Entscheidungsstichwort (Thema)
Ambros-Scheinrenditen; keine Änderung der bestandskräftigen Einkommensteuerveranlagung 1991 gemäß § 174 Abs. 1 und Abs. 3 AO 1977 sowie nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 wegen Nichtberücksichtigung von Verlustanteilen
Leitsatz (NV)
Hat das FA in den Veranlagungszeiträumen 1988 bis 1990 dem Steuerpflichtigen von der Ambros S.A. gutgeschriebene Scheinrenditen als Einnahmen aus Kapitalvermögen erfasst und besteuert, während es im Streitjahr 1991 möglicherweise als Werbungskosten zu berücksichtigende Verlustanteile außer Betracht gelassen hat, so kann der bestandskräftige Einkommensteuerbescheid 1991 weder nach § 174 Abs. 1 und Abs. 3 AO 1977 noch nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 zwecks Berücksichtigung dieser Verlustanteile geändert werden.
Normenkette
AO 1977 § 173 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 174 Abs. 1, 3; EStG § 20 Abs. 1 Nr. 4 Alt. 1
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) und ihr im Oktober 1990 verstorbener Ehemann schlossen in den Jahren 1987 bis 1989 mit der Ambros S.A. (A) ―einer Kapitalgesellschaft panamaischen Rechts, deren Verwaltungsrat seinen Sitz in Vaduz/ Liechtenstein hatte― mehrere sog. Verwaltungsverträge, aufgrund deren sie der A Kapitalbeträge in Höhe von insgesamt 610 000 DM zur Verfügung stellten.
Die A stellte ihren Anlegern monatliche Renditen bis zu 6 % in Aussicht. In den Verwaltungsverträgen erklärten die Anleger, dass sie als Investoren dem Verwalter Eigenkapital in einer bestimmten Höhe zur Verfügung stellten und über den spekulativen Charakter der Kapitalanlagen einschließlich deren Risiken ausführlich aufgeklärt worden seien. Die Anleger hatten die Wahl zwischen der monatlichen Wiederanlage der Gewinne und der vierteljährlichen Auszahlung der Renditen. Die Eheleute hatten sich für die vierteljährliche Auszahlung der Renditen entschieden.
In den zu Bestandteilen des Verwaltungsvertrages gewordenen ―vorformulierten― Vertragsbedingungen heißt es u.a.:
"2.1 Der Verwalter kann die Einlagen mehrerer Investoren zu einheitlichen Transaktionen zusammenfassen und Geschäfte an den US-Börsen über einen oder mehrere Broker tätigen.
3.1 Getätigt werden überwiegend Stillhaltegeschäfte.
4.1 Die Anlagen haben spekulativen Charakter. Verluste können daher nicht ausgeschlossen werden. Eine Nachschusspflicht des Investors besteht nicht.
4.2 Das Kapital der Investoren wird mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns verwaltet. Eine Garantie für die Erzielung eines bestimmten Anlageerfolges kann jedoch nicht übernommen werden.
5.2 Der Investor erhält 70 % vom Netto-Wertzuwachs.
7.2 Die Nettoergebnisse werden im monatlichen Kontoauszug mitgeteilt.
7.3 Evtl. Verluste werden bis zu drei Monate vorgetragen.
8.1 Eine Kündigung ist vierteljährlich mit einer Frist von sechs Wochen zum Quartalsende möglich.
8.3 Das Guthaben wird per Scheck bis zum 15. des auf das Quartalsende folgenden Monats an den Investor ausgezahlt."
Aus den mit den gepoolten Kapitalbeträgen getätigten Spekulationsgeschäften erwirtschaftete die A zunächst ―in der Zeit von Oktober 1986 bis September 1987― per Saldo Gewinne in Höhe von rd. 2 Mio. DM. Im Oktober 1987 verlor die A ―in der Folge des Börsencrashs― ihr gesamtes Anlagekapital (rd. 15 Mio. DM). Allein in diesem Monat erlitt die A einen Verlust in Höhe von rd. 19 Mio. DM. Dennoch wies sie auch für diesen Monat ihren Anlegern gegenüber eine "Rendite" in Höhe von 3,8 % aus. In den Monaten November 1987 bis Juli 1988 gelang es der A sodann, per Saldo Gewinne in Höhe von ca. 35 Mio. DM zu erzielen, wodurch der Verlust des Monats Oktober 1987 ausgeglichen und darüber hinaus ein beträchtlicher Gewinn erwirtschaftet werden konnte. Auch in diesem Zeitabschnitt ergaben sich in einzelnen Monaten Verluste, die indessen wiederum gegenüber den Anlegern verheimlicht wurden. Nach außen wies die A stets positive Monatsergebnisse aus.
