Entscheidungsstichwort (Thema)

Reichweite der Option zur Steuerpflicht bei unternehmerischer und nichtunternehmerischer Nutzung einer Leistung

 

Leitsatz (NV)

Verpachtet der Grundstückseigentümer ein Appartementgebäude und verzichtet er gem. § 9 UStG 1980 auf die Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 12 Buchst. 1 UStG 1980, dann erfaßt die Option nicht den vom Pächter zu nichtunternehmerischen Zwecken genutzten Teil des Gebäudes.

 

Normenkette

UStG 1980 § 4 Nr. 12 Buchst. a, §§ 9, 15 Abs. 2

 

Verfahrensgang

FG Düsseldorf

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) errichtete 1979 ein Wohngebäude mit sechs Appartements, davon vier zu 45 qm und zwei Appartements zu 28 qm. Das Gebäude wurde im Dezember 1980 bezugsfertig. Mit Vertrag vom 30. Dezember 1980 verpachtete der Kläger das Gebäude für 900 DM monatlich "als Beherbergungsbetrieb mit sechs Ferienwohnungen" an seine Ehefrau. Die Ehefrau des Klägers erhielt auf ihren Antrag eine Erlaubnis nach dem Gaststättengesetz "zum Betrieb eines Beherbergungsbetriebs" und nahm den Vermietungsbetrieb auf. Der Kläger optierte für die Verpachtung gemäß § 9 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) zur Mehrwertsteuer und erklärte in den Streitjahren u. a. die Vorsteuer aus den Baukosten. Bei einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung stellte die Prüferin fest, daß eines der Appartements (28 qm) auf Dauer vermietet war und ein weiteres (von 45 qm Größe) nach Darstellung des Klägers für den Fall leerstand, daß die Ehefrau des Klägers in X wohnen mußte, insbesondere dann, wenn die örtliche Hausbetreuerin ausfiel. Die Prüferin erkannte die Option insoweit nicht an. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) folgte dieser Beurteilung.

Der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) überwiegend statt. Die Option sei wirksam und in vollem Umfang anzuerkennen. Der Kläger habe entgegen der Ansicht des FA mit der Einbeziehung des dauervermieteten und des leerstehenden Appartements keine Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts i. S. von § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) mißbraucht. Der Kläger habe nicht sechs einzelne Appartements, sondern ein einheitliches Gebäude als Beherbergungsbetrieb verpachtet. Die Nutzung zweier einzelner Appartements zu anderen Zwecken als der Vermietung an Feriengäste könne den einheitlich bestimmten Leistungszweck nicht beeinflussen. Es komme nicht darauf an, ob der Kläger, wie das FA vermute, in dem nicht vermieteten Appartement seine Ferien verbracht habe. Das sei eine Frage des Eigenverbrauchs der Ehefrau. Für die Besteuerung der Pachtumsätze sei als Mindestbemessungsgrundlage gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 1 i. V. m. § 10 Abs. 4 Nr. 2 UStG 1980 die Marktmiete anzusetzen. Die entstandenen Kosten seien nur insoweit anzusetzen, als sie das marktübliche Entgelt nicht überstiegen.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts. Das FG weiche von der Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 20. Juli 1988 X R 6/80 (BFHE 154, 252, BStBl II 1988, 915) ab. Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) habe in dem Urteil vom 4. Oktober 1995 Rs. C-291/92 (Der Betrieb -- DB -- 1995, 2352) den sog. Einheitsgrundsatz abgelehnt. Auch bei einer einheitlichen Vermietung sei eine Aufteilung vorzunehmen. Hinsichtlich der Wohnung Nr. 3, die nicht weiterverpachtet worden sei, sei ein unternehmerischer Verwendungszweck nicht feststellbar.

Gemäß § 10 Abs. 4 UStG 1980 sei der Eigenverbrauch nach den entstandenen Kosten zu bemessen. Aus der Regierungsbegründung (BRDrucks 145/78, 38) ergebe sich, daß die Mindestbemessungsgrundlage nach § 10 Abs. 5 UStG 1980 dann eingreife, wenn Unternehmer Lieferungen und sonstige Leistungen an bestimmte Personen "zu unangemessen niedrigen Entgelten ausführen". Dann nämlich liege eine Mischung aus Leistungsaustausch und Eigenverbrauch vor mit der Folge, daß die für den Eigenverbrauch vorgesehene Bemessungsgrundlage Anwendung finden solle, um einen teilweise unversteuerten Verbrauch auszuschließen. Im Hinblick auf das EuGH- Urteil vom 25. Mai 1993 Rs. C-193/91 (BStBl II 1993, 812), und das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 28. September 1993 IV A 2 -- S 7102 -- 11/93 (BStBl I 1993, 912) hätten allerdings die Kreditzinsen außer Betracht zu bleiben.

