Leitsatz (amtlich)
Ergibt sich, daß ein gemäß § 68 FGO zum Gegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens gewordener Berichtigungsbescheid ersatzlos aufgehoben werden muß, ist das FG nicht gehindert, in demselben Urteil auch eine Änderung des ursprünglich mit der Klage angefochtenen Bescheids auszusprechen, soweit dem Klagebegehren mit der Aufhebung des Berichtigungsbescheides noch nicht voll Rechnung getragen worden ist.
Normenkette
FGO § 68
Gründe
Der erkennende Senat ist der Auffassung, daß das FG nach ersatzloser Aufhebung des Berichtigungsbescheids, der nach § 68 FGO Gegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens geworden war, den ursprünglich mit der Klage angefochtenen Bescheid ändern durfte. Die Anfechtungsschranke des § 232 Abs. 1 AO und des § 42 Abs. 1 FGO greift hier nicht ein, weil der ursprüngliche Bescheid infolge der seinerzeitigen Klageerhebung nicht bestandskräftig geworden war. Über das Verhältnis zwischen berichtigtem oder geändertem Bescheid und ursprünglichem Bescheid hat der Große Senat des BFH in seiner Entscheidung vom 25. Oktober 1972 GrS 1/72 (BFHE 108, 1, BStBl II 1973, 231) ausgeführt, daß der Änderungsbescheid den ursprünglichen Bescheid in seinen Regelungsgehalt aufnehme. Solange der Änderungsbescheid Bestand habe, entfalte der usprüngliche Bescheid keine Wirkung. Der ursprüngliche Bescheid bleibe für die Dauer des Bestehens des Änderungsbescheids suspendiert, trete aber wieder in Kraft, wenn der Berichtigungsbescheid aufgehoben werde. Das habe verfahrensrechtlich zur Folge, daß dem gegen den ursprünglichen Bescheid anhängigen Verfahren solange die Grundlage entzogen sei, als der Änderungsbescheid Bestand habe. Diese Erwägungen haben den Großen Senat veranlaßt auszusprechen, daß ein gerichtliches Verfahren über den ursprünglichen Bescheid solange auszusetzen ist, bis das Verfahren über den berichtigten Bescheid rechtskräftig abgeschlossen ist, wenn hinsichtlich dieses Bescheids ein Antrag nach § 68 FGO nicht gestellt worden ist.
Der Große Senat hat sich nicht mit der hier zu behandelnden Frage zu befassen brauchen, wie zu entscheiden ist, wenn der Steuerpflichtige, anstatt den Berichtigungsbescheid selbständig anzufechten, diesen nach § 68 FGO zum Gegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens macht. Nach Auffassung des erkennenden Senats gelten dann die gleichen Grundsätze. Das FG hat sich nach Abgabe dieser prozessualen Erklärung zunächst mit der Rechtmäßigkeit des Berichtigungsbescheids zu befassen. Ergibt sich, daß ein Berichtigungsbescheid nicht hätte ergehen dürfen, weil insbesondere die formellen Voraussetzungen für eine Berichtigung nicht vorlagen, ist der Berichtigungsbescheid ersatzlos aufzuheben. Ist damit dem Klagebegehren des Steuerpflichtigen noch nicht voll Rechnung getragen - hat er insbesondere auch nach Stellung des Antrags nach § 68 FGO eine Herabsetzung unter die im ursprünglichen und seinerzeit angefochteten Bescheid festgesetzte Steuer beantragt - ist das FG nicht gehindert, in demselben, den Berichtigungsbescheid aufhebenden Urteil auch eine Änderung des ursprünglichen Bescheids auszusprechen. Ob man hierbei davon ausgehen kann, daß bei dieser Sachlage dem Antrag nach § 68 FGO nachträglich die Grundlage entzogen worden ist, kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls ist auch in dem in Rede stehenden Fall der ursprüngliche Bescheid solange suspendiert gewesen, bis der Berichtigungsbescheid aufgehoben worden ist (Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 6. Aufl., § 68 FGO, Anm. 2; im Ergebnis auch Rössler, DStZ A 1968, 256; Woerner, BB 1969, 1391 [1394] und BB 1973, 515 [519]). Die Auffassung, daß in derartigen Fällen auch der ursprüngliche Bescheid geändert werden kann, entspricht dem allgemeinen das Prozeßrecht beherrschenden Gedanken, daß die mit der Einlegung eines zulässigen Rechtsmittels erlangte prozeßrechtliche Stellung dem Kläger nicht ohne sein maßgebliches Zutun entzogen werden darf (Urteil des BGH vom 19. Dezember 1950 I ZR 7/50, BGHZ 1, 29).
Fundstellen
Haufe-Index 71388 |
BStBl II 1975, 514 |
BFHE 1975, 301 |