In der Folgezeit ging es dann stetig "bergab". In der Zeit von August 1988 bis zum Zusammenbruch im Januar 1991 wurden per Saldo Verluste in Höhe von insgesamt 247 Mio. DM erzielt. Gleichwohl spiegelte die A den Anlegern stets Renditen vor, die ―ebenso wie die angelegten Kapitalbeträge― auf Anforderung bzw. Kündigung bis zum 30. September 1990 prompt an die Anleger ausgezahlt wurden. Diese Auszahlungen wurden zunehmend im "Schneeballsystem" aus den Kapitaleinlagen neu hinzugetretener Anleger bestritten. Zum Zusammenbruch des "Schneeballsystems" kam es anlässlich des am 15. Januar 1991 erneut anstehenden Auszahlungstermins, zu dem rd. 78 Mio. DM benötigt wurden, jedoch nur noch ein Kapital von ca. 40 Mio. DM vorhanden war. Das Konkursverfahren über das (Inlands-)Vermögen der A wurde mangels Masse eingestellt.
Die Klägerin und ihr verstorbener Ehemann erhielten in den Jahren 1988 bis 1990 "Renditen" in Höhe von ca. 378 000 DM gutgeschrieben und ―bis auf die im IV. Quartal 1990 gutgeschriebenen "Renditen"― ausgezahlt, die der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) in diesen Veranlagungszeiträumen als Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S. von § 20 Abs. 1 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) der Besteuerung unterwarf.
Die Klägerin gab ihre Einkommensteuererklärung 1991 im Jahr 1992 ab. Negative Einkünfte aus Kapitalvermögen im Zusammenhang mit der Ambros-Beteiligung wurden darin nicht geltend gemacht. Der entsprechende Einkommensteuerbescheid 1991 vom 20. Januar 1993 wurde bestandskräftig. Negative Einkünfte aus der Ambros-Beteiligung wurden darin nicht berücksichtigt.
Mit Schreiben vom 9. April 1999 beantragte der steuerliche Berater der Klägerin beim FA, den Einkommensteuerbescheid 1991 mit der Maßgabe zu ändern, dass die durch das Ambros-Engagement entstandenen Verluste als negative Einnahmen bzw. Werbungskosten aus Kapitalvermögen i.S. von § 20 Abs. 1 Nr. 4, 1. Alternative EStG anzusetzen seien. Das FA lehnte dies mit Bescheid vom 5. Mai 1999 ab.
Mit ihrer Sprungklage verfolgte die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie meinte, dass der Einkommensteuerbescheid 1991 nach § 174 Abs. 1 und/oder 3 der Abgabenordnung (AO 1977) zu ändern sei. Diese Vorschriften seien zumindest analog anwendbar.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage als unbegründet abgewiesen.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. Sie beantragt, das angefochtene FG-Urteil sowie den ablehnenden Bescheid des FA vom 5. Mai 1999 aufzuheben und das FA zu verpflichten, einen Einkommensteueränderungsänderungsbescheid 1991 mit der Maßgabe zu erlassen, dass zusätzliche Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen in Höhe von 674 958 DM berücksichtigt werden.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision der Klägerin ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Zu Recht hat das FG entschieden, dass die Voraussetzungen für die von der Klägerin erstrebte Änderung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids 1991 nicht vorlagen.
1. Der Senat kann offen lassen, ob im Streitfall die Voraussetzungen vorlagen, unter denen ein typisch stiller Gesellschafter auf ihn entfallende Anteile am Verlust des Beteiligungsunternehmens als Werbungskosten bei seinen Einkünften aus Kapitalvermögen i.S. von § 20 Abs. 1 Nr. 4, erste Alternative EStG geltend machen kann (vgl. dazu insbesondere die Senatsurteile vom 10. November 1987 VIII R 53/84, BFHE 151, 434, BStBl II 1988, 186, unter 3. der Gründe, betreffend typische Unterbeteiligung, und vom 28. Mai 1997 VIII R 25/96, BFHE 183, 407, BStBl II 1997, 724, unter II. B. der Gründe). Denn für den von der Klägerin begehrten Erlass eines Einkommensteueränderungsbescheids 1991 fehlt es schon an einer (verwaltungs-)verfahrensrechtlichen Handhabe (vgl. unten 2. bis 4.).
