Entscheidungsstichwort (Thema)
Zurechnung von Gewinnen bei Veräußerung oder Aufgabe des geerbten Betriebes
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Veräußerungsgewinn, den der Erbe durch eigene Veräußerung oder Aufgabe des geerbten Betriebs gewerblicher oder freiberuflicher Art erzielt hat, ist bei diesem und nicht beim Erblasser zu erfassen, unabhängig davon, ob der Betrieb vom Erben noch für eine gewisse Zeit weitergeführt oder alsbald nach dem Erbfall veräußert oder aufgegeben wurde, und zwar selbst dann, wenn die Veräußerung oder Aufgabe vom Erblasser angeordnet wurde. Es ist unerheblich, ob der Erbe nach dem Erbfall unternehmerische Initiativen entfaltet hat oder nicht.
2. § 7 Abs. 1 EStDV gilt nicht nur für unentgeltliche Betriebsübertragungen unter Lebenden, sondern auch für den Fall der Erbschaft.
Normenkette
EStG § 16 Abs. 1, 3; EStDV § 7 Abs. 1
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war bis Anfang September 1976 als Angestellter im Betrieb seines Vaters beschäftigt. Der Vater starb am 8. September 1976. Alleinerbe war der Kläger, der sich entschloß, das Geschäft nicht fortzuführen. Er stellte den Betrieb zum 30. September 1976 ein und veräußerte das Betriebsvermögen. Dabei erzielte er einen Veräußerungsgewinn von … DM.
In ihrer Einkommensteuererklärung 1976 ließen der Kläger und seine Ehefrau den Veräußerungsgewinn außer Ansatz, weil sie die Ansicht vertraten, daß er beim Erblasser anzusetzen sei. Hingegen erfaßte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt – FA–) den Veräußerungsgewinn beim Kläger und setzte die Einkommensteuer 1976 unter Gewährung der Tarifvergünstigung nach § 34 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der für 1976 geltenden Fassung auf … DM fest. Der dagegen eingelegte Einspruch blieb insoweit erfolglos.
Auch die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) vertrat die Auffassung, der Veräußerungsgewinn sei dem Kläger zuzurechnen, weil dieser den Tatbestand der Betriebsaufgabe verwirklicht habe.
Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts.
Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet.
Zu Recht hat das FG den nach § 16 Abs. 3 EStG angefallenen Veräußerungsgewinn dem Kläger zugerechnet.
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist ein Veräußerungsgewinn, den der Erbe durch eigene Veräußerung oder Aufgabe des geerbten Betriebs gewerblicher oder freiberuflicher Art erzielt hat, bei diesem und nicht beim Erblasser zu erfassen (Urteile vom 7. Oktober 1965 IV 346/61 U, BFHE 83, 462, BStBl III 1965, 666; vom 21. März 1969 VI R 208/67, BFHE 96, 19, BStBl II 1969, 520; vom 29. Mai 1969 IV R 238/66, BFHE 96, 182, BStBl II 1969, 614; vom 21. Mai 1970 IV 344/64, BFHE 99, 469, BStBl II 1970, 747; vom 21. Februar 1973 IV R 58/72, BFHE 108, 237, 240, BStBl II 1973, 317, 318, 319; vom 26. März 1981 IV R 130/77, BFHE 133, 271, 275, BStBl II 1981, 614, 616, und vom 19. Mai 1981 IV R 143/78, BFHE 133, 390, 400, BStBl II 1981, 665, 667; ebenso der Bundesgerichtshof – BGH– im Urteil vom 26. April 1972 IV ZR 114/70, Steuerrechtsprechung in Karteiform –StRK–, Einkommensteuergesetz, § 16, Rechtsspruch 147 mit Anmerkung Costede). Dies gilt unabhängig davon, ob der Erbe den Betrieb noch für eine gewisse Zeit weiterführt oder ihn alsbald nach dem Erbfall veräußert oder aufgibt, und zwar selbst dann, wenn die Veräußerung oder Aufgabe auf einer Anordnung des Erblassers beruht. Denn in allen Fällen hat er, der Erbe, den Tatbestand des § 16 EStG verwirklicht, weil erst er durch den Entschluß zur Aufgabe nach dem Erbfall einen neuen Sachverhalt geschaffen hat. Dabei ist unerheblich, ob der Erbe nach dem Erbfall noch weitere eigene unternehmerische Initiativen entfaltet hat oder nicht.
Der erkennende Senat hat um so weniger Veranlassung von dieser Rechtsprechung abzuweichen, als sie im Schrifttum überwiegend gebilligt wird (s. z.B. Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 19. Aufl., § 16 EStG Anm. 43 m.w.N.; Schmidt, Einkommensteuergesetz, 3. Aufl., § 16 Anm. 120; Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, 4. Aufl., Köln 1983 S. 499; dieselbe, Steuer- und Wirtschaft –StuW– 1973, 74 ff., dort Anm. 52 auf S. 82).
Die gegenteilige Auffassung (vgl. neben der vom Kläger zitierten Entscheidung des FG Stuttgart vom 6. April 1965 I 107/65, Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG– 1965, 431, auch Urteil des Niedersächsischen FG vom 27. Februar 1961 IV 262/60, EFG 1961, 444; weitere Nachweise bei Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O.) vermag nicht zu überzeugen. Neben den verschiedenen Schwierigkeiten, die sie aufwirft (z.B.: die Bestimmung des Zeitraums, innerhalb dessen der Erbe den Betrieb noch fortführen darf, ohne daß ein Veräußerungsgewinn bei ihm angesetzt wird; zu weiteren Unverträglichkeiten Knobbe-Keuk, StuW, a.a.O.), übersieht sie, daß nicht der Erblasser die in § 16 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 3 EStG normierten Veräußerungs- und Aufgabehandlungen vorgenommen hat, sondern der Erbe. Sie beachtet auch nicht den Gedanken der Universalsukzession in § 1922 des Bürgerlichen Gesetzbuches, wonach der Erbe in alle vermögensrechtlichen Positionen eintritt und somit auch ein noch lebender Betrieb über den Tod des Erblassers hinaus fortexistiert, sofern nicht der Erbe den Entschluß faßt, ihn einzustellen. Entgegen der Auffassung des Klägers knüpft auch das Steuerrecht an die zivilrechtlichen Gegebenheiten an, wie § 7 Abs. 1 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung beweist, der nach einhelliger Meinung auch für den Fall der Erbschaft und nicht nur für unentgeltliche Betriebsübertragungen unter Lebenden gilt (vgl. Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O.; Schmidt, a.a.O., und § 4 Anm. 131).
Fundstellen