Entscheidungsstichwort (Thema)
Notwendige Beiladung bei Streit wegen Sonderbetriebsvermögen (Wertansatz eines Firmenwerts bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens); Abgrenzung eines Wirtschaftsguts „Schwebende Geschäfte“ gegenüber dem Geschäftswert
Normenkette
FGO § 48 Abs. 1 Nr. 5, § 60 Abs. 3 S. 1; BewG §§ 95, 97
Tatbestand
I. Mit Vertrag vom Januar 1988 schied der Gesellschafter M aus der zweigliedrigen X-OHG gegen Zahlung von 4,3 Mio. DM aus. Der Gesellschafter F führte den Betrieb, der in der Herstellung, dem Vertrieb und dem Handel mit … bestand, zunächst als Einzelunternehmen fort. Die Zahlung an den ausgeschiedenen Gesellschafter überstieg dessen Kapitalkonten um … DM. F ordnete diesen Betrag den abnutzbaren materiellen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens zu, die er innerhalb der nächsten vier Jahre abschrieb. Zum 1. Juli 1989 brachte F das Einzelunternehmen unter Zurückbehaltung des Anlagevermögens in die neu gegründete Y-GmbH & Co. KG, die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), ein, der er das Anlagevermögen verpachtete. Es wurde fortan als Sonderbetriebsvermögen des Kommanditisten F im Betrieb der Klägerin behandelt.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) gelangte jedoch nach einer Außenprüfung zu der Ansicht, der die Kapitalkonten übersteigende Betrag sei in Höhe von … DM auf den Firmenwert der OHG und in Höhe von … DM auf deren schwebende Geschäfte als selbständig zu bewertendes immaterielles Wirtschaftsgut ―berechnet nach den damit verbundenen Gewinnchancen― entfallen. Nur der Restbetrag habe der Aufdeckung stiller Reserven gedient. Der Firmenwert betrage zu den streitigen Stichtagen 1. Januar 1990 bis 1992 noch … DM, … DM bzw. … DM. Dies führte zu gemäß § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Bescheiden über den Einheitswert des Betriebsvermögens der Klägerin, durch die der Einheitswert auf den 1. Januar 1990 mit … DM, auf den 1. Januar 1991 mit … DM und auf den 1. Januar 1992 mit … DM festgestellt wurde.
Gegen die Bescheide legte die Klägerin mit der Begründung Einspruch ein, der Teilbetrag der Abfindung des M, der für immaterielle Wirtschaftsgüter gezahlt worden sei, entfalle in größerem Umfang ―nämlich in Höhe von … DM― auf den noch nicht in Arbeit befindlichen Auftragsbestand. Der Firmenwert betrage daher zu den streitigen Stichtagen lediglich … DM, … DM bzw. … DM. Die Einsprüche und die nachfolgende Klage blieben erfolglos.
Mit der Revision rügt die Klägerin fehlerhafte Anwendung der §§ 95 Abs. 1, 109 und 10 des Bewertungsgesetzes (BewG) in der zu den streitigen Stichtagen geltenden Fassung.
Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung und Änderung der Bescheide über den Einheitswert des Betriebsvermögens vom 27. Januar, 21. Februar bzw. 22. März 1994 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. Juli 1994 den Einheitswert auf den 1. Januar 1990 auf … DM, auf den 1. Januar 1991 auf … DM und auf den 1. Januar 1992 auf … DM festzustellen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Finanzgericht ―FG― (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―), da das FG die notwendige Beiladung des F unterlassen hat.
