Leitsatz (amtlich)
Bürgerlich-rechtlich wirksame Pflichtteilsansprüche können bei der Ermittlung des vermögensabgabepflichtigen Vermögens nur dann als Schuld abgezogen werden, wenn sie den Erben wirtschaftlich belasten. Eine wirtschaftliche Belastung liegt nicht vor, solange der Pflichtteilsberechtigte seinen Anspruch nicht geltend gemacht hat und mit einer Geltendmachung auch nicht ernsthaft zu rechnen ist.
Normenkette
LAG § 21; BewG i.d.F. vor BewG 1965 § 7; BewG i.d.F. vor BewG 1965 § 74 Abs. 1 Nr. 1
Tatbestand
Bei der Vermögensabgabe-Veranlagung ist streitig, ob bürgerlich-rechtlich wirksame Pflichtteilsansprüche, die am Währungsstichtag nicht geltend gemacht waren und mit deren Geltendmachung die Abgabepflichtige zu diesem Zeitpunkt auch nicht rechnete, bei der Ermittlung des abgabepflichtigen Vermögens zu berücksichtigen sind.
Das FA ließ die Pflichtteilsverbindlichkeiten nicht als Schuld zum Abzug zu.
Der Einspruch blieb erfolglos.
Das FG gab der Klage nicht statt.
Mit ihrer Revision beantragen die Kläger, die Pflichtteilsverbindlichkeiten als Schulden zum Abzug zuzulassen. Sie rügen fehlerhafte Ermittlung und Bewertung des vermögensabgabepflichtigen Vermögens, insbesondere fehlerhafte Anwendung des § 7 BewG. Der Abzug von Pflichtteilsverbindlichkeiten gegenüber den Klägern und deren Bruder sei bei Ermittlung des der Vermögensabgabe unterliegenden Vermögens zu Unrecht versagt worden. Das FG habe die Natur des Pflichtteilsanspruchs verkannt und den Sachverhalt steuerrechtlich falsch bewertet.
Der Pflichtteilsanspruch sei ein völlig normaler Geldanspruch des nicht bedachten Abkömmlings gegen den Erben. Die Existenz dieses Anspruchs und die sich daraus ergebende Belastung für den Verpflichteten hingen nicht davon ab, ob und wann der Anspruch geltend gemacht werde. Der Pflichtteilsschuldner habe wie ein zum Schadenersatz aus unerlaubter Handlung Verpflichteter während der Dreijahresfrist (§ 2332 Abs. 1 BGB) keine Abwehrmöglichkeit gegen diesen Anspruch. Solange die in keiner Weise eingeschränkte Verpflichtung bestehe, stelle sie auch bewertungsrechtlich eine Belastung dar. Bei der Pflichtteilslast handele es sich, solange eine Verfügung darüber nicht getroffen sei, um eine auflösend bedingte Last im Sinn des § 7 BewG. Wie sich aus dem Urteil des BFH III 125/61 S vom 8. September 1961 (BFH 74, 42, BStBl III 1962, 19) ergebe, seien nach dem im Vermögensteuerrecht geltenden statischen Prinzip auflösend bedingte Lasten bis zum Eintritt der auflösenden Bedingung anzusetzen. Die wirtschaftliche Betrachtung sei durch die §§ 4-8 BewG ausgeschlossen. Es dürfe nicht darauf abgestellt werden, ob mit der Geltendmachung mit Rücksicht auf die verwandtschaftlichen Beziehungen zu rechnen gewesen sei. Gute persönliche Beziehungen zwischen Verpflichteten und Berechtigten seien nicht geeignet, die Bewertung der gegenseitigen Rechte zu beeinflussen. Der Pflichtteilsanspruch dürfte nur bei Vorliegen eines Erlaßvertrages außer Ansatz bleiben. Ein Erlaß des Pflichtteilsanspruchs sei indes auch vom FG nicht angenommen worden.
Das FG beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist nicht begründet.
Das FG hat den Abzug von Pflichtteilsverbindlichkeiten bei der Ermittlung des vermögensabgabepflichtigen Vermögens zu Recht versagt.
Gemäß § 21 LAG unterliegt der Vermögensabgabe das Vermögen zu Beginn des 21. Juni 1948, das sich nach den bei der Vermögensteuer für die Ermittlung des Gesamtvermögens maßgebenden Vorschriften errechnet. Zur Ermittlung des Wertes des Gesamtvermögens sind vom Rohvermögen die Schulden abzuziehen (§ 74 Abs. 1 Nr. 1 BewG). Voraussetzung für den Abzug von Schulden bei der Ermittlung des vermögensabgabepflichtigen Vermögens ist, daß die Schulden am Währungsstichtag bestanden haben und eine ernst zu nehmende Belastung darstellten.
