Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Zur steuerrechtlichen Beurteilung von Verträgen, deren bürgerlich-rechtliche Bezeichnung sich nicht mit dem deckt, was die Beteiligten wirtschaftlich angestrebt haben.
Wird entgeltlich ein Erbbaurecht mit der Abrede bestellt, daß der Berechtigte später die unentgeltliche übereignung des Grundstücks verlangen kann, so kann der Vertrag steuerlich ein Kaufvertrag über das Grundstück sein.
Zum Unterschied von Kaufpreisraten und Rentenzahlungen.
Normenkette
EStG § 6 Ziff. 2, § 6/3; StAnpG § 1 Abs. 3
Tatbestand
Der Kaufmann A. hatte der beschwerdeführenden OHG (Bfin.) im Vertrag vom 23. November 1950 an seinem Grundstück ein Erbbaurecht bestellt mit dem Recht und der Pflicht, auf dem Grundstück ein Gebäude zu errichten. In dem Vertrag war bestimmt:
"ß 4. Das Erbbaurecht beginnt am 1. April 1950 und endet nach dem Tode des Grundstückseigentümers dadurch, daß seine Erben die im folgenden noch festzulegende Verpflichtung erfüllen, das Grundstück auf den Erbbauberechtigten nach den Bestimmungen des § 17 zu übertragen.
§ 5. Der Erbbauberechtigte räumt an dem gesamten Erdgeschoß einschließlich Anbau und am ersten Obergeschoß des von ihm erstellten Gebäudes dem Grundstückseigentümer das lebenslängliche, dingliche Wohnungs- und Benutzungsrecht ein. Eine besondere Entschädigung hat der Grundstückseigentümer für dieses Recht nicht zu leisten ...
§ 6. Für den Fall, daß der Grundstückseigentümer vor dem 31. Juli 1953 versterben sollte, verpflichtet sich der Erbbauberechtigte, zugunsten der Erben des Grundstückseigentümers ein dingliches Wohnungs- und Benutzungsrecht am Erdgeschoß (nicht auch am ersten Obergeschoß) ebenfalls als beschränkte persönliche Dienstbarkeit für die Zeit bis 31. Juli 1953 zu bestellen ....
§ 7. Der Grundstückseigentümer vermietet hiermit unkündbar das gesamte Erdgeschoß an den Erbbauberechtigten. Dieser bezahlt an den Grundstückseigentümer für das Erdgeschoß ab 1. August 1950 bis 31. Juli 1953 eine Miete in Höhe des vollen Mietwertes und für die Zeit vom 1. August 1953 bis 31. Juli 1956 77% des vollen Mietwertes und für die Zeit vom 1. August 1956 bis zum Tode des Grundstückseigentümers 55,5% des vollen Mietwertes. Der volle Mietwert beträgt z. Zt. des Vertragsabschlusses DM 450,- ....
Die Höhe des Mietzinses ist so festgesetzt, daß mit dem Tod des Grundstückseigentümers gleichzeitig der Wert für den Grund und Boden als voll abgegolten gilt, so daß der Erbbauberechtigte die übertragung ohne weitere Entschädigung von den Erben verlangen kann, ausgenommen den Fall des Todes des Grundstückseigentümers vor dem 1. August 1953, in welchem der an die Erben bis zum 31. Juli 1953 weiter zu zahlende Mietzins ebenfalls gleichzeitig als Tilgung und Verzinsung der Kaufpreisschuld gilt.
Sollte der Grundstückseigentümer vor dem 1. August 1953 versterben, so sind die Mietzahlungen an seine Erben bis zum 31. Juli 1953 zu entrichten ....
§ 17. Der Grundstückseigentümer übernimmt für seine Rechtsnachfolger die Verpflichtung auf übertragung des Grundstückseigentums auf den Erbbauberechtigten nach seinem Tode. Stirbt der Erbbauverpflichtete vor dem 1. August 1953, so kann die übertragung frühestens zum 1. August 1953 verlangt werden (vgl. hierwegen auch § 4). Der Erbbauberechtigte kann aber nach einem vor dem 1. August 1953 erfolgten Tode des Grundstückseigentümers die Auflassung des Grundstücks sofort verlangen, wenn er die bis zum 31. Juli 1953 nach § 7 des Vertrages noch zu zahlenden Beträge abzüglich eines Zwischenzinses von 6% in bar bezahlt. ..."
