Entscheidungsstichwort (Thema)
Wertsteigerung eines Grundstücks infolge Baulandausweisung keine Gegenleistung der Gemeinde für ihren Erwerb von Teilflächen des Grundstücks; Vertragsauslegung durch das FG in vollem Umfang revisionsrechtlich nachprüfbar
Normenkette
GrEStG 1983 § 8 Abs. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 1; BBauG § 2 Abs. 1; FGO § 118 Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
I. In einer zwischen der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), einer politischen Gemeinde, und V notariell geschlossenen "Rahmenvereinbarung über die Bebauung eines Grundstücks - Kaufvorvertrag" vom 13. August 1991 hatte sich V verpflichtet, der Klägerin auf deren Verlangen hin Teilflächen eines Grundstücks zu verkaufen. Dem lag die Absicht der Klägerin zugrunde, dieses Grundstück als Bauland auszuweisen und seine alsbaldige Bebauung sicherzustellen. Zu diesem Zweck sollten die notwendigen rechtlichen Voraussetzungen (z.B. Aufstellung eines Bebauungsplans, Sicherung der Erschließung) geschaffen und das Grundstück in Erschließungsflächen und Baugrundstücke aufgeteilt werden. Die Erschließungsflächen sollten insgesamt und die Baugrundstücke im Umfang der Hälfte der bebaubaren Fläche des Gesamtgrundstücks an die Klägerin übereignet werden; der von der Klägerin zu zahlende Kaufpreis war auf 50 DM je qm festgelegt.
Nach Durchführung einer der Rahmenvereinbarung entsprechenden Planung der Klägerin und Rechtskraft des Bebauungsplans erwarb die Klägerin von V mit notariell beurkundetem Grundstückskaufvertrag vom 24. Juli 1996 verschiedene insgesamt 2 388 qm große Teilflächen zum Kaufpreis von 50 DM je qm, insgesamt 119 400 DM. Bei V verblieben Teilflächen in einer Größe von ebenfalls 2 388 qm.
Mit Bescheid vom 12. Dezember 1996 setzte das damals örtlich zuständige Finanzamt L gegen die Klägerin Grunderwerbsteuer in Höhe von 11 940 DM fest. Die Bemessungsgrundlage in Höhe von 597 000 DM hatte es unter Zugrundelegung des Kaufpreises von 119 400 DM sowie einer zusätzlichen Gegenleistung in Höhe der Wertsteigerung von 477 600 DM, die die bei V verbliebenen Flächen aufgrund der Baulandausweisung erfahren hatten, ermittelt. Mit ihrem hiergegen erhobenen Einspruch machte die Klägerin geltend, die Wertsteigerung der bei V verbliebenen Grundstücksflächen sei keine Gegenleistung für die von ihr erworbenen Grundstücksflächen. Durch Einspruchsentscheidung vom 9. Mai 1997 setzte das Finanzamt L die Grunderwerbsteuer unter Zugrundelegung einer Wertsteigerung der bei V verbliebenen Grundstücke in Höhe von nunmehr 461 200 DM auf 11 620 DM herab und wies den Einspruch im Übrigen als unbegründet zurück.
Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) beurteilte die infolge der Baulandausweisung eingetretene Wertsteigerung der bei V verbliebenen Grundstücksflächen als Gegenleistung der Klägerin für die von ihr erworbenen Flächen. Die Baulandausweisung sei ausdrückliche Geschäftsgrundlage für den Verkauf von Teilflächen an die Klägerin gewesen. Aufgrund des kausalen Zusammenhangs zwischen der Rahmenvereinbarung, der Aufstellung des Bebauungsplans und dem Erwerb der Teilflächen durch die Klägerin sei der infolge der Baulandausweisung eingetretene Wertzuwachs der bei V verbliebenen Grundstücke im Rahmen eines echten Austauschverhältnisses eingetreten. Die etwaige Rechtsunwirksamkeit der von der Klägerin als hoheitliche Maßnahme übernommenen Verpflichtung zur Baulandausweisung sei gemäß § 41 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) für die Besteuerung unerheblich. Die Vorentscheidung ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 114 veröffentlicht.
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung der §§ 8 Abs. 1, 9 Abs. 1 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG).
Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des FG München vom 22. August 2001 4 K 3206/01 aufzuheben und die Grunderwerbsteuer unter Abänderung des Bescheids vom 12. Dezember 1996 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 9. Mai 1997 auf 2 388 DM herabzusetzen.
Der nunmehr örtlich zuständige Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur antragsgemäßen Herabsetzung der Grunderwerbsteuer (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Bei einem nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG steuerpflichtigen Grundstückskaufvertrag bemisst sich die Grunderwerbsteuer gemäß § 8 Abs. 1 GrEStG nach dem Wert der Gegenleistung. Nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG gilt als Gegenleistung u.a. der Kaufpreis einschließlich der vom Käufer übernommenen sonstigen Leistungen. Als sonstige Leistungen sind alle Verpflichtungen des Käufers anzusehen, die zwar nicht unmittelbar Kaufpreis für das Grundstück im bürgerlich-rechtlichen Sinne, aber gleichwohl Entgelt für den Erwerb des Grundstücks sind (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 25. April 2002 II R 57/00, BFH/NV 2002, 1612). Der Erwerb des Grundstücks und die Gegenleistung müssen kausal verknüpft sein (BFH-Urteile vom 6. Dezember 1989 II R 95/86, BFHE 159, 255, BStBl II 1990, 186; vom 30. September 1998 II R 13/96, BFH/NV 1999, 666).
a) Erwirbt eine Gemeinde einen Teil der von ihr durch Aufstellung eines Bebauungsplans und Sicherung der Erschließung baureif gemachten Grundflächen, ist der beim Grundstücksveräußerer eintretende Wertzuwachs der ihm verbleibenden und nunmehr baureifen Teilflächen grundsätzlich keine Gegenleistung der erwerbenden Gemeinde für ihren Grundstückserwerb. Es fehlt an einer für eine Gegenleistung im grunderwerbsteuerrechtlichen Sinne erforderlichen Verknüpfung zwischen dem Grundstückserwerb der Gemeinde und dem Wertzuwachs der dem Grundstücksveräußerer verbleibenden Grundstücksflächen. Der Grundstücksveräußerer empfängt den Wertzuwachs der ihm verbleibenden Grundstücksflächen nicht als Entgelt für die an die Gemeinde veräußerten Grundstücksflächen. Die erwerbende Gemeinde gewährt den aus der Baureifmachung folgenden Wertzuwachs nicht aufgrund einer gegenüber dem Veräußerer (vertraglich) übernommenen Pflicht zur Baureifmachung.
Die Befugnis und Pflicht der Gemeinden zur Aufstellung von Bauleitplänen (§ 1 Abs. 3 des Baugesetzbuchs --BauGB--) erfolgt ausschließlich im öffentlichen Interesse (Söfker in Brügelmann, Baugesetzbuch, Kommentar, § 1 Rn. 212). Es besteht daher nach § 2 Abs. 3 BauGB kein Rechtsanspruch auf Aufstellung von Bauleitplänen. Ebenso haben die Gemeinden eine Verpflichtung zur Erschließung (§ 123 BauGB) nur gegenüber der Allgemeinheit und nicht gegenüber dem einzelnen Bürger (BFH-Urteil vom 15. März 2001 II R 39/99, BFHE 194, 452, BStBl II 2002, 93, m.w.N.). Wertzuwächse der durch diese öffentlichen Maßnahmen begünstigten Grundstücke sind deshalb, auch wenn eine Gemeinde im zeitlichen Zusammenhang mit diesen Planungsmaßnahmen einen Teil der von ihr zur Baureife geführten Grundstücke selbst erwirbt, keine von der Gemeinde gegenüber dem Grundstücksveräußerer für ihren Erwerb erbrachte "Leistung" i.S. der § 8 Abs. 1 und § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG. Ob andere Grundsätze zu gelten haben, wenn sich die Gemeinde gegenüber einem Grundstücksveräußerer unter Verstoß gegen § 2 Abs. 3 BauGB vertraglich zur Aufstellung von Bauleitplänen oder städtebaulichen Satzungen verpflichtet hat, bleibt offen. Der Wertzuwachs der von der Gemeinde in rechtmäßiger Wahrnehmung ihrer Aufgaben zur Baureife geführten Grundstücksflächen ist vielmehr ein bloßer Reflex der allein auf öffentliche Interessen ausgerichteten Bauleitplanung (vgl. auch BFH-Urteil in BFHE 194, 452, BStBl II 2002, 93).