Mit den Klägern ist davon auszugehen, daß die Pflichtteilsansprüche sämtlicher Kinder, die durch das gemeinschaftliche Testament ihrer Eltern von der Erbfolge ausgeschlossen waren, mit dem Tod ihres Vaters bürgerlichrechtlich entstanden waren (§§ 2303, 2317 BGB). Damit war indes nicht ohne weiteres auch eine tatsächliche wirtschaftliche Belastung der Mutter der Kläger als Alleinerbin nach ihrem Ehemann - dem Vater der Kläger - eingetreten. Die Geltendmachung eines Pflichtteilsanspruchs ist in das Belieben des Pflichtteilsberechtigten gestellt (§ 2303 Abs. 1 BGB). Dem entspricht es, daß der Pflichtteilsanspruch unpfändbar ist (§ 852 Abs. 1 ZPO) und dem Konkursbeschlag nicht unterliegt (§ 1 KO), solange der Berechtigte den Willen der Rechtsverfolgung nicht bekundet hat. Pflichtteilsansprüche werden wegen des vielfach engen verwandtschaftlichen Verhältnisses zwischen Erben und Pflichtteilsberechtigten und aus anderen Gründen häufig nicht geltend gemacht. Deshalb kann mit ihrem bürgerlich-rechtlichen Entstehen nicht ohne weiteres eine wirtschaftliche Belastung des Erben durch die Pflichtteilsverbindlichkeit angenommen werden. Zur wirtschaftlichen Belastung für den Erben wird die Pflichtteilsverbindlichkeit erst, wenn der Pflichtteilsberechtigte seinen Anspruch geltend macht oder mit einer Geltendmachung ernsthaft zu rechnen ist (vgl. Urteil des BFH III 324/60 vom 17. Januar 1964, HFR 1965, 197, StRK Bewertungsgesetz, § 74, Rechtsspruch 36).
Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG, die die Kläger nicht angegriffen haben und an die der Senat gebunden ist (§ 118 Abs. 2 FGO), haben die Kinder ihren Pflichtteilsanspruch nicht geltend gemacht. Nach den Feststellungen der Vorinstanz brauchte die Mutter der Kläger mit Rücksicht auf das seinerzeit gute Verhältnis zu den Kindern auch nicht mit einer Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs durch eines ihrer Kinder am Währungsstichtag zu rechnen. Wegen Fehlens einer wirtschaftlichen Belastung hat demnach das FG im Streitfall zu Recht den Abzug von Pflichtteilsverbindlichkeiten bei der Ermittlung des vermögensabgabepflichtigen Vermögens abgelehnt.
Entgegen der Auffassung der Kläger kann der Pflichtteilsanspruch auch nicht einem Anspruch auf Schadenersatz wegen unerlaubter Handlung gleichgestellt werden. Anders als beim Pflichtteilsanspruch stehen sich bei dem Schadenersatzanspruch in der Regel Personen gegenüber, die nicht durch verwandtschaftliche Beziehungen miteinander verbunden sind. Der Schadenersatzberechtigte macht seinen Anspruch im allgemeinen tatsächlich geltend. Der Verpflichtete ist daher in der Regel durch die Verpflichtung aus unerlaubter Handlung auch wirtschaftlich belastet.
Die Ansicht der Kläger, bei der Pflichtteilslast handele es sich, solange eine Verfügung darüber nicht getroffen sei, um eine auflösend bedingte Last im Sinne des § 7 BewG, trifft nicht zu. Die §§ 4 ff. BewG kommen im Streitfall schon deshalb nicht zur Anwendung, weil es an einer durch Rechtsgeschäft vereinbarten Bedingung fehlt. Denn die §§ 4 ff. BewG knüpfen mit dem Begriff "Bedingung" an das bürgerliche Recht an (Urteil des BFH II 272/58 U vom 11. Januar 1961, BFH 72, 440, BStBl III 1961, 162). Danach liegt eine Bedingung nur vor, wenn die Rechtswirkungen eines Vertrages kraft Parteivereinbarung von einem zukünftigen ungewissen Ereignis abhängig gemacht werden.
Nach alledem war die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 412984 |
BStBl II 1972, 100 |
BFHE 1972, 445 |