Leitsatz (amtlich)
Unbeschränkt Steuerpflichtige können bis zum Veranlagungszeitraum 1968 ihre Einkünfte nicht mit gewerblichen Verlusten ausgleichen, die sich aus Betriebstätten in den Niederlanden ergeben haben.
Normenkette
EStG § 3 Nr. 41; DBA NLD Art. 5 Abs. 1
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger sind Eheleute, die zusammenveranlagt werden. Sie haben ihren Wohnsitz in H. Der Ehemann (Kläger) betreibt den Großhandel und den Import und Export mit Kraftfahrzeugersatzteilen und -zubehör. Er gründete 1965 eine Zweigniederlassung in den Niederlanden, aus der sich für 1966 ein Verlust von 43 832 DM ergab.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das FA) lehnte es bei der Einkommensteuerveranlagung 1966 ab, den Verlust abzusetzen; er berücksichtigte ihn lediglich bei der Bemessung des Steuersatzes (negativer Progressionsvorbehalt). Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das FG hat ausgeführt: Das Besteuerungsrecht für die gewerblichen Einkünfte aus der niederländischen Betriebstätte stehe den Niederlanden zu (Art. 5, 20 DBA-Niederlande vom 16. Juni 1959, BGBl II 1960, 1782, BStBl I 1960, 382). Als Einkünfte seien auch Verluste anzusehen (Beschluß des BFH vom 11. März 1970 I B 50/68, I B 3/69, BFHE 98, 427, BStBl II 1970, 569).
Die Kläger machen mit der Revision geltend: Das FG habe den Verlustausgleich zu Unrecht versagt. Einkünfte im Sinne des Art. 5 Abs. 1 DBA-Niederlande seien nur positive Betriebsergebnisse. Das FG habe übersehen, daß der Begriff "Einkünfte" nicht nach innerstaatlichem Recht, sondern entsprechend der Auslegungsregel des Art. 2 Abs. 2 DBA-Niederlande nach dem Zusammenhang des Abkommens auszulegen sei. Das DBA-Niederlande ziele wie die anderen Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) darauf ab, die mehrfache Besteuerung desselben Steuerguts zu vermeiden. Die Besteuerung werde nur durch das Vorhandensein positiver Einkünfte ausgelöst. Das sei auch die Auffassung des OECD-Steuerausschusses (Kommentar zu Art. 7, 23 des OECD-Musterabkommens). Der Beschluß des BFH I B 50/68, I B 3/69 vermöge nicht zu überzeugen. Die ab 1. Januar 1969 gegebene Verlustausgleichsmöglichkeit nach § 2 des Gesetzes über steuerliche Maßnahmen bei Auslandsinvestitionen der deutschen Wirtschaft vom 18. August 1969 - AIG - (BGBl I 1969, 1214, BStBl I 1969, 480) bestätige nicht die Auffassung des BFH. Völkerrechtliche Verträge könnten nicht einseitig durch staatliches Gesetz abgeändert werden. Die Kläger beantragen, die Vorentscheidung aufzuheben und die Einkommensteuer 1966 auf 15 404 DM festzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Bezieht eine Person mit Wohnsitz in der BRD Einkünfte aus einem gewerblichen Unternehmen, dessen Wirkung sich auf das Gebiet der Niederlande erstreckt, so haben die Niederlande das Besteuerungsrecht für diese Einkünfte soweit, als sie auf eine dort befindliche Betriebstätte des Unternehmens entfallen (Art. 5 Abs. 1 DBA-Niederlande). Die Zweigniederlassung des Klägers in den Niederlanden ist eine derartige Betriebstätte. Die auf sie entfallenden Einkünfte positiver und negativer Art unterliegen nicht der Besteuerung der BRD (Art. 20 Abs. 2 Satz 1 DBA-Niederlande). Die Auffassung des Klägers, der niederländischen Besteuerung unterlägen nur die positiven Einkünfte, ist unzutreffend. Der Senat hat in dem Beschluß I B 50/68, I B 3/69 zu Art. 4 Abs. 1 DBA-Österreich, der wie Art. 5 Abs. 1 DBA-Niederlande formuliert ist, entschieden, daß kein Ausgleich inländischer Einkünfte mit Verlusten der ausländischen Betriebstätte stattfindet. Diese Entscheidung ist zwar in einem Vollziehungsaussetzungsverfahren ergangen, späterhin jedoch in anderen Verfahren bestätigt worden (u. a. Urteil des BFH vom 23. März 1972 I R 128/70, BFHE 106, 501, BStBl II 1972, 948).
