Entscheidungsstichwort (Thema)
Fremdvergleich bei Mietverträgen unter Angehörigen; Auslegung unklarer Vereinbarungen; gleichartige Mängel bei Fremdverträgen
Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Prüfung von Mietverträgen unter Angehörigen am Maßstab des Fremdvergleichs kann für die Auslegung ursprünglich unklarer Vereinbarungen die spätere tatsächliche Übung der Parteien herangezogen werden.
2. Weisen ein mit Fremden geschlossener Mietvertrag und ein Mietvertrag mit Angehörigen nach ihrem Inhalt oder in ihrer Durchführung gleichartige Mängel auf, so verliert das zwischen fremden Dritten übliche Vertragsgebaren für die Indizienwürdigung an Gewicht. Die Mängel des Angehörigenvertrages deuten dann nicht ohne weiteres auf eine private Veranlassung des Leistungsaustauschs hin.
Normenkette
EStG §§ 12, 21 Abs. 1 Nr. 1; AO 1977 §§ 85, 88; FGO § 76 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Strittig ist, ob ein Mietvertrag, den der Kläger und Revisionskläger (Kläger) mit seiner Mutter und deren Lebensgefährten geschlossen hat, der Besteuerung zugrunde zu legen ist.
Der Kläger ließ an seinem Haus im Jahr 1993 und im Streitjahr (1994) für rd. 709 000 DM das Dach abtragen sowie ein Obergeschoss und ein neues Dachgeschoss errichten. Die beiden dort neu geschaffenen Wohnungen vermietete er, und zwar die Wohnung im Obergeschoss ab 1. Januar 1995 an seine Mutter sowie deren Lebensgefährten und die Dachgeschosswohnung ab 1. Oktober 1995 an ein fremdes Ehepaar. Für beide Mietverträge verwendete der Kläger Formulare, die zum Teil alternative Formulierungsvorschläge enthielten. Grüne Punkte am linken Rand wiesen jeweils darauf hin, dass in der betreffenden Zeile eine Eintragung oder eine Streichung vorzunehmen war.
Beide Mietverträge sind von den Parteien nicht lückenlos und zum Teil widersprüchlich ausgefüllt worden. Nach dem Formular erforderliche Streichungen sind zum Teil unterblieben.
So ist in beiden Mietverträgen (in § 3 Nr. 2) unterhalb der vorgedruckten Überschrift "Nebenkosten (z.B. Heizkostenvorschuß)" unter dem Wort "Heizkostenvorschuß" handschriftlich ein Unterführungszeichen und die Betragsangabe "50,―" eingetragen. Hingegen ist jeweils die folgende inhaltlich gegensätzliche vorgedruckte Zeile (in § 3 Nr. 3) nicht gestrichen worden: "Die Betriebskosten im Sinne des § 27 der Zweiten Berechnungsverordnung sind in der Miete enthalten". Im Mietvertrag über die fremdvermietete Dachgeschosswohnung ist (in § 4 Nr. 2) vereinbart, dass die Nebenkosten für Heizkostenvorschuss in Form monatlicher Abschlagszahlungen erhoben werden und jährlich abzurechnen sind; das Wort "Heizkostenvorschuß" ist dort handschriftlich eingetragen. Im Mietvertrag mit der Mutter des Klägers und deren Lebensgefährten befindet sich hingegen an der entsprechenden Stelle des Formulars ein Strich. Ferner ist im Mietvertrag für die fremdvermietete Dachgeschosswohnung in der vorgedruckten Regelung des Umlagemaßstabs für die Betriebskosten (§ 5 Nr. 6) die Angabe "66 m2" eingetragen. Im Mietvertrag mit der Mutter des Klägers und deren Lebensgefährten befindet sich an der entsprechenden Stelle kein Eintrag. Die Miete sollte auf ein näher bezeichnetes Konto überwiesen werden. Die Mutter des Klägers hat zunächst jedoch Zahlungen in bar geleistet.
Der Kläger machte für das Streitjahr vorab entstandene Werbungskosten aus Vermietung und Verpachtung von insgesamt 158 040 DM geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) kürzte die abziehbaren Werbungskosten gemäß § 21 Abs. 2 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der für das Streitjahr maßgebenden Fassung, weil der Kläger die Wohnung im Obergeschoss an seine Mutter und deren Lebensgefährten verbilligt vermietet habe. Die vereinbarte Miete betrage nur 44,2 v.H. der ortsüblichen Marktmiete.
