Leitsatz (amtlich)
1. Wird durch einen Bescheid nach § 222 Abs. 1 AO (Berichtigungsbescheid) die ursprüngliche Steuerfestsetzung berichtigt, so bildet der Berichtigungsbescheid die alleinige Grundlage für die Erhebung der Steuer unabhängig davon, ob die Steuer höher oder niedriger festgesetzt wird.
2. Ergeht der Berichtigungsbescheid nach Erhebung der Klage gegen die ursprüngliche Steuerfestsetzung und läßt ihn der Steuerpflichtige unanfechtbar werden, so ist das Verfahren gegen den ursprünglichen Bescheid in der Hauptsache erledigt. Das wird durch Urteil festgestellt (Abweichung von der Entscheidung III 142/65 vom 25. Oktober 1968, BFH 94, 302, BStBl II 1969, 167), wenn nicht von beiden Parteien Erledigungserklärungen abgegeben wurden.
Normenkette
FGO §§ 68, 77 Abs. 3, § 100 Abs. 1 S. 4, § 126 Abs. 2, §§ 137-138
Tatbestand
Der Revisionskläger (Steuerpflichtiger) unterließ es, in den Jahren 1961 und 1962 Einkommensteuererklärungen abzugeben. Der Revisionsbeklagte (FA) schätzte daher die Einkünfte.
Einspruch und Klage (damals Berufung), die keine bezifferten Anträge enthielten, blieben ohne Erfolg. Gegen das Urteil des FG legte der Steuerpflichtige die als Revision zu behandelnde Rechtsbeschwerde ein.
Im Laufe des Revisionsverfahrens teilte das FA mit, die angefochtenen Einkommensteuerbescheide seien auf Grund einer Betriebsprüfung gemäß § 222 Abs. 1 Nr. 2 AO geändert worden, übersandte Abschriften der rechtskräftigen Änderungsbescheide und erklärte, die Hauptsache sei erledigt. Das FA beantragte, dem Steuerpflichtigen die Kosten in entsprechender Anwendung des § 137 FGO aufzuerlegen, weil der Steuerpflichtige durch Abgabe von Steuererklärungen die Schätzungen des FA und die darauffolgenden Verfahren hätte vermeiden können und müssen.
Der Steuerpflichtige äußerte sich nicht zu dem Antrag des FA, der ihm mit der Aufforderung übersandt wurde mitzuteilen, ob er den Rechtsstreit ebenfalls als erledigt ansehe; er stellte keine Anträge.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Hauptsache ist erledigt.
Das Schweigen des Steuerpflichtigen auf die Erledigungserklärung des FA kann nicht dahin verstanden werden, daß sein Untätigbleiben eine Erledigungserklärung darstelle (ebenso Beschluß des BFH III 142/65 vom 25. Oktober 1968, BFH 94, 302, BStBl II 1969, 167; zu den unterschiedlichen Auffassungen Göppinger, Die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache, Stuttgart, 1958, S. 57 ff. [S. 80 oben]; Habscheid, Der gegenwärtige Stand der Lehre von der Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache, Juristenzeitung 1963 S. 624 [625] - JZ 1963, 624 [625] -; Deubner, Anm. zum Urteil des BGH VIII ZR 72/66 vom 7. November 1968, NJW 1969, 796; BGH-Urteile III ZR 29/55 vom 14. Juli 1956, BGHZ 21, 298, und IV ZR 215/61 vom 16. Mai 1962, BGHZ 37, 137 [142, 146]). Das Gericht muß deshalb zum sachlichen Streit Stellung nehmen. Die Entscheidung hat durch Urteil zu ergehen (§§ 124, 126 Abs. 2 FGO); denn die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet und nach altem Recht auch ohne bestimmte Anträge zulässig (§ 120 Abs. 2 FGO, § 184 Abs. 2 Nr. 2 FGO). Der III. Senat stimmte der Abweichung vom Beschluß III 142/65 (a. a. O.) zu. Die sachliche Prüfung führt zu der von Amts wegen zu treffenden Feststellung, daß die Hauptsache erledigt ist (BFH-Beschluß III 142/65, a. a. O.; vgl. auch BGH-Urteil VIII ZR 37/68 vom 30. September 1968, Lindenmaier-Möhring, Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, § 91 Nr. 19 ZPO unter II). Denn die Bescheide, gegen die sich der Steuerpflichtige wandte, sind weggefallen. Das ergibt sich daraus, daß das FA - wie gesetzlich vorgesehen - Abschriften der gemäß § 222 Abs. 1 Nr. 2 AO erlassenen rechtskräftigen Änderungsbescheide, die es während des Revisionsverfahrens erließ, übersandte (§ 77 Abs. 3 FGO) und der Steuerpflichtige diesem im Revisionsverfahren zulässigen Tatsachenvortrag nicht widersprach, ihn also als zutreffend zugestand. Das stimmt auch mit seinem ursprünglichen Vorbringen überein. Denn er regte in der Revisionsbegründung an, die Akten vorerst nicht dem BFH vorzulegen, weil er noch mit dem FA eine Erledigung der vorsorglich eingelegten Rechtsmittel anstrebe.