A. starb am 10. Februar 1953. Im Dezember 1953 ließ seine Erbin das Grundstück an die Bfin. auf.
Die Bfin. behandelte die bis 31. Juli 1953 gemäß § 7 des Vertrages gezahlten 15 500 DM als Betriebsausgaben. Das Grundstück brachte sie im Jahre 1954 mit dem Einheitswert von 20 600 DM erfolgsneutral ein, zuzüglich der im gleichen Jahre gezahlten 1442 DM Grunderwerbsteuer.
Das Finanzamt, dessen Veranlagungsstelle von dem Vertrag erst bei einer Betriebsprüfung im Jahre 1957 erfuhr, sah in dem Vertrag einen Grundstückskauf gegen Veräußerungsrente. Nach dem Wert der Rente setzte es das Grundstück in den Bilanzen 1950 bis 1953 mit 43 500 DM an; dazu trat ab 1954 die Grunderwerbsteuer, so daß nun der Ansatz 44 942 DM betrug. Die Rentenverpflichtungen passivierte es nach einem von der Bfin. eingereichten versicherungsmathematischen Gutachten in der Bilanz 1950 mit 42 198 DM, 1951 mit 39 551 DM, 1952 mit 36 719 DM, 1953 mit 0 DM.
Die Bfin. machte gegenüber den Berichtigungsveranlagungen geltend, eine neue Tatsache liege nicht vor; denn die Bewertungsstelle des Finanzamts habe das Grundstück schon am 29. Oktober 1953 zum 1. Januar 1951 fortgeschrieben und dabei der Bfin. nur das im Erbbaurecht errichtete Gebäude zugerechnet. Zudem habe die Veranlagungsstelle aus der mit der Steuererklärung für 1954 eingereichten Anlage 1 zur Bilanz 1954 ersehen können, daß das Grundstück ohne Kaufpreiszahlung erworben worden sei; das Finanzamt hätte dann, wenn es Zweifel hatte, den Kaufvertrag anfordern müssen. Bei dem klaren Vertragstext sei ausschlaggebend, daß die Beteiligten ein Erbbaurecht hätten begründen wollen. Wenn man trotzdem einen Kaufvertrag annehmen wolle, so liege eine Veräußerung gegen Ratenzahlung nicht eine Veräußerung gegen Rente vor. Es müsse nämlich unterschieden werden zwischen den Leistungen bis 31. Juli 1953 und den weiteren aufschiebend bedingten Zahlungen. Die Bfin. beantragt, den Boden erstmals in der Bilanz 1953 anzusetzen, und zwar mit ihren tatsächlichen Leistungen für den Erwerb; nämlich 15 500 DM an Mieten und 1 442 DM an Grunderwerbsteuer, zusammen 16 942 DM.
Das Finanzgericht wies die Berufung als unbegründet zurück und führte aus: Der Veranlagungsstelle des Finanzamts sei der Vertrag vom 23. November 1950 erst durch die Betriebsprüfung bekanntgeworden. Sachlich habe die Bfin. durch den Vertrag ein Grundstück auf Rentenbasis gekauft. Die Bestellung des Erbbaurechts sei nur ein übergangsstadium und auch von untergeordneter Bedeutung als Mittel zum Zweck gewesen. Die Abmachungen müßten einheitlich als Erwerbsvorgang beurteilt werden, einschließlich der sogenannten Mieten, die in Wahrheit Kaufpreiszahlungen gewesen seien. Die Rente habe dem S. auf Lebenszeit eine Versorgung verschaffen sollen; für die Bfin. habe darin ein Wagnis gelegen. Das Finanzamt habe zu Recht das Grundstück in die Bilanz 1950 aufgenommen und gleichzeitig die Rentenverpflichtung passiviert. Da A. am 10. Februar 1953 gestorben sei, müsse der Schuldposten in der Schlußbilanz 1953 zugunsten des Gewinns aufgelöst werden.
Entscheidungsgründe
Die Rb. mit der die Bfin. unrichtige Rechtsanwendung rügt, ist nicht begründet.