Der Kläger erhob hiergegen nach erfolglosem Einspruch Klage. Mit der Klageschrift reichte er unter anderem für beide vermietete Wohnungen Betriebskostenabrechnungen für das Jahr 1995 im Original ein. Darin sind die umlagefähigen Betriebskosten mit Ausnahme der Heizkosten aufgeführt; die Vorauszahlungen der Mieter sind angerechnet. Die Abrechnungen tragen den handschriftlichen Vermerk: "Betrag in bar erhalten. 10.08.96".
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab (Urteil vom 27. Januar 1999 2 K 1597/97 E, Entscheidungen der Finanzgerichte 2000, 124). Die Aufwendungen für die Wohnung im Obergeschoss seien im Streitjahr schon dem Grunde nach nicht als vorab entstandene Werbungskosten zu berücksichtigen, weil der vom Kläger mit seiner Mutter und deren Lebensgefährten geschlossene Mietvertrag steuerrechtlich nicht anerkannt werden könne. Er halte einem Fremdvergleich nicht stand. Zwar sei der Vertrag hinsichtlich der Hauptleistungspflichten im Wesentlichen wie vereinbart durchgeführt worden. Die für die steuerrechtliche Nichtanerkennung des Mietvertrags maßgeblichen Umstände beträfen jedoch den Bereich der Betriebskosten. Der Mietvertrag sei insoweit widersprüchlich: Einerseits sei ein Vorschuss für "Nebenkosten (z. B. Heizkostenvorschuß)" von 50 DM monatlich vereinbart, andrerseits sei bestimmt, dass die Betriebskosten in der Miete enthalten seien. Auch wenn die Streichung der letztgenannten Bestimmung versehentlich unterblieben sein sollte, weiche der Vertrag hinsichtlich der Nebenkosten erheblich von dem zwischen fremden Dritten Üblichen ab, weil nur ein Vorschuss für die Heizkosten, nicht aber für die übrigen Betriebskosten vereinbart sei. Diese beliefen sich auf einen nicht unbedeutenden Betrag von rd. 125 DM monatlich. Zu beachten sei in diesem Zusammenhang auch, dass die vereinbarte Miete erheblich unter der ortsüblichen Miete liege. Ferner sei im Mietvertrag für die Wohnung im Obergeschoss ―im Gegensatz zum Mietvertrag für die Dachgeschosswohnung― kein Maßstab zur Verteilung der Heizkosten vereinbart. Im Übrigen sei für das Jahr 1995 keine Abrechnung der Heizkosten erfolgt. Demgegenüber habe die vorgenommene Abrechnung der übrigen Betriebskosten im Mietvertrag keine Grundlage, weil dort nur die Heizkosten erwähnt seien. Eine andere Beurteilung ergebe sich nicht daraus, dass der Mietvertrag über die fremdvermietete Dachgeschosswohnung ähnliche Mängel aufweise und, sofern mit Angehörigen geschlossen, ebenfalls einem Fremdvergleich nicht standhalten würde. Maßstab für die Prüfung, ob ein Mietvertrag mit Angehörigen einem Fremdvergleich standhält, sei das zwischen fremden Dritten Übliche und nicht die individuelle Handhabung des einzelnen Steuerpflichtigen.
Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts.
Das FG habe unter Verstoß gegen § 157 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) und gegen Denkgesetze den Mietvertrag fehlerhaft gewürdigt. Es habe auch zu Unrecht den über die Dachgeschosswohnung geschlossenen Mietvertrag mit Fremden nur zu Lasten des Klägers herangezogen, die in beiden Verträgen enthaltenen übereinstimmenden Mängel in Vereinbarung und Durchführung aber für den Fremdvergleich außer Betracht gelassen.
Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und den geänderten Einkommensteuerbescheid 1994 vom 7. August 2000 dahin abzuändern, dass bei der Ermittlung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung weitere Werbungskosten von 54 146 DM abgezogen werden.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Es trägt über sein bisheriges Vorbringen hinaus erstmals vor, dem Kläger habe hinsichtlich der an seine Mutter und deren Lebensgefährten vermieteten Wohnung die Einkünfteerzielungsabsicht gefehlt. Die Miete decke nicht einmal die linearen Absetzungen für Abnutzung.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Nach § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO ist die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Die Beurteilung des vom Kläger mit seiner Mutter und deren Lebensgefährten geschlossenen Mietvertrages am Maßstab des Fremdvergleichs durch das FG hält einer revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht stand.
