Anerkennungsvoraussetzung für Carpaltunnelsyndrom als Berufskrankheit


Berufskrankheit (BK) 2113 (Carpaltunnelsyndrom)

Die Anerkennung der BK 2113 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) setzt einen engen zeitlichen Zusammenhang zwischen letzter gefährdender Tätigkeit und dem erstmaligen Auftreten bzw. dem Nachweis der Krankheitssymptome voraus. Ein solcher Zusammenhang liegt nach einem Urteil des LSG Hamburg jedenfalls dann nicht mehr vor, wenn die dazwischen liegende Zeitspanne mehr als drei Jahre beträgt.

Der Fall: Carpaltunnelsyndrom wird als BK geltend gemacht

Der Kläger des vorliegenden Verfahrens begehrt die Feststellung einer Berufskrankheit, dem Carpaltunnelsyndrom, durch repetitive manuelle Tätigkeiten mit Beugung und Streckung der Handgelenke, durch erhöhten Kraftaufwand der Hände oder durch Hand-Arm-Schwingungen. Der Kläger war von 2000 bis 2007 in verschiedenen Unternehmen als Rohrschlosser, Rohrleitungsbauer im Montage- und Demontagebereich sowie als Industriemonteur auf verschiedenen Baustellen tätig. Danach war er als selbständiger Unternehmer tätig. Im Rahmen der Geltendmachung einer Berufserkrankung Asbestose vor dem SG Hamburg beantragte der Kläger im Jahr 2017, seine Erkrankung an einem Carpaltunnelsyndrom als Berufskrankheit nach der Nr. 2113 der Anlage 1 zur BKV festzustellen. Hierfür legte der Kläger einen ärztlichen Bericht des „C. vom 18. August 2010“ vor. Die den Kläger wegen Rückenmarkschmerzen behandelnden Ärzte gaben an, dass das Elektroneuromyogramm auf ein beidseitiges Karpaltunnelsyndrom hinweise. Zudem erklärte der Kläger, dass er seit 2006 Schmerzen in den Handgelenken habe.

Die Präventionsdienste der Beklagten sowie der Berufsgenossenschaft Holz und Metall erklärten in ihren Stellungnahmen zur Arbeitsplatzexposition, dass der Kläger Tätigkeiten verrichtet habe, die geeignet gewesen seien, eine Berufskrankheit nach der Nr. 2113 der Anlage 1 zur BKV zu verursachen. Der Präventionsdienst der Beklagten wies in seiner Stellungnahme vom 10.4.2018 darauf hin, dass bei der Berufskrankheit Nr. 2113 ein enger arbeitskongruenter Verlauf zu fordern sei. Das Auftreten von Beschwerden im Sinne eines Carpaltunnelsyndroms drei Jahre nach Beendigung einer belastenden Tätigkeit widerspreche jedoch der geforderten Arbeitskongruenz. Die Beklagte wies auch den Widerspruch zurück, wogegen der Kläger Klage erhob.

Das SG Hamburg wies die daraufhin erhobene Klage zurück (Gerichtsbescheid vom 3.6.2021, Az. S 36 U 57/19). Der Kläger habe keinen Anspruch, dass seine Erkrankung an einem Carpaltunnelsyndrom als Berufskrankheit festgestellt werde. Zwar sei unstreitig, dass die Tätigkeit des Klägers bis zum Jahre 2007 als Rohrschlosser, Rohrleitungsbauer im Montage- und Demontagebereich sowie als Industriemonteur auf diversen Baustellen durch das Arbeiten mit verschiedenen Werkzeugen, die Rückstoßerschütterungen und Vibrationen erzeugten, dem Grunde nach geeignet gewesen sei, eine Druckschädigung des Nervus medianus im Carpaltunnel hervorzurufen. Ferner sei unstreitig, dass bei dem Kläger ein Carpaltunnelsyndrom diagnostiziert worden sei. Die Erkrankung könne aber nicht als Berufskrankheit anerkannt werden, da die gefährdende Tätigkeit bis zum 7.4.2007 die Erkrankung nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit verursacht habe. Dieser Kausalzusammenhang sei nach der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Literatur plausibel, wenn der Erkrankungsbeginn in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit der Exposition stehe (z.B. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage, S. 602). Dieser sei vorliegend nicht anzunehmen, denn die Erkrankung sei erstmals mittels einer neurologischen Untersuchung am 18.10.2010 medizinisch belegt worden; die gefährdende Tätigkeit habe der Kläger jedoch bereits im Jahre 2007 beendet. Der geforderte enge zeitliche Zusammenhang sei jedenfalls dann nicht mehr gegeben, wenn zwischen dem letzten Beschäftigungstag mit geeigneter Exposition und dem erstmaligen Auftreten bzw. Nachweis eines Carpaltunnelsyndroms mehr als drei Jahre lägen.

LSG bestätigt die Entscheidung

Das LSG Hamburg hat mit Urteil vom 19.4.2023 (Az. L 2 U 19/21) diese Entscheidung bestätigt. Die Anerkennung der BK 2113 der Anlage 1 zur BKV setze einen engen zeitlichen Zusammenhang zwischen der letzten gefährdenden Tätigkeit und dem erstmaligen Auftreten bzw. dem Nachweis der Krankheitssymptome voraus. Ein solcher Zusammenhang liege jedenfalls dann nicht mehr vor, wenn die dazwischen liegende Zeitspanne mehr als drei Jahre beträgt.

Wichtig für die Praxis

Erkrankungen am Handgelenk sind schwer zu diagnostizieren. Insofern ist es wichtig, beim Auftreten erster Symptome, wie insbesondere starker und dauerhafter Schmerzen, sofort bei geeigneten Ärzten (Orthopäde, Neurologe) eine Diagnose (und Behandlung) herbeizuführen. Die langen Wartezeiten auf Facharzttermine und die Zeit der Diagnose können rasch einen großen Teil der drei Jahre, die die Rechtsprechung als zeitlichen Zusammenhang sieht, in Anspruch nehmen. Für die Anerkennung als Berufskrankheit ist eine gesicherte Diagnose erforderlich (der erste Verdacht des Hausarztes wird nicht reichen).