Entscheidungsstichwort (Thema)
Sonstiges Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Hat das Finanzamt dem Unternehmer einen sich auf bestimmte Beförderungen beziehenden Beförderungsteuerbescheid erteilt und will es später die festgesetzte Steuer erhöhen, weil es einen höheren Steuersatz für anwendbar hält, so kann es den Steuerunterschiedsbetrag dann nicht in einem besonderen Steuernachforderungsbescheid fordern, wenn bereits gegen den Beförderungsteuerbescheid Einspruch eingelegt ist. In diesem Fall hat es den Steuerunterschiedsbetrag in der Einspruchsentscheidung durch änderung des erteilten Steuerbescheides zu fordern.
Zum Begriff des Straßenbahnverkehrs. AO § 223; BefStG 1926 § 11 Abs. 5.
Normenkette
BefStG § 11 Abs. 5; AO § 223
Tatbestand
Die Bfin. betrieb im Jahre 1952 auf dem Gelände des X.-Parks und des Botanischen Gartens eine seit 1938 bestehende Schmalspurbahn (Liliputbahn), wie sie vielfach auf einem Ausstellungs- oder Gartengelände betrieben wird. Die Bahn (genannt X.-Bahn) ist eine Schienenbahn, deren Länge etwa 2,5 km bis 3 km beträgt. Der Verkehr auf dieser Bahn wird mit drei Zügen betrieben, deren jeder aus einer Diesellok und zwei je 32 Personen fassenden Wagen besteht. Die Bahn wird in den Monaten April bis Oktober je nach der Witterung betrieben. Die Fahrten sind Rundfahrten, d. h. Ausgangspunkt und Endpunkt der Strecke fallen zusammen. Auf der Strecke befindet sich eine Bedarfshaltestelle.
Das Finanzamt sah diese Beförderungen als nach § 1 Abs. 1 des Beförderungsteuergesetzes (BefStG) 1926 der Beförderungsteuer unterliegend an. Es setzte mit Bescheid vom 6. Juli 1955 unter Zugrundelegung der von der Bfin. im Jahre 1952 vereinnahmten Entgelte von 177.937,50 DM und unter Anwendung eines Steuersatzes von 6 v. H. nach § 11 Abs. 5 BefStG 1926 die Beförderungsteuer auf 10.676,25 DM fest.
Gegen die Steuerfestsetzung legte die Bfin. mit Schreiben vom 6. August 1955 Einspruch ein mit der Begründung, daß keine Steuerpflicht gegeben sei. überdies hätte bei Bejahung der Steuerpflicht die Steuer nach einem Steuersatz von 5,66 v. H. berechnet werden müssen. Das Finanzamt erließ hierauf einen geänderten Steuerbescheid vom 19. Oktober 1955, in dem die Steuer nach einem Steuersatz von 5,66 v. H. berechnet war. Die geforderte Steuer betrug jetzt 10.071,30 DM. Auch gegen diesen Bescheid legte die Bfin. mit Schreiben vom 24. Oktober 1955 Einspruch ein.
Noch bevor das Finanzamt über den Einspruch entschied, erteilte es einen Steuernachforderungsbescheid vom 23. Januar 1956 gemäß § 223 AO, und zwar veranlaßt durch eine Verfügung der Oberfinanzdirektion, wonach der Steuersatz von 12 v. H. anzuwenden sei. Es forderte den Unterschiedsbetrag, der sich bei Berechnung der Steuer nach einem Steuersatz von 10,714 v. H. ergab, in Höhe von 8.992,95 DM nach.
Mit Schreiben vom 28. Januar 1956 zog die Bfin. die Einsprüche gegen die Steuerbescheide vom 6. Juli und 19. Oktober 1955 zurück. Sie legte aber mit Schreiben vom 8. Februar 1956 Einspruch gegen den Steuernachforderungsbescheid vom 23. Januar 1956 ein. Die Nachforderung sei unzulässig. § 94 AO schreibe vor, daß auf Grund von § 212 AO erteilte Steuerbescheide nur mit Zustimmung des Steuerpflichtigen zurückgenommen oder geändert werden könnten. Die Steuerbescheide vom 6. Juli 1955 und 19. Oktober 1955 seien durch Zurücknahme der Einsprüche rechtskräftig geworden. Sachlich sei die Steuer nach dem Steuersatz von 5,66 v. H. zu berechnen.
