Entscheidungsstichwort (Thema)

Gewerbesteuer Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Die Tätigkeit der medizinisch-diagnostischen Assistentin ist den freien Berufen im Sinne des § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG zuzurechnen.

 

Normenkette

GewStG § 2; EStG §§ 15, 18 Abs. 1 Nr. 1

 

Tatbestand

Die Beschwerdegegnerin (Bgin.) betreibt in Berlin seit 1. Juli 1948 ein medizinisch-diagnostisches Institut. über ihre staatliche Berufserlaubnis hinaus besitzt sie noch besondere gesundheitsbehördliche Konzessionen

zur Ausführung der serologischen Luesreaktionen nach Wassermann einschließlich der Nebenreaktionen,

zur Vornahme wissenschaftlicher Versuche an lebenden Tieren,

zur Vornahme bakteriologischer Untersuchungen.

Ihrem Institut gehörte im Jahre 1949 ein Arzt als sogenannter "leitender Arzt" an, da nach § 16 der Zulassungsordnung für medizinisch-diagnostische Institute vom 28. August 1951 (Gesetz- und Verordnungsblatt - GVBl. - I S. 637) nur Institute, die einen leitenden Arzt haben, zur Versorgung der Sozialversicherten zugelassen sind.

Die Bgin. stellt die auf sie entfallenden Diagnosen selbständig und unterzeichnet sie eigenverantwortlich.

Das Finanzamt zog die Bgin. für 1949 zu einer Gewerbesteuer von 105,50 DM heran.

Das Verwaltungsgericht sah die Berufung als begründet an. Es komme darauf an, ob der Beruf der Bgin. einer der in § 18 des Einkommensteuergesetzes (EStG) bezeichneten Berufsgruppen ähnlich sei. Das sei zu bejahen. Die Tätigkeit liege auf höherer geistiger Grundlage, sie verwerte wissenschaftliche Erkenntnisse. Wenn Hebammen, staatlich anerkannte Masseure und Krankenschwestern als freie Berufe angesehen würden, so sei kein Grund ersichtlich, für medizinisch-technische Assistentinnen eine abweichende Beurteilung eintreten zu lassen. Auch der Handelschemiker sei als freier Beruf anerkannt. Die Bgin. unterzeichne die dem behandelnden Arzt übermittelten Untersuchungsergebnisse selbst und übernehme hierfür die volle Verantwortung. Da ihre Tätigkeit auf ihrer Arbeitskraft allein beruhe und die Hilfe einer Krankenschwester sich nur auf untergeordnete Arbeiten erstrecke, scheide bei der rechtlichen Beurteilung auch der Gesichtspunkt der Vervielfältigung oder Ersetzung der Arbeitskraft durch Dritte aus.

Die Rechtsbeschwerde (Rb.) des Vorstehers des Finanzamts ist der Auffassung, daß der Beruf der Bgin. der Tätigkeit eines Arztes nicht ähnlich sei. Sie unterstütze lediglich den Arzt, wie dies bei vielen technischen Berufen zutreffe. Nach der Auskunft des Berliner Senators für Gesundheitswesen, die mit der Auskunft des Berliner ärztebundes e. V. übereinstimme, gehöre die Stellung von Teil- und Zwischendiagnosen - wie dies auch bei Röntgeninstituten der Fall sei - vorzugsweise zum Aufgabengebiet medizinisch-diagnostischer Institute. Viele praktische ärzte seien nicht in der Lage, das durch ein medizinisch-diagnostisches Institut labormäßig erstellte Untersuchungsergebnis diagnostisch auszuwerten. Die Berliner Zulassungsordnung für medizinisch-diagnostische Institute vom 28. August 1951 (GVBl. S. 637) sehe deshalb in § 1 vor, daß Institute, die zur ambulanten Versorgung der Sozialversicherten zugelassen werden wollten, von einem Arzt betrieben werden müßten. Der Gesetzgeber betrachtet mithin den Betrieb eines medizinisch-diagnostischen Instituts als eine ärztliche Tätigkeit. Deshalb müßten nach § 16 Abs. 1 Ziff. 2 der Zulassungsordnung Institute, die von einem Nichtarzt betrieben würden, wenigstens von einem Arzt geleitet sein. Die Tätigkeit der medizinisch-technischen Assistentin dagegen beschränke sich, wie dies bereits in der Berufsbezeichnung zum Ausdruck komme, auf rein technische, die Tätigkeit des Arztes lediglich unterstützende Arbeit. Sie habe lediglich bestimmte Untersuchungen durchzuführen, wobei die Auswertung dieser Untersuchungen in jedem Fall dem behandelnden Arzt obliege. Daß es sich um eine gewerbliche Tätigkeit handle, ergebe sich auch daraus, daß die Bgin. 1949 522,06 DM für Reklame und Werbung ausgewiesen habe.

