Entscheidungsstichwort (Thema)
Verlustabzug beim Mantelkauf
Leitsatz (NV)
1. Einer Kapitalgesellschaft dürfen Verlustabzüge aus der Zeit vor einem grundlegenden Gesellschafterwechsel auch dann nicht versagt werden, wenn sie ihre bisherigen Vermögenswerte im wesentlichen verloren hat und durch Zuführung von Mitteln der Neugesellschafter wirtschaftlich wiederbelebt wird (Änderung der Rechtsprechung).
2. Der Abzug des Gewerbeverlustes nach § 10 a GewStG setzt bei Kapitalgesellschaften keine Unternehmensgleichheit voraus (Änderung der Rechtsprechung).
Normenkette
EStG § 10d; GewStG § 10a; KStG 1977 § 8 Abs. 1
Tatbestand
Die Klin, eine GmbH, wurde im Jahr 1975 errichtet. Ihr satzungsmäßiger Gegenstand war der Handel mit Rundfunk- und Fernsehgeräten sowie die Ausführung von Reparaturen an derartigen Geräten. Tatsächlich handelte die Klin jedoch mit Elektrogeräten aller Art. Die Klin erzielte in den Geschäftsjahren 1975/76 - 1977/78 Verluste. Mit Schreiben vom 15. 12. 1977 teilte sie dem FA mit, sie habe die Liquidation beschlossen. Bis zum 31. 12. 1977 schieden die Arbeitnehmer der Klin mit Ausnahme der Geschäftsführerin aus. Der noch vorhandene Warenbestand wurde mit Abschlägen veräußert. Verkauft wurden ebenfalls das Geschäftsfahrzeug und Teile der Geschäftseinrichtung.In der Bilanz zum 30. 6. 1978 wurde das Stammkapital mit 60 000 DM, Gesellschafterdarlehen in Höhe von 15 000 DM, sonstige Verbindlichkeiten in Höhe von 12 000 DM, Umlaufvermögen in Höhe von 12 000 DM und Verlustvorträge in Höhe von 75 000 DM ausgewiesen. Mit Vertrag vom 1. 8. 1979 übertrugen die Gesellschafter der Klägerin sämtliche Geschäftsanteile teils entgeltlich und teils unentgeltlich auf den Sohn des Gründungsgesellschafters. Fortan betrieb die Klin den Bau und die Entwicklung elektronischer Geräte und die Elektroinstallation. Sie erzielte im Rumpfwirtschaftsjahr 1979 einen Gewinn in Höhe von rd. 50 000 DM, der im wesentlichen aus Aufträgen resultierte, die der Neugesellschafter vermittelt hatte. Das FA ließ den Verlustabzug aus den Jahren 1976-1978 nicht zu. Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Das FG gab der Klage statt.
Entscheidungsgründe
A. (Körperschaftsteuer)
Das FG hat dem Klagebegehren der Klägerin wegen Körperschaftsteuer 1979 zu Recht entsprochen.
1. Nach § 8 Abs. 1 KStG 1977 bestimmt sich das, was als Einkommen einer Kapitalgesellschaft gilt und wie das Einkommen zu ermitteln ist, u. a. nach den Vorschriften des EStG. § 8 Abs. 4 KStG 1977 stellt dazu klar, daß die Verweisung des Abs. 1 auf die Vorschriften des EStG auch eine solche auf § 10 d EStG umfaßt.