2. Entgegen der von der Klägerin noch im erstinstanzlichen Verfahren vertretenen Auffassung rechtfertigt § 174 Abs. 1 AO 1977 keine Änderung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids 1991 vom 20. Januar 1993.
§ 174 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 setzt voraus, dass "ein bestimmter Sachverhalt in mehreren Steuerbescheiden zuungunsten eines oder mehrerer Steuerpflichtiger berücksichtigt worden (ist), obwohl er nur einmal hätte berücksichtigt werden dürfen …". Ein solcher "positiver Widerstreit" zu Lasten der Klägerin scheidet im Streitfall augenscheinlich aus. Er läge beispielsweise vor, wenn das FA eine bestimmte (= ein und dieselbe ―vgl. dazu z.B. von Wedelstädt in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 174 AO 1977 Rz. 16―) Einnahme sowohl im Veranlagungszeitraum 01 als auch im Veranlagungszeitraum 02 erfasst und besteuert hätte (sog. Periodenkollision; vgl. z.B. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 174 AO 1977 Tz. 2 f. und 12 ff., 16; Schwarz/Frotscher, Abgabenordnung, § 174 Rz. 11). Damit ist der hier vorliegende Fall, dass das FA in den Veranlagungszeiträumen 1988 bis 1990 der Klägerin und ihrem Ehemann von der A gutgeschriebene (Schein-)Renditen erfasst und besteuert hat, wohingegen es im Streitjahr 1991 möglicherweise als Werbungskosten zu berücksichtigende Verlustanteile außer Betracht gelassen hat, nicht vergleichbar, und zwar auch deswegen nicht, weil es sich bei den den Zufluss der Einnahmen begründenden Umständen und den Tatsachen, welche (möglicherweise) den Werbungskostenabzug von Verlustanteilen rechtfertigen, um verschiedene Sachverhalte und nicht ―wie nach § 174 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 geboten― um "einen bestimmten Sachverhalt" handelte (zum Begriff des Tatbestandsmerkmals "ein bestimmter Sachverhalt" als ein und derselbe ―identische― Sachverhalt vgl. z.B. Tipke/Kruse, a.a.O., § 174 AO 1977 Tz. 6; von Wedelstädt in Beermann, a.a.O., § 174 AO 1977 Rz. 18 und 19; Schwarz/ Frotscher, a.a.O., § 174 Rz. 13).
So hat denn auch die Klägerin ihre ursprüngliche Ansicht von der gebotenen Anwendung des § 174 Abs. 1 AO 1977 im Revisionsverfahren nicht mehr aufrechterhalten.
3. Der Klägerin kann auch nicht darin beigepflichtet werden, dass § 174 Abs. 3 AO 1977 die von ihr erstrebte Änderung der bestandskräftigen Einkommensteuerfestsetzung 1991 gebiete. Die Anwendung dieser Vorschrift setzt voraus, dass "ein bestimmter Sachverhalt" in einem Steuerbescheid erkennbar in der Annahme nicht berücksichtigt worden (ist), dass er in einem anderen Steuerbescheid zu berücksichtigen sei, und … sich diese Annahme als unrichtig heraus(stellt) …".
a) § 174 Abs. 3 AO 1977 erfordert zunächst das Vorliegen eines "negativen Widerstreits". Ein "bestimmter Sachverhalt" darf in keinem von mehreren in Betracht zu ziehenden Steuerbescheiden berücksichtigt worden sein, obwohl er in einem dieser Bescheide hätte berücksichtigt werden müssen (vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 27. Mai 1993 IV R 65/91, BFHE 172, 5, BStBl II 1994, 76, unter 1. der Gründe; Tipke/Kruse, a.a.O., § 174 AO 1977 Tz. 28). Dabei muss die Berücksichtigung des "bestimmten Sachverhalts" in einem Bescheid nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift gerade in der (erkennbaren) Annahme unterblieben sein, dass er in einem anderen Bescheid zu berücksichtigen sei. Dieser andere Bescheid muss nicht notwendigerweise schon erlassen worden sein oder später erlassen werden (vgl. auch von Wedelstädt in Beermann, a.a.O., § 174 AO 1977 Rz. 64, m.w.N.; FG Baden-Württemberg, Urteil vom 29. Oktober 1992 6 K 179/88, Entscheidungen der Finanzgerichte ―EFG― 1993, 337). Der Anwendung des § 174 Abs. 3 AO 1977 steht überdies auch nicht entgegen, dass die Finanzbehörde in der (erkennbaren) Annahme, ein bestimmter Sachverhalt sei in einem anderen Steuerbescheid zu berücksichtigen, zunächst überhaupt keinen Steuerbescheid erlässt (BFH-Urteil vom 23. Mai 1996 IV R 49/95, BFH/NV 1997, 89; Schwarz/Frotscher, a.a.O., § 174 Rz. 49).