Die Bgin. macht demgegenüber geltend, daß auch medizinisch-diagnostische Institute, die von ärzten betrieben würden, keine Teil- und Zwischendiagnosen stellen würden. Zur Erstellung einer einwandfreien Diagnose gehöre die Anamnese, das klinische Bild und in bestimmten Fällen das Ergebnis von Laboratoriumsuntersuchungen. Von diesen drei Komponenten könnten die beiden ersten in einem medizinisch-diagnostischen Institut überhaupt nicht verwendet werden. Denn meist komme der Patient selbst überhaupt nicht in das Institut, sondern nur das Untersuchungsmaterial (Blut, Urin, Stuhl, Sputum usw.). Aber selbst wenn der Patient persönlich in das Institut komme (z. B. zur Entnahme des Untersuchungsmaterials oder um dieses dort abzuliefern), dann dürfe und könne das Institut keine Anamnese und kein klinisches Bild erstellen, weil es damit in unfairer Weise in die Kompetenzen des behandelnden Arztes eingreifen würde. Honoriert würden nur die Arbeiten, die im Labortarif enthalten seien (also z. B. keine körperlichen Untersuchungen des Patienten) und die der behandelnde Arzt schriftlich verordnet habe. Das seien und könnten nur sein einzelne Laboratoriumsuntersuchungen (Blutbild, Harnanalyse, Wassermannsche Reaktion usw.), nicht aber Diagnosen. Um solche stellen zu können, müsse der damit Befaßte frei sein in der Auswahl der ihm zweckmäßig erscheinenden Laboratoriumsuntersuchungen. Das sei nur der behandelnde Arzt, der die Untersuchungen verordnen könne, nie aber das Institut, das nur die vom behandelnden Arzt ausgewählten und verordneten Untersuchungen ausführen dürfe und honoriert bekomme. Im Berufungsverfahren führte die Bgin. folgendes aus:

"Medizinisch-diagnostische Institute gibt es seit etwa 50 Jahren. Vorher wurde deren Arbeit von den Apothekern gemacht, aus deren Ladenschildern, manchmal heute noch hervorgeht, daß dort Harn- und Sputum-Untersuchungen ausgeführt werden. Die medizinisch-diagnostischen Institute beschäftigten sich - entsprechend den erzielten Fortschritten der sogenannten technischen Medizin weit über das frühere Arbeitsgebiet der Apothekenlaboratorien hinaus - mit Laboratoriumsuntersuchungen, deren Ergebnisse den Arzt im Zusammenhang mit seinen eigenen Untersuchungen (dem sogenannten klinischen Befund) befähigen sollen, eine Diagnose zu stellen. Medizinisch-diagnostische Institute stellen also selbst keine Diagnosen, sondern erheben im Rahmen der "Diagnostik" (die nicht mit der "Diagnose" verwechselt werden darf) Laboratoriumsbefunde, die der behandelnde Arzt für seine Diagnose verwendet. Laboratoriumsbefunde enthalten niemals die Feststellung einer Krankheit, sondern immer nur objektive Tatsachen, die auf mikroskopischem, chemischem, optischem, bakteriologischem serologischem, histologischem, photographischem, photometrischem, kolorimetrischem oder ähnlichem Wege ermittelt worden sind". "Sitz der Materie ist die Erste Verordnung über die Berufstätigkeit und die Ausbildung medizinisch-technischer Gehilfinnen und medizinisch-technischer Assistentinnen (Erste MGAV) vom 17. Februar 1940, Reichsgesetzblatt - RGBl. - I S. 371."

 

Entscheidungsgründe

Die Prüfung der Rb. des Vorstehers des Finanzamts ergibt folgendes:

