Entscheidungsstichwort (Thema)
Nicht mit Gründen versehenes FG-Urteil
Leitsatz (NV)
Das Urteil eines FG ist "nicht mit Gründen versehen" i.S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO, wenn dort ein möglicherweise entscheidungserheblicher eigenständiger Sachkomplex nicht erörtert worden ist.
Normenkette
FGO § 105 Abs. 2 Nr. 5, § 116 Abs. 1 Nr. 5, § 119 Nr. 6
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten darüber, ob das angefochtene Urteil des Finanzgerichts (FG) am Fehlen von Entscheidungsgründen i.S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 der Finanzgerichtsordnung (FGO) leidet.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, streitet mit dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt ―FA―) im Anschluss an eine Steuerfahndungsprüfung u.a. um die Abziehbarkeit verbuchter Betriebsausgaben. Damit hat es folgende Bewandtnis:
Die Klägerin hatte im Streitjahr (1980) Erträge aus Lizenzeinnahmen in Höhe von 290 000 DM und zugleich Aufwendungen in derselben Höhe verbucht. Hierzu gab sie an, dass sie die vereinnahmten Lizenzzahlungen vollständig an Dritte weitergeleitet habe. 100 000 DM sowie weitere 70 000 DM habe sie auf ein Bankkonto der Luxemburger O-SA gezahlt; die restlichen 120 000 DM seien gegen Forderungen gegenüber der X+Y-GmbH aufgerechnet worden. Die Steuerfahndung stellte fest, dass die O-SA in Luxemburg nicht bekannt war und dass sich unter der für diese angegebenen Anschrift eine Bank befand. Daraufhin erkannte sie die genannten Lizenzgebühren unter Hinweis auf § 160 der Abgabenordnung (AO 1977) insgesamt nicht als abziehbare Betriebsausgaben an. Das FA erließ entsprechende Steuerbescheide; die hiergegen gerichteten Einsprüche der Klägerin waren erfolglos.
In dem daraufhin eingeleiteten Klageverfahren trug die Klägerin zu dem genannten Vorgang zunächst vor, sie habe die Zahlungen an die O-SA in Höhe von 170 000 DM tatsächlich geleistet. Hinter dieser Firma hätten die Herren X und Y gestanden; an diese seien die gezahlten Beträge letztlich gelangt. X und Y hätten ihr ―der Klägerin― gegenüber angegeben, dass sie die Firma O-SA in Luxemburg gegründet hätten; hierauf habe sie vertraut. Deshalb sei, selbst wenn es sich bei der O-SA um eine Scheinfirma gehandelt haben sollte, die Anwendung des § 160 AO 1977 ermessensfehlerhaft. Vielmehr habe sich das FA an X und Y halten müssen. Hinsichtlich der weiteren 120 000 DM hielt die Klägerin an ihrer Darstellung fest, dass diese gegen Forderungen gegen die X+Y-GmbH aufgerechnet worden seien, weshalb hierüber keine Bankbelege existierten. Im weiteren Verlauf des Klageverfahrens machte sie schließlich geltend, bei den vereinnahmten Lizenzgebühren könne es sich um durchlaufende Posten gehandelt haben.
Das FG wies nach Vernehmung mehrerer Zeugen die Klage hinsichtlich des genannten Streitpunktes ab. In den Entscheidungsgründen seines Urteils ist hierzu zunächst ausgeführt, die Lizenzgebühren seien nicht als durchlaufende Posten anzusehen, da ein Handeln der Klägerin in fremdem Namen und für fremde Rechnung nicht habe festgestellt werden können. Sodann heißt es in dem Urteil weiter, es habe ebenso nicht festgestellt werden können, "dass insoweit überhaupt Betriebsausgaben vorgelegen haben". Deshalb scheide ein steuerlicher Abzug aus.