b) An dieser Beurteilung ändert sich entgegen der Auffassung des FG auch dann nichts, wenn die vertragliche Vereinbarung zwischen dem Grundstücksveräußerer und der Gemeinde über ihren Grundstückserwerb Elemente eines städtebaulichen Vertrags aufweist und Geschäftsgrundlage dieses Vertrags (auch) die Baulandausweisung von beim Veräußerer verbleibenden Grundstücken ist. Eine Gemeinde kann grundsätzlich frei darüber entscheiden, ob sie sich zur Erfüllung eines öffentlichen Interesses der Mittel des Privatrechts bedienen will (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts --BVerwG-- vom 11. Februar 1993 4 C 18/91, BVerwGE 92, 56). Verträge zur Förderung und Sicherung der mit der Bauleitplanung verfolgten Ziele sind durch § 11 Abs. 1 Nr. 2 BauGB i.d.F. der Bekanntmachung vom 27. August 1997 (BGBl I, 2141) ausdrücklich zugelassen; ihre rechtliche Zulässigkeit unterlag auch bereits zuvor keinen rechtlichen Zweifeln (BVerwG-Urteil in BVerwGE 92, 56; Urteile des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 2. Oktober 1998 V ZR 45/98, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1998, 208, und vom 29. November 2002 V ZR 105/02, BGHZ 153, 93). Insbesondere können sich Gemeinden im Zusammenhang mit der Aufstellung eines Bebauungsplans auf privatrechtlichem Wege Grundstücke in dem zukünftigen Baugebiet beschaffen, um in Erfüllung gemeindlicher Aufgaben z.B. den Wohnbedarf der ortsansässigen Bevölkerung zu decken (BVerwG-Urteil in BVerwGE 92, 56; BGH-Urteil in NJW 1998, 208). Der Umstand, dass Geschäftsgrundlage derartiger Verträge (auch) die Baureifmachung und die damit verbundene Werterhöhung von Grundstücken des Veräußerers ist, ändert nichts an dem von der Gemeinde mit dem Grundstücksankauf verfolgten qualifizierten öffentlichen Interesse. Da der Vorentscheidung eine andere Rechtsauffassung zugrunde liegt, war sie aufzuheben.
2. Die Sache ist spruchreif. Der Grunderwerbsteuerbescheid vom 12. Dezember 1996 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 9. Mai 1997 ist rechtswidrig, soweit das Finanzamt L einen Wertzuwachs für die bei V verbliebenen Grundstücksflächen in die Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer einbezogen hat.
Der angegriffene Bescheid erweist sich nicht etwa deshalb als rechtmäßig, weil die Klägerin gegenüber V unter Verstoß gegen § 2 Abs. 3 BauGB eine Verpflichtung zur Baulandausweisung eingegangen ist und damit eine sonstige Leistung (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG) vorliegt. Sollte das vorinstanzliche Urteil dahin zu verstehen sein, dass für die Klägerin in der mit V geschlossenen Rahmenvereinbarung eine solche Verpflichtung begründet wurde, ist der Senat an diese Auslegung der Rahmenvereinbarung nicht nach § 118 Abs. 2 FGO gebunden. Revisionsrechtlich ist in vollem Umfang nachprüfbar, ob das FG bei der Auslegung eines Vertrags u.a. die gesetzlichen Auslegungsregeln beachtet hat (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 118 Rz. 24, m.w.N.). Diese Prüfung ergibt, dass die Klägerin in der Rahmenvereinbarung --ohne Verstoß gegen § 2 Abs. 3 BauGB-- lediglich ihre Absicht bekundet hat, für die Grundstücksflächen der V eine Baulandausweisung und Sicherstellung einer alsbaldigen Bebauung vorzunehmen. Hingegen hat sich die Klägerin gegenüber V nicht zur Baulandausweisung verpflichtet und daher mit Abschluss der Rahmenvereinbarung ausschließlich eine ihr übertragene öffentliche Aufgabe auf dem Gebiet des Städtebaurechts wahrgenommen.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO zu ändern und die Grunderwerbsteuer unter Zugrundelegung des vereinbarten Kaufpreises in Höhe von 119 400 DM auf 2 388 DM (entspricht 1 220 €) festzusetzen.
Fundstellen