Entscheidungsstichwort (Thema)
Begriff der Steuernachforderung in §233a Abs. 1 Satz 1 a.F. AO 1977; Erhöhung der ESt-Vorauszahlungen
Leitsatz (NV)
1. Die Entstehung von Nachzahlungszinsen nach §233a a.F. AO 1977 setzt voraus, daß im Zeitpunkt der Steuerfestsetzung noch irgendeine Schuld hinsichtlich der festgesetzten Steuer offen war. Sie scheidet folglich aus, wenn im Zeitpunkt der Steuerfestsetzung die Steuer durch eine vorherige freiwillige Zahlung des Steuerpflichtigen bereits vollständig getilgt war (Bestätigung der Rechtsprechung).
2. Führte die Steuerfestsetzung zu einer noch so geringen Steuernachforderung, so richtet sich die Berechnung der Höhe der Nachzahlungszinsen nicht nach der Höhe der noch offenen Steuerschuld, sondern nach dem Unterschiedsbetrag zwischen der festgesetzten Steuer und den anzurechnenden Vorauszahlungen (ebenfalls Bestätigung der Rechtsprechung).
3. Einkommensteuervorauszahlungen sind bei einem Erhöhungsbetrag unter 5 000 DM auch dann nicht zu erhöhen, wenn sich diese Erhöhung im Endergebnis zugunsten des Steuerpflichtigen auswirkt.
Normenkette
AO 1977 § 233a; EStG § 37 Abs. 5 S. 2
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) reichte am 25. April 1991 ihre Einkommensteuererklärung für das Jahr 1989 beim Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt -- FA --) ein. Bereits am 27. März 1991 hatte sie eine freiwillige Zahlung in Höhe von 4 200 DM auf die Einkommensteuerschuld 1989 geleistet.
Das FA führte die Veranlagung entsprechend der eingereichten Einkommensteuererklärung durch und setzte mit Einkommensteuerbescheid vom 9. Juli 1991 die Einkommensteuer 1989 auf 20 926 DM fest. Nach Anrechnung der für 1989 festgesetzten Einkommensteuer-Vorauszahlungen in Höhe von 16 640 DM und der freiwilligen Zahlung von 4 200 DM ergab sich ein Nachzahlungsbetrag in Höhe von 86 DM.
Mit Zinsbescheid für die Zeit vom 1. April 1991 bis zum 12. August 1991 setzte das FA Nachzahlungszinsen jedoch nicht nur für den Nachzahlungsbetrag von 86 DM, sondern für den Unterschiedsbetrag zwischen der festgesetzten Steuer und den festgesetzten Einkommensteuer-Vorauszahlungen (20 926 DM ./. 16 640 DM) in Höhe von 4 286 DM fest. Der sich daraus ergebende Zinsbetrag (vier volle Monate zu 0,5 v.H. = 2,0 v.H. von 4 286 DM) betrug 84 DM.
Der gegen die Zinsfestsetzung eingelegte Einspruch der Klägerin blieb erfolglos. Die dagegen erhobene Klage hatte jedoch Erfolg. Das Finanzgericht (FG) begründete sein Urteil damit, daß die Nichtberücksichtigung freiwilliger Vorauszahlungen auf die Steuerschuld wie im Streitfall dem Grundgedanken der Verzinsung i.S. des §233a der Abgabenordnung (AO 1977) widerspreche. Eine Verzinsung setze grundsätzlich eine nichterfüllte Steuerschuld voraus. Auch freiwillige Vorauszahlungen bewirkten das Erlöschen der Steuerschuld. Von der Erfüllungswirkung her unterscheide das Gesetz nämlich nicht zwischen Vorauszahlungen, die aufgrund einer vorherigen Sollstellung geleistet worden seien, und solchen, denen eine solche Sollstellung nicht zugrunde liege. Die Nichtberücksichtigung freiwilliger Vorauszahlungen im Rahmen der Zinsberechnung des §233a AO 1977 erscheine unverhältnismäßig und willkürlich.