Zur Frage des Nichtvorliegens von Betriebsausgaben hat das FG ausgeführt, die O-SA sei mangels Registereintragung nicht zur Entstehung gelangt. Die Beweisaufnahme habe nicht zweifelsfrei ergeben, dass hinter dieser Gesellschaft die Herren X und Y gestanden hätten. Auch stehe nicht fest, "welche vertraglichen Verpflichtungen gegenüber dieser Scheinfirma bestehen könnten" und wofür "Zahlungen an eine nicht existente Firma geleistet worden" seien. Deshalb sei "zweifelhaft, für welche angeblichen betrieblichen Zwecke wer was geleistet haben soll". Die Klägerin habe nicht beweisen können, dass "betrieblich veranlasste Überweisungen tatsächlich für Leistungen der Firma X und Y auf deren Konto gegangen" seien. Jedenfalls fehle es aber an der erforderlichen Benennung des tatsächlichen Zahlungsempfängers, da die O-SA selbst nicht existiert habe und die hinter ihr stehenden Personen nicht hätten ermittelt werden können. Die Revision gegen seine Entscheidung ließ das FG nicht zu.
Die Klägerin hat das FG-Urteil mit einer Nichtzulassungsbeschwerde angefochten, über die der Senat noch nicht entschieden hat. Außerdem hat sie gegen das Urteil Revision eingelegt und hierzu gerügt, dass das FG-Urteil nicht mit Gründen versehen sei. Diese Revision ist Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist gemäß § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO zulässig und gemäß § 119 Nr. 6 FGO begründet. Die angefochtene Entscheidung ist nicht in der erforderlichen Weise mit Gründen versehen:
1. Nach § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO muss ein finanzgerichtliches Urteil u.a. Entscheidungsgründe enthalten. Fehlt es hieran, so ist das Urteil als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen (§ 119 Nr. 6 FGO), was mit der zulassungsfreien Revision gerügt werden kann (§ 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO).
2. Nach der Rechtsprechung sowohl des Bundesfinanzhofs (BFH) als auch der übrigen obersten Bundesgerichte ist eine Entscheidung nicht mit Gründen versehen, wenn sie nicht erkennen lässt, welche tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Erwägungen für sie maßgeblich waren (BFH-Urteil vom 11. September 1996 II R 31/96, BFH/NV 1997, 296; BFH-Beschluss vom 2. Februar 1999 II R 91/97, BFH/NV 1999, 1106, m.w.N). Das ergibt sich aus dem Zweck des Begründungszwangs, der gewährleisten soll, dass die Prozessbeteiligten über die das Urteil tragenden Erkenntnisse und Überlegungen des Gerichts unterrichtet werden (BFH-Urteile vom 26. Juni 1975 IV R 122/71, BFHE 116, 540, BStBl II 1975, 885; vom 23. April 1996 VIII R 70/93, BFH/NV 1997, 31; BFH-Beschluss vom 25. November 1999 VII R 40/99, BFH/NV 2000, 591). Vor diesem Hintergrund ist das FG zwar nicht verpflichtet, auf alle Einzelheiten des Sachverhalts und auf jede von den Beteiligten angestellte Erwägung näher einzugehen (BFH-Beschlüsse vom 14. Dezember 1994 IV R 28/94, BFH/NV 1995, 797; vom 16. August 1999 VIII R 9/99, BFH/NV 2000, 209, 210; Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 119 Rz. 24, m.w.N.). Ein Urteil enthält jedoch u.a. dann keine hinreichenden Entscheidungsgründe, wenn das FG einen selbstständigen Anspruch oder ein selbstständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergeht oder einen bestimmten Sachverhaltskomplex überhaupt nicht berücksichtigt (Senatsbeschluss vom 9. Februar 1977 I R 136/76, BFHE 121, 298, BStBl II 1977, 351; Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Rz. 25). In einem solchen Fall greifen deshalb § 116 Abs. 1 Nr. 5 und § 119 Nr. 6 FGO ein.
