Neue Regelungen zur mutterschutzbezogenen Gefährdungsbeurteilung

Mit Wirkung zum 1.1.2025 wurden die mutterschutzbezogenen Vorgaben zur Gefährdungsbeurteilung angepasst. In bestimmten Fällen ist es nun nicht mehr erforderlich, eine anlassunabhängige Gefährdungsbeurteilung vorzunehmen. 

Seit dem 1. Januar 2018 müssen im Rahmen der nach § 5 Arbeitsschutzgesetz zu erfolgenden Gefährdungsbeurteilung für jede Tätigkeit anlassunabhängig auch die Gefährdungen beurteilt werden, denen schwangere und stillende Frauen (und ihre Kinder) ausgesetzt sind (§ 10 Abs. 1 S. 1 Mutterschutzgesetz).

Anlassunabhängige Gefährdungsbeurteilung

Diese Gefährdungsbeurteilung ist somit immer vorzunehmen und im Ergebnis auch dann, wenn momentan (noch) keine Frauen im Betrieb tätig sind. Die Nichtdurchführung der anlassunabhängigen Gefährdungsbeurteilung erfüllt zudem den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit (vgl. § 32 Abs. 1 Nr. 6 MuSchG).

Die anlassunabhängige Gefährdungsbeurteilung ermöglicht es bereits im Vorfeld, die auftretenden Gefährdungen für schwangere oder stillende Frauen bzw. ihre Kinder bei der Tätigkeit oder im Rahmen der Ausbildung zu beurteilen und daraus die erforderlichen und geeigneten Schutzmaßnahmen abzuleiten. Diese Gefährdungsbeurteilung zielt folglich auf eine grundsätzliche Beurteilung aller Tätigkeiten und Arbeitsplätze in jedem Fall ab. Zugleich vereinfacht und beschleunigt die anlassbezogene mutterschutzrechtliche Gefährdungsbeurteilung als „Basisdokument“ gewissermaßen die weiteren Festlegungen nach § 10 Abs. 2 S. 1 MuSchG.

Modifikation für bestimmte Tätigkeiten

Mit Wirkung zum 01.01.2025 wurde diese Vorgabe angepasst (vgl. BGBl. 2024 I Nr. 323). Nunmehr kann auf die anlassunabhängige Gefährdungsbeurteilung dann verzichtet werden, wenn gemäß einer genau zu diesem Zweck nach § 30 Abs. 4 MuSchG erlassenen Regel oder Erkenntnis des Ausschusses für Mutterschutz (AfMu) eine schwangere oder stillende Frau die Tätigkeit nicht ausüben oder einer Arbeitsbedingung nicht ausgesetzt sein darf (vgl. § 10 Abs. 1 S. 3 MuSchG).

Im Ergebnis bedeutet das, dass der AfMu Tätigkeiten bzw. Arbeitsbedingungen definieren kann, welche seitens schwangerer oder stillender Frauen nicht ausgeübt werden bzw. denen sie nicht ausgesetzt sein dürfen.

Sofern eine entsprechende Regelung veröffentlicht wurde, kann sich der Arbeitgeber darauf berufen und in diesen Fällen die anlassunabhängige Gefährdungsbeurteilung nach § 10 Abs. 1 S. 1 MuSchG entfallen lassen. Hier definiert ja dann die Regel bereits, dass die entsprechend benannten Tätigkeiten bzw. Arbeitsbedingungen eine unverantwortbare Gefährdung darstellen. Dies muss somit nicht mehr gesondert (im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung) ermittelt werden.

Die Anpassung des § 10 MuSchG erfolgte im Rahmen des „Vierten Bürokratieentlastungsgesetzes“ (BGBl. 2024 I Nr. 323) und soll als Bestandteil eines „Entlastungspaketes“ dazu beitragen, Wirtschaft, Bürger und Verwaltung von überflüssiger Bürokratie zu entlasten (vgl. BT-Drs. 20/13015, S. 1).

Dokumentation

Die mutterschutzbezogene Gefährdungsbeurteilung ist zu dokumentieren (vgl. § 6 ArbSchG, § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 MuSchG). In den Fällen, in denen der Arbeitgeber aufgrund einer erlassenen Regel bzw. Erkenntnis des Ausschusses für Mutterschutz gem. § 10 Abs. 1 S. 3 MuSchG auf eine anlassunabhängige Gefährdungsbeurteilung verzichtet hat, ist auch dies entsprechend zu dokumentieren.