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben, die Umsatzsteuer für 1980 auf ./. ... DM, für 1981 auf ./. ... DM festzusetzen und im übrigen die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen, und trägt im wesentlichen vor:

Eine Aufteilung komme nicht in Betracht, da der Beherbergungsbetrieb im ganzen Gegenstand der Leistung sei; auf die vom EuGH in dem Urteil in DB 1995, 2352 nunmehr bejahte Frage der Aufteilbarkeit einer Grundstückslieferung komme es nicht an. Die Auffassung des X. Senats in dem Urteil in BFHE 154, 252, BStBl II 1988, 915, könne nicht überzeugen. Gegenstand des Verzichts sei nur die Leistung selbst, nicht seien es Teilleistungen. Aus § 9 Satz 2 UStG 1980 i. d. F. des 2. Haushaltsstrukturgesetzes folge, daß der Gesetzgeber bis dahin von der Unteilbarkeit der Option ausgegangen sei. Die Annahme der Unteilbarkeit harmoniere mit den Prinzipien des Mehrwertsteuersystems. Es finde sich im Umsatzsteuerrecht kein Ansatzpunkt dafür, daß der Umfang der Steuerpflicht beim Leistenden und des Vorsteuerabzugs beim Leistungsempfänger notwendigerweise miteinander korrespondieren müßten. Die gesetzgeberische Zielvorstellung, das private Wohnen und die sonstige nichtunternehmerische Nutzung von Gebäuden nur indirekt mit Umsatzsteuer zu belasten, rechtfertige nicht, die zwischen den Parteien einvernehmlich getroffenen Nutzungszweckbestimmungen beiseite zu schieben. Die Entscheidung des X. Senats sei unvereinbar mit Europarecht. Selbst wenn man jedoch die Rechtsauffassung des X. Senats durch den Spruch des EuGH in vollem Umfang bestätigt sehe, sei der Rechtsstreit nicht entscheidungsreif. Das FG habe -- von seinem Rechtsstandpunkt aus zu Recht -- keine Feststellungen zur tatsächlichen Nutzung der Mieteinheit getroffen. Das Appartement Nr. 3 habe von Anfang an ununterbrochen unternehmerischen Zwecken gedient.

Die vom FG zugrunde gelegte Bemessungsgrundlage sei zutreffend und stehe im Einklang mit den Prinzipien des Umsatzsteuerrechts. Die Berechnung der Mindestbemessungsgrundlage durch das FA begegne Bedenken.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --); sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Zu Unrecht ist das FG davon ausgegangen, daß bei Vermietung eines Wohngebäudes der Verzicht auf die Steuerbefreiung auch insoweit wirksam ist, als der Mieter einzelne Wohnungen zu nichtunternehmerischen Zwecken nutzt.

1. Gemäß § 9 Satz 1 UStG 1980 in der für die Streitjahre maßgebenden Fassung kann der Unternehmer einen Umsatz, der nach § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1980 steuerfrei ist, als steuerpflichtig behandeln, wenn der Umsatz an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen ausgeführt wird.

Das Tatbestandsmerkmal "für dessen Unternehmen" korrespondiert mit dem in § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1980 enthaltenen Merkmal des Bezugs durch einen anderen Unternehmer "für sein Unternehmen". Nach der Rechtsprechung des V. Senats und des X. Senats des BFH (vgl. BFH-Urteile vom 18. Dezember 1986 V R 176/75, BFHE 149, 78, BStBl II 1987, 350, und vom 20. Juli 1988 X R 6/80, BFHE 154, 252, BStBl II 1988, 915) ist im Fall der gemischten Nutzung eines Gebäudes (einer sonstigen Leistung i. S. des § 3 Abs. 9 UStG 1980) eine Aufteilung der Leistung vorzunehmen; die Vermietungsleistung bezieht sich nur insoweit auf das Unternehmen des Pächters, als dieser die empfangene Leistung für sein Unternehmen nutzt (vgl. auch Birkenfeld, Das Große Umsatzsteuer- Handbuch, II, Rz. 631; Stadie in Vogel/Reinisch/Hoffmann/Schwarz, Umsatzsteuergesetz (UStG 1993), § 9 UStG, Anm. 35). Diese Beurteilung leitet sich allein aus dem Merkmal des § 9 UStG 1980 "für dessen Unternehmen" ab.

Diese Auslegung entspricht der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG; nach Art. 17 Abs. 2 ist der Steuerpflichtige nur zum Vorsteuerabzug berechtigt, soweit ... die Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden (vgl. Klenk in Sölch/Ring leb/List, Umsatzsteuergesetz, Stand August 1995, § 9, Bem. 29). Diese Auffassung deckt sich auch mit der EuGH-Entscheidung in DB 1995, 2352, nach der eine Aufteilung sogar bei der Lieferung von (einheitlichen) Gegenständen in Betracht kommt (vgl. bisher Abschn. 192 Abs. 18 der Umsatzsteuer-Richtlinien). Ist aber eine Aufteilung dem Grunde nach möglich, so kann die Option nur für den Teil des Umsatzes vorgenommen werden, der an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen ausgeführt wird.

2. Im Streitfall hat diese Beurteilung zur Folge, daß sich die Option des Klägers von vornherein nur auf die unternehmerisch genutzten Gebäudeteile beziehen konnte. Das FG hat offengelassen, ob auch die Wohnung Nr. 3 unternehmerisch genutzt wurde, da es bei seiner Rechtsansicht auf diese Frage nicht ankam. Das FG wird nunmehr die entsprechenden Feststellungen nachholen. Sollte sich dabei herausstellen, daß die Wohnung nichtunternehmerisch genutzt wurde, konnte der Kläger insoweit nicht wirksam optieren.

3. Hinsichtlich der Anwendung des § 10 Abs. 5 UStG 1980 weist der Senat auf seinen Vorlagebeschluß vom 13. Dezember 1995 XI R 8/86, BFHE 179, 457 hin. Das FG wird daher zunächst die Entscheidung des EuGH abzuwarten haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 421331

BFH/NV 1996, 856

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