2. § 10 d EStG in der Fassung vom 20. April 1976 - EStÄndG 1976 - (BGBl I 1976, 1054, BStBl I 1976, 282) fordert seinem Wortlaut nach nur die Identität zwischen dem Steuerpflichtigen, der einen bestimmten Verlust erzielt hat bzw. der bei Ermittlung des Gesamtbetrages der Einkünfte Verluste nicht ausgleichen konnte, und demjenigen, der den Verlustabzug gemäß § 8 Abs. 1 KStG 1977, § 10 d EStG geltend macht. Entscheidender Anknüpfungspunkt für den Verlustabzug nach § 10 d EStG ist somit die Tatsache, daß ein erzielter Verlust auf einer bestimmten Stufe der Einkommensermittlung (Gesamtbetrag der Einkünfte) nicht ausgeglichen werden konnte. Entsprechend verlangt § 10 d EStÄndG 1976 nur die Identität zwischen der Person, die den bei der Ermittlung des Gesamtbetrages der Einkünfte nicht ausgeglichenen Verlust erzielt hat, und derjenigen, die den Verlustabzug geltend macht. Da der Gesamtbetrag der Einkünfte jeweils für eine einkommen- oder körperschaftsteuerpflichtige Person zu ermitteln ist, bestimmt sich die Identität der steuerpflichtigen Person in den Fällen des Mantelkaufs nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG 1977. Danach knüpft die Körperschaftsteuersubjektfähigkeit einer Kapitalgesellschaft an deren Zivilrechtsfähigkeit (vgl. Beschluß des Großen Senats des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 25. Juni 1984 GrS 4/82, BFHE 141, 405, 417, BStBl II 1984, 751, 757). Die Personenidentität einer Kapitalgesellschaft ist so lange zu bejahen, als ihre Zivilrechtsfähigkeit nicht erlischt. In der zivilrechtlichen Rechtsprechung und im Schrifttum werden einerseits die bloße Vermögenslosigkeit und andererseits die Löschung im Handelsregister gemäß § 2 des Löschungsgesetzes (LöschG) nach eingetretener Vermögenslosigkeit einer Kapitalgesellschaft als Erlöschensgrund angesehen (vgl. Oberlandesgericht - OLG - Stuttgart, Urteil vom 28. Februar 1986 2 U 148/85, GmbH-Rundschau - GmbHR - 1986, 269; Baumbach/Hueck, GmbH-Gesetz, 14. Aufl., § 60 Rz. 6 und 13; Scholz/Schmidt, GmbH-Gesetz, § 60 Rz. 37; Ulmer in Hachenburg, GmbH-Gesetz, 7. Aufl., § 60 Rz. 13; Fischer/Lutter, GmbH-Gesetz, 11. Aufl., § 60 Anm. 15). Der Streitfall macht keine Entscheidung darüber erforderlich, welcher der beiden Auffassungen der Vorzug zu geben ist. Jedenfalls ist die Vermögenslosigkeit begrifflich nicht identisch mit Überschuldung, Unterbilanz oder Unterkapitalisierung. Vielmehr setzt sie das Fehlen bilanzierungs- und bewertungsfähiger Vermögensgegenstände voraus (vgl. Baumbach/Hueck, a.a.O., Anhang 2 zu § 60 Anm. 2, m.w.N.). An dieser Voraussetzung fehlt es im Streitfall. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG, die mit keinen Revisionsrügen angefochten wurden und deshalb für den Senat bindend sind (§ 118 Abs. 2 FGO), besaß die Klägerin sowohl im Zeitpunkt der Anteilsübertragung als auch vorher noch Umlaufvermögen, das in der Bilanz zum 30. Juni 1978 noch mit 12 800 DM bewertet wurde. Damit besaß sie bilanzierungs- und bewertungsfähige Vermögensgegenstände. Dies schließt die Annahme ihrer Vermögenslosigkeit selbst dann aus, wenn die Schulden den Wert des Umlaufvermögens überstiegen haben sollten. Da auch kein anderer Erlöschensgrund zu erkennen ist, bestand die Klägerin seit ihrer Gründung bis über den 31. Dezember 1979 hinaus fort. Dies gilt unbeschadet der Tatsache, daß die Geschäftsanteile an der Klägerin auf einen anderen Gesellschafter übertragen wurden. Damit ist die Identität zwischen der Gesellschaft, die in den Wirtschaftsjahren 1975/76 bis 1977/78 Verluste erzielte, und der Klägerin gewahrt.
3. Zwar hat der Senat in seiner bisherigen Rechtsprechung zu § 10 d EStG neben der zivilrechtlichen auch eine wirtschaftliche Identität zwischen der Person gefordert, die den Verlust erlitten hat, und derjenigen, die den Verlustabzug geltend macht (vgl. Urteile vom 15. Februar 1966 I 112/63, BFHE 85, 217, BStBl III 1966, 289; vom 17. Mai 1966 I 141/63, BFHE 86, 369, BStBl III 1966, 513; vom 19. Dezember 1973 I R 137/71, BFHE 111, 155, BStBl II 1974, 181). An dieser Rechtsprechung hält er jedoch nicht länger fest. Abgesehen davon, daß der Begriff der wirtschaftlichen Identität in der bisherigen Rechtsprechung inhaltlich nicht näher konkretisiert worden ist, kann ein entsprechendes Tatbestandsmerkmal weder dem Wortlaut noch dem Zweck des § 10 d EStG entnommen werden (so: Knobbe-Keuk, Steuer und Wirtschaft - StuW - 1974, 350 ff., 357; Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, 5. Aufl., S. 421 ff.).
