Entscheidungsstichwort (Thema)
Schenkung eines Geldbetrages gegen Zusage von lebenslänglichen Versorgungsleistungen
Leitsatz (NV)
Erhält jemand von seinen Eltern einen Geldbetrag und verpflichtet er sich, ihnen ,,als Gegenleistung" Unterhalt zu zahlen, führt dies nicht zu einer als Sonderausgabe abziehbaren dauernden Last (Fortführung des BFH-Urteils vom 13. August 1985 IX R 10/80, BFHE 144, 423, BStBl II 1985, 709).
Normenkette
EStG § 10 Abs. 1 Nr. 1a, § 12 Nr. 2
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) schloß am 8. Mai 1985 mit seinen damals 58 bzw. 53 Jahre alten Eltern einen notariell beurkundeten Vertrag über die ,,Begründung einer dauernden Last". Er verpflichtete sich, seinen Eltern auf deren Lebensdauer als Gesamtberechtigten (§ 428 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -) monatlich 900 DM ,,als Beitrag zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts" zu zahlen. Die Vertragschließenden vereinbarten ,,mit schuldrechtlicher Wirkung . . . , daß auf die monatliche Zahlung vereinbarungsgemäß § 323 ZPO anzuwenden ist". Der Kläger gibt den Barwert der Rente mit 149 195 DM an. ,,Als Gegenleistung" verpflichteten sich die Eltern, dem Kläger bis zum 30. April 1986 einen einmaligen Kapitalbetrag in Höhe von 75 000 DM zu zahlen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) hatte auf den Lohnsteuerkarten für die Streitjahre 1985 und 1986 Freibeträge in Höhe von . . . DM bzw. . . . DM für eine dauernde Last eingetragen. Bei der Veranlagung zur Einkommensteuer für diese Streitjahre lehnte das FA es ab, eine dauernde Last anzuerkennen. Weiterhin lehnte das FA es ab, auf der Lohnsteuerkarte für das Jahr 1988 einen Freibetrag in Höhe von . . . DM einzutragen.
Die Einsprüche blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hat die Klagen abgewiesen. Die wiederkehrenden Leistungen an die Eltern seien nach dem zu einem vergleichbaren Sachverhalt ergangenen Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 13. August 1985 IX R 10/80 (BFHE 144, 423, BStBl II 1985, 709) eine dauernde Last, die mit dem Wert der erbrachten Gegenleistung zu verrechnen sei. Es handle sich um ein darlehensähnliches Rechtsverhältnis. Die Möglichkeit eines Abzugs als dauernde Last ergebe sich allenfalls nach Verbrauch des Verrechnungsvolumens. Das FA habe die Rechtsgrundsätze des BFH-Urteils in BFHE 144, 423, BStBl II 1985, 709 ohne Verstoß gegen Treu und Glauben auch auf den Streitfall anwenden dürfen. Bei den Veranlagungen für 1985 und 1986 sowie hinsichtlich der Eintragung eines Freibetrages in die Lohnsteuerkarte 1988 bestehe keine Bindung an die Beurteilung durch das FA in früheren Verfahren der Lohnsteuerermäßigung.
Mit den Revisionen, die der Senat zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden hat, rügt der Kläger Verletzung des § 10 Abs. 1 Nr. 1 a des Einkommensteuergesetzes (EStG) und des § 176 Abs. 1 Nr. 3 der Abgabenordnung (AO 1977). Nach früherer Rechtsauffassung habe ein sog. kauf- oder darlehensähnlicher Vertrag vorgelegen, wenn der Wert der Gegenleistung im Verhältnis zum Barwert der dauernden Last annähernd 100 v. H. betragen habe (z. B. Abschn. 165 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. Abschn. 123 Abs. 3 der Einkommensteuer-Richtlinien - EStR -). Im Streitfall seien Leistung und Gegenleistung nicht nach kaufmännischen Grundsätzen gegeneinander abgewogen worden. Es handle sich um einen Vermögensübergabevertrag in der Rechtsform der Schenkung unter einer Auflage. Es sei gleichheitswidrig, hier die Wertverrechnung nur deswegen vorzunehmen, weil und soweit Geldvermögen übertragen worden sei. Die ihm nachteilige Änderung der Rechtsprechung durch das BFH-Urteil in BFHE 144, 423, BStBl II 1985, 709 könne für die Streitjahre nicht angewendet werden. Der Grundsatz, daß bei der Veranlagung zur Einkommensteuer keine Bindung an die tatsächliche oder rechtliche Beurteilung im Lohnsteuerermäßigungsverfahren bestehe, gelte nicht, wenn § 176 AO 1977 anwendbar sei. Eine Nachforderung der Einkommensteuer sei unzulässig. Der sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ergebende Grundsatz des Vertrauensschutzes lasse hier eine Anpassungsregelung für ,,Altsachverhalte" als erforderlich erscheinen.
Gegenstand des Revisionsverfahrens sind für das Streitjahr 1986 der geänderte Bescheid vom 11. März 1991 und für 1985 der geänderte Bescheid vom 16. September 1991.
Entscheidungsgründe
Die Revisionen sind unbegründet. Das FG hat zutreffend entschieden, daß die wiederkehrenden Zahlungen des Klägers an seine Mutter nicht als dauernde Last abziehbar sind.