Die Angriffe des Klägers und eines Teils der Literatur (insbesondere Freudling, Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters 1971 S. 34, 1972 S. 287) gegen diese Rechtsprechung sind unbegründet. Aus der Anerkennung des negativen Progressionsvorbehalts bis hin zur Anwendung eines Steuersatzes von 0 v. H. (Urteil des BFH vom 25. Mai 1970 I R 109/68, BFHE 99, 367, BStBl II 1970, 660) kann nicht hergeleitet werden, die Anwendung des niedrigeren Steuersatzes und des Steuersatzes von 0 v. H. sei eine bloße Funktion der Bemessungsgrundlage. Auch bei einem negativen Progressionsvorbehalt mit einem Steuersatz von 0 v. H. sind zwei Bemessungsgrundlagen zu unterscheiden, wobei nur auf die inländische Bemessungsgrundlage abzustellen ist. Das gilt auch für die Berücksichtigung von Vorjahresverlusten im Rahmen des § 10d EStG (Urteil des BFH vom 25. Mai 1970 I R 146/68, BFHE 99, 572, BStBl II 1970, 755). Die Vorjahresverluste sind nicht als Sonderausgaben abzusetzen, sondern lediglich bei der Bemessung des Steuersatzes zu berücksichtigen. Negativer und positiver Progressionsvorbehalt dienen der Gleichbehandlung der unbeschränkt Steuerpflichtigen untereinander. Es soll bei der Bemessung des Steuersatzes keinen Unterschied ausmachen, ob Steuerpflichtige mit gleichem Einkommen Teile ihres Einkommens im Ausland erzielt haben; ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ist die gleiche.
Nicht gefolgt werden kann der Auffassung, der Verlustausgleich gehöre dem innerstaatlichen Recht an und könne demnach nicht durch ein DBA verlorengehen. Daran ist zunächst richtig, daß das Gesamteinkommen eines unbeschränkt Steuerpflichtigen auch positive und negative Einkünfte aus einem DBA-Staat erfaßt. Schreibt indes ein DBA vor, daß bestimmte Einkünfte - nämlich wie hier nach Art. 5 Abs. 1 DBA-Niederlande "Einkünfte aus einem gewerblichen Unternehmen ... insoweit, als sie auf eine dort befindliche Betriebstätte des Unternehmens entfallen" - dem Besteuerungsrecht der BRD entzogen sind, meint dies nicht nur die positiven Einkünfte. Das DBA-Niederlande und die gleich oder ähnlich formulierenden DBA sehen die ausländische Betriebstätte vielmehr als einen Teil des gewerblichen Unternehmens an, der in jeder Beziehung der Besteuerung des ausländischen Staates unterliegt, gleichviel, ob aus ihm positive oder negative Einkünfte fließen.
