Leitsatz (amtlich)
1. Zum Begriff "Anschaffung" ("Erwerb") in § 23 Abs. 1 EStG.
2. Wird ein bürgerlich-rechtlich wirksamer Kaufvertrag erst abgeschlossen, nachdem das Grundstück dem Steuerpflichtigen zu Eigenbesitz übergeben war, so kann als Zeitpunkt des Erwerbs im Sinne des § 23 Abs. 1 EStG der Zeitpunkt der Übertragung des Eigenbesitzes anzusetzen sein, wenn der Steuerpflichtige mit dem Abschluß des bürgerlich-rechtlich gültigen Kaufvertrags fest rechnen konnte und er als Eigenbesitzer schon erhebliche Aufwendungen für Einbauten auf dem Grundstück gemacht hat.
Normenkette
EStG § 23 Abs. 1
Tatbestand
Das streitige Waldgrundstück mit Wochenendhaus aus Holz hatte einer aus 20 Personen bestehenden Erbengemeinschaft gehört. Mit dem Bevollmächtigten der Erbengemeinschaft trat der Stpfl. Ende August oder Anfang September 1959 in Verbindung, um das Grundstück zu erwerben; sie wurden Anfang Oktober 1959 über den Kauf und einen Kaufpreis von 14 500 DM einig. Sie reichten die Unterlagen beim Notar ein. Dabei stellte sich heraus, daß die Vollmacht des Bevollmächtigten nicht in Ordnung war. Anfang 1960 ließ sich der Stpfl., der das Grundstück inzwischen eingezäunt, einen Kamin in das Holzhaus eingebaut und eine Klärgrube angelegt hatte, von dem Bevollmächtigten bestätigen, daß dieser das Grundstück, wie es stehe und liege, zum Preis von 14 500 DM verkauft habe. Am 24. November 1960 wurde der notarielle Kaufvertrag geschlossen. Als der Stpfl. im Februar/März 1962 von seinem Arbeitgeber überraschend versetzt wurde, verkaufte er das Grundstück am 8. März 1962 für 33 000 DM.
Das FA errechnete für das Jahr 1962 einen Spekulationsgewinn. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.
Die Berufung hatte Erfolg. Das FG hielt die Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 EStG nicht für gegeben, weil wirtschaftlich der Stpfl. das Grundstück mehr als zwei Jahre "seinem Vermögen einverleibt hatte".
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision des FA kann keinen Erfolg haben.
Dem FA ist zuzugeben, daß für die Berechnung der Spekulationsfrist von zwei Jahren der Zeitpunkt des Abschlusses der obligatorischen Geschäfte, also des Kaufvertrags und des Verkaufvertrags, maßgebend ist (vgl. z. B. das Urteil des Senats VI 120/62 vom 22. November 1963, HFR 1964, 157). Das FG nimmt aber an, daß hier nicht der Zeitpunkt des notariellen Kaufvertrags vom 24. November 1960 anzusetzen sei, weil zu diesem Zeitpunkt lediglich der bereits Ende 1959/Anfang 1960 geschaffene Zustand bestätigt worden sei, auf Grund dessen der Stpfl. sich wirtschaftlich als Erwerber des Grundstücks betrachtet habe; dieser Zeitpunkt sei im Streitfall maßgebend.
Wie der Senat wiederholt entschieden hat (vgl. z. B. die Urteile VI 189/64 vom 23. April 1965, Der Betrieb 1965 S. 1309, und VI 147/65 vom 23. September 1966, BFH 87, 140, BStBl III 1967, 73), kann, auch wenn noch kein bürgerlich-rechtlich gültiger Kauf- oder Verkaufvertrag geschlossen ist, doch ein Erwerb oder eine Veräußerung im Sinne von § 23 Abs. 1 EStG angenommen werden, wenn wie z. B. bei einem bindenden Kauf- oder Verkaufangebot wirtschaftlich eine Situation geschaffen worden ist, die das vorausnimmt, was nachher durch einen bürgerlich-rechtlich wirksamen Vertrag bestätigt wird. Die bisher behandelten Fälle unterscheiden sich von dem Streitfall allerdings dadurch, daß damals bereits eine rechtliche Bindung bestand, während der Stpfl. hier zu der Zeit, die das FG als Zeitpunkt des "Erwerbs" ansetzt, das Grundstück nur tatsächlich in Besitz hatte, ohne einen rechtlichen Anspruch auf Eigentumsübertragung zu haben. Allerdings konnte er den Umständen nach, zumal wegen der Stellung des Bevollmächtigten, mit der Erfüllung der zunächst mündlichen und von dem Bevollmächtigten dann schriftlich bestätigten Vereinbarungen rechnen.