Gemäß § 60 Abs. 3 Satz 1 FGO sind Dritte notwendig beizuladen, die an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, daß die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Dies gilt gemäß Satz 2 der Vorschrift jedoch nicht für Mitberechtigte, die nach § 48 FGO nicht klagebefugt sind. Betrifft das streitige Rechtsverhältnis die Frage, mit welchem Wert ein zum Sonderbetriebsvermögen eines Gesellschafters gehörendes Wirtschaftsgut bei der Feststellung des Einheitswerts des Betriebsvermögens einer Personengesellschaft anzusetzen ist, ist dieser Gesellschafter i.S. des § 60 Abs. 3 Satz 1 FGO an dem Rechtsverhältnis beteiligt. Er ist gemäß § 48 Abs. 1 Nr. 2 FGO in der bis Ende 1995 geltenden Fassung (nunmehr § 48 Abs. 1 Nr. 5 FGO i.d.F. des Grenzpendlergesetzes ―GrenzPG― vom 24. Juni 1994, BGBl I, 1395) auch klagebefugt (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 10. November 1993 II R 2/93, BFH/NV 1994, 223). Das Unterlassen einer notwendigen Beiladung stellt einen Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens dar, von dem anzunehmen ist, daß die Vorentscheidung auf ihm beruht (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl. 1997, § 115 Anm. 34). Das FG hat insoweit keinen Ermessensspielraum, in dessen Rahmen es Zweckmäßigkeitserwägungen anstellen dürfte (BFH-Urteil vom 9. Mai 1979 I R 100/77, BFHE 128, 142, BStBl II 1979, 632). Insbesondere kann eine an sich notwendige Beiladung nicht vom Erfolg des Rechtsmittels abhängig gemacht werden (BFH-Beschluß vom 19. Mai 1987 VIII R 382/83, BFH/NV 1988, 161). Lediglich dann, wenn die Klage offensichtlich unzulässig oder über die streitige Rechtsfrage bereits in einem (anderen) Grundlagenbescheid bestandskräftig entschieden worden ist, kann ausnahmsweise von der Beiladung abgesehen werden (vgl. BFH-Beschluß vom 22. März 1995 IV B 66/94, BFH/NV 1995, 986).
Im Streitfall geht die zwischen den Beteiligten streitige Frage, mit welchem Wert der im Sonderbetriebsvermögen des F befindliche Firmenwert bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1990, 1991 und 1992 anzusetzen ist, den F persönlich an. Er wird durch die Frage bereits deshalb berührt, weil ihm bei der Aufteilung des Einheitswerts des Betriebsvermögens sein Sonderbetriebsvermögen vorab zuzurechnen ist. Infolgedessen war F gemäß § 48 Abs. 1 Nr. 2 FGO klagebefugt und zu der Klage der geschäftsführenden Komplementär-GmbH nach § 60 Abs. 3 Satz 1 FGO notwendig beizuladen. Die Voraussetzungen, unter denen ausnahmsweise von einer Beiladung abgesehen werden darf, liegen nicht vor, Die Klage ist insbesondere nicht offensichtlich unzulässig. Ihr läßt sich auch nicht entnehmen, daß sie zusätzlich im Namen des F als Kommanditist erhoben werden sollte (vgl. dazu BFH-Urteil vom 14. Juni 1988 VIII R 368/83, BFHE 154, 201, BStBl II 1988, 1008; von Beckerath in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 48 FGO Anm. 130).
Das Unterlassen der notwendigen Beiladung führt ohne weitere Sachprüfung zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (vgl. BFH-Urteil vom 19. Juli 1994 VIII R 59/93, BFH/NV 1995, 684). Die versäumte Beiladung des F ist durch das FG nachzuholen. Damit ist die ebenfalls fehlende notwendige Hinzuziehung des F zum Vorverfahren nach § 360 Abs. 3 AO 1977 geheilt (vgl. BFH-Urteile vom 22. November 1988 VIII R 62/85, BFHE 155, 322, BStBl II 1989, 359, 360, sowie in BFH/NV 1995, 684).
Für den zweiten Rechtsgang weist der Senat auf seine Entscheidungen vom 28. Oktober 1987 II R 224/82 (BFHE 151, 198, BStBl II 1988, 50) sowie vom 13. September 1989 II R 1/87 (BFHE 158, 446, BStBl II 1990, 47) hin, wonach ein Wirtschaftsgut "schwebende Geschäfte" gegenüber dem Geschäftswert als werthaltige greifbare Einheit nicht abgegrenzt werden kann, wenn es sich bei den schwebenden Geschäften um für das zu bewertende Unternehmen typische Vertragsgestaltungen des täglichen Geschäftsverkehrs handelt, es sei denn, sie sind als solche gesondert veräußert oder ihre selbständige Bewertungsfähigkeit ist durch auf sie gemachte konkrete Aufwendungen anerkannt worden.
Fundstellen