Entscheidungsstichwort (Thema)

Steuerliche Förderungsgesetze

 

Leitsatz (amtlich)

Hat das FA dem Antrag eines nichtbuchführenden Landwirts auf Erlaß von HGA-Leistungen wegen wirtschaftlicher Bedrängnis nach individueller Berechnung der verfügbaren Mittel nur zum Teil entsprochen und wendet sich der Abgabepflichtige mit der Beschwerde gegen die Berechnung des FA, weil er einen höheren Erlaß begehrt, so handelt die OFD ermessensfehlerhaft, wenn sie ohne eigene Nachprüfung der Berechnung des FA die Beschwerde mit der Begründung abweist, die Verschuldung des Antragstellers habe nicht zugenommen, so daß sich eine Gewinnschätzung nach Tz. 45 VAO zu § 131 LAG erübrige.

Sind durch den Krieg größere Schäden verursacht worden, deren Beseitigung durch Inanspruchnahme von Wiederaufbaukrediten in der DM-Zeit zu einer wesentlichen Schuldenvermehrung geführt hat, so ist es ermessensfehlerhaft, eine individuelle Berechnung der verfügbaren Mittel und einen Erlaß mit der Begründung abzulehnen, die Aufbaukredite seien nicht im Erlaßzeitraum, sondern schon vorher aufgenommen und hätten daher im Erlaßzeitraum selbst zu keiner Schuldenvermehrung geführt, vielmehr hätten Tilgungsleistungen auf diese Schulden im Erlaßzeitraum eine Schuldenverminderung bewirkt.

 

Normenkette

LAG § 131 Abs. 1; VAO-LAG131 44; VAO-LAG131 45

 

Tatbestand

Der Revisionskläger ist Inhaber eines landwirtschaftlichen Betriebs von 17.4 ha Größe mit einem Einheitswert (1. Januar 1950) von 23.800 DM. Streitig ist der Erlaß von HGA-Leistungen wegen wirtschaftlicher Bedrängnis für die Erlaßzeiträume 1953 bis 1955 und 1956 bis 1958.