a) Nach dem Wortlaut des § 10 d EStG können einkommensteuerpflichtige Personen Verluste aus einer oder mehreren der sieben Einkunftsarten auch von positiven Einkünften aus jeweils anderen Einkunftsarten abziehen. Wird ein Betrieb oder ein Anteil an einer Mitunternehmerschaft verkauft bzw. aufgegeben, so verbleibt dem Steuerpflichtigen dennoch das Recht, früher aus dem Betrieb (Mitunternehmeranteil) erzielte Verluste unter den übrigen Voraussetzungen des § 10 d EStG abzuziehen. Der Verlustabzug ist nicht an den Fortbestand einer bestimmten steuerpflichtigen Tätigkeit geknüpft, aus der der abzuziehende Verlust herrührt. Dies muß im Rahmen der durch § 8 Abs. 1 KStG 1977 gebotenen entsprechenden Anwendung des § 10 d EStG in gleicher Weise gelten. Eine Kapitalgesellschaft ist danach nicht gehindert, ein verlustreiches Engagement aufzugeben und sich einem anderen einträglicheren Gesellschaftszweck zuzuwenden.
b) Die Forderung nach wirtschaftlicher Identität ist insbesondere dann nicht gerechtfertigt, wenn das der Kapitalgesellschaft durch einen neuen Gesellschafter zugeführte Kapital u. a. dazu dient, die in der Vergangenheit erzielten Verluste, deren Abzug nach § 10 d EStG begehrt wird, wirtschaftlich abzudecken. Dies macht der Streitfall besonders deutlich. Nach den Feststellungen des FG bestanden im Zeitpunkt der Anteilsübertragung nicht unerhebliche Verbindlichkeiten. Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß die zu neuem wirtschaftlichen Leben erweckte Kapitalgesellschaft Schulden tilgen muß, die wirtschaftlich aus früheren Jahren herrühren, für die ein Verlustabzug geltend gemacht wird. Gleiches gilt, wenn die Verluste in der Vergangenheit z. B. durch Rückstellungen beeinflußt wurden und die sich daraus ergebenden Verpflichtungen noch nicht erfüllt sind. In diesen Fällen unterstreicht der rechtliche Fortbestand der Verpflichtungen, daß die wirtschaftliche Identität von der zivilrechtlichen nicht losgelöst gesehen werden kann.
c) Der Senat hält seine bisherige Rechtsprechung auch deshalb für überholt, weil der Verlustabzug durch § 10 d EStG in der Fassung des EStÄndG 1976 erheblich erweitert worden ist (Verlustrücktrag, Ausdehnung auf Verluste aller Einkunftsarten), ohne daß der Gesetzgeber dem Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Identität irgendeine erkennbare Bedeutung beigemessen hätte. Es kommt hinzu, daß nach §§ 30 ff. KStG 1977 das verwendbare Eigenkapital einer Kapitalgesellschaft zu gliedern ist und Verluste in der Gliederung gemäß § 33 KStG 1977 zu erfassen und fortzuschreiben sind. In der gliederungsmäßigen Fortschreibung drückt sich zugleich eine Identität zwischen der Kapitalgesellschaft, die den Verlust erzielt, und derjenigen aus, die den Verlustabzug geltend macht. Es ist kein Grund dafür zu erkennen, weshalb in den Fällen des Mantelkaufs eine Kapitalgesellschaft nach §§ 30 ff. KStG 1977 als fortbestehend, jedoch nach § 8 Abs. 1 KStG 1977, § 10 d EStG wie eine neugegründete Kapitalgesellschaft zu behandeln sein soll.