Wenn die Rechtsprechung nicht auf das dingliche, sondern auf das obligatorische Rechtsgeschäft als maßgebend abstellt, so deswegen, weil in aller Regel in diesen Geschäften der vertragliche Wille in erster Linie zum Ausdruck kommt und die Vornahme dieser Geschäfte vom Stpfl. abhängt. Daß das Gesetz selbst die Übertragung des bürgerlich-rechtlichen Eigentums nicht als entscheidend ansieht, ergibt sich daraus, daß es selbst von der Möglichkeit ausgeht, daß "die Veräußerung früher erfolgt als der Erwerb".
In aller Regel folgt das dingliche Rechtsgeschäft (Erwerb) dem schuldrechtlichen Rechtsgeschäft (Kauf). Bei Grundstücken hat der Käufer oder Verkäufer es nicht in der Hand, den Zeitpunkt zu bestimmen, zu dem bürgerlich-rechtlich das Eigentum übergeht, weil es dazu der Eintragung im Grundbuch bedarf, auf die der Stpfl. keinen Einfluß hat. In diesen Fällen hat die Auslegung für die Anwendung des § 23 Abs. 1 EStG, den Zeitpunkt der schuldrechtlichen Rechtsgeschäfte maßgebend sein zu lassen, ihre besondere Bedeutung.
Wenn aber ausnahmsweise das dingliche vor dem schuldrechtlichen Rechtsgeschäft abgeschlossen wird, dann ist grundsätzlich der Zeitpunkt des dinglichen Rechtsgeschäfts für die Berechnung der Spekulationsfrist maßgebend. Wer etwa Wertpapiere, die ein anderer dringend braucht, diesem sofort übereignet und den Abschluß des Kaufvertrags noch offen läßt, weil man über den Kaufpreis nicht einig ist, hat die Wertpapiere im Sinne von § 23 Abs. 1 EStG im Zeitpunkt der Übergabe veräußert und nicht mit dem späteren Abschluß des Kaufvertrags.
Das FG ist zu der Feststellung gekommen, daß dem Stpfl. das Grundstück zu Eigenbesitz übergeben war. Zu dieser Feststellung konnte das FA ohne Rechtsverstoß kommen. Wie der BFH gerade für Fälle von Eigenbesitz (wirtschaftlichem Eigentum) entschieden hat, z. B. im Urteil III 373/61 vom 6. November 1964 (HFR 1965, 102), darf man bei der Beurteilung, welche Bedeutung einer Grundstücksübergabe beizumessen ist, die spätere Entwicklung nicht völlig außer Betracht lassen. Der Senat legt den § 23 Abs. 1 EStG dahin aus, daß es nicht auf den "Spekulationswillen", sondern allein auf die Frist ankommt, die zwischen dem Erwerb und der Veräußerung liegt (Urteil VI R 24/66 vom 8. März 1967, BFH 88, 182, BStBl III 1967, 317).
Mit Recht weist das FG hier darauf hin, daß der Stpfl. als Eigenbesitzer auf das Grundstück erhebliche Aufwendungen gemacht hatte und daß er trotz des Fehlens einer rechtlich wirksamen Bindung wirtschaftlich mit dem Abschluß des Kaufvertrags fest rechnen konnte. Der Senat hat mit dem FG keine Bedenken, unter den besonderen Umständen des Streitfalles anzunehmen, daß der Stpfl. im Sinne des § 23 Abs. 1 EStG das Grundstück bereits Anfang 1960 erworben hat, so daß die Veräußerung des Grundstücks erst nach dem Ablauf der Spekulationsfrist von zwei Jahren geschehen ist.
Fundstellen
Haufe-Index 412819 |
BStBl II 1968, 142 |
BFHE 1968, 478 |