Als "ähnliche" Berufe im Sinne des § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG sind lediglich solche Berufe anzusehen, die den in § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG ausdrücklich aufgeführten Berufen ähnlich sind (Entscheidungen des Bundesfinanzhofs IV 197/50 vom 16. März 1951, Bundessteuerblatt - BStBl - III S. 97; IV 131/51 vom 27. März 1952, BStBl III S. 170). Die ärztliche Tätigkeit ist durch die Behandlung erkrankter Menschen oder Tiere charakterisiert. Hierzu ist eine medizinische Diagnose, d. h. die Feststellung des Krankheits- bzw. Gesundheitszustandes erforderlich. Wie die Bgin. selbst ausführt, handelt es sich bei ihrer Tätigkeit nicht um eine Diagnose in diesem Sinn, sondern um Feststellungen mikroskopischer, chemischer, optischer usw. Art an bestimmten Substanzen. Diese Feststellungen sind ein Hilfsmittel bei einer ärztlichen Diagnose, aber sie stellen keine ärztliche Diagnose dar. Die Bgin. behandelt keine Kranken. Die Lage ist anders bei Krankenschwestern, Hebammen, Masseuren, Magnetiseuren, deren Gewerbesteuerfreiheit die Rechtsprechung anerkannt hat. Sie widmen sich unmittelbar der Behandlung eines erkrankten Menschen.

Man wird dem Finanzamt darin beipflichten müssen, daß die Tätigkeit der Bgin. der ärztlichen Tätigkeit im obendargestellten Sinne nicht "ähnlich" ist.

Medizinisch-diagnostische Institute werden auch von ärzten geleitet. Nach § 1 der Zulassungsordnung für medizinisch-diagnostische Institute vom 3. September 1951 (GVBl. für Berlin 1951 S. 637) müssen medizinisch-diagnostische Institute, die zur ambulanten Versorgung der Sozialversicherten zugelassen werden wollen, von einem Arzt betrieben werden. Nach § 6 der Verordnung darf die Zulassung nur einem Arzt erteilt werden, der bestimmte Voraussetzungen hinsichtlich seiner Ausbildung erfüllt hat. So muß er z. B. für die hämatologische und klinisch-chemische Tätigkeit mindestens ein Jahr ausgebildet sein. Es tritt die Frage auf, ob auf Grund dieser Bestimmungen eine derartige Tätigkeit als ärztliche Tätigkeit im Sinne des § 18 Ziff. 1 EStG anzusehen ist und, sofern sie bejaht wird, ob es sich bei der Tätigkeit der Bgin. um eine "ähnliche" Tätigkeit im Sinne der gesetzlichen Vorschrift handelt. Ihre Beantwortung kann dahingestellt bleiben, da der Senat aus anderen Erwägungen heraus die Tätigkeit der Bgin. als eine nicht gewerbesteuerpflichtige Tätigkeit ansieht.

§ 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG rechnet die Tätigkeit des Handelschemikers zu den freiberuflichen Tätigkeiten. Mit der Frage, ob der Beruf des Handelschemikers zu den freien Berufen gehört, hat sich der Reichsfinanzhof zu § 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1918 in dem Urteil II A 235/20 vom 30. Oktober 1920 (Slg. Bd. 3 S. 316) befaßt. Auch hier wurde geltend gemacht, daß mit der Ausübung des Berufes eine mechanische Tätigkeit in größerem oder geringerem Masse verbunden sei, die ihm den Charakter des freien Berufes nehme. Der Reichsfinanzhof hat seinerzeit diesen Einwand abgelehnt. Die Tätigkeit des Chemikers sei ihrem Ursprunge nach rein wissenschaftlich. Sie könne um ihrer selbst willen ausgeübt werden. Das Erwerbsleben habe sich diese Tätigkeit zu Nutze gemacht und in seinen Kreis gezogen. Wenn danach die Ausübung dieser Tätigkeit vielfach überwiegend mechanische Formen angenommen habe, so bleibe doch der wissenschaftliche Charakter dieser Tätigkeit bestehen.

Die Tätigkeit der Bgin. hat ähnlichkeit mit der Tätigkeit des Handelschemikers. Es werden in ähnlicher Weise Untersuchungen, die auf einer wissenschaftlichen Grundlage beruhen, vorgenommen. Die Ausbildung der medizinisch-technischen Gehilfinnen und Assistentinnen ist durch die erste Verordnung vom 17. Februar 1940 (RGBl. I S. 371) geregelt. Sie erfolgt in staatlich anerkannten Lehranstalten. Tätigkeiten wie sie von medizinisch-technischen Gehilfinnen und Assistentinnen ausgeführt werden, üben auch Berufe aus, für die akademische Vorbildung vorgeschrieben ist, so ärzte und, wie die Bgin. ausführt, früher auch Apotheker. Es handelt sich also um eine Tätigkeit gehobener Art, die ähnlich der Tätigkeit von Berufen ist, die im § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG ausdrücklich als freie Berufe anerkannt worden sind.

Es ist somit im Ergebnis der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin beizutreten. Die Rb. wird als unbegründet zurückgewiesen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 407732

BStBl III 1953, 269

BFHE 1954, 704

BFHE 57, 704

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