Hier empfiehlt sich der deutliche Hinweis, dass es sich bei bestimmten Tätigkeiten bzw. Arbeitsbedingungen um solche handelt, welche in der entsprechenden Regel benannt und aufgeführt sind.  

Festlegung der Schutzmaßnahmen

Unberührt von der Neuregelung bleibt die Verpflichtung des Arbeitgebers, nach Mitteilung der Schwangerschaft bzw. des Umstandes des Stillens die erforderlichen Schutzmaßnahmen festzulegen (§ 10 Abs. 2 S. 1 MuSchG). Ob es sich bei dieser Verpflichtung um eine Gefährdungsbeurteilung (hier dann „anlassbezogen“) handelt, ist strittig.  Allerdings werden die Regelungen seitens des Gesetzgebers und des Ausschusses für Mutterschutz durchaus als solche bezeichnet (vgl. BR-Drs. 230/16, S. 78; Nr. 4 Abs. 2 Nr. 10.1.01).

Regeln des Ausschusses für Mutterschutz

Nach Veröffentlichung der Regeln des Ausschusses für Mutterschutz (MuSchR) im Gemeinsamen Ministerialblatt gem. § 30 Abs. 4 MuSchG werden diese auf der Internetpräsenz des AfMu veröffentlicht, wo sie kostenfrei eingesehen und heruntergeladen werden können. Derzeit (Stand: Januar 2025) erfolgte allerdings noch keine Veröffentlichung einer Regelung i. S. v. § 10 Abs. 1 S. 3 MuSchG, welche es dem Arbeitgeber ermöglichen würde, auf die anlassunabhängige Gefährdungsbeurteilung zu verzichten.

Bedeutet die Neuregelung wirklich Entlastung?

Ob durch die Neuregelung in § 10 Abs. 1 S. 3 MuSchG wirklich eine nennenswerte Entlastung der Wirtschaft eintritt, bleibt jedoch stark zu bezweifeln.

Dies ergibt sich aus dem Umstand, dass selbst bei Existenz einer entsprechenden Regelung der Arbeitgeber sich mit der Fragestellung auseinandersetzen muss, ob die bei ihm vorliegenden Tätigkeiten bzw. Arbeitsbedingungen auch von der entsprechenden MuSchR erfasst sind. Dies wiederum ist regelmäßig nur durch eine Gefährdungsbeurteilung möglich.

Hilfreicher wäre es, wenn der Ausschuss für Mutterschutz gem. § 30 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 MuSchG Regeln ermittelt, welche Tätigkeiten bzw. Arbeitsbedingungen generell eine „unverantwortbare Gefährdung“ i. S. v. § 9 Abs. 2 S. 2 MuSchG für schwangere und stillende Frauen darstellen. Diese Regeln würden dann (aufgrund der Vermutungswirkung gem. § 9 Abs. 4 S. 2 MuSchG) dem Arbeitgeber gewissermaßen als „antizipiertes Gutachten“ dienen. Das würde die konkrete Prüfung des Ausmaßes der Gefährdung überflüssig machen und es wäre lediglich noch die Feststellung zu treffen, „ob“ die Tätigkeiten bzw. Arbeitsbedingungen der MuSchR entsprechen. Weiterhin enthalten die §§ 11, 12 MuSchG bereits jetzt schon Regelbeispiele für unverantwortbare Gefährdungen.

Unabhängig davon lässt das EU-Recht es weiterhin nicht zu, bei bestimmten definierten Tätigkeiten auf eine Beurteilung der Gefährdungen zu verzichten (vgl. Art. 4 RL 92/85/EWG).

Letztendlich muss der Arbeitgeber auch bei Bestehen einer entsprechenden MuSchR jeweils prüfen, ob eine Umgestaltung der Arbeitsbedingungen möglich ist oder (sofern dies nicht möglich ist) die betroffene Frau an einen anderen Arbeitsplatz umgesetzt werden kann, bevor ein entsprechendes betriebliches Beschäftigungsverbot in Kraft tritt (vgl. Rangfolgegebot nach § 13 Abs. 1 MuSchG).

Mehr zum Thema

Gefährdungsbeurteilung Mutterschutz richtig durchführen

Vorgaben des Mutterschutzgesetzes: So ist die Realität in den Betrieben


Schlagworte zum Thema:  Mutterschutz, Gefährdungsbeurteilung