Leitsatz (amtlich)
1. Die Vorschrift des § 244 Abs. 3 StPO, nach der ein (zulässiger) Beweisantrag u. a. dann abgelehnt werden darf, wenn das Beweismittel unerreichbar ist, gilt als allgemeiner Rechtsgedanke des Prozeßrechts auch im Steuerprozeß.
2. Danach ist es auch zulässig, wenn das Gericht, nachdem es zunächst einem Beweisantrag stattgegeben und durch Beweisbeschluß die Vernehmung des Zeugen angeordnet hatte, seine Bemühungen um die Zeugenaussage einstellt, wenn der weitere Verlauf des Verfahrens eindeutig ergibt, daß der Zeuge für das Gericht unerreichbar ist.
Normenkette
FGO § 76; StPO § 244
Tatbestand
Aus den Gründen:
Im Streitfall, der u. a. Vorgänge im Ausland betraf, hatte der Kläger für die Richtigkeit seiner Behauptungen im Verfahren vor dem FG Beweis durch Einvernahme eines ausländischen Zeugen angetreten. Das Gericht hatte zunächst durch Beweisbeschluß die Vernehmung des Zeugen angeordnet. Die Bemühungen des Gerichts, den Zeugen zu vernehmen, blieben jedoch ergebnislos. Das FG ist in seinem Urteil davon ausgegangen, der Zeuge sei unerreichbar.
Entscheidungsgründe
Dies hat der Senat gebilligt und ausgeführt:
Nach § 76 Abs. 1 FGO erforscht das FG den Sachverhalt unter Heranziehung der Beteiligten von Amts wegen. An das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten ist das Gericht nicht gebunden (§ 96 Abs. 1 FGO). Wie weit die Pflicht zur Sachaufklärung durch das FG reicht, hängt von den Umständen des einzelnen Falles ab. Dabei ist neben der Entscheidungserheblichkeit einer Tatsache das Vorbringen der Beteiligten sowie deren Pflicht zur Mitwirkung bei der Erforschung des Sachverhalts von Bedeutung. Erforderlichenfalls hat das Gericht über eine streitige, für die Entscheidung erhebliche Tatsache Beweis zu erheben, z. B. Zeugen zu vernehmen (vgl. §§ 81 ff. FGO). Aber auch wenn nach Lage des Falles eine bestimmte Beweiserhebung zur Aufklärung des Sachverhaltes beitragen könnte, findet die Sachaufklärungspflicht des FG ihre Grenze, wenn das Beweismittel für das Gericht nicht erreichbar ist.
1. Die Unerreichbarkeit eines Beweismittels spielt im Prozeßrecht in erster Linie unter dem Gesichtspunkt eine Rolle, ob sie die Ablehnung eines Beweisantrages rechtfertigt. Nach § 244 Abs. 3 StPO darf ein (zulässiger) Beweisantrag unter anderem abgelehnt werden, wenn das Beweismittel unerreichbar ist. Eine ausdrückliche Vorschrift dieses Inhalts kennt die FGO nicht. Allerdings darf auch im Steuerprozeß ein Beweisantrag eines Beteiligten nicht ohne ausreichenden Grund übergangen werden (vgl. Urteile des BFH vom 30. Mai 1967 II 120/63, BFHE 89, 65, BStBl III 1967, 520; vom 13. August 1969 II R 13/65, BFHE 98, 210, BStBl II 1970, 338). In beiden Entscheidungen wird ausgeführt, daß das Gericht die beantragte Einvernahme eines Zeugen nur ablehnen dürfe, wenn es die Richtigkeit aller durch die Zeugenaussage zu bekundenden Tatsachen zugunsten des die Zeugeneinvernahme beantragenden Beteiligten unterstelle. Dies kann aber nicht so verstanden werden, daß damit die Gründe, die eine Ablehnung eines Beweisantrages rechtfertigen, abschließend bezeichnet sind. Im Schrifttum wird allgemein anerkannt, daß die Unerreichbarkeit eines Beweismittels die Ablehnung eines Beweisantrages rechtfertigt (v. Wallis-List in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung und den Nebengesetzen, § 76 FGO, Anm. 17; Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, § 81 FGO, Anm. 8; Barske-Woerner, Finanzgerichtsordnung, S. 96; für den Verwaltungsprozeß vgl. Redecker-von Oertzen, Verwaltungsgerichtsordnung, 4. Aufl., § 86 Anm. 14). Die Vorschrift des § 244 Abs. 3 StPO enthält insoweit einen allgemeinen, sich aus der Natur der Sache ergebenden Rechtsgedanken. Rechtfertigt aber die Unerreichbarkeit eines Zeugen bereits die Ablehnung eines Beweisantrages, so muß es auch als zulässig angesehen werden, daß das Gericht - nachdem es zunächst dem Beweisantrag stattgegeben und durch Beweisbeschluß die Vernehmung des Zeugen angeordnet hatte - seine Bemühungen um die Zeugenaussage einstellt, wenn der weitere Verlauf des Verfahrens eindeutig ergibt, daß der Zeuge für das Gericht unerreichbar ist.
2. Nach den für § 244 Abs. 3 StPO geltenden Grundsätzen ist ein Zeuge dann unerreichbar, wenn Ermittlungen nach seinem Aufenthalt mangels jeglicher Anhaltspunkte von vornherein aussichtslos sind, oder wenn das Gericht unter Beachtung der ihm obliegenden Aufklärungspflicht alle der Bedeutung des Beweismittels entsprechenden Bemühungen zur Beibringung vergeblich entfaltet hat (Urteil des BFH vom 25. Juni 1953 4 StR 108/53, Neue Juristische Wochenschrift 1953 S. 1522). Diese Grundsätze gelten auch im Steuerprozeß.
Fundstellen
Haufe-Index 70981 |
BStBl II 1974, 612 |
BFHE 1974, 455 |