Das Finanzamt wies den Einspruch als unbegründet zurück. Es sei auch nach dem Erlaß des Bescheids vom 17. Oktober 1955 - gemeint: 19. Oktober 1955 - berechtigt gewesen, den Unterschiedsbetrag, der sich bei Berechnung der Steuer unter Anwendung des Steuersatzes von 12 v. H. (= 10,714 v. H.) ergebe, nachzufordern.
Gegen die Einspruchsentscheidung legte die Bfin. Berufung ein. Sie machte zusätzlich geltend, daß eine Nachforderung sich nicht auf die gleichen Beförderungen, die bereits durch Steuerbescheid erfaßt seien, sondern nur auf andere Beförderungsvorgänge beziehen könne.
Das Finanzgericht wies die Berufung ebenfalls als unbegründet zurück.
Entscheidungsgründe
Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidungen und des Steuernachforderungsbescheides.
Allerdings ist der Meinung der Bfin. nicht zuzustimmen, daß Steuer nur für Rechtsvorgänge nachgefordert werden könne, die steuerlich noch nicht durch einen Steuerbescheid erfaßt sind. § 223 AO läßt - soweit nicht die Vorschriften des § 222 AO Platz greifen, was im Streitfall nicht zutrifft, weil die nach dem BefStG 1926 erhobene Beförderungsteuer keine unter die Vorschrift des § 222 AO fallende Steuer ist (Urteil des Bundesfinanzhofs II 207/55 U vom 26. Juni 1957, BStBl 1957 III S. 370, Slg. Bd. 65 S. 360) - eine Steuernachforderung schlechthin zu, also auch dann, wenn die in Betracht kommenden Beförderungen durch einen Steuerbescheid bereits erfaßt sind, aber nach Meinung des Finanzamts mit einem höheren Steuersatz zu besteuern gewesen wären. Die Vorschrift macht keinen Unterschied zwischen steuerlich bereits erfaßten und steuerlich noch nicht erfaßten Rechtsvorgängen. Vgl. hierzu auch Berger, Die Reichsabgabenordnung nach ihren Schwerpunkten für die Praxis, § 223 Anm. 1 (S. 100), und Kühn, Kommentar zur Reichsabgabenordnung, 6. Aufl., § 223 Anm. 1. Auch kann der Bfin. darin nicht beigepflichtet werden, daß dann, wenn bereits ein Steuerbescheid vorliegt, mangelnde Zustimmung eines Steuerpflichtigen einer Steuernachforderung in jedem Falle entgegenstehe. Indessen war im Streitfall die Nachforderung deshalb nicht zulässig, weil gegen den geänderten Steuerbescheid vom 19. Oktober 1955 Einspruch eingelegt und über diesen im Zeitpunkt des Erlasses des Steuernachforderungsbescheids noch nicht entschieden war. Sachlich stellt sich der Steuernachforderungsbescheid vom 23. Januar 1956, auch wenn in ihm nur der Steuerunterschiedsbetrag gefordert ist und durch ihn förmlich der Steuerbescheid vom 19. Oktober 1955 nicht geändert wurde, gleichwohl als änderung des letztgenannten Steuerbescheides dar, der die gleichen Beförderungsvorgänge betrifft. Ist aber gegen einen sich auf bestimmte Beförderungsvorgänge beziehenden Steuerbescheid ein Rechtsmittel anhängig und will das Finanzamt nunmehr die gleichen Beförderungsvorgänge mit einem höheren Steuersatz besteuern, dann muß das Finanzamt dies auf dem hierfür vorgesehenen Wege der Entscheidung über das Rechtsmittel unter gleichzeitiger Verböserung tun, sofern nicht der Steuerpflichtige einer entsprechenden änderung des angegriffenen Bescheids nach § 94 AO zustimmt. Auf das Urteil des Bundesfinanzhofs IV 261/60 U vom 22. September 1960 (BStBl 1960 III S. 499, Slg. Bd. 71 S. 671, 675 und 676) wird Bezug genommen. Dieses Urteil ist zwar zu einem Berichtigungsbescheid nach § 222 AO ergangen, das in diesem Urteil hierzu unter Bezug auf § 259 Abs. 2 AO Gesagte muß aber gleichermaßen auch für einen Steuernachforderungsbescheid nach § 223 AO gelten, da kein innerer Grund für eine Abweichung bei solchen Bescheiden vorliegt.
