Richtiger Beantragungszeitpunkt für Günstigerprüfung
Der BFH hat aktuell betont, dass nicht jedwede Änderung eines bereits bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids den Weg zu einem wirksamen erstmaligen Antrag auf Günstigerprüfung eröffnet ( BFH, Urteil v. 26.9.2023, VIII R 10/21, NV).
Blick in die aktuelle Rechtslage
Die Einkommensteuer wird bei Einkünften aus Kapitalvermögen nach Maßgabe von § 32d Abs. 1 EStG mit einem gesonderten Tarif ermittelt (Abgeltungsteuer). Gesetzliche Ausnahmen hiervon enthält § 32d Abs. 2 EStG. In den dort aufgeführten Fällen findet kraft Gesetzes eine tarifliche Besteuerung statt; nur sofern eine unternehmerische Beteiligung vorliegt, kann auf Antrag eine tarifliche Besteuerung erfolgen (§ 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG).
Der i.d.R. anzuwendende Abgeltungsteuersatz ist ungünstiger, sofern dieser über dem persönlichen Steuersatz liegt. Der Gesetzgeber eröffnet für diese Fälle die Möglichkeit, eine tarifliche Besteuerung beantragen zu können (§ 32d Abs. 6 EStG). Wenngleich dieser Antrag formfrei ist, wird dieser gewöhnlicherweise mit der Einkommensteuer-Erklärung beantragt.
Blick in den Erklärungsvordruck – Anlage KAP
Für die Beantragung der Günstigerprüfung sieht das EStG keine Frist vor. D. h. der Antrag muss nicht unmittelbar mit Erklärungsabgabe gestellt werden. Der BFH lässt jedoch eine wirksame Beantragung nach Bestandskraft eines Einkommensteuerbescheides nur in bestimmten Fallvarianten zu.
Der BFH musste sich nunmehr mit der Frage befassen, ob die Günstigerprüfung erstmalig gewährt werden kann, wenn der ursprüngliche Einkommensteuerbescheid infolge der Anpassung von Beteiligungseinkünften geändert wird, sich diese Änderung auf die Höhe der tariflichen Steuer aber nicht auswirkt.
Sachverhalt: Günstigerprüfung wird erst nach bestandskräftigem Erstbescheid erstmals beantragt
Die Kläger sind Eheleute und werden im Streitjahr 2012 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erzielte u. a. Einkünfte aus Kapitalvermögen sowie Einkünfte aus Gewerbebetrieb aus mehreren Beteiligungen.
Für die Kapitalerträge von 9.292 EUR stellten die Kläger mit der ESt-Erklärung keinen Antrag auf Günstigerprüfung, obwohl dieser zu einer geringeren Steuerbelastung geführt hätte. Die Abgeltungsteuer betrug 1.772 EUR. Die tarifliche Steuer auf die weiteren Einkünfte belief sich 0 EUR; der Grundfreibetrag wurde nicht überschritten. Das Finanzamt veranlagte antragsgemäß und wandte auf die Kapitalerträge die Abgeltungsteuer an. Der Bescheid wurde bestandskräftig.
Anschließend wurden drei Änderungsbescheide infolge der Anpassung von Beteiligungseinkünften erlassen, die sich jedoch nicht auf die Höhe der Einkommensteuer im Streitjahr auswirkten.
Die Kläger beantragten gleichwohl erstmals im Einspruchsverfahren gegen den dritten Änderungsbescheid, die Günstigerprüfung anzuwenden.
FG Düsseldorf: Günstigerprüfung wurde abgelehnt
Das FG Düsseldorf lehnte den erstmaligen Antrag auf Günstigerprüfung ab (Urteil v 16.7.2020, 15 K 279/19 E, EFG 2021, 1552). Die Günstigerprüfung könne nach Bestandskraft eines Bescheides nur dann gewährt werden, wenn eine Korrekturvorschrift greife. Eine solche läge im Entscheidungsfall nicht vor.