1. Allerdings ist das FG zu Recht der Frage nachgegangen, ob das strittige Mietverhältnis den Anforderungen des sog. Fremdvergleichs genügt.
a) Mietverträge unter nahen Angehörigen sind daraufhin zu untersuchen, ob sie durch die Einkünfteerzielung (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 EStG) oder den steuerrechtlich unbeachtlichen privaten Bereich (§ 12 EStG) veranlasst sind. Sie sind in der Regel der Besteuerung nicht zugrunde zu legen, wenn die Gestaltung oder die tatsächliche Durchführung nicht dem zwischen Fremden Üblichen entspricht (ständige Rechtsprechung, z.B. Urteile des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 7. Mai 1996 IX R 69/94, BFHE 180, 377, BStBl II 1997, 196; vom 26. Juni 2001 IX R 68/97, BFH/NV 2001, 1551). Das gilt auch für Mietverträge, die mit Angehörigen und deren Lebensgefährten geschlossen worden sind (BFH-Urteile vom 25. Juli 2000 IX R 6/97, BFH/NV 2001, 305; vom 25. Juli 2000 IX R 9/97, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung ―HFR― 2001, 337).
b) Rechtsgrundlage des Fremdvergleichs sind die §§ 85, 88 der Abgabenordnung (AO 1977) und § 76 Abs. 1 FGO. Er ermöglicht aufgrund einer Würdigung von Beweisanzeichen den Schluss, aus welchen Gründen ein Leistungsaustausch unter Angehörigen stattgefunden hat, ob aufgrund eines den Tatbestand einer Einkunftsart erfüllenden Vertrages oder aus privaten, familiären Gründen. Erst das Ergebnis dieser der Tatsachenfeststellung zuzuordnenden Indizienwürdigung ermöglicht die nachfolgende rechtliche Subsumtion, ob es sich bei den Aufwendungen des Steuerpflichtigen um nicht abziehbare Privatausgaben (§ 12 EStG) oder aber um Werbungskosten (§ 9 EStG) oder Betriebsausgaben (§ 4 Abs. 4 EStG) handelt (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 27. November 1989 GrS 1/88, BFHE 158, 563, BStBl II 1990, 160, unter C. III. 3.; Bundesverfassungsgericht, Beschluss der ersten Kammer des Zweiten Senats vom 7. November 1995 2 BvR 802/90, BStBl II 1996, 34; Wolff-Diepenbrock, Festschrift für Beisse, 1997, S. 581, 584 f.; Kirchhof, Einkommensteuergesetz, Kompakt-Kommentar, 2. Aufl. 2002, Einleitung Rn. 8; Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, 21. Aufl. 2002, § 4 Rz. 520 "Angehörige/Angehörigenverträge"; Nolde in Herrmann/ Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 12 EStG Anm. 79; a.A. Wassermeyer, Festschrift für Offerhaus, 1999, 405, 406 f.).
c) Für die Beurteilung eines Mietvertrages unter nahen Angehörigen ist entscheidend, dass die Hauptpflichten der Vertragsparteien wie die Überlassung einer konkret bestimmten Sache und die Höhe der Miete (§ 535 BGB) klar und eindeutig vereinbart und wie vereinbart durchgeführt werden (BFH-Urteile vom 20. Oktober 1997 IX R 38/97, BFHE 184, 463, BStBl II 1998, 106, zu 2.; vom 19. Oktober 1999 IX R 39/99, BFHE 190, 173, BStBl II 2000, 224). Sind hinsichtlich der Nebenabgaben keine Vereinbarungen getroffen worden, muss dies allein nicht bereits zur Nichtanerkennung des Vertrages führen; dieser Umstand ist vielmehr im Zusammenhang mit sämtlichen weiteren Umständen zu würdigen, die für oder gegen die private Veranlassung des Vertragsverhältnisses sprechen (BFH-Urteile vom 17. Februar 1998 IX R 30/96, BFHE 185, 397, BStBl II 1998, 349, zu 2.; in BFH/NV 2001, 305; in HFR 2001, 337). Bei Dauerschuldverhältnissen kann für die Auslegung ursprünglich unklarer Vereinbarungen außerdem die spätere tatsächliche Übung der Parteien herangezogen werden (vgl. BFH-Urteil vom 25. Oktober 1995 I R 9/95, BFHE 179, 270, BStBl II 1997, 703).