Allerdings muss die Annahme der Finanzbehörde, der Sachverhalt sei in einem anderen Steuerbescheid zu erfassen, für die Nichtberücksichtigung dieses Sachverhalts im Steuerbescheid kausal gewesen sein (vgl. z.B. Tipke/Kruse, a.a.O., § 174 AO 1977 Tz. 28, m.w.N.; von Wedelstädt in Beermann, a.a.O., § 174 AO 1977 Rz. 71; Schwarz/Frotscher, a.a.O., § 174 Rz. 53). Die erforderliche, der sinnvollen Einschränkung des Anwendungsbereichs des § 174 Abs. 3 AO 1977 dienende Kausalität fehlt insbesondere, wenn die Nichtberücksichtigung des Sachverhalts darauf beruht, dass das FA von diesem Sachverhalt gar keine Kenntnis hatte oder annahm, dieser Sachverhalt sei ―jetzt und auch später― ohne steuerrechtliche Bedeutung (Tipke/Kruse, a.a.O., § 174 AO 1977 Tz. 28; von Wedelstädt in Beermann, a.a.O., § 174 AO 1977 Rz. 71 bis 73; Schwarz/Frotscher, a.a.O., § 174 Rz. 53).
Die irrige Annahme, der Sachverhalt sei in einem anderen Steuerbescheid zu berücksichtigen, muss von dem für die Steuerfestsetzung zuständigen Amtsträger gemacht worden sein (vgl. z.B. Tipke/Kruse, a.a.O., § 174 AO 1977 Tz. 28, m.w.N.; von Wedelstädt in Beermann, a.a.O., § 174 AO 1977 Rz. 74, m.w.N.).
b) Bei Anwendung dieser Grundsätze lagen im Streitfall die Voraussetzungen des § 174 Abs. 3 AO 1977 nicht vor.
aa) Die Klägerin geht zunächst selbst davon aus, dass der zuständige Veranlagungsbeamte des beklagten FA bei Erlass des Einkommensteuerbescheids 1991 vom 20. Januar 1993 nicht in der irrigen Annahme handelte, die dort nicht berücksichtigten Verlustanteile der Klägerin und ihres Ehemanns aus ihrer stillen Beteiligung an der A seien deswegen außer Betracht zu lassen, weil sie in einem späteren Veranlagungszeitraum zu berücksichtigen seien. Dies ist zutreffend: Die Klägerin hatte die streitigen Verlustanteile erstmals mit dem Schreiben ihres damaligen steuerlichen Beraters an das FA vom 9. April 1999 geltend gemacht, nachdem der erkennende Senat in seinen Urteilen vom 22. Juli 1997 (vgl. z.B. VIII R 57/95, BFHE 184, 21, BStBl II 1997, 755) entschieden hatte, dass die Rechtsverhältnisse der Anleger zur A als typische stille Gesellschaften zu qualifizieren seien, und zudem ―beiläufig (a.a.O., unter II. 4. der Gründe)― bemerkt hatte, dass die auf die Anleger entfallenden (laufenden) Verlustanteile ―wenn überhaupt― frühestens nach Aufdeckung der geschäftlichen Misserfolge der A im Jahr 1991 berücksichtigt werden könnten.
Bei Erlass des Einkommensteuerbescheids 1991 vom 20. Januar 1993 wusste das FA nicht einmal, dass die Klägerin und ihr Ehemann überhaupt bei der A engagiert waren, geschweige denn bieten dieser Bescheid und dessen Begleitumstände einen Anhalt dafür, dass das FA bei Erlass dieses Bescheides den Abzug von Ambros-Verlustanteilen der Klägerin als Werbungskosten des Streitjahres 1991 geprüft habe und dabei zu dem Ergebnis gelangt sei, dass diese Verluste zwar anzuerkennen, aber erst in einem späteren Veranlagungszeitraum anzusetzen seien.
