Leitsatz (amtlich)
1. Die Grunderwerbsteuerbefreiung des Erwerbs eines Ersatzgrundstücks gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 11 GrEStBBauG hängt u. a. davon ab, daß der betroffene Eigentümer in den Eigentumsrechten an seinem Grundstück endgültig durch die Festsetzung oder Durchführung von Maßnahmen der in § 40 Abs. 1 BBauG genannten Art in einem rechtsverbindlichen Bebauungsplan beeinträchtigt ist.
2. § 1 Abs. 1 Nr. 10 GrEStBBauG setzt bei Koppelung mit § 100 BBauG die Durchführung eines Enteignungsverfahrens voraus, aus dem dem Enteignungsbetroffenen ein Anspruch auf Entschädigung in Land unter den in § 100 BBauG genannten Voraussetzungen erwächst.
3. Die Steuerbefreiungen gemäß § 1 Abs. 1 Nrn. 10 und 11 GrEStBBauG fordern außerdem, daß die Entschädigung "in Land" geleistet wird. Erhält der betroffene Eigentümer als Entschädigung einen Barpreis, mit dessen Hilfe er sich selbst ein ihm geeignet erscheinendes anderes Grundstück beschaffen kann, so ist dieser Erwerb nicht gemäß § 1 Abs. 1 Nrn. 10 oder 11 GrEStBBauG befreit.
Normenkette
Niedersächsisches Gesetz über Befreiungen von der Grunderwerbsteuer bei Erwerbsvorgängen aus dem Bereich des Bundesbaugesetzes vom 29. Oktober 1962 § 1 Abs. 1 Nr. 10; Niedersächsisches Gesetz über Befreiungen von der Grunderwerbsteuer bei Erwerbsvorgängen aus dem Bereich des Bundesbaugesetzes vom 29. Oktober 1962 § 1 Abs. 1 Nr. 11; BBauG §§ 40, 100
Tatbestand
Die Kläger erwarben Ende 1962 ein bebautes Grundstück in D in Miteigentum zu je 1/2 von einem Privatmann.
Gegen die Steuerfestsetzung machten die Kläger mit Einspruch und Berufung erfolglos geltend: Sie hätten das ihnen bislang gehörige Mietwohngrundstück in B an die Stadt zwecks Straßenbaus verkaufen müssen, um ein Enteignungsverfahren zu vermeiden. Die Stadt habe ihnen ein geeignetes Ersatzgrundstück nicht nachweisen können. Deshalb hätten sie sich selbst das Grundstück in D beschaffen müssen. Ihr Erwerb müsse deshalb gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 11 des Niedersächsischen Gesetzes über Befreiungen von der Grunderwerbsteuer bei Erwerbsvorgängen aus dem Bereich des Bundesbaugesetzes vom 29. Oktober 1962 - GrEStBBauG - (GVBl 217) von der Besteuerung nach dem GrEStG ausgenommen werden.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Den in dieser Entscheidung verbundenen Rechtsbeschwerden - jetzt Revisionen - muß der Erfolg versagt bleiben.
Das FG hat im Ergebnis zutreffend entschieden, daß die Befreiungsvorschriften des § 1 Abs. 1 Nrn. 11 und 10 GrEStBBauG nicht anwendbar sind.
1. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 11 GrEStBBauG ist u. a. der Erwerb eines Grundstücks als Entschädigung in Land im Sinne des § 40 des Bundesbaugesetzes (BBauG) nur durch einen solchen Eigentümer von der Besteuerung ausgenommen, der nach § 40 Abs. 2 BBauG die Übernahme von Flächen verlangt, wenn dadurch die nach § 40 Abs. 5 BBauG zur Vermeidung eines Enteignungsverfahrens notwendige Einigung ermöglicht wird. Das bedingt, daß der Eigentümer das Verlangen auf Abnahme seines Grundstücks deshalb stellen kann, weil es für ihn in den Fällen und unter den Voraussetzungen des § 40 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 (i. V. m. § 32) BBauG durch die Festsetzungen im Bebauungsplan nur noch eine Belastung ist (Heitzer/Oestreicher, Kommentar zum Bundesbaugesetz, 4. Aufl. § 40 Anm. 2). Das FG meint, die Anwendbarkeit des § 1 Abs. 1 Nr. 11 GrEStBBauG müsse bereits daran scheitern, daß - wie sich eindeutig aus dem zwischen den Klägern und der Stadt geschlossenen Kaufvertrag bezüglich ihres ursprünglichen Grundstücks in B ergebe - nicht die Kläger die Übernahme dieses Grundstücks verlangt hätten, sondern daß die Stadt von sich aus den Verkauf an sie gefordert habe. Hiergegen wenden sich die Kläger mit dem beachtlichen Argument, daß die Steuerbefreiung nicht schon deshalb versagt werden könne, weil Anlaß und Anstoß in solchen Fällen eines "unfreiwilligen Verkaufs" von der Stadt ausgegangen seien, der Grundstückseigentümer also in eine Zwangslage versetzt worden sei. Der Senat hat es - ohne dies seinerzeit abschließend entscheiden zu können - bereits in dem Beschluß II B 16/69 vom 13. Mai 1969 (BFH 95, 350, BStBl II 1969, 405) als durchaus denkbar bezeichnet, daß bei einer Beanspruchung, die sich als mögliche Feststellung eines Grundstücks für einen der in § 40 Abs. 1 BBauG bezeichneten Zwecke (z. B. für Verkehrsflächen: Nr. 3, a. a. O.) abzeichnen würde, die Steuerbefreiung nicht bloß deshalb scheitern müßte, weil die Initiative von der Stadt ausging, um durch die freiwillige Veräußerung eine Enteignung zu vermeiden; unter der einschränkenden Voraussetzung allerdings, daß der Eigentümer seinerseits aus den in § 40 Abs. 2 BBauG genannten Gründen die Übernahme, ggf. (§ 40 Abs. 5 BBauG) die Entziehung seines Grundstücks muß verlangen können. Diese Frage ist auch im vorliegenden Falle nicht abschließend zu entscheiden, da die Steuerbefreiung aus einem anderen Rechtsgrunde versagt werden muß.
Es entspricht dem Sinn dieser Vorschriften des BBauG, daß der Entschädigungs(Übernahme)anspruch und der damit gekoppelte Anspruch auf Grunderwerbsteuerbefreiung des Ersatzerwerbes davon abhängt, daß der betroffene Eigentümer in den Eigentumsrechten an seinem Grundstück endgültig durch die Festsetzung oder Durchführung von Maßnahmen der in § 40 Abs. 1 BBauG genannten Art im rechtsverbindlichen Bebauungsplan (§ 12 BBauG) - und nicht nur durch einen (vorbereitenden) Flächennutzungsplan (§§ 5 bis 7 BBauG) - beeinträchtigt ist (vgl. den o. a. Beschluß II B 16/69 mit Nachweisen der Literatur zum BBauG). Da die Steuerbefreiungen nach dem GrEStBBauG weitgehend von bautechnischen und baurechtlichen Merkmalen abhängen, hat der Grundstückserwerber nach dem auf § 5 GrEStBBauG gestützten § 4 der Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über Befreiungen von der Grunderwerbsteuer bei Erwerbsvorgängen aus dem Bereich des Bundesbaugesetzes vom 5. April 1963 (GVBl 227) das Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 11 GrEStBBauG durch eine Bestätigung der Gemeinde nachzuweisen, aus der sich u. a. ergeben muß, daß das Rechtsgeschäft zur Verwirklichung eines Bebauungsplanes erforderlich ist und daß die Voraussetzungen für ein Übernahme- und Entziehungsverlangen