Die jährlichen HGA-Leistungen betragen nach der unanfechtbar gewordenen Veranlagung, bei der eine Kriegsschadensquote von 41,0157 v. H. berücksichtigt worden ist, 510,04 DM. Nachdem das HGA-Finanzamt (FA) durch das Wohnsitz-FA eine Kurzprüfung bei dem Revisionskläger hatte durchführen lassen, gab es dem Erlaßantrag für den Erlaßzeitraum 1953/55 teilweise statt und erließ die HGA- Leistungen, soweit sie jährlich 434,13 DM oder im Erlaßzeitraum 1.302,39 DM überstiegen; im übrigen lehnte es den Erlaß für diesen Erlaßzeitraum und in vollem Umfang für den Erlaßzeitraum 1956/58 ab. Zur Begründung der Erlaßbescheide führte das FA die durch einen landwirtschaftlichen Prüfer ermittelten Einkünfte auf, setzte von diesen die Abzugsbeträge nach Tz. 54 der Verwaltungsanordnung zu § 131 des Lastenausgleichsgesetzes (Erlaß der Leistungen auf die Hypothekengewinnabgabe wegen wirtschaftlicher Bedrängnis) vom 10. Juli 1956 IV C/5 - LA 2623 - 3/56 (BStBl I 1956, 347) - VAO zu § 131 LAG - sowie die Pauschbeträge für die Lebenshaltungskosten gemäß Tz. 33 VAO zu § 131 LAG ab und kam für den Erlaßzeitraum 1953/55 zu einem überhang von 1.302,39 DM und für den Erlaßzeitraum 1956/58 zu einem überhang von 6.308,49 DM, denen die zu entrichtenden HGA- Leistungen von 1.530,12 DM je Erlaßzeitraum gegenübergestellt wurden. Mit der gegen beide Erlaßbescheide erhobenen Beschwerde wurde vorgetragen, die den Entscheidungen zugrunde gelegten Gewinne ließen sich mit den gegebenen wirtschaftlichen Verhältnissen nicht vereinbaren; so seien z. B. die Wiederaufbaukosten der durch Kriegseinwirkung zerstörten Gebäude sowie die geringen Ertragsjahre 1954/55 und 1955/56 nicht berücksichtigt. Die Oberfinanzdirektion (OFD) teilte dem Revisionskläger zunächst mit, in welcher Weise das Wohnsitz-FA die den Erlaßentscheidungen zugrunde gelegten Einkünfte im einzelnen ermittelt hat, und führte alsdann aus, bei der Antragsteilung sei nicht berücksichtigt worden, daß in den beiden Erlaßzeiträumen eine erhebliche Schuldentilgung erfolgt sei und sich das Bankguthaben erhöht habe. Die OFD bat um Mitteilung, ob das Verfahren über die Beschwerde durchgeführt werden sollte. Der Prozeßbevollmächtigte des Revisionsklägers verlangte daraufhin von der OFD u. a. Aufklärung darüber, um welche Tilgungsbeträge es sich handle, die in der von der OFD ihm bekannt gegebenen Gewinnberechnung des FA mit jährlich 1.855 DM enthalten seien. Diese Beträge hatte das FA entsprechend dem Gewinnberechnungsvorschlag des landwirtschaftlichen Prüfers bei der Ermittlung des landwirtschaftlichen Gewinns jährlich hinzugerechnet. Die OFD erließ, ohne die Anfrage des Prozeßbevollmächtigten zuvor zu beantworten, nunmehr eine förmliche Beschwerdeentscheidung, mit der sie die Beschwerde als unbegründet zurückwies. Sie führte u. a. aus, die Erwägung in Tz. 45 VAO zu § 131 LAG, man könne dann, wenn die Verschuldung des Antragstellers im Erlaßzeitraum nicht zugenommen habe, davon ausgehen, daß der aus dem Betrieb gezogene Gewinn zur Bestreitung des Lebensunterhalts noch bei voller Entrichtung der HGA- Leistungen ausreichend gewesen sei, treffe hier besonders zu, weil es dem Antragsteller trotz der Zahlung der HGA-Leistungen möglich gewesen sei, ein Bankguthaben anzusammeln. Ein Vollerlaß würde hier dazu führen, daß dieses Barvermögen um weitere 2.832,51 DM erhöht werden würde. Dies sei jedoch nicht Sinn und Zweck der Erlaßbestimmungen, die nur das Ziel verfolgten, den volkswirtschaftlich und sozialpolitisch erwünschten Besitz zu erhalten und eine echte wirtschaftliche Not zu lindern. Ein Vollerlaß der HGA-Leistungen für die beiden Erlaßzeiträume aus den vom Antragsteller vorgetragenen Gründen sei daher nicht zulässig.