Zumindest habe das FA in der freiwilligen Vorauszahlung in Höhe von 4 200 DM einen konkludenten Antrag auf Anpassung der letzten Vorauszahlung sehen müssen. Das FA habe diesen Antrag bescheiden und vor Erlaß des angefochtenen Zinsbescheides die festgesetzten Vorauszahlungen anpassen müssen. Der Einwand des FA, die Anpassung der Vorauszahlungen habe wegen §37 Abs. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) unterbleiben müssen, weil der Erhöhungsbetrag nicht mindestens 5 000 DM betragen habe, gehe fehl. Die Vorschrift des §37 Abs. 5 EStG sei in erster Linie eine Schutzvorschrift zugunsten der Steuerpflichtigen, auf die sich das FA nicht berufen könne, wenn ein Steuerpflichtiger einen Betrag unter 5 000 DM freiwillig vorauszahle.
Gegen das Urteil des FG richtet sich die vom FG zugelassene Revision des FA.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt unter Berufung auf die Gründe des Urteils des FG, die Revision zurückzuweisen.
Das dem Verfahren beigetretene Bundesministerium der Finanzen (BMF) ist der Auffassung, daß die vom I. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) im Urteil vom 15. März 1995 I R 56/93 (BFHE 177, 204, BStBl II 1995, 490) vorgenommene Auslegung des §233a Abs. 1 AO 1977, wonach Steuernachforderung eine Steuerzahlungsschuld sei, der zumindest im Zeitpunkt der Steuerfestsetzung die Eignung zukomme, noch fällig werden zu können, zwar nach dem Gesetzeswortlaut möglich sei. Die Auslegung berücksichtige aber nicht Sinnzusammenhang, Systematik und Entstehungsgeschichte des §233a AO 1977. Sie führe darüber hinaus zu teilweise absurden Ergebnissen. Dies werde auch im Streitfall deutlich, in dem sich nur noch eine Zahlungsforderung von 86 DM ergebe und trotz dieser geringen Nachforderung dann eine Verzinsung des vollen Unterschiedsbetrags zwischen Steuerfestsetzung und festgesetzten Vorauszahlungen erfolgen solle.
Das BMF hat keinen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.
1. Nach §233a Abs. 1 Satz 1 AO 1977 in der für das Streitjahr geltenden Fassung sind Nachzahlungszinsen unter den Fristvoraussetzungen des §233a Abs. 2 AO 1977 u.a. zu zahlen, wenn die Festsetzung der Einkommensteuer zu einer Steuernachforderung führt. Entgegen der Auffassung des FG und des dem Verfahren beigetretenen BMF bezieht sich der Ausdruck "Steuernachforderung" nach der Rechtsprechung des BFH auf eine Steuerzahlungsschuld, der zumindest im Zeitpunkt der Steuerfestsetzung die Eignung zukommt, noch fällig werden zu können. Die Entstehung von Nachzahlungszinsen setzt also voraus, daß im Zeitpunkt der Steuerfestsetzung noch irgendeine Schuld hinsichtlich der festgesetzten Steuer offen ist. Sie scheidet folglich aus, wenn im Zeitpunkt der Steuerfestsetzung die Steuer durch eine vorherige freiwillige Zahlung des Steuerpflichtigen bereits vollständig getilgt war (Urteile des BFH in BFHE 177, 204, BStBl II 1995, 490; vom 28. Februar 1996 XI R 44/94, BFH/NV 1996, 658; vom 11. Juli 1996 V R 18/95, BFHE 180, 524, BStBl II 1997, 259; vom 13. November 1996 XI R 56/96, BFHE 181, 405).
Führt die Steuerfestsetzung aber zu einer noch so geringen Steuernachforderung, so ist damit die Voraussetzung des §233a Abs. 1 Satz 1 AO 1977 in der für das Streitjahr geltenden Fassung für das Entstehen des Anspruchs auf Nachzahlungszinsen gegeben. Die Berechnung der Höhe der Nachzahlungszinsen richtet sich dann gemäß §233a Abs. 3 Satz 1 AO 1977 nicht nach der Höhe der noch offenen Steuerschuld, sondern zwingend nach dem Unterschiedsbetrag zwischen der festgesetzten Steuer und den anzurechnenden Vorauszahlungen (BFH-Urteile in BFHE 177, 204, BStBl II 1995, 490, und in BFH/NV 1996, 658). Dieses nach Auffassung des BMF sinnwidrige Ergebnis kann nicht durch eine Auslegung des §233a Abs. 1 Satz 1 AO 1977 in der für das Streitjahr geltenden Fassung gegen seinen Wortlaut, sondern nur durch Billigkeitsmaßnahmen korrigiert werden.
