Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Wurde gegen das Urteil des Finanzgerichts hinsichtlich der Entscheidung in der Hauptsache und der Feststellung des Streitwertes Rb. eingelegt, so ist es zulässig, die Rb. in der Hauptsache zurückzunehmen und sie lediglich hinsichtlich der Streitwertanfechtung aufrechtzuerhalten.

 

Normenkette

AO § 253; FGO §§ 125, 72; AO § 320/4; FGO § 140/3

 

Tatbestand

Bei dem Steuerpflichtigen, der eine Schuhwarenhandlung mit Reparaturwerkstätte betreibt, fand im Herbst 1957 eine die Jahre 1951 - 1956 umfassende Betriebsnachschau durch das Finanzamt statt. Der Beamte stellte erhebliche Mängel in der Buchführung fest und schlug deshalb eine Schätzung der Umsätze und Gewinne für 1951 - 1956 vor. Auf Grund des Nachschauberichtes erließ das Finanzamt für die Jahre 1951 - 1955 Berichtigungsbescheide, gegen die der Steuerpflichtige und seine Ehefrau (Bf.) Einspruch einlegten. Um über die zahlreichen und schwerwiegenden Einwendungen des Rechtsmittels entscheiden zu können, hielt das Finanzamt eine erneute Prüfung der gleichen Wirtschaftsjahre des Betriebes, nunmehr durch die Betriebsprüfungsstelle, für angezeigt und teilte dies den Bf. mit Schreiben vom 3. März 1959 mit. Gegen diese Verfügung des Finanzamts legten die Bf. Beschwerde ein, in der sie vorbrachten, das Finanzamt habe von seinem Recht zur Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen bereits durch eine Nachschau im Herbst 1957 Gebrauch gemacht und das Ergebnis der Prüfung den Berichtigungsveranlagungen zugrunde gelegt. Gegen die berichtigten Steuerbescheide seien die gesetzmäßigen Rechtsmittel eingelegt worden; über sie müsse zuerst entschieden werden, bevor eine Wiederholung der Betriebsprüfung stattfinden könne.

Die Beschwerde hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht, dem die Beschwerde gemäß § 18 der Verordnung Nr. 175 der Militärregierung Deutschland - das ehemalige britische Kontrollgebiet betreffend - unmittelbar vorgelegt wurde, wies sie als unbegründet zurück und stellte als Wert des Streitgegenstandes nach freiem Ermessen einen Betrag von 500 DM fest.

Mit der Rb. beantragten die Bf. zunächst die Aufhebung des Beschlusses des Finanzgerichts und der angefochtenen Verfügung des Finanzamts vom 3. März 1959 wegen Verstoßes gegen das Grundgesetz sowie die Herabsetzung der Streitwertfeststellung der Vorinstanz von 500 DM auf 20 - 50 DM. Die Feststellung des Streitwertes durch das Finanzgericht stelle eine überschreitung der Grenzen des freien Ermessens dar. Die Bf. sind der Auffassung, der Streitwert könne bei der Anfechtung einer Anordnung, die nach § 202 AO erzwungen werden könne, nicht höher sein als das Erzwingungsgeld, das im Falle der Nichtbefolgung der Anordnung festgesetzt würde.

Im Schriftsatz vom 22. März 1960 erklärten die Bf. den Rechtsstreit in der Hauptsache, soweit er die Anordnung einer zweiten Betriebsprüfung betrifft, für erledigt; die Anfechtung des Streitwertes hielten sie jedoch aufrecht, da nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs II 190/54 S vom 30. März 1955 (BStBl 1955 III S. 158, Slg. Bd. 60 S. 415) Streitwertfeststellungen selbständig anfechtbar seien.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist nicht zulässig.

Das Vorbringen der Bf., daß sie den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklären, stellt nach ihrem Willen offensichtlich eine Zurücknahme der Rb. in der Hauptsache dar. Das ergibt sich aus der Begründung für diese Erklärung, in der es heißt: "Die im weitesten Sinne befriedigenden Erklärungen des Finanzamts hinsichtlich seiner Absichten für die Vornahme einer zweiten Betriebsprüfung und insbesondere seine verbindlichen Zusicherungen, die Wiederholung nur deshalb anzustellen, weil es dies zugunsten der Steuerpflichtigen für notwendig erachte, verpflichten ... (dazu), nunmehr die Hauptsache für erledigt zu erklären." Ein Tatbestand, der dazu berechtigen würde, die Hauptsache im prozeßrechtlichen Sinne für erledigt zu erklären, liegt im übrigen hier nicht vor.

