. Januar 1977 entstandenen Steueransprüche nach den Vorschriften der Reichsabgabenordnung (AO). Die Verjährungsfrist der an die festgestellten Besteuerungsgrundlagen anknüpfenden Steuern beträgt gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 AO fünf Jahre. Die Verjährungsfrist läuft jedoch nicht ab, solange die Verjährung gehemmt ist.
Im Streitfall hat die im März 1975 begonnene Betriebsprüfung den Ablauf der Verjährungsfristen für die Streitjahre 1970 und 1971 gehemmt. Wird vor Ablauf der Verjährungsfrist mit einer Betriebsprüfung begonnen, so verjähren die Ansprüche, auf die sich die Betriebsprüfung erstreckt, nicht, bevor die aufgrund der Betriebsprüfung ergangenen Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind (§ 146 a Abs. 3 AO). Soweit die verjährungshemmende Wirkung nach § 146 a Abs. 3 AO nur durch eine wirksame Prüfungsanordnung herbeigeführt wird (vgl. BFH in BFHE 150, 1, BStBl II 1988, 165; vom 14. März 1990 X R 104/88, BFHE 160, 207, BStBl II 1990, 612; vom 25. Juni 1992 IV R 87/90, BFH/NV 1993, 457), ist diese Voraussetzung, wie auch das FG angenommen hat, im Streitfall erfüllt.
4. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat in bezug auf die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide im übrigen -- aus seiner Sicht zu Recht -- keine Tatsachen festgestellt. Die Sache war deshalb zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 64983 |
BFH/NV 1995, 177 |