1. Obwohl der begehrte Eintrag auf der Lohnsteuerkarte beim Lohnsteuerabzug durch den Arbeitgeber nicht mehr berücksichtigt werden kann (vgl. § 42 b Abs. 3 Satz 1 EStG), hat der Kläger bezüglich der Eintragung auf der Lohnsteuerkarte ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung. Eine im Lohnsteuerermäßigungsverfahren ergangene rechtskräftige Entscheidung ist aus prozeßökonomischen Gründen auch für den Lohnsteuerjahresausgleich oder die Veranlagung beachtlich, sofern sich der zu beurteilende Sachverhalt unverändert darstellt (vgl. Senatsurteil vom 28. März 1990 X R 160/88, BFHE 160, 481, BStBl II 1990, 815).
2. Als Sonderausgaben abziehbar sind die auf besonderen Verpflichtungsgründen beruhenden Renten und dauernden Lasten, die nicht mit Einkünften in Zusammenhang stehen, die bei der Veranlagung außer Betracht bleiben (§ 10 Abs. 1 Nr. 1 a EStG). Dauernde Lasten sind in vollem Umfang abziehbar (§ 10 Abs. 1 Nr. 1 a Satz 1 EStG). Leibrenten können - nach näherer Maßgabe des § 10 Abs. 1 Nr. 1 a Satz 2 EStG - nur mit dem Ertragsanteil abgezogen werden, der sich aus der in § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG aufgeführten Ertragswerttabelle ergibt.
3. Der Große Senat des BFH hat sich in zwei Entscheidungen mit der Übergabe von Vermögen gegen Versorgungsleistungen befaßt.
In seinem Beschluß vom 5. Juli 1990 GrS 4-6/89 (BFHE 161, 317, 326 ff., BStBl II 1990, 847) hat er die zivil- und steuerrechtliche Sonderstellung des Vermögensübergabevertrages hervorgehoben.
Durch Beschluß vom 15. Juli 1991 GrS 1/90 (BFHE 165, 225, BStBl II 1992, 78 unter C. II. 3.) hat der Große Senat des BFH des weiteren entschieden: In sachlichem Zusammenhang mit einer Vermögensübergabe vereinbarte wiederkehrende Leistungen - auch abänderbare Geldleistungen - sind Hauptanwendungsfall der in vollem Umfang abziehbaren dauernden Last.
Der Große Senat hat weiterhin die von der bisherigen Rechtsprechung vorgezeichnete Grenzziehung zwischen den Vorgängen mit und ohne Wertverrechnung bestätigt. Der erkennende Senat schließt sich der ständigen Rechtsprechung an, daß in Fällen wie dem vorliegenden keine ,,Hof-, Betriebs- oder Vermögensübergabe" vorliegt. Ein - selbst größerer - Geldbetrag ist keine ,,Wirtschaftseinheit", deren Übertragung herkömmlicherweise dem Typus der zivil- und steuerrechtlichen Vermögensübergabe zugeordnet wird. Die - wenn auch nicht in jeder Hinsicht trennscharfen - Konturen dieses Rechtstypus haben sich aufgrund langjähriger Rechtstradition unter Ausschluß des hier zu beurteilenden ,,Unterhaltskaufs" gebildet. Für eine Erweiterung des die Anwendung des § 12 Nr. 2 EStG ausschließenden Typus ,,Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen" besteht keine Veranlassung. Wegen der Begründung im einzelnen wird auf das Senatsurteil vom heutigen Tage zum Az. X R 136/88 (BStBl II 1992, 609) verwiesen.
4. Der erkennende Senat geht davon aus, daß die Vertragsparteien im Streitfall abänderbare Leistungen vereinbart haben. Diese sind nicht als dauernde Last abziehbar. Die Anwendung der vorstehend unter 3. dargestellten Grundsätze auf den Streitfall ergibt, daß hier eine Wertverrechnung erforderlich ist. Daraus folgt, daß jedenfalls im Ergebnis der Sonderausgabenabzug zu versagen ist.
5. Die Auffassung des Klägers, durch das BFH-Urteil in BFHE 144, 423, BStBl II 1985, 709 seien die Grundsätze der Rechtsprechung zu seinem Nachteil verschärft worden, trifft nicht zu. Im Grundsatzurteil vom 16. September 1965 IV 67/61 S (BFHE 83, 568, BStBl III 1965, 706) ist entschieden, daß bei sog. ,,kauf- und darlehensähnlichen Verträgen" eine Wertverrechnung erforderlich sei; dort ist ausdrücklich hingewiesen auf das Urteil vom 28. Juni 1963 VI 321/61 U (BFHE 77, 287, BStBl III 1963, 424).
Nach dem Sachverhalt dieses Urteils waren Leistung und Gegenleistung - Schenkung eines Betrages von 12 000 DM und Rente mit einem Jahreswert von 4 800 DM - gerade nicht ausgewogen. Auch trifft nicht zu, daß die Verwaltung Fälle eines solchen ,,Unterhaltskaufs" anerkannt hätte. Die Beispiele A und B in Abschn. 123 Abs. 3 EStR (z. B. EStR 1975) gehen davon aus, daß ein ,,privatgenutztes Mietwohngrundstück" bzw. ein ,,landwirtschaftlicher Betrieb" gegen wiederkehrende Leistungen übertragen worden ist. Dies sind typische ,,die Existenz wenigstens teilweise begründende Wirtschaftseinheiten".
6. Entscheidungen im Lohnsteuerermäßigungsverfahren erzeugen nach allgemeiner Meinung keine Bindung für den Lohnsteuerjahresausgleich oder die Veranlagung (vgl. Schmidt / Drenseck, Einkommensteuergesetz, Kommentar, 10. Aufl., § 42 Anm. 5 a). § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO 1977 ist nicht anwendbar, weil sich entgegen der Auffassung des Klägers die Rechtsprechung des BFH nicht geändert hat.
Fundstellen
Haufe-Index 418322 |
BFH/NV 1992, 647 |