Bei der Prüfung, ob eine Tatsache im Sinne des § 222 Abs. 1 AO "neu" ist, können nur solche Tatsachen als bekannt gelten, die der Veranlagungsstelle des Finanzamts bekannt sind (z. B. Entscheidung des Bundesfinanzhofs IV 143/56 U vom 10. Juli 1958, BStBl 1958 III S. 365, Slg. Bd. 67 S. 239; III 21/57 vom 18. Dezember 1959, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1961 S. 234; V 94/61 vom 16. Januar 1964, BStBl 1964 III S. 149, Slg. Bd. 78 S. 389). Es ist also ohne Bedeutung, daß der Vertrag der Bewertungsstelle schon im Oktober 1953 bekanntgeworden sein soll. Aus der das Anlagevermögen erläuternden Aufstellung zur Bilanz 1954 konnte die Veranlagungsstelle nicht ohne weiteres auf einen unentgeltlichen Grundstückserwerb schließen; allenfalls die Höhe der nach dem Einheitswert berechneten Grunderwerbsteuer konnte darauf hindeuten. Der Senat hat in der Entscheidung VI 296/57 S vom 5. Dezember 1958 (BStBl 1959 III S. 86, Slg. Bd. 68 S. 223) ausgeführt, daß die §§ 204 und 205 AO die Finanzämter nicht dazu zwängen, die Steuererklärungen und Anlagen argwöhnisch in jeder Hinsicht zu prüfen. Für den Regelfall könnten und müßten sie von der Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben des Steuerpflichtigen ausgehen, sofern nicht greifbarer Anlaß zur Nachprüfung bestehe, z. B. wenn die Angaben unvollständig erschienen. Daraus, daß das Finanzamt den Bilanzansatz 1954 von 22 042 DM nicht beanstandete, kann daher die Bfin. nichts gegen die Zulässigkeit der Berichtigungsveranlagung nach § 222 AO herleiten. Wenn sie das Finanzamt hinsichtlich des Grundstücksansatzes hätte binden wollen, hätte sie dem Finanzamt reinen Wein einschenken müssen, indem sie eindeutig klarstellte, wie und warum sie zu dem Wertansatz gekommen sei. Wer nicht in dieser Weise selbst zur vollen Klarstellung beiträgt, kann sich später nicht darauf berufen, daß das Finanzamt auf Grund seiner amtlichen Aufklärungspflicht einen vielleicht als zweifelhaft erkennbaren Ansatz durch Rückfrage hätte aufklären müssen.
Auch sachlich ist die Vorentscheidung nicht zu beanstanden. Nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechts ist bei der Auslegung von Willenserklärungen nicht am Wortlaut zu haften, sondern der wirkliche Wille zu erforschen (ß 133 BGB). In übereinstimmung mit diesem allgemeinen Auslegungsgrundsatz sind auch im Steuerrecht bei der Beurteilung eines Sachverhalts der Zweck und die wirtschaftliche Bedeutung zu berücksichtigen, wie in § 1 Abs. 3 StAnpG ausdrücklich bestimmt ist. Die steuerrechtliche Würdigung eines Sachverhalts darf also nicht am äußeren Bild oder an der Bezeichnung haftenbleiben, die die Beteiligten bürgerlich-rechtlich wählen, sondern es ist der wirtschaftliche Gehalt des Vorgangs zu erfassen und festzustellen, ob die bürgerlich-rechtliche Bezeichnung das von den Beteiligten Gewollte und wirtschaftlich Angestrebte zutreffend wiedergibt (Entscheidung des Senats VI 178/62 U vom 22. November 1963, BStBl 1964 III S. 74, Slg. Bd. 78 S. 184). Nach diesen Grundsätzen konnte das Finanzgericht ohne Rechtsverstoß zu der Feststellung gelangen, daß die Bfin. das Grundstück im Vertrag vom 23. November 1950 gekauft habe.
Ein Erbbaurecht für die Bfin. haben die Beteiligten wirtschaftlich nicht begründet. Das Erbbaurecht begründet ein dingliches Recht, auf einem fremden Grundstück bauen zu dürfen (ß 1 Abs. 1 der Erbbaurechtsverordnung - ErbbauVO -). Erlischt das Erbbaurecht, so geht das Eigentum am Bauwerk auf den Grundstückseigentümer über (ß 12 Abs. 3 Erbbau VO). Der Erbbauberechtigte darf das Bauwerk nicht wegnehmen (ß 34 Erbbau VO). Im Streitfall sollte aber nach dem Vertrag umgekehrt das im "Erbbaurecht" errichtete Gebäude gerade der Bfin. verbleiben, dazu sollte ihr noch ohne weitere Entschädigung das Eigentum am Boden zufallen.
