Leitsatz (amtlich)
Ein Kindererholungsheim ist ein Gewerbebetrieb, wenn die Unterbringung, Verköstigung und allgemeine Betreuung der Kinder nicht nur als Hilfsmittel einer erzieherischen Tätigkeit, sondern als Haupttätigkeiten des Heiminhabers anzusehen sind (Anschluß an das BFH-Urteil vom 25. April 1974 VIII R 229/71, BFHE 112, 499, BStBl II 1974, 553).
Normenkette
GewStG § 2 Abs. 1 S. 2; EStG § 18 Abs. 1
Tatbestand
Streitig ist, ob die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) mit ihren Erträgen aus dem Betrieb eines Kinderheims der Gewerbesteuer unterliegt.
Die Klägerin, eine Staatlich geprüfte Säuglings- und Kinderschwester, betrieb in den Streitjahren 1965 und 1966 in gemieteten Räumen ein privates Kinderheim. Das Heim war während des Winters durchschnittlich mit drei bis sechs und im Sommer mit etwa 10 bis 15 Kindern bis zum Alter von 10 Jahren belegt. Die Kinder wurden von der Klägerin und ihrem Hilfspersonal betreut und verpflegt. Sie waren in dem Heim vorwiegend deshalb untergebracht, weil sie erholungsbedürftig waren oder an chronischen Erkrankungen der Atmungsorgane litten. Ihr Heimaufenthalt betrug überwiegend vier bis sechs Wochen, in Einzelfällen auch zwei bis vier Monate. Die schulpflichtigen Kinder besuchten die örtliche Schule; dabei beaufsichtigte die Klägerin die Schularbeiten. Die ärztlich verordneten warmen Seebäder, Inhalationen und Massagen wurden im örtlichen Kurmittelhaus verabreicht; die Durchführung dieser ärztlichen Verordnungen überwachte die Klägerin persönlich.
Während der Beklagte und Revisionskläger (FA) in den vor den Streitjahren gelegenen Erhebungszeiträumen die Gewerbesteuerpflicht der Klägerin verneint hatte, zog er die Klägerin in den Streitjahren zur Gewerbesteuer heran.
Die Einsprüche blieben erfolglos. Die Klage führte dagegen zur Aufhebung der Einspruchsentscheidung und der ihr zugrunde liegenden Bescheide. Zur Begründung seines in den EFG 1971, 92, veröffentlichten Urteils vom 26. August 1970 VIII 6/69 führte das FG aus, die Klägerin habe keinen Gewerbebetrieb (§ 2 GewStG) geführt, sondern eine freiberufliche Tätigkeit ausgeübt. Das FA habe zu Unrecht die im Zusammenhang mit der Leitung des Kinderheims erbrachten Leistungen als eine aus freiberuflichen und gewerblichen Elementen zusammengesetzte Tätigkeit angesehen. Die in einem privaten Kinderheim ausgeübten Tätigkeiten ließen sich nicht in erzieherische (freiberufliche) und gewerbliche Tätigkeiten aufgliedern. Bei Kindern bis zum Alter von 10 Jahren müsse Erziehungsarbeit "rund um die Uhr" geleistet werden; daher sei praktisch alles, was mit den Kindern geschehe, letzthin Ausfluß von Erziehungsarbeit. Bei der Beurteilung der Tätigkeiten der Klägerin verbleibe nichts, was als gewerbliche Betätigung angesehen werden könne. Die von der Klägerin entsprechend ihrer Ausbildung als Säuglings- und Kinderschwester entfaltete Tätigkeit könne daher nur als freiberuflich im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG gewertet werden. Zu diesem Ergebnis käme man selbst dann, wenn man die Tätigkeit der Klägerin gedanklich in eine aus gewerblichen und freiberuflichen Elementen gemischte Tätigkeit aufgliedern würde; denn auch in diesem Fall würden wegen des der Klägerin erteilten umfassenden Erziehungsauftrags die freiberuflichen Elemente überwiegen.
Mit seiner - vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassenen - Revision rügt das FA die Verletzung des § 2 Abs. 1 GewStG in Verbindung mit § 1 GewStDV sowie des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Es führt aus, das FG messe der erzieherischen Betätigung der Klägerin gegenüber dem eigentlichen Aufenthaltszweck zu große Bedeutung bei. Eine freiberufliche Tätigkeit könne nur angenommen werden, wenn der Inhaber eines Kinderheims auf Grund seiner fachlichen Ausbildung als Erzieher leitend und eigenverantwortlich tätig werde und die Erziehung der im Heim aufgenommenen Kinder Vorrang vor dem Unterbringungs- und Erholungszweck habe. So sei es im Streitfall jedoch nicht gewesen. Die - überwiegend nur vorübergehende - Unterbringung im Kinderheim der Klägerin habe nicht einer planmäßigen Erziehung, sondern Erholungs- und Genesungszwekken gedient. Das Kinderheim habe demnach nicht den Charakter einer Erziehungseinrichtung, sondern eines Pensionsbetriebes gehabt. Die Unterbringung und Beköstigung der Kinder habe im Vordergrund gestanden und das Bild der Gesamttätigkeit bestimmt.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage, weil die Tätigkeit der Klägerin als Betrieb eines gewerblichen Unternehmens anzusehen ist und deshalb der Gewerbesteuer unterliegt.