Die Gegenmeinung nimmt zu Unrecht an, daß nach innerstaatlichem Recht oder der DBA-Praxis ein Abzug der Auslandsverluste erforderlich sei. § 3 Nr. 41 EStG stellt "Einkünfte" der Steuerpflichtigen insoweit steuerfrei, als diesen ein Anspruch auf Befreiung nach den DBA zusteht. Unter Einkünften sind nach dem EStG auch Verluste zu verstehen (§ 2 Abs. 2 EStG). Art. 5 Abs. 1 DBA-Niederlande verwendet ebenfalls den Begriff "Einkünfte", ohne erkennen zu lassen, daß ihm die Vertragsstaaten eine andere als die in § 2 Abs. 2 EStG gegebene Bedeutung beilegen wollten. Das OECD-Musterabkommen spricht zwar in Art. 7 von "Gewinnen" eines Unternehmens, in dem Kommentar des Ausschusses heißt es indes, diesem Begriff sei "eine möglichst weite Bedeutung beizumessen, und zwar so, daß er alle Einkünfte aus dem Betrieb eines Unternehmens einschließt" (Musterabkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung des Einkommens und des Vermögens - Bericht des Steuerausschusses der OECD 1963, herausgegeben vom BdF, S. 112). Art. 23 A des Musterabkommens, der die in Art. 5 Abs. 1 DBA-Niederlande angewandte Befreiungsmethode behandelt, verwendet lediglich die Begriffe "Einkünfte" und "Einkommen". Der Kommentar dieser Abkommensvorschrift (a. a. O. S. 189) geht von der Nichtabzugsfähigkeit der Auslandsverluste im Wohnsitzstaat aus und erörtert unter diesem Gesichtspunkt Einzelheiten für den Fall, daß der Wohnsitzstaat durch innerstaatliches Gesetz einen Verlustabzug zulassen sollte (wie die BRD ab 1969 in § 2 Abs. 1 AIG).
Die Auslegungsregel des Art. 2 Abs. 2 DBA-Niederlande ist nicht berührt. Nach ihr hat jeder nicht im DBA festgelegte Begriff die Auslegung zu erfahren, die sich aus den Steuergesetzen der Vertragsstaaten ergibt, falls der "Zusammenhang" keine andere Auslegung erfordert. Dem Kläger kann nicht darin gefolgt werden, daß hier auch die Regelungen des OECD-Musterabkommens berücksichtigt werden müßten. Art. 2 Abs. 2 DBA-Niederlande meint lediglich den Zusammenhang der Bestimmungen dieses DBA. Davon abgesehen steht das Musterabkommen, wie dargelegt, nicht der Auffassung des Senats entgegen, sondern bestätigt sie. § 2 Abs. 1 AIG enthält für die Zeit ab 1969 eine Abänderung der Rechtslage, hingegen nicht - wie der Kläger annimmt - auch eine Abänderung derjenigen DBA, die Auslandseinkünfte von der Besteuerung freistellen. Es bleibt dem innerstaatlichen Gesetzgeber unbenommen, eine Steuerlast zu mildern und dabei auf Merkmale der freigestellten Einkommensquelle zurückzugreifen. Das Einverständnis des anderen Vertragsstaates ist nicht erforderlich. Hiervon geht auch die Kommentierung zum OECD-Musterabkommen aus (a. a. O. S. 189).
Die vielfach als hart empfundene Versagung des Abzugs von Auslandsverlusten in Fällen der vorliegenden Art ist eine Folge der in zahlreichen DBA - auch in Art. 5 Abs. 1 DBA-Niederlande - angewandten Befreiungsmethode. Bei Anwendung der Anrechnungsmethode wäre sie vermieden worden (vgl. zu den beiden Methoden OECD-Musterabkommen Art. 23 A, 23 B, Kommentierung a. a. O. S. 180 bis 193). Es muß indes berücksichtigt werden, daß beide Methoden Vor- und Nachteile haben. Die Anrechnungsmethode würde z. B. eine im Ausland gewährte Steuerbefreiung rückgängig machen. Vor- und Nachteile müssen im Zusammenhang gesehen werden. Es geht nicht an, nur die Vorteile einer Methode in Anspruch zu nehmen und die damit verbundenen Nachteile zu eliminieren. Entscheiden sich die Vertragsstaaten eines DBA für eine der beiden Methoden (wie im Falle des Art. 5 Abs. 1 DBA-Niederlande für die Befreiungsmethode), muß diese Entscheidung folgerichtig durchgeführt werden, sofern nicht das DBA selbst oder innerstaatliche Gesetze Milderungen anordnen.
Fundstellen
Haufe-Index 70441 |
BStBl II 1973, 531 |
BFHE 1973, 127 |