Die Berufung hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte aus, wenn die Finanzverwaltung unter Anwendung der Grundsätze der VAO zu § 131 LAG letztlich darauf abgestellt habe, daß die Verschuldung des Revisionsklägers nicht zugenommen habe, und zwar auch unter Berücksichtigung des Tatbestands, daß durch den Krieg größere Schäden an den landwirtschaftlichen Gebäuden und an dem Wohnhaus entstanden seien, die unter Aufwand erheblicher Mittel hätten beseitigt werden müssen, so sei darin keine falsche Anwendung der Begriffe von Recht und Billigkeit zu sehen. Die Kammer räume ein, daß das Verfahren, die Vermögensentwicklung ins Auge zu fassen, nach Tz. 45 Abs. 2 letzter Satz VAO zu § 131 LAG nur beschränkt anwendbar sein solle, wenn Kriegsschäden zu beseitigen wären. Aus dem Bericht des landwirtschaftlichen Prüfers ergebe sich hierzu, daß das Wohnhaus 1948/49 neu erbaut und im Februar 1949 bezogen worden sei. Die Baukosten hätten ca. 5.000 DM betragen, die aus eigenen Mitteln aufgebracht worden seien. Das Wirtschaftsgebäude sei im Dezember 1949 fertiggestellt worden. Die Baukosten hätten hierfür 26.000 DM betragen, wovon ein Teil in Höhe von 20.000 DM durch ein Darlehen gedeckt worden sei. Im Jahre 1955 habe der Revisionskläger einen Anbau am Wirtschaftsgebäude mit Kälberstall, Waschküche, Duschraum und Speicher errichtet. Die Baukosten in Höhe von ca. 12.000 DM seien durch ein weiteres Darlehen in Höhe von 12.000 DM aufgebracht worden. Nach den Feststellungen des landwirtschaftlichen Prüfers sei das Darlehen von 12.000 DM am 30. Juni 1962 bereits bis auf einen Betrag von 1.998 DM getilgt worden. Der Stand der langfristigen Gesamtschulden habe sich am 30. Juni 1962 auf 15.848 DM verringert. Infolgedessen könne keine Rede davon sein, daß als Folge der Kriegsschäden die Schulden sich in den strittigen Erlaßzeiträumen wesentlich vermehrt hätten. Zwar sei nach den Feststellungen der Betriebsprüfung der Hof noch nicht ausreichend mit totem Inventar versorgt; die Kammer könne es aber im Ergebnis dahingestellt lassen, ob sich bei weiterer Anschaffung toten Inventars ein Bankkontenbestand in der Höhe, von dem die Beschwerdeentscheidung ausgegangen sei, nicht ergeben würde. Die VAO zu § 131 LAG stelle es entscheidend auf eine Schuldenvermehrung ab. Eine solche liege aber ganz unstreitig nicht vor. Wenn die Finanzverwaltung bei dieser Sachlage annehme, daß dem Revisionskläger die Zahlung der HGA möglich gewesen sei und diese Annahme mit der bisher ständigen Zahlung - soweit nicht ein Teilerlaß zugebilligt worden sei - ihre Bestätigung gefunden habe, so sei hierin kein Ermessensmißbrauch zu erkennen. Dabei könne dahingestellt bleiben, ob die vom landwirtschaftlichen Prüfer als möglich angesehen Gewinne je ha auch tatsächlich erzielt und die Tilgungsbeträge bei den aufgenommenen Hypotheken richtig angesetzt worden seien. Auf die Richtigkeit der vorgenommenen Gewinnschätzung könne es nach den Grundsätzen von VAO zu § 131 LAG im Ergebnis nicht ankommen.

Mit der Rb., die nach dem Inkrafttreten der FGO als Revision zu behandeln ist, werden mangelhafte Aufklärung und Versagung des rechtlichen Gehörs sowie fehlerhafte Rechtsanwendung gerügt. Die Rückfrage über die Zusammensetzung der den Gewinnen zugerechneten Tilgungsbeträge sei unbeantwortet geblieben; statt einer Antwort sei vielmehr die Beschwerdeentscheidung ergangen. Der Umstand, daß der Revisionskläger den Wiederaufbau der kriegszerstörten Gebäude und des vernichteten Inventars in der DM-Zeit vor dem bzw. im Erlaßzeitraum 1953/55 durchgeführt habe, schließe gemäß Tz. 45 Abs. 1 letzter Satz VAO zu § 131 LAG die Beurteilung unter dem Gesichtspunkt der Schuldenentwicklung aus. Die durch die Prüfung ermittelten Reinerträge seien zwar nicht zu beanstanden. Jedoch seien die in Abzug gebrachten Zinsen nicht zutreffend. Allein die Zinsen für das Aufbaudarlehen von 20.000 DM hätten sich in den Jahren 1953/55 auf rund 800 DM jährlich belaufen. Dazu kämen die Zinsen für das Aufbaudarlehen von 12.000 DM, so daß die Zinsbelastung ohne HGA ab 1955 bedeutend höher gelegen habe. Die Erhöhung der Gewinne um Tilgungsbeträge von jährlich 1.855 DM sei, abgesehen von der Unrichtigkeit dieser Beträge, auch unzulässig. Nach Tz. 41 VAO zu § 131 LAG seien nämlich die Einkünfte nach den Vorschriften des EStG zu ermitteln. Tilgungsbeträge seien keine Einkünfte im Sinne des EStG. Durch die Schätzung des Reinertrages sei der Ermittlung des Gewinns bis auf die Zinsen im Sinne des EStG Rechnung getragen. Die Zurechnung von Tilgungsbeträgen sei daher unzulässig. Die durch die Prüfung ermittelten Reinerträge abzüglich der Zinsen würden den vollen Erlaß für beide Erlaßzeiträume gewährleisten. Es sei abwegig, die wirtschaftlichen Verhältnisse von 1962 zur Beurteilung der Erlaßzeiträume 1953/55 und 1956/58 heranzuziehen. Auch würde es dem klaren Inhalt der Tz. 45 Abs. 1 letzter Satz VAO zu § 131 LAG widersprechen, wenn man die Aufwendungen für den notwendigen Wiederaufbau den Aufwendungen für Modernisierung und Rationalisierung gleichsetzen würde. Die Wohnstätte sei im kleinsten Maßstab wieder hergerichtet worden, um die Kosten so niedrig wie möglich zu halten.