2. Nach diesen Maßstäben ist die Gesamtwürdigung des FG unvollständig, weil es nicht alle maßgeblichen Beweisanzeichen in seine Beurteilung einbezogen hat. Das FG ist nach Beweisaufnahme zu dem Ergebnis gelangt, dass der vom Kläger mit seiner Mutter und deren Lebensgefährten geschlossene Mietvertrag zwar hinsichtlich der Hauptpflichten im Wesentlichen wie vereinbart durchgeführt worden sei. Es hat den Mietvertrag aber am Maßstab des Fremdvergleichs scheitern lassen, weil er hinsichtlich der Frage, ob die Betriebskosten in der Miete enthalten waren, in sich widersprüchlich sei, weil allenfalls nur ein Heizkostenvorschuss, aber kein Vorschuss für sonstige Betriebskosten vereinbart worden sei, und weil die für 1995 durchgeführte Betriebskostenabrechnung nur die sonstigen Betriebskosten, aber gerade nicht die Heizkosten umfasst habe. Dass der Mietvertrag über die fremdvermietete Dachgeschosswohnung gleichartige Mängel aufweise, sei unerheblich.
a) Es kann offen bleiben, ob die Ermittlung des Vertragsinhalts durch das FG schon gegen das in §§ 133, 157 BGB verankerte Gebot verstößt, nicht am buchstäblichen Ausdruck zu haften, sondern den wirklichen Willen der Vertragsparteien zu erforschen. Jedenfalls hat das FG zu Unrecht unberücksichtigt gelassen, dass bei Dauerschuldverhältnissen für die Auslegung ursprünglich unklarer Vereinbarungen auf die spätere tatsächliche Übung der Parteien zurückgegriffen werden kann. Insoweit hätte das FG prüfen müssen, inwieweit die Betriebskostenabrechnungen für das Jahr 1995 zur Auslegung des Mietvertrages und Konkretisierung des Vertragsinhalts herangezogen werden können.
b) Selbst wenn aber der strittige Mietvertrag hinsichtlich der Nebenkosten dem zwischen Fremden Üblichen nicht entsprochen haben sollte, wäre die gebotene Gesamtwürdigung der für oder gegen die private Veranlassung des Mietvertrages sprechenden Umstände durch das FG im Streitfall unvollständig. Das FG hat zu Unrecht nicht in seine Beurteilung einbezogen, dass die von ihm beanstandeten Widersprüche und Unklarheiten ebenso in dem mit Fremden geschlossenen Mietvertrag über die Dachgeschosswohnung enthalten sind. In einem solchen Fall verliert das zwischen fremden Dritten übliche Vertragsgebaren für die Indizienwürdigung an Gewicht. Weisen ein mit Fremden zum Zweck der Erzielung von Einkünften geschlossener Mietvertrag und ein Mietvertrag mit Angehörigen nach ihrem Inhalt oder in ihrer Durchführung gleichartige Mängel auf, lässt sich daraus zunächst nur auf ein generell unsorgfältiges Vertragsgebaren des Steuerpflichtigen sowohl gegenüber Fremden wie gegenüber Angehörigen schließen. Die Mängel des Angehörigenvertrages deuten in einem solchen Fall aber nicht ohne weiteres auf eine private Veranlassung des Leistungsaustauschs hin.
3. Da das FG maßgebliche Beweisanzeichen bei seiner Gesamtwürdigung außer Acht gelassen hat, ist die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Das Revisionsgericht kann den Fremdvergleich, der die Würdigung von Beweisanzeichen bedeutet, nicht selbst durchführen. Das FG hat daher im zweiten Rechtsgang das strittige Mietverhältnis insgesamt erneut zu beurteilen.
Fundstellen
Haufe-Index 782019 |
BFH/NV 2002, 1391 |
BStBl II 2002, 699 |
BFHE 199, 380 |
BFHE 2002, 380 |
BB 2002, 1897 |
DB 2002, 1869 |
DStR 2002, 1521 |
DStRE 2002, 1137 |
DStZ 2002, 681 |
HFR 2002, 1016 |