Zur sachlichen Seite des Streitfalls sei bemerkt, daß die Ermäßigungsvorschrift des § 11 Abs. 5 BefStG schon deshalb anwendbar war, weil die in Betracht kommenden Beförderungen als solche im Straßenbahnverkehr anzusehen sind. Zwar galt die von den Vorinstanzen angeführte Bestimmung des § 51 der Ausführungsbestimmungen zum Gesetz vom 8. April 1917 über die Besteuerung des Personen- und Güterverkehrs (Zentralblatt für das Deutsche Reich 1918 S. 21) zunächst noch für die Ermäßigungsvorschrift des § 11 Abs. 5 BefStG 1926. In der später ergangenen Vorschrift des § 2 des Gesetzes zur Wiedererhebung der Beförderungsteuer im Möbelfernverkehr und im Werkfernverkehr und zur änderung von Beförderungsteuersätzen vom 2. März 1951 (BGBl I S. 159) ist jedoch ausdrücklich vorgeschrieben, daß sich die Begriffe des Verkehrs und des Verkehrsmittels nach den verkehrsrechtlichen Vorschriften bestimmen. Maßgebend ist also nach dem Inkrafttreten des erwähnten Gesetzes (20. März 1951) für den Begriff des Straßenbahnverkehrs das Verkehrsrecht. Nach § 3 Abs. 1 des im Zeitpunkt der Entstehung der strittigen Beförderungsteuer noch geltenden Gesetzes über die Beförderung von Personen zu Lande (PBefG) 1934 in der damals geltenden Fassung sind Straßenbahnen "Schienenbahnen, die ausschließlich oder überwiegend dem öffentlichen Personenverkehr innerhalb der Orte dienen". Diese Voraussetzungen sind bei der X.-Bahn gegeben. Nach dem bei den Akten befindlichen "Wegweiser durch den X.-Park und den Botanischen Garten" führt die Bahn großenteils nicht über straßenfreies Gelände, sie hat also insoweit keinen eigenen Bahnkörper. Die Bahn dient auch dem öffentlichen Personenverkehr. Nach § 3 Abs. 1 der Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Beförderung von Personen zu Lande (PBefGDV) vom 26. März 1935 (RGBl I S. 473) dient ein Unternehmen, dessen Einrichtungen nach seiner Zweckbestimmung jedermann benutzen kann, dem öffentlichen Verkehr. Daß nur der Personenkreis der Besucher des Parks und des Botanischen Gartens für Beförderungen in Betracht kommt, schließt die Annahme öffentlichen Verkehrs nicht aus. Vgl. hierzu das Urteil des erkennenden Senats II 176/51 U vom 14. Dezember 1951 (BStBl 1952 III S. 22, Slg. Bd. 56 S. 52). öffentlicher Personenverkehr ist gleichbedeutend mit dem der Allgemeinheit dienenden Verkehr im Gegensatz zu dem Verkehr, der nur den Interessen einzelner (Privater) dient. Es liegt ferner eine Beförderung innerhalb eines Ortes vor. Nach § 2 Abs. 6 der bereits angeführten PBefGDV gelten Beförderungen innerhalb der Orte als Ortsverkehr, und zwar zum Unterschied von Beförderungen über die Grenzen der Orte hinaus, die als überlandverkehr gelten. Auch der zuständige Verkehrsminister hat die Bahn als Straßenbahn angesehen. Das ergibt sich eindeutig aus der Genehmigungsurkunde, wonach die Genehmigung ausdrücklich auf Grund des PBefG 1934 erteilt worden ist. Nach diesem Gesetz, das nach § 1, soweit Bahnen in Betracht kommen, nur für die Beförderung von Personen mit Straßenbahnen galt, war dementsprechend in § 2, soweit Bahnen in Betracht kommen, eine Genehmigung nur für die Personenbeförderung mit Straßenbahnen vorgesehen.
Hiernach war die Bfin. von der nachgeforderten Steuer freizustellen.
Fundstellen
Haufe-Index 424019 |
BStBl III 1962, 62 |
BFHE 1962, 159 |
BFHE 74, 159 |