Die OFD (Revisionsbeklagte) bittet um Zurückweisung der Revision. Die Verfahrensrügen seien nicht gerechtfertigt. Der Revisionskläger übersehe, daß das FG die angegriffene Entscheidung lediglich auf Tz. 45 VAO zu § 131 LAG abgestellt habe. Da hiernach nur die Frage der Schuldenvermehrung, nicht jedoch die Höhe der Einkünfte rechtserheblich sei, habe sich das FG auch nicht mit den Behauptungen des Revisionsklägers zum Umfang der Abzüge vom Reinertrag zu befassen brauchen. In materieller Hinsicht sei Kernfrage, ob Tz. 45 Abs. 1 letzter Satz VAO zu § 131 LAG wegen des eingetragenen Kriegsschadens hier habe zum Zuge kommen müssen. Diese Frage habe das FG eingehend untersucht, und es sei schließlich nach sorgfältiger Berücksichtigung der Verhältnisse auf dem Hof des Revisionsklägers - ebenso wie schon früher die Verwaltung - zu dem Ergebnis gekommen, die Kriegsschäden hätten keine wesentlichen Auswirkungen mehr auf die wirtschaftliche Lage in den Erlaßzeiträumen gehabt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und der Beschwerdeentscheidung.

Bei der Anwendung des § 131 LAG kommt es entscheidend auf die individuell zutreffend ermittelten, dem Abgabeschuldner zur Verfügung stehenden Mittel an. Dies muß grundsätzlich auch für den Inhaber eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebes gelten. Da bei nichtbuchführenden Landwirten die Ermittlung des zutreffenden Gewinns in der Regel auf große Schwierigkeiten stößt, hat der Bundesfinanzhofs (BFH) die vom Bundesminister der Finanzen in Tz. 45 VAO zu § 131 LAG (a. a. O.) getroffene Anordnung, zunächst die Vermögensentwicklung zu betrachten und eine wirtschaftliche Bedrängnis im allgemeinen dann zu verneinen, wenn während des Erlaßzeitraums die Verschuldung des Betriebs - von Vermögensumschichtungsfällen abgesehen - nicht zugenommen hat, nicht beanstandet, weil sie innerhalb der Grenzen liegt, die das Gesetz der Ausübung des Ermessens gezogen hat (vgl. BFH-Urteil III 243/60 U vom 1. Februar 1963, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 76 S. 663 - BFH 76, 663 -, BStBl III 1963, 242). Während im Streitfall das FA in seinen Erlaßverfügungen die dem Revisionskläger zur Verfügung stehenden Mittel im Schätzungswege ermittelt und daraus den für die HGA-Leistungen zur Verfügung stehenden Betrag errechnet hatte, hat die Revisionsbeklagte die durch die Beschwerde gebotene eigene Nachprüfung der Gewinnschätzung des FA wie auch die vom Prozeßbevollmächtigten des Revisionsklägers erbetene Aufklärung mit der Erklärung abgetan, das FA habe nach den Vorschriften der VAO zu § 131 LAG mit Recht für den Erlaßzeitraum 1953/55 nur einen Teilerlaß ausgesprochen und für den Erlaßzeitraum 1956/58 einen Erlaß in vollem Umfang abgelehnt, weil die verfügbaren Mittel die Lebenshaltungskosten überstiegen hätten. Des weiteren hat die Revisionsbeklagte ausgeführt, daß sich gemäß Tz. 45 VAO zu § 131 LAG eine Gewinnschätzung ohnehin erübrige, weil die Verschuldung des Antragstellers während der beiden Erlaßzeiträume nicht zugenommen, sondern sogar abgenommen habe, was durch die vom landwirtschaftlichen Prüfer festgestellte Entwicklung der Kontenstände bestätigt werde. Das FG hat dem zugestimmt, weil seiner Auffassung nach die kriegsschädenbedingten Wiederaufbauleistungen im Streitfall keine individuelle Gewinnschätzung erforderlich machen würden, die Schuldenentwicklung vielmehr maßgeblich sei. Der Senat vermag dem nicht zu folgen.