Unter Gewerbebetrieb ist ein gewerbliches Unternehmen im Sinne des Einkommensteuergesetzes zu verstehen (§ 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG). Gewerbebetrieb ist hiernach jede selbständige nachhaltige Betätigung, die mit Gewinnabsicht unternommen wird und sich als Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr darstellt, wenn die Betätigung weder als Ausübung von Land- und Forstwirtschaft noch als Ausübung eines freien Berufs noch als eine andere selbständige Arbeit im Sinne des Einkommensteuergesetzes anzusehen ist (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 GewStDV, der den im Einkommensteuerrecht entwickelten Begriff des Gewerbebetriebs wiedergibt).
Das FG hat die Voraussetzungen für das Vorliegen eines Gewerbebetriebs im Streitfall zu Unrecht verneint. Es ist nicht zweifelhaft, daß die Klägerin eine selbständige nachhaltige Betätigung ausübte, die mit Gewinnabsicht unternommen wurde und sich als Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr darstellte. Aber auch die weitere Voraussetzung für die Annahme eines Gewerbebetriebs, daß die Betägigung nicht als Ausübung eines freien Berufs im Sinne des Einkommensteuergesetzes anzusehen ist, war im Streitfall gegeben.
Dem FG ist zwar darin zu folgen, daß ein Teil der von der Klägerin erbrachten Leistungen als Ausübung einer selbständigen erzieherischen - und damit nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG freiberuflichen - Tätigkeit anzusehen ist. Ein erzieherisches Wirken im Sinne einer planmäßigen Tätigkeit zur körperlichen, geistigen und sittlichen Formung junger Menschen (Urteil des BFH vom 21. Dezember 1965 V 24/62 U, BFHE 84, 503, 505, BStBl III 1966, 182) ist auch im Rahmen der Kinderbetreuung in einem Kindererholungsheim in vielfältiger Form möglich und in einem gewissen Umfang sogar geboten. Das gilt insbesondere dann, wenn die Kinder in dem Heim für einen längeren Zeitraum untergebracht sind, am Ort des Kinderheims die Schule besuchen und dementsprechend (z. B. bei der Anfertigung der Schulaufgaben) beaufsichtigt werden müssen.
Es trifft indessen nicht zu, daß alles, was in einem Kindererholungsheim geleistet wird, Erziehungsarbeit sei. Mit dieser Auffassung verkennt das FG die Bedeutung des Umstandes, daß die Kinder darüber hinaus im Heim untergebracht, verpflegt und allgemein betreut werden. Die hierauf bezogene Tätigkeit ist nicht erzieherischer (freiberuflicher), sondern gewerblicher Art (so auch das BFH-Urteil vom 25. April 1974 VIII R 229/71, BFHE 112, 499, BStBl II 1974, 553, in einem gleichliegenden Fall; ebenso Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 20. März 1973 III 45/71, EFG 1973, 336). Der Inhaber eines Kindererholungsheims erbringt somit teils freiberufliche, teils gewerbliche Leistungen.
Da alle diese Leistungen miteinander unlösbar verflochten sind und eine Einheit bilden, muß die Tätigkeit des Heiminhabers auch steuerrechtlich einheitlich beurteilt werden (vgl. BFH-Urteile vom 12. November 1964 IV 153/64 U, BFHE 81, 246, BStBl III 1965, 90; vom 7. März 1974 IV R 196/72, BFHE 111, 522, BStBl II 1974 383). Die Einstufung seiner Einkünfte in eine bestimmte Einkunftsart (§ 2 Abs. 3 EStG) richtet sich - wie auch in anderen Fällen einer untrennbar gemischten Tätigkeit - nach den Umständen, die die Wesensart dieser Tätigkeit prägen. Falls es sich bei der das Gesamtbild prägenden Tätigkeit um eine gewerbliche handelt, geht die übrige Tätigkeit als freiberufliche Nebenleistung in der gewerblichen Haupttätigkeit auf; steht dagegen die freiberufliche Tätigkeit im Vordergrund, so ist die Gesamtleistung als freiberuflich zu beurteilen (BFH-Urteile IV R 196/72, VIII R 229/71).
Im Streitfall sprechen die Umstände - ebenso wie in dem vom VIII. Senat des BFH entschiedenen Fall (Urteil VIII R 229/71) - für das Vorliegen einer insgesamt als gewerblich anzusehenden Tätigkeit. Denn die im Heim der Klägerin erbrachten Leistungen der Unterbringung, Verköstigung und Betreuung der Kinder stellten nicht etwa nur notwendige Hilfsmittel der erzieherischen Tätigkeit dar (vgl. BFH-Urteile vom 19. Juni 1963 I 375/61, HFR 1963, 393; vom 30. Juni 1964 VI 301/62 U, BFHE 80, 436, BStBl III 1964, 630). Vielmehr war die Tätigkeit der Klägerin in erster Linie dadurch gekennzeichnet, daß sie mit ihren Leistungen die äußeren Voraussetzungen für die Erholung der Kinder gewährte. Dem Umstand, daß die Klägerin im Zusammenhang mit der Unterbringung und Betreuung der Kinder auch Erziehungsmaßnahmen zu treffen hatte, kommt demgegenüber für die Beurteilung ihrer Gesamttätigkeit jedenfalls keine ausschlaggebende Bedeutung zu.
Die Betätigung der Klägerin läßt sich schließlich auch nicht deshalb als freiberuflich ansehen, weil ihre Erträge aus dem Betrieb des Kinderheims nur gering waren (Gewinn 1965 = 15 694 DM; 1966 = 8 931 DM). Für die steuerrechtliche Einordnung von Einkünften ist ihre Höhe ohne Bedeutung.
Fundstellen
Haufe-Index 71201 |
BStBl II 1975, 147 |
BFHE 1975, 95 |