nach § 40 Abs. 2 und 5 BBauG erfüllt sind. Nach den mit einer Verfahrensrüge (etwa der mangelnden Sachverhaltsaufklärung) nicht angegriffenen, den Senat bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO; vgl. § 288 Nr. 2, § 290 Abs. 1, § 296 Abs. 1, 2 AO a. F.) ergibt sich aus den Aktenunterlagen nicht, daß die Voraussetzungen des § 40 Abs. 2 BBauG für ein Übernahmeverlangen vorgelegen haben. Zwar ergibt sich aus dem vom FG festgestellten § 8 des Vertrages über die Veräußerung des ursprünglichen Grundstücks der Kläger in B an die Stadt, daß dieses Grundstück von der Stadt für Straßenzwecke benötigt werde und daß der Verkauf zur Vermeidung einer Enteignung erfolge. Wenn auch an diesem Vertrag ein Beamter der Stadt mitgewirkt hat, so vermag eine solche Erklärung anläßlich des Verkaufs eines Grundstücks nicht den in einem Grunderwerbsteuerverfahren wegen des Erwerbs eines anderen Grundstücks erforderlichen vollen Befreiungsnachweis (Bescheinigung der Gemeinde - Stadt -) zu ersetzen, jedenfalls dann nicht - wie im vorliegenden Falle -, wenn sich daraus nicht eindeutig das Vorliegen aller Voraussetzungen des § 40 Abs. 2, 5 BBauG ergibt.
Aber selbst wenn man dies zugunsten der Kläger unterstellen wollte, so könnte die Steuerbefreiung gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 11 GrEStBBauG jedenfalls deshalb nicht eingreifen, weil - wie das FG richtig ausführt - das ausdrücklich gesetzlich festgelegte Tatbestandsmerkmal "Entschädigung in Land" nicht erfüllt ist. Dieser Wortlaut ist eindeutig und gestattet keine wirtschaftliche oder ähnlich geartete Ausweitung. Zwar sind, wie der Senat in neueren Entscheidungen wiederholt hervorgehoben hat, Befreiungsvorschriften nicht schon deshalb eng auszulegen, weil es sich um Ausnahmen von der Besteuerung handelt, sondern unter Würdigung des mit der Ausnahmevorschrift verfolgten Zwecks (vgl. Urteile II 116/63 vom 5. Oktober 1966, BFH 87, 91, BStBl III 1967, 29; II 68/63 vom 9. Mai 1967, BFH 88, 567, BStBl III 1967, 493 mit weiteren Nachweisen). Das ändert aber nichts daran, daß es den an Gesetz und Recht gebundenen Finanzverwaltungsbehörden und FG (Art. 20 Abs. 3 GG) versagt ist, einen genau umrissenen gesetzlichen Tatbestand - auch einen Befreiungstatbestand - aufgrund eigener Wertvorstellungen auszuweiten. Verwaltung und Gericht sind also nicht befugt, einen im Gesetz nicht vorgesehenen Befreiungstatbestand von sich aus zu schaffen (vgl. Urteil II 132/65 vom 13. Januar 1970, BFH 98, 453; BStBl II 1970, 440). Dies geschähe aber, wenn im Wege der Rechtsprechung die Vorschrift des § 1 Abs. 1 Nr. 11 GrEStBBauG auch auf die Fälle angewendet würde, in denen der Veräußerer nicht durch den zur Entschädigung verpflichteten Begünstigten (§ 40 Abs. 4 BBauG: den Träger der Anlage oder des Vorhabens, das auf dem betreffenden Grundstück vorgesehen ist; vgl. Heitzer/Oestreicher, a. a. O., § 40 Anm. 4) unmittelbar in Land abgefunden wird, sondern aufgrund eines Kaufvertrags einen Barpreis erhält, mit dessen Hilfe es ihm freisteht, sich selbst ein ihm geeignet erscheinendes Grundstück zu besorgen. Mit der in Geld möglichen Entschädigung (vgl. auch Überschrift zu § 40 BBauG) sind das Verfahren nach dem BBauG und die unmittelbar damit zusammenhängenden entsprechenden Erwerbsvorgänge nach dem GrEStBBauG abgeschlossen. Die Kläger haben nach den unstreitigen Feststellungen des FG für ihr Grundstück in B von der Stadt einen Barpreis von ... DM erhalten, aus dem sie das Grundstück in D für ... DM erwerben konnten, "weil (so § 8 des Vertrages mit der Stadt) die Stadt ihnen ein geeignetes Grundstück als Entschädigung nicht nachweisen konnte". Dies vermag aber - wie ausgeführt - an der Unanwendbarkeit der Befreiungsvorschrift nichts zu ändern.