bb) Die Klägerin meint allerdings, dass die Finanzbehörden nach Bekanntwerden der Ambros-Urteile des erkennenden Senats vom 22. Juli 1997 (vgl. insbesondere BFH-Urteil in BFHE 184, 21, BStBl II 1997, 755) hätten prüfen müssen und auch tatsächlich geprüft hätten, ob Verlustanteile der Ambros-Anleger ―und damit auch der Klägerin― im Streitjahr 1991 anzuerkennen und deshalb die bestandskräftigen Einkommensteuerfestsetzungen 1991 zu ändern seien. Grundsätzlich sei zwar die Vorstellung des veranlagenden Beamten maßgeblich. Im Streitfall sei die Vorstellung des zuständigen Beamten jedoch unbeachtlich, weil dem beklagten FA die irrige Annahme anderer Finanzbehörden, namentlich die der Oberfinanzdirektion (OFD) Düsseldorf, zuzurechnen sei. Die OFD Düsseldorf habe in ihrer "Ausführlichen Stellungnahme zur Kurzmitteilung vom 5. Mai 1998" die Konsequenzen aus den Ambros-Urteilen des erkennenden Senats vom 22. Juli 1997 (vgl. insbesondere BFH-Urteil in BFHE 184, 21, BStBl II 1997, 755) geprüft und sich dabei der Rechtsauffassung angeschlossen, dass ein Abfluss von Werbungskosten in Bezug auf die Ambros-Verlustanteile frühestens 1991 in Betracht komme.
cc) Auch dieser Vortrag ist nicht geeignet, der Revision zum Erfolg zu verhelfen.
aaa) Geht man mit der herrschenden und zutreffenden Lehre davon aus, dass die irrige Beurteilung des Sachverhalts i.S. von § 174 Abs. 3 AO 1977 von dem für die Steuerfestsetzung zuständigen Sachbearbeiter getroffen sein muss, so scheidet die Anwendung der genannten Änderungsvorschrift schon deswegen aus, weil sich aus den für den Senat bindenden (vgl. § 118 Abs. 2 FGO) tatsächlichen Feststellungen des FG nicht der mindeste Anhalt dafür ergibt, dass der zuständige Veranlagungsbeamte des beklagten FA nach Bekanntwerden der Senatsurteile vom 22. Juli 1997 (z.B. in BFHE 184, 21, BStBl II 1997, 755) die Abziehbarkeit von Verlustanteilen der Klägerin an der A im Streitjahr geprüft hat und bei dieser Prüfung zu dem Ergebnis gelangte, die streitigen Verluste seien zwar anzuerkennen, aber erst in einem auf das Streitjahr 1991 folgenden Veranlagungszeitraum zu berücksichtigen, so dass von einer anderenfalls gebotenen Änderung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids 1991 abzusehen sei. Hätte der zuständige Bearbeiter des beklagten FA eine solche Prüfung vorgenommen, so hätte er im Übrigen schon deshalb von einer Änderung der Einkommensteuerfestsetzung 1991 Abstand nehmen müssen, weil die Festsetzungsfrist in Bezug auf die Einkommensteuer 1991 bereits am 31. Dezember 1996 abgelaufen war (vgl. unten II. 4. a), so dass eine ―unterstellte― irrige Beurteilung darüber, dass die Verlustanteile statt im Streitjahr 1991 in einem späteren Veranlagungszeitraum zu berücksichtigen seien, nicht kausal für eine unterlassene Berücksichtigung im Streitjahr 1991 hätte werden können.
bbb) Selbst wenn man aber der Klägerin darin folgen würde, dass die von der OFD Düsseldorf nach Bekanntwerden der Ambros-Urteile des Senats vom 22. Juli 1997 (vgl. insbesondere in BFHE 184, 21, BStBl II 1997, 755) vorgenommene Prüfung der Abziehbarkeit von Verlusten der Ambros-Anleger dem beklagten FA zuzurechnen sei, und ferner davon ausgeht, dass dem erkennenden Senat die Berücksichtigung der entsprechenden "Stellungnahme zur Prüfung der Abziehbarkeit von Ambros-Verlusten" vom 5. Mai 1998 nicht deshalb verwehrt ist, weil es sich hierbei um neuen Tatsachenvortrag der Klägerin im Revisionsverfahren handelt, könnte das Ergebnis nicht anders ausfallen. Abgesehen davon, dass die OFD Düsseldorf die gebotene konkrete Beurteilung im Streitfall der Klägerin gar nicht vornehmen konnte, hat die Klägerin nicht einmal behauptet und vermochte dies auch nicht, dass die OFD Düsseldorf den Standpunkt vertreten habe, die Ambros-Anleger könnten in Veranlagungszeiträumen nach 1991 Verlustanteile an der A als Werbungskosten abziehen. Die OFD Düsseldorf gelangte in dieser Stellungnahme vielmehr zu dem Ergebnis, dass die Ambros-Anleger aus mehreren, voneinander unabhängigen Gründen Verluste weder 1991 noch später einkommensteuermindernd geltend machen könnten.
