Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage
Leitsatz (NV)
Zur Zulässigkeit einer Fortsetzungsfeststellungsklage eines nach niederländischem Recht zur Steuerberatung befugten Berufsangehörigen, wenn dieser als Bevollmächtigter zurückgewiesen, diese Verfügung jedoch mit Wirkung für die Zukunft widerrufen worden ist.
Normenkette
AO 1977 § 80 Abs. 5; FGO § 100 Abs. 1 S. 4
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) betreibt ein nach niederländischem Recht zugelassenes Steuerberatungsbüro in den Niederlanden; dort wohnt er auch. Er berät u.a. Steuerpflichtige, die in den Niederlanden wohnen, aber (auch) in Deutschland tätig sind und deshalb gegenüber den deutschen Finanzbehörden Steuererklärungen abzugeben haben. Für diese Personen erstellt der Kläger Überschussrechnungen oder Jahresabschlüsse und wirkt bei der Anfertigung der Steuererklärungen mit, welche jedoch von den Erklärungspflichtigen eigenhändig unterschrieben und bei den deutschen Steuerbehörden selbst eingereicht werden.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) hat den Kläger 1993 in der Sache der Eheleute X, Y, Z und des A nach § 80 Abs. 5 der Abgabenordnung (AO 1977) als Bevollmächtigten zurückgewiesen. Die hiergegen erhobene Klage hatte Erfolg. Gegen das Urteil des Finanzgerichts (FG) richtet sich die vom FG zugelassene Revision des FA.
Im Verlauf des Revisionsverfahrens hat das FA die Verfügungen nach § 131 Abs. 1 AO 1977 mit Wirkung für die Zukunft widerrufen und den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.
Der Kläger hat der Erledigungserklärung mit dem Hinweis darauf widersprochen, dass er auch in der Vergangenheit rechtmäßig gehandelt habe. Der Bitte des erkennenden Senats, zum Fortbestand des Rechtsschutzinteresses an der Aufhebung der angefochtenen Verfügung ergänzend vorzutragen, hat er nicht entsprochen.
Entscheidungsgründe
II. 1. Nach den gesamten Umständen geht der erkennende Senat davon aus, dass der Kläger, nachdem das FA die angefochtenen Verfügungen mit Wirkung für die Zukunft widerrufen hat, gemäß § 100 Abs. 1 Satz 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) im Wege der Fortsetzungsfeststellungsklage begehrt festzustellen, dass die vorgenannten Verfügungen rechtswidrig gewesen sind. Wiewohl der anwaltlich vertretene Kläger einen solchen Antrag nicht ausdrücklich gestellt hat, obwohl er durch die Erledigungserklärung des FA auf die Erledigung des Rechtsstreites in der Hauptsache ausdrücklich hingewiesen worden ist, entspricht diese Deutung seiner Erwiderung auf die Erledigungserklärung des FA einzig einem vernünftigerweise denkbaren Rechtsschutzziel; denn die von dem Kläger ursprünglich erhobene Anfechtungsklage gegen die Verfügungen des FA, die im Revisionsverfahren zunächst sinngemäß aufrechterhalten worden ist, ist unzulässig geworden, nachdem das FA diese Verfügungen mit Wirkung für die Zukunft widerrufen hat und aus der Vergangenheit fortdauernde Rechtswirkungen der Verfügungen weder geltend gemacht noch sonst erkennbar sind.
2. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist indes unzulässig, weil vom Kläger ein Feststellungsinteresse weder schlüssig geltend gemacht noch dieses sonst erkennbar ist.
Nach § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO ist auf Antrag auszusprechen, dass ein vor Ergehen der Sachentscheidung des Gerichts erledigter Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Für ein berechtigtes Interesse im Sinne der vorgenannten Vorschrift genügt jedes konkrete, vernünftigerweise anzuerkennende schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art, sofern die begehrte Feststellung geeignet ist, in einem der genannten Bereiche zu einer Verbesserung der Position des Klägers zu führen (vgl. statt aller Urteil des Senats vom 2. Juni 1992 VII R 35/90, BFH/NV 1993, 46). Daran fehlt es indes hier.
Insbesondere ist ein wirtschaftliches Interesse des Klägers an der begehrten Feststellung nicht erkennbar. Zwar kann ein solches nach § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO anerkennungswürdiges Interesse begründen, dass ein Beteiligter wegen des erledigten Verwaltungsakts einen Schadensersatzprozess, wenn schon nicht anhängig gemacht hat, so doch mit hinreichender Sicherheit anhängig machen will, sofern die Entscheidung nach § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO für diesen Schadensersatzprozess nicht ohne Bedeutung wäre und der Schadensersatzprozess nicht offensichtlich aussichtslos ist (Urteile des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 27. Juli 1994 II R 109/91, BFH/NV 1995, 322, und vom 18. Mai 1976 VII R 108/73, BFHE 119, 26, BStBl II 1976, 566; vgl. bereits Urteil des Senats vom 3. November 1970 VII R 43/69, BFHE 100, 436, BStBl II 1971, 114). Für das besondere Feststellungsinteresse nach § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO muss dabei substantiiert dargelegt werden, dass ein Schadensersatzprozess bevorsteht (BFH-Urteil in BFH/NV 1995, 322).
Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Der Kläger hat nicht einmal behauptet, einen ihm durch die erledigten Zurückweisungsverfügungen entstandenen Schaden geltend machen zu wollen, und es ist auch weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass ihm insofern überhaupt Schaden entstanden ist und dass er diesen Schaden mit hinreichender Aussicht auf Erfolg gegenüber dem FA geltend machen könnte.
Der Kläger hat auch kein anerkennenswertes ideelles Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der erledigten Zurückweisungsverfügungen. Die Rechtsprechung des erkennenden Senats hat ein solches Interesse dann anerkannt, wenn aufgrund eines erheblichen Eingriffs in die Persönlichkeitssphäre des Klägers dessen Rehabilitierung durch die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Vorgehens der Behörde geboten erscheint (Urteile vom 17. Januar 1995 VII R 47/94, BFH/NV 1995, 737; vom 23. März 1976 VII R 106/73, BFHE 118, 503, BStBl II 1976, 459; vom 4. März 1986 VII R 78/84, BFH/NV 1986, 622, und vom 27. Mai 1975 VII R 80/74, BFHE 116, 315, BStBl II 1975, 860). Diese Rechtsprechung betrifft zum einen Sachverhaltsgestaltungen, in denen der angefochtene, erledigte Verwaltungsakt einen diskriminierenden Bedeutungsgehalt hat, zum anderen Verwaltungsakte, die eine besondere Beziehung zum Recht des Klägers aufweisen, als Persönlichkeit mit einem unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung anerkannt zu werden, oder bei denen es sonst der Bedeutung betroffener elementarer Grundrechte entspricht, auch nach einer Erledigung der Hauptsache im Wege der Fortsetzungsfeststellungsklage eine Klärung darüber herbeizuführen, ob die betreffenden Grundrechte verletzt worden sind (vgl. Gerhardt in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung, § 113 Rdnr. 91, mit zahlreichen weiteren Nachweisen; zur Bedeutung dieses Gesichtspunkts im Verfassungsbeschwerdeverfahren vgl. Bundesverfassungsgericht ―BVerfG―, Beschlüsse vom 19. Dezember 1962 1 BvR 163/56, BVerfGE 15, 226, 230; vom 28. Juni 1972 1 BvR 105/63 und 275/68, BVerfGE 33, 247, 257). Ein Eingriff in die nach Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes geschützte Handlungsfreiheit begründet hingegen nach seiner Aufhebung (vgl. Urteil des Senats in BFH/NV 1993, 46) oder nach seiner Erledigung durch Zeitablauf regelmäßig kein Feststellungsinteresse i.S. des § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO.
Unter keinem der vorgenannten Gesichtspunkte kommt vorliegend eine Zulassung der Fortsetzungsfeststellungsklage in Betracht. Die angefochtenen Verwaltungsakte des FA waren nicht diskriminierend im vorgenannten Sinne; sie beruhten nicht einmal darauf, dass das FA die persönlichen Fähigkeiten des Klägers für die steuerliche Hilfeleistung geprüft und für nicht gegeben erachtet hätte ―was möglicherweise als eine den sozialen Geltungsanspruch des Klägers beeinträchtigende Beurteilung bewertet werden könnte―, sondern weil das FA für die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit eine Berufszulassung des Klägers nach deutschem Steuerberatungsrecht für erforderlich, aber nicht gegeben ansah. Zwischen den Beteiligten streitig war mit anderen Worten im Kern lediglich eine Frage der Auslegung des Steuerberatungsgesetzes und der zu berücksichtigenden Gebote des Gemeinschaftsrechts. Durch dessen Handhabung hat das FA zwar in die Berufs(ausübungs-)freiheit des Klägers eingegriffen. Einen erheblichen Eingriff in die Persönlichkeitssphäre des Klägers im vorstehend entwickelten Sinne stellte dies indes nicht dar.
Schließlich kann die Zulässigkeit einer Fortsetzungsfeststellungsklage auch nicht daraus hergeleitet werden, dass nach § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO unter besonderen Voraussetzungen die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines erledigten Hoheitsaktes dann in Betracht kommen kann, wenn dies zur Gewährung ausreichend effektiven Rechtsschutzes als Ausgleich für eine irreparable rechtswidrige Persönlichkeitsverletzung erforderlich ist, etwa weil eine Sachentscheidung wegen der Art der Maßnahme oder des Geschehensablaufs in der Regel nicht rechtzeitig ergehen kann (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 14. Juli 1994 1 BvR 1595, 1606/92, BVerfGE 91, 125, 133, und in BVerfGE 33, 247, 257), ohne die Zulassung der Fortsetzungsfeststellungsklage also die zwischen den Beteiligten strittige Rechtsfrage möglicherweise auf Dauer ungeklärt bliebe. Auch darum handelt es sich vorliegend freilich offenkundig nicht.
Da die Klage nach alledem unzulässig ist, ist sie auf die Revision des FA abzuweisen und das Urteil des FG dementsprechend aufzuheben. Die Kosten des Verfahrens müssen nach § 135 Abs. 1 FGO dem Kläger auferlegt werden, da er mit seinem (geänderten) Antrag unterlegen ist, ohne dass es darauf ankäme und der erkennende Senat dazu Stellung nehmen könnte, ob sein ursprüngliches Begehren, die Zurückweisungsverfügungen des FA aufzuheben, berechtigt war.
Fundstellen