Der erkennende Senat schließt sich der vorgenannten Rechtsprechung an, da in §233a Abs. 1 Satz 1 AO 1977 in der für das Streitjahr geltenden Fassung nur davon die Rede ist, daß die Steuerfestsetzung zu einer Steuernachforderung führt. Der Gesetzestext bietet keinen Anhaltspunkt, daß der Begriff der Steuernachforderung identisch sein soll mit dem in §233a Abs. 3 Satz 1 AO 1977 genannten Unterschiedsbetrag zwischen festgesetzter Steuer und anzurechnenden Vorauszahlungen. Um Wiederholungen zu vermeiden, verweist der Senat zur näheren Begründung auf die genannte Rechtsprechung, insbesondere auf das Urteil in BFHE 177, 204, BStBl II 1995, 490.
2. Nach diesen Grundsätzen ist die Festsetzung der Nachzahlungszinsen im Streitfall zu Recht erfolgt. Denn die Steuerfestsetzung hat auch unter Berücksichtigung der freiwilligen Zahlung der Klägerin in Höhe von 4 200 DM zu einer Steuernachforderung in Höhe von 86 DM geführt. Es besteht keine Möglichkeit, wegen der geringen Höhe dieser Nachforderung anzunehmen, daß der Anspruch auf Nachzahlungszinsen nicht entstanden sei. Zur näheren Begründung kann wiederum auf die genannte Rechtsprechung, hier insbesondere auf das Urteil in BFH/NV 1996, 658, verwiesen werden. Da die grundsätzliche Voraussetzung für das Entstehen des Nachzahlungszinsanspruchs gegeben war, hat das FA den Zinsanspruch zutreffend gemäß §233a Abs. 3 Satz 1 AO 1977 als Unterschiedsbetrag zwischen der festgesetzten Steuer und den festgesetzten Vorauszahlungen berechnet.
3. Das FA war auch entgegen der Ansicht des FG vor der Festsetzung der Steuern nicht verpflichtet, die freiwillige Zahlung der 4 200 DM durch die Klägerin als einen Antrag auf Erhöhung der Vorauszahlungen zu behandeln und die Vorauszahlungen entsprechend höher festzusetzen. §37 Abs. 5 Satz 2 EStG läßt eine Erhöhung der Vorauszahlungen nur zu, wenn sich die Erhöhung mindestens auf 5 000 DM beläuft. Aus dieser Bestimmung kann nicht entgegen ihrem Wortlaut eine Pflicht zur Erhöhung der Vorauszahlungen auch bei einem Erhöhungsbetrag unter 5 000 DM hergeleitet werden, wenn sich diese Erhöhung im Endergebnis zugunsten des Steuerpflichtigen auswirkt.
4. Der Senat hat im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden, ob die vom FA festgesetzten Nachzahlungszinsen im Billigkeitswege erlassen sind. Das dem Verfahren beigetretene BMF hat dies bejaht. Der Anwendungserlaß zur Abgabenordnung in seiner Fassung vom 30. Dezember 1996 (BStBl I 1996, 1468) sieht in seiner Regelung zu §233a Nr. 70 nunmehr dementsprechend ausdrücklich vor, daß in Fällen wie dem Streitfall die Voraussetzungen für einen Erlaß der Nachzahlungszinsen gegeben sind. Der Billigkeitserlaß ist jedoch gemäß §163 AO 1977 einem besonderen Verwaltungsverfahren vorbehalten, das nicht Gegenstand des vorliegenden Revisionsverfahrens ist.
Fundstellen
Haufe-Index 55121 |
BFH/NV 1999, 288 |
DStZ 1999, 147 |
HFR 1999, 161 |