4. Entgegen der Auffassung der Klägerin kann die von ihr begehrte Änderung der bestandskräftigen Einkommensteuerfestsetzung 1991 auch nicht auf § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 gestützt werden. Der Anwendung dieser Korrekturnorm steht schon der Ablauf der Festsetzungsfrist entgegen.
a) Nach § 169 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 sind eine Steuerfestsetzung sowie ihre Aufhebung oder Änderung nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. So liegt es im Streitfall. Die Klägerin hat ihre Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1991 im Jahr 1992 abgegeben. Die Festsetzungsfrist begann daher am 1. Januar 1993 (§ 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977) und endete ―mangels Eingreifens von Ablaufhemmungstatbeständen i.S. von § 171 AO 1977― mit Ablauf des Jahres 1996 (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO 1977). Die Festsetzungsverjährung bewirkte das Erlöschen des entsprechenden Steueranspruchs (vgl. § 47 AO 1977) mit der Folge, dass die Klägerin fortan einen Anspruch auf Aufhebung oder Änderung der Steuerfestsetzung zu ihren Gunsten nicht mehr mit Erfolg geltend machen konnte (vgl. z.B. Tipke/Kruse, a.a.O., Vor § 169 AO 1977 Tz. 2, m.w.N.).
b) Die Festsetzungsverjährung dient der Verwirklichung der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens (vgl. auch Tipke/Kruse, a.a.O., Vor § 169 AO 1977 Tz. 5, m.w.N.). Die Bemessung der Steuerfestsetzungsfristen in den §§ 169 ff. AO 1977 bildet das Ergebnis einer vom Gesetzgeber vorgenommenen sachgerechten und von Verfassungs wegen nicht zu beanstandenden Abwägung zwischen den miteinander konkurrierenden, grundsätzlich gleichwertigen Prinzipien der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens auf der einen Seite und der materiellen Rechtsrichtigkeit und Steuergerechtigkeit auf der anderen Seite. Die Festsetzungsfristen wirken zugunsten wie zu Lasten des Steuerpflichtigen.
Der Senat kann offen lassen, ob von der (steuerlich beratenen) Klägerin ―wie sie selbst meint― keinesfalls erwartet werden konnte, dass sie eine mögliche steuerliche Relevanz ihrer durch das Ambros-Engagement entstandenen Verluste im Streitjahr 1991 schon vor Ablauf der Festsetzungsfrist am 31. Dezember 1996 (vor Bekanntwerden der Senatsurteile vom 22. Juli 1997, vgl. insbesondere BFHE 184, 21, BStBl II 1997, 755) erkannte. Immerhin war die Auffassung des erkennenden Senats, dass die Rechtsverhältnisse der Anleger zur A als typische stille Beteiligungen zu qualifizieren sind, in der Literatur und in der Rechtsprechung der FG schon lange vor dem im Streitfall eingetretenen Ablauf der Festsetzungsfrist vertreten worden (vgl. z.B. Paus, Die steuerliche Betriebsprüfung 1992, 21; Meyer-Scharenberg, Deutsches Steuerrecht 1994, 889, 896; Pannen, Der Betrieb 1995, 1531, 1534; ferner wohl auch FG Baden-Württemberg, Beschluss vom 20. Oktober 1994 14 V 17/94, EFG 1995, 74, 75).
Entgegen der Ansicht der Revision erlaubt es der von ihr im Hinblick auf die Besonderheiten des Streitfalles bemühte Grundsatz von Treu und Glauben dem Gericht jedenfalls nicht, die in den §§ 169 ff. AO 1977 zum Ausdruck gelangte Wertung des Gesetzgebers zu korrigieren und sich über den im Streitfall eingetretenen Ablauf der Festsetzungsfrist hinwegzusetzen.
Fundstellen
Haufe-Index 635879 |
BFH/NV 2001, 1523 |