Das Finanzgericht konnte unter diesen Umständen ohne Rechtsverstoß annehmen, daß das Erbbaurecht neben dem eigentlichen Vertragsinhalt herlaufe und das Schwergewicht des Vertrags rechtlich und wirtschaftlich in der im § 4 und § 17 begründeten Pflicht zur übertragung des Eigentums an die Bfin. liege. Daß der Vertrag in seinem wirtschaftlichen Gehalt ein Kaufvertrag über das Grundstück war, wird auch dadurch bestätigt, daß nach § 7 Abs. 4 der Mietzins so berechnet ist, daß mit dem Tod des A. der Bodenwert als voll abgegolten gilt und die Bfin. die Eigentumsübertragung ohne weitere Zahlung von den Erben verlangen kann, es sei denn, A. sterbe vor dem 1. August 1953. An dieser Stelle des Vertrags wird sogar von "Tilgung und Verzinsung der Kaufpreisschuld" gesprochen und zwar gerade für Zahlungen der Zeit vor dem 1. August 1953. Auch darin kommt zum Ausdruck, daß die sogenannten Mieten in Wirklichkeit Kaufpreiszahlungen sind. Es ging also den Parteien nicht um eine zeitweise Nutzungsüberlassung des Grundstücks bei unveränderten Eigentumsverhältnissen, sondern um den Erwerb des Eigentums durch die Bfin., d. h. um einen Kauf. Man kann auch nicht, wie die Bfin. will, den Vertrag in zwei "Komponenten" zerlegen, deren erste bis zum 31. Juli 1953 reicht, und deren zweite eine "rein potentielle" Verpflichtung nach diesem Datum Datum enthält. Die Abmachungen vom 23. November 1950 sind ein einheitlicher Vertrag und können nicht aufgegliedert werden (vgl. die Entscheidungen des Bundesfinanzhofs V 198/54 U vom 27. Januar 1955, BStBl 1955 III S. 94, Slg. Bd. 60 S. 241; I 221/56 U vom 5. November 1957, BStBl 1957 III S.445, Slg. Bd. 65 S. 550; IV 429/62 U vom 25. Oktober 1963, BStBl 1964 III S. 44, Slg. Bd. 78 S. 107; IV 33/63 U vom 21. Januar 1965, BStBl 1965 III S. 227, Slg. Bd. 81 S. 630).
Ist aber der Vertrag vom 23. November 1950 ein Kaufvertrag, so ist die angefochtene Entscheidung auch nicht zu beanstanden, wenn sie die Zahlungen der Bfin. nicht als Kaufpreisraten, sondern als Kaufpreisrenten gewürdigt hat. Ein Kaufpreis in Raten ist ein ziffernmäßig bestimmter Kaufpreis, der gestundet ist und in Teilbeträgen gezahlt wird. Für einen Kauf gegen Rente ist dagegen entscheidend, daß der Veräußerer sich für längere Zeit vielfach sogar wie hier auf seine Lebenszeit, regelmäßig wiederkehrende Einnahmen sichern will, aus denen er ganz oder teilweise lebt. Der Erwerber geht dabei das Risiko ein, daß er, wenn der Veräußerer lange lebt, den Kaufgegenstand überbezahlt. Diese beiden Merkmale, der Versorgungsgedanke beim Veräußerer und das Wagnis beim Käufer, sind für einen Kaufvertrag auf Rentenbasis typisch (vgl. z. B. die Entscheidungen des Bundesfinanzhofs I 200/58 U vom 20. Januar 1959, BStBl 1959 III S. 192, Slg. Bd. 68 S. 500; IV 85/62 U vom 23. Januar 1964, BStBl 1964 III S. 239, Slg. Bd. 79 S. 16). Danach waren die Zahlungen der Bfin., da sie auf die Lebenszeit des A. begründet waren, Rentenzahlungen. Das Datum des 31. Juli 1953 hat nur dafür Bedeutung, wie weit bei dem vorzeitigen Tod des A. seine Erben die Auffüllung auf eine angemessene Gesamtzahlung verlangen können. Die dem A. selbst zugesagten Ansprüche wurzeln, auch über den 31. Juli 1953 hinaus, unmittelbar in dem Vertrag vom 23. November 1950 und sind bedingungslos auf Lebenszeit begründet.
Danach ist zu Recht im Jahre 1950 auf Grund des Vertrags mit A. das Grundstück bei der Bfin. als ihr Betriebsvermögen gemäß § 6 Ziff. 2 EStG 1950 aktiviert und die ab 1. August 1950 zu zahlende Rente mit ihrem Kapitalwert unter die Verbindlichkeiten aufgenommen worden. Die laufenden Rentenzahlungen bewirken jährlich eine Minderung dieses Schuldpostens. Da A. am 10. Februar 1953 starb, war die Schuld am Ende des Wirtschaftsjahres 1953 zugunsten des Gewinns aufzulösen.
Fundstellen
Haufe-Index 411740 |
BStBl III 1965, 613 |
BFHE 1966, 311 |
BFHE 83, 311 |
BB 1965, 1178 |