BFH lehnt nachträgliche Günstigerprüfung ebenso ab
Der BFH hat sich mit Urteil v. 26.9.2023, VIII R 10/21 der Auffassung des FG Düsseldorf angeschlossen und die Revision als unbegründet zurückgewiesen. Der angefochtene Änderungsbescheid könne mangels verfahrensrechtlicher Änderungsvorschrift nicht zugunsten der Kläger geändert werden.
Positive Einnahmen aus Kapitalvermögen und Verrechnung mit negativen tariflichen Einkünften möglich
Durch die Günstigerprüfung können positive Kapitalerträge mit negativen tariflich besteuerten Einkünften – hier den Beteiligungseinkünften - verrechnet werden. Die Regelung zu Verlusten aus Kapitalvermögen (§ 20 Abs. 6 EStG), die nicht mit anderen Einkünften aus anderen Einkunftsarten verrechnet werden können, gilt für positive Kapitalerträge nicht. Allerdings wird eine solche Verrechnung nur durch die wirksame Beantragung der Günstigerprüfung erreicht.
Verrechnung setzt aber die rechtzeitige Beantragung der Günstigerprüfung voraus
Im EStG wird in § 32d Abs. 6 EStG zwar keine Beantragungsfrist für die Günstigerprüfung genannt. Ein solcher Antrag kann damit zeitlich unbefristet bis zum Eintritt der Festsetzungsverjährung gestellt werden.
Wird ein Antrag auf Günstigerprüfung jedoch erstmals nach Eintritt der Bestandskraft einer Steuerfestsetzung gestellt, wird dieser Grundsatz durch die verfahrensrechtlichen Grundsätze der Bestandskraft und der Regelung in § 351 Abs. 1 2. HS AO begrenzt.
Nach § 351 Abs. 1 2. HS AO können unanfechtbare Verwaltungsakte nur geändert werden, wenn eine Berichtigungsnorm vorliegt. Eine Berichtigungsnorm enthält § 32d Abs. 6 EStG nicht, sodass die Berichtigungsvorschriften der AO zu prüfen sind.
Antrag auf Günstigerprüfung als rückwirkendes Ereignis
Tritt ein Ereignis ein, dass steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis: § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO), kann der ursprüngliche Steuerbescheid geändert werden. Jedoch löst nicht jedwede Änderung eines Steuerbescheides die Möglichkeit zur zulässigen nachträglichen Beantragung der Günstigerprüfung aus. Nur wenn durch einen Änderungsbescheid nach Bestandskraft des bisherigen Bescheids erstmals ein Zustand entsteht, der eine erfolgreiche Günstigerprüfung erstmals ermöglicht, liegt in der nachträglichen Beantragung einer Günstigerprüfung ein rückwirkendes Ereignis.
So verhielt es sich im Entscheidungsfall aber nicht: Die Günstigerprüfung hätte bereits mit dem erstmals bekanntgegebenen Bescheid erfolgreich beantragt werden können. Die geänderten Beteiligungseinkünfte alleine lösen kein rückwirkendes Ereignis aus, durch das ein korrekturbedürftiger Zustand geschaffen wird. Denn durch sie änderte sich die tarifliche Einkommensteuer – offenbar infolge geänderter Verlustzuweisungshöhen – nicht.
Praxisfolgen
Die Günstigerprüfung dürfte gerade im Zusammenhang mit der Einkommensteuer-Veranlagung 2023 eine größere Rolle als in den letzten Veranlagungsjahren spielen. Hintergrund hierfür sind die höheren Guthabenzinsen der Kreditinstitute.
Der o.g. Entscheidungsfall verdeutlicht, dass der Antrag auf Günstigerprüfung rechtzeitig mit erstmaliger Veranlagung zu stellen ist. Dies setzt in der Beratungspraxis wiederum voraus, dass der Mandant dem Berater die Jahressteuerbescheinigungen rechtzeitig zur Erklärungsbearbeitung vorlegt. Werden die Bescheinigungen erst nach bestandskräftig erlassenem Bescheid vorgelegt, scheidet eine wirksame erstmalige Beantragung der Günstigerprüfung regelmäßig aus. Nur in seltenen Fällen dürfte sich eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO (nachträglich bekanntgewordene Tatsachen ohne grobes Verschulden) ergeben.
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