2. Aus den letztgenannten Gründen meinen die Kläger mit der Revision zu Unrecht, sie könnten wenigstens Steuerbefreiung gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 10 GrEStBBauG beanspruchen. Diese Vorschrift setzt bei Koppelung mit § 100 BBauG die Durchführung eines Enteignungsverfahrens (§§ 85 ff. BBauG) voraus, aus dem dem Enteignungsbetroffenen ein Anspruch auf Entschädigung (§§ 93 ff. BBauG) erwächst, und zwar nur unter den in § 100 BBauG genannten Voraussetzungen auf Entschädigung in Land. Mag es unerheblich sein, ob die Gemeinde das von ihr als Ersatzland benötigte Grundstück schon vor Einleitung des Enteignungsverfahrens erwirbt, wenn sie nur im Zeitpunkt ihres Erwerbs bereits den begünstigten Zweck verfolgt. Für den Ersatzerwerb durch den Entschädigungsberechtigten (Enteignungsbetroffenen) genügt es nach dem Wortlaut des § 1 Abs. 1 Nr. 10 GrEStBBauG i. V. m. § 100 BBauG nicht, daß der Grundstückswechsel sich ggf. "zur Vermeidung der Enteignung" vollzieht (arg. aus § 1 Abs. 1 Nrn. 5, 7 GrEStBBauG). Aus den Feststellungen des FG ergibt sich auch nicht, daß bei dem Enteignungsbetroffenen und dem Enteignungsbegünstigten die sachlichen Voraussetzungen des § 100 Abs. 1 Nrn. 1 und 2, Abs. 2, 3 BBauG für eine Entschädigung in Land vorlägen (etwa, daß die Kläger zur Sicherung der Berufs- oder Erwerbstätigkeit auf Ersatzland angewiesen wären). Hierauf kommt es aber nicht entscheidend an. Denn die Befreiung gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 10 GrEStBBauG setzt in jedem Falle voraus, daß die Enteignungsbehörde gemäß § 100 BBauG eine Entschädigung in Land festgesetzt hat. Auch diese Vorschrift greift also nicht ein, wenn bei einer Enteignung die Entschädigung in einem Geldbetrag festgesetzt wird, mit dessen Hilfe der Enteigungsbetroffene ein Grundstück erwirbt, und noch weniger, wenn - wie im vorliegenden Falle - der Eigentümer sein Grundstück zur Vermeidung einer Enteignung veräußert hat und mit dem Verkaufserlös ein neues Grundstück erwirbt.
3. Ob in diesem Fall ein Erlaß (Erstattung) der Grunderwerbsteuer aus Billigkeitsgründen kraft Ermessensentscheidung der Finanzverwaltungsbehörden in Betracht kommt, ist in diesem Verfahren, in dem lediglich die sich aus dem GrEStBBauG ergebenden Rechtsfragen zu entscheiden waren, der Senat also das Urteil des FG nur auf eine etwaige Verletzung dieses Gesetzes zu überprüfen hatte (vgl. § 118 Abs. 1 FGO), nicht zu entscheiden.
Fundstellen
Haufe-Index 69085 |
BStBl II 1970, 671 |
BFHE 1970, 406 |