3. Im Streitfall hat das FG sich zwar ausführlich mit der Frage auseinander gesetzt, ob die Zahlungen der Klägerin an die O-SA zu abziehbaren Betriebsausgaben geführt haben. Es ist jedoch nicht auf den weiteren Vortrag der Klägerin eingegangen, dass ein Betrag in Höhe von 120 000 DM im Wege der Aufrechnung gegenüber der X+Y-GmbH aufgewendet worden sei. Die Ausführungen in den Urteilsgründen beziehen sich ―soweit es um die hier interessierende Problematik geht― ausnahmslos darauf, dass die O-SA nicht existiert habe, dass die hinter dieser Bezeichnung stehenden Personen nicht hätten ermittelt werden können und dass deshalb der Hintergrund der nach Luxemburg geleisteten Zahlungen ungeklärt geblieben sei. Die von der Klägerin behauptete und unter Beweis gestellte Aufrechnung wird dort nicht einmal erwähnt. Im Ergebnis hat das FG diesen Sachverhalt mit Stillschweigen übergangen; es ist nicht erkennbar, ob es sich hiermit gedanklich auseinander gesetzt hat.
Diese Unterlassung führt nicht etwa nur zu einem Fehler in der Sachaufklärung oder zu einem Mangel der Beweiswürdigung, die beide nicht § 116 Abs. 1 Nr. 5 und § 119 Nr. 6 FGO unterfallen würden. Vielmehr hat das FG einen eigenständigen Sachverhaltskomplex unerörtert gelassen, der sich von den erörterten Zahlungen an die O-SA deutlich abhob. Das zeigt sich schon daran, dass es gedanklich jedenfalls möglich gewesen wäre, beide Positionen im Ergebnis unterschiedlich zu beurteilen. Die Klägerin weist zu Recht darauf hin, dass das angefochtene Urteil nicht erkennen lässt, ob das FG diese Möglichkeit erwogen hat und aus welchen Gründen seine Überlegungen zu den Zahlungen an die O-SA ggf. zugleich für die Würdigung des Aufrechnungsvorgangs maßgeblich waren. Darin liegt ein Verfahrensmangel i.S. des § 119 Nr. 6 FGO.
4. Der Senat vermag nicht der Ansicht des FA zu folgen, dass der vorliegende Begründungsmangel deshalb unschädlich sei, weil das FG-Urteil nicht auf ihm beruhe. Denn dass das Fehlen von Entscheidungsgründen i.S. des § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO zur Fehlerhaftigkeit des betreffenden Urteils führt, wird von Gesetzes wegen vermutet (§ 119 Nr. 6 FGO). Eine Ausnahme von dieser Regel lässt die Rechtsprechung nur dann zu, wenn das übergangene Angriffs- oder Verteidigungsmittel zur Begründung oder zur Abwehr des Angriffs ungeeignet war und eine erneute Entscheidung des FG deshalb nur zu einer Bestätigung des Urteils führen könnte (Senatsurteil vom 11. Juni 1969 I R 27/68, BFHE 95, 529, BStBl II 1969, 492; BFH-Urteil in BFH/NV 1997, 31; Gräber/ Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 25, m.w.N.). Um einen solchen Sachverhalt handelt es sich im Streitfall nicht.
Es ist zwar denkbar, dass das FG die Aufrechnung gegenüber der X+Y-GmbH bereits in seine Überlegungen einbezogen hatte und hierbei zu dem Ergebnis gelangt ist, der aufgerechnete Betrag sei ―z.B. wegen seines Zusammenhangs mit dem Vorgang O-SA― ebenfalls nicht als Betriebsausgabe abziehbar. Ebenso ist aber nicht ausgeschlossen, dass es zwischen beiden Vorgängen nicht unterschieden hat und anderenfalls hinsichtlich des Aufrechnungsbetrags einen Betriebsausgabenabzug zugelassen hätte. Welche dieser beiden Vorgehensweisen letztendlich zutreffend ist, kann im Revisionsverfahren nicht entschieden werden, da es hierzu einer Würdigung der der Aufrechnung zu Grunde liegenden Vertrags- und Leistungsverhältnisse bedarf und möglicherweise zunächst weitere tatsächliche Feststellungen getroffen werden müssen. Beides obliegt dem FG als Tatsacheninstanz, weshalb der Rechtsstreit an dieses zurückverwiesen werden muss (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 547067 |
BFH/NV 2001, 626 |