Hinsichtlich des Erlaßzeitraums 1953/55 kann der Gesichtspunkt der Schuldenentwicklung gemäß § Tz. 45 VAO zu § 131 LAG allein schon deshalb nicht durchgreifen, weil dann, wenn die Schuldenentwicklung hier maßgeblich sein würde, d. h. die Verschuldung des Betriebes - abgesehen von Vermögensumschichtungsfällen - nicht zugenommen haben würde, es nach der genannten Anordnung an der Grundvoraussetzung für einen Billigkeitserlaß (Tz. 21 VAO zu § 131 LAG) fehlen würde; für einen Billigkeitserlaß wäre somit kein Raum. Nun hat aber das FA für den Erlaßzeitraum 1953/55 einen Billigkeitserlaß ausgesprochen und dieser Teilerlaß hat auch die ausdrückliche Zustimmung der Revisionsbeklagten gefunden. Würde aber der Gesichtspunkt der Schuldenentwicklung, wie die Revisionsbeklagte ausführt, im Streitfall entscheidend sein, so wäre der ausgesprochene Teilerlaß nicht gerechtfertigt gewesen. Zur Annahme des letzteren bietet der Sachverhalt keine Anhaltspunkte. Hat nun das FA es im Streitfall nicht auf den Gesichtspunkt der Schuldenentwicklung abgestellt, sondern auf die individuelle Ermittlung der verfügbaren Mittel, die ja dann auch zu einem Teilerlaß der HGA- Leistungen geführt hat, und hat der Revisionskläger im Rechtsmittelverfahren sich von Anfang an gegen die individuelle Berechnung des FA gewandt, um einen höheren als den zugesprochenen Erlaß zu erreichen, so kann seitens der Revisionsbeklagten zum Beweis der Richtigkeit der Berechnung des FA nicht der Gesichtspunkt der Schuldenentwicklung herangezogen werden, nach welchem ein Erlaß überhaupt abzulehnen gewesen wäre. Diese Argumentation der Revisionsbeklagten verstößt gegen die Denkgesetze. Ihr Einwand in der Berufungsinstanz, auf die vom FA vorgenommene Gewinnschätzung komme es gar nicht an, ist bereits hiernach ebenso rechtsirrig wie die Ausführungen in der Beschwerdeentscheidung, eine Gewinnschätzung erübrige sich im Hinblick auf Tz. 45 VAO zu § 131 LAG. Die hierauf beruhende Unterlassung der mit der Beschwerde begehrten Nachprüfung der Gewinnschätzung des FA und damit auch das Nichteingehen auf die Anfrage des Prozeßbevollmächtigten des Revisionsklägers deren Beantwortung das Rechtsmittelverfahren hinsichtlich des Erlaßzeitraums 1953/55 möglicherweise überflüssig gemacht hätte, ist daher ermessensfehlerhaft, so daß der Beschwerdeentscheidung allein schon aus diesem Grunde ein Ermessensfehler anhaftet. Diesen Ermessensfehler hat das FG nicht erkannt.