4. Zwar weist der beigetretene BMF zutreffend darauf hin, daß im Zivilrecht der Mantelkauf teilweise als eine Gesetzesumgehung mit der Folge der Nichtigkeit angesehen wird (vgl. OLG Hamburg, Urteil vom 15. April 1983 11 U 43/83, Betriebs-Berater - BB - 1983, 1116; KG, Beschlüsse vom 23. Juni 1932 1 b X 306/32, JFG 10, 152, und vom 7. Dezember 1933 1 b X 631/33, Juristische Wochenschrift - JW - 1934, 988; Scholz / Winter, GmbH-Gesetz, § 3 Rz. 12). Jedoch kann der Senat dahinstehen lassen, ob dieser Auffassung zu folgen ist (zur Kritik: Butz, GmbHR 1972, 270; Priester, Der Betrieb - DB - 1983, 2291; Ulmer, BB 1983, 1123; Bommert, GmbHR 1983, 209). Auch wenn die Beurteilung der Personenidentität einer Kapitalgesellschaft entsprechend dem Fortbestand ihrer Zivilrechtsfähigkeit die Berücksichtigung von Nichtigkeitsgründen verlangt, so kann dies bei einer im Handelsregister eingetragenen Kapitalgesellschaft steuerrechtlich nur bedeuten, daß die Nichtigkeit erst ab der Rechtskraft einer sie positiv feststellenden Entscheidung bzw. nach Amtslöschung und auch dann nur für die Zukunft zu berücksichtigen ist (vgl. Baumbach / Hueck, a.a.O., § 2 Anm. 36). Da nach den tatsächlichen Feststellungen des FG weder die Nichtigkeit der Klägerin rechtskräftig festgestellt ist, noch die Klägerin im Handelsregister gelöscht wurde, ist steuerrechtlich von ihrem Fortbestand auszugehen.
Bestand demnach die Klägerin als Kapitalgesellschaft ab ihrer Gründung bis über den 31. Dezember 1979 hinaus fort, so steht ihr der geltend gemachte Verlustabzug zu, ohne daß es auf den eingetretenen Gesellschafterwechsel steuerrechtlich ankommen kann.
B. (Gewerbesteuer)
1. Der Senat ist der Auffassung, daß für die Gewerbesteuer nichts anderes gelten kann. Die Ermittlung des Gewerbeertrags knüpft in §§ 7 und 10 a Satz 1 GewStG an die Gewinnermittlung nach den Vorschriften des EStG und KStG an. Darin kommt der Grundsatz zum Ausdruck, daß die Begriffe ,,Gewinn" und ,,Gewerbebetrieb" im EStG und KStG einerseits und im GewStG andererseits nicht unterschiedlich verstanden werden sollen. Zwar sind die §§ 30 ff. KStG 1977 ohne Einfluß auf die Gewinnermittlung. Dies ändert jedoch nichts an den zwischen beiden Steuerrechtsgebieten bestehenden grundsätzlichen Parallelen. Ferner fordert § 10 a GewStG abweichend von § 10 d EStG auch eine Unternehmensidentität (vgl. BFH-Urteil vom 12. Januar 1978 IV R 26/73, BFHE 124, 348, BStBl II 1978, 348, m.w.N., und Beschluß vom 24. Juni 1981 I S 3/81, BFHE 133, 564, BStBl II 1981, 748). Jedoch gilt nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 GewStG eine Kapitalgesellschaft stets und in vollem Umfang als Gewerbebetrieb. Daraus folgt, daß die Kapitalgesellschaft nur einen Betrieb haben kann. Dies gilt unabhängig davon, ob sie Tätigkeiten verschiedenen Inhalts ausübt. Hieraus hat das FG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 21. Oktober 1975 II 59/75, Entscheidungen der Finanzgerichte 1976, 357) den zutreffenden Schluß gezogen, daß es bei Kapitalgesellschaften auf das Merkmal der Unternehmensgleichheit nicht ankommen kann. Dieses Merkmal ist als Folge der weiten Definition des Gewerbebetriebes in § 2 Abs. 2 Nr. 2 GewStG immer erfüllt. Verlustausgleich und -abzug beziehen sich stets auf den weiten Betriebsbegriff des § 2 Abs. 2 Nr. 2 GewStG. Dies bedeutet keine Abweichung von der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu § 10 a GewStG, soweit sie den Verlustabzug bei Einzelgewerbetreibenden und bei Personengesellschaften betrifft. Die Begriffe ,,Betrieb" und ,,Unternehmer" sind dort anders als bei einer Kapitalgesellschaft zu verstehen. Soweit der Senat noch in seinem Urteil vom 19. Dezember 1984 I R 165/80 (BFHE 143, 276, BStBl II 1985, 403) eine andere Auffassung vertreten hat, hält er auch an dieser nicht mehr fest.
2. Ist deshalb die Klägerin mit dem Unternehmen identisch, das in den Wirtschaftsjahren 1975/76 bis 1977/78 Verluste erzielt hat, so steht ihr der geltend gemachte Verlustabzug auch gewerbesteuerrechtlich zu, ohne daß es darauf ankommt, ob ihr ,,sachliches und persönliches Substrat" fortbestehen blieb.
Fundstellen
Haufe-Index 414824 |
BFH/NV 1987, 266 |