Der Steuerpflichtige kann kein Interesse mehr an einer seinem Antrage entsprechenden gerichtlichen Entscheidung haben, weil die angefochtenen Einkommensteuerbescheide geändert wurden. Tritt ein Berichtigungsbescheid an die Stelle des ursprünglichen Bescheides, so bildet er die alleinige rechtliche Grundlage für die Erhebung der Steuer. Das gilt nicht nur, wenn durch den Berichtigungsbescheid ein höherer Steuerbetrag angefordert wird (vgl. BFH-Beschluß VII B 180/67 vom 14. Mai 1969, BFH 96, 5, BStBl II 1969, 538), sondern auch, wenn mit dem Änderungsbescheid ein geringerer Steuerbetrag festgesetzt wird. Denn durch den Berichtigungsbescheid verliert der ursprüngliche Bescheid seinen Regelungsinhalt (vgl. Woerner, Die "Änderung, Ersetzung und Berichtigung" von Steuerbescheiden, BB 1969, 1391 [dort. S. 1392 rechte Spalte unter III A 1]). Der Berichtigungsbescheid bildet, wenn durch ihn die Steuer ermäßigt wird, ebenso die alleinige rechtliche Grundlage für die Erhebung der Steuer wie im Falle der Höherfestsetzung (vgl. auch Becker-Riewald-Koch, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Bd. III, § 68 FGO, Erläuterung 3; Mattern-Meßmer, Reichsabgabenordnung, 1964, Rdnr. 503, 504; v. Wallis-List in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 42 FGO Rdnr. 4; Woerner, Anm. zum BFH-Beschluß VII B 180/67 vom 14. Mai 1969, BB 1969, 1074). Ein Berichtigungsbescheid, durch den die ursprünglich angeforderte Steuer herabgesetzt wird, ist also keine Teilaufhebung des ursprünglichen Steuerbescheids. Denn jeder der beiden Bescheide regelt den ihm zugrunde liegenden Sachverhalt in vollem Umfange. Der ursprüngliche Steuerbescheid bleibt auch nicht etwa formell bestehen. Wird der Berichtigungsbescheid aufgehoben, fällt die ihm innewohnende Aufhebungswirkung gegenüber dem ursprünglichen Bescheid rückwirkend mit der Folge weg, daß die im Erstbescheid getroffene Regelung wieder in Kraft tritt (vgl. Mattern-Meßmer, Reichsabgabenordnung, Rdnr. 1644, für den Fall, daß der Erstbescheid vor seiner Berichtigung unanfechtbar war). Wird der Berichtigungsbescheid jedoch unanfechtbar, geht jede gerichtliche Entscheidung gegenüber dem ursprünglichen Bescheid ins Leere. Denn eine solche Entscheidung könnte die Wirkung des unanfechtbar gewordenen Berichtigungsbescheids nicht beseitigen.
Dem Steuerpflichtigen stehen nach Ergehen des Berichtigungsbescheids mehrere Wege offen. Er kann beantragen, den neuen Bescheid zum Gegenstand des Verfahrens zu machen (§ 68 FGO). Er kann ihn anfechten und im Verfahren gegen den berichtigten Bescheid entweder die Hauptsache mit der Folge des § 138 FGO für erledigt erklären oder die Aussetzung des Verfahrens bis zum Abschluß des Verfahrens gegen den zweiten Bescheid beantragen, wenn er beispielsweise bestreitet, daß die Behörde befugt war, den zweiten Bescheid zu erlassen (vgl. BFH-Beschluß II S 54/66 vom 19. Oktober 1966, BFH 86, 727, BStBl III 1966, 655). Der Steuerpflichttige kann schließlich beantragen, die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts auszusprechen, wenn er ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat (§ 100 Abs. 1 Satz 4 FGO). Wählt der Steuerpflichtige keinen dieser Wege und wird der Berichtigungsbescheid unanfechtbar, könnte eine den ursprünglichen Steuerbescheid betreffende gerichtliche Entscheidung keine Auswirkungen mehr haben. Denn der Erstbescheid ist beseitigt und durch den rechtskräftigen Berichtigungsbescheid ersetzt (vgl. BFH-Beschluß II S. 54/66, a. a. O.).
Der IV. Senat schließt sich dem III. Senat auch darin an, daß die Kostenentscheidung nach § 138 FGO zu treffen ist, obwohl der Steuerpflichtige keine Erledigungserklärung abgab und die Feststellung des Gerichts, daß die Hauptsache erledigt ist, als Sachentscheidung ergeht (vgl. BGH-Urteil VIII ZR 37/68, a. a. O.). Es kann dahingestellt bleiben, ob hier die Erledigung des Rechtsstreits dadurch eintrat, daß dem Antrag des Steuerpflichtigen durch Änderung der angefochtenen Steuerbescheide in vollem Umfange stattgegeben wurde (§ 138 Abs. 2 Satz 1 FGO), oder ob das FA die Steuer teilweise abweichend von seinem ursprünglichen Begehren festsetzte (§ 138 Abs. 1 FGO). Denn die Kosten wären dem Steuerpflichtigen selbst dann nach § 138 Abs. 2 Satz 4 FGO in sinngemäßer Anwendung von § 137 FGO aufzuerlegen, wenn er obsiegt hätte, weil das gesamte Verfahren auf dem schuldhaften Verhalten des Steuerpflichtigen (der Nichtabgabe der Steuererklärungen, dem Unterlassen jeglichen Vorbringens in tatsächlicher Hinsicht und dem Fehlen von Entschuldigungsgründen für sein Verhalten) beruht. Liegt kein Fall des § 138 Abs. 2 Satz 1 FGO vor, entspricht es billigem Ermessen (§ 138 Abs. 1 FGO), dem Steuerpflichtigen die Kosten aufzuerlegen.
Fundstellen
Haufe-Index 69066 |
BStBl II 1970, 623 |
BFHE 1970, 157 |