Im Gegensatz zum Urteil des III. Senats III 128/58 U vom 6. Februar 1959 (BStBl 1959 III S. 311, Slg. Bd. 69 S. 131) hält der erkennende Senat die Zurücknahme der Rb. in der Hauptsache und ihre Aufrechterhaltung lediglich gegen die Feststellung des Wertes des Streitgegenstandes durch das Finanzgericht für zulässig. Diese Auffassung ergibt sich folgerichtig aus dem vom Bundesfinanzhof in zwei Urteilen ausgesprochenen Rechtssatz, daß Streitwertfeststellungen der Finanzgerichte selbständig angefochten werden können (vgl. Urteile II 190/54 S vom 30. März 1955, a. a. O., und I 10/58 S vom 16. Februar 1960, BStBl 1960 III S. 145, Slg. Bd. 70 S. 388). Der Grund hierfür liegt darin, daß Streitwertfeststellungen - im Gegensatz zur Kostenentscheidung - prozessual keinen unselbständigen Bestandteil der eigentlichen Rechtsmittelentscheidung darstellen. Wenn also Steuerpflichtige gegen die Entscheidung des Finanzgerichts in der Hauptsache und gegen die angefügte Streitwertfeststellung Rb. einlegen, so handelt es sich im Grunde um zwei Rbn., von denen im Rahmen des § 253 AO ohne weiteres die eine von beiden zurückgenommen werden kann (vgl. Boeker: Anfechtung von Streitwertfeststellungen und Kostenentscheidungen in Rechts- und Wirtschaftspraxis 14 Steuer-R D Abgabenordnung II B 10/60 Einzelfragen).

Dieser Standpunkt zwingt aber nach der Auffassung des Senats nicht dazu, im Gegensatz zur bisherigen Praxis eine Nachprüfung der Streitwertfeststellung des Finanzgerichts im Rahmen eines Rechtsbeschwerdeverfahrens nur dann zuzulassen, wenn die Streitwertfeststellung durch die Rb. ausdrücklich angefochten wurde; er bejaht nur die Möglichkeit, neben dem Rechtsbeschwerdeverfahren in der Hauptsache - prozessual gesehen - ein gesondertes Verfahren gegen die Streitwertfeststellung des Finanzgerichts zu betreiben.

Die Zulässigkeit der Zurücknahme der Rb. in der Hauptsache und ihre alleinige Aufrechterhaltung wegen der Streitwertfeststellung setzt aber voraus, daß für die selbständige Anfechtung der Streitwertfeststellung die Streitwertgrenze des § 286 Abs. 1 AO erreicht ist, unabhängig davon, ob für das Rechtsbeschwerdeverfahren in der Hauptsache die Streitwertgrenze des § 286 Abs. 1 AO zu beachten gewesen wäre. Denn die gesonderte Anfechtung der Streitwertfeststellung des Finanzgerichts stellte hier eben eine selbständige normale Rb. gegen eine Berufungsentscheidung nach den §§ 285 bis 298 AO dar, über die durch Urteil zu entscheiden ist und für die § 286 Abs. 1 AO ausnahmslos Geltung hat (vgl. auch Urteile II 190/54 S und I 10/58 S, a. a. O.). An der Voraussetzung des § 286 Abs. 1 AO fehlt es aber im vorliegenden Fall. Für die Bemessung des Streitwertes ist das finanzielle Interesse der Beteiligten an der Entscheidung maßgebend. Für die Bf. besteht das finanzielle Interesse an einer für sie günstigen Entscheidung im Rechtsbeschwerdeverfahren in dem Unterschied der gesamten Kosten des Berufungsverfahrens, die sie zu tragen haben, wenn der Streitwert des Berufungsverfahrens auf 500 DM festgestellt wird, und der Kosten des Berufungsverfahrens, die sie zu tragen haben, wenn sein Streitwert auf 20 DM festgestellt wird. Dieser Unterschiedsbetrag liegt hier auch bei Annahme des möglichen Höchstbetrages unter dem für das Rechtsbeschwerdeverfahren zulässigen Mindeststreitwert von 200 DM, wie folgende übersicht zeigt:

----------------------------------- Streit- -- Streit- ----------------------------------- wert ----- wert ----------------------------------- 500 DM --- 20 DM Rechtsmittelkosten in der Berufung einschließlich Abfindung ----------- 46 DM ---- 7 DM mögliche Vertretergebühr (zwei volle Gebühren) -------------- 60 DM ---- 6 DM ----------------------------------- 106 DM --- 13 DM Unterschied 93 DM.Die Rb. muß daher als unzulässig verworfen werden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 410041

BStBl III 1961, 292

BFHE 1962, 65

BFHE 73, 65

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