Darüber hinaus durfte die Revisionsbeklagte im Streitfall den Gesichtspunkt der Schuldenentwicklung gemäß Tz. 45 VAO zu § 131 LAG überhaupt nicht zur Grundlage ihrer Entscheidung machen. Entscheidend kann eine solche Betrachtung der Vermögensentwicklung, d. h. des Schuldenbestandes, nur dann sein, wenn keine außergewöhnlichen Umstände vorliegen. Werden außergewöhnliche Umstände vom Abgabepflichtigen geltend gemacht oder ergeben sie sich aus den Akten, dann ist eine individuelle Gewinnermittlung zur Feststellung der dem Abgabepflichtigen zur Verfügung stehenden Mittel unumgänglich. Die unverkennbaren Schwierigkeiten, den tatsächlich erzielten Gewinn bei nichtbuchführenden Landwirten wegen des Fehlens jährlicher Aufzeichnungen, insbesondere auch hinsichtlich der Entnahmen, zu ermitteln, dürfen nicht dazu führen, auf jede individuelle Gewinnermittlung von vornherein auch dann zu verzichten, wenn Umstände geltend gemacht werden, die den Gewinn wesentlich nachteilig beeinflußt haben können. Solche Umstände sind hier insofern gegeben, als der landwirtschaftliche Betrieb des Revisionsklägers erhebliche Kriegsschäden erlitten hatte, was allein schon aus der relativ hohen Schadensquote von 41,0157 v. H. hervorgeht, die das FA bei der HGA-Veranlagung berücksichtigt hat. Die Revisionsbeklagte ist hierauf in der Beschwerdeentscheidung überhaupt nicht eingegangen, obwohl im Hinblick auf Tz. 45 Abs. 1 Satz 5 VAO zu § 131 LAG dazu Veranlassung bestanden hätte, zumal der Revisionskläger selbst in einem früheren Erlaßantrag gemäß § 5 Abs. 4 der Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Sicherung von Forderungen für den Lastenausgleich (1. HypSichDV) sich ausführlich über die Kriegsschäden und deren Folgen geäußert hatte und diese auch Gegenstand des Schreibens des Kulturamtes an die Bank waren. Selbst der Bericht des landwirtschaftlichen Prüfers erwähnt die Auswirkung der Kriegsschäden und führt u. a. in Tz. 7 aus, das für die Betriebsgröße notwendige lebende Inventar sei vorhanden; das tote Inventar sei noch nicht ausreichend, es fehlten noch kleinere Maschinen, wie z. B. Düngestreuer und Eggen. Während die Revisionsbeklagte trotz Tz. 45 Abs. 1 Satz 5 VAO zu § 131 LAG auf die Kriegsschadenfrage erstmalig in der Erwiderung zur Revisionsbegründung eingegangen ist, hat sich das FG ausführlich mit der Frage befaßt, eine Berücksichtigung dieser besonderen Umstände jedoch abgelehnt, weil von einer Schuldenvermehrung in den beiden Erlaßzeiträumen als Folge der Kriegsschäden nicht die Rede sein könne. Mit Recht hat der Revisionskläger diese Ausführungen der Vorentscheidung angegriffen. Das FG ist zwar an die Bestimmungen der VAO zu § 131 LAG nicht gebunden, was die Vorinstanz irrtümlich und offenbar in Anlehnung an die frühere, aber vom Senat längst aufgegebene Rechtsprechung (vgl. BFH-Urteil III 243/60 U a. a. O.) angenommen zu haben scheint. Hält sich jedoch die VAO zu § 131 LAG innerhalb der vom Gesetz gezogenen Ermessensgrenzen, was der Senat im Urteil III 243/60 U (a. a. O.) insoweit bejaht hat, so hat das FG zu prüfen, ob die Verwaltungsbehörde bei ihrer Entscheidung die Bestimmungen der VAO zu § 131 LAG richtig, d. h. ohne Ermessensverletzung angewandt hat. Dies ist allerdings nur möglich, wenn auch das FG die Bestimmungen der VAO zu § 131 LAG auf den Streitfall richtig anwendet. Die Bestimmung in Satz 5 der Tz. 45 Abs. 1 VAO zu § 131 LAG besagt, daß das Verfahren, über den Erlaß unter dem Gesichtspunkt der Schuldenentwicklung zu entscheiden, nicht in solchen Fällen anwendbar ist, "in denen durch den Krieg größere Schäden verursacht worden sind und entweder diese Schäden bis zum Beginn des Erlaßzeitraums im wesentlichen Umfang noch nicht wieder beseitigt worden sind, oder ihre Beseitigung durch die Inanspruchnahme von Aufbaukrediten in der DM-Zeit zu einer wesentlichen Schuldenvermehrung geführt hat". Hiernach braucht also die Schuldenvermehrung infolge der Schadensbeseitigung nicht im Erlaßzeitraum eingetreten zu sein, wie das FG meint, vielmehr muß die Schadensbeseitigung durch die Inanspruchnahme von Wiederaufbaukrediten in der DM-Zeit zu einer wesentlichen Schuldenvermehrung geführt haben. Nach den Feststellungen der Vorinstanz wurden für das im Jahr 1949 errichtete Wirtschaftsgebäude ein Darlehen von 20.000 DM und für den Anbau am Wirtschaftsgebäude im Jahre 1955 ein weiteres Darlehen, und zwar in Höhe von 12.000 DM aufgenommen. Damit ist der Tatbestand gegeben, bei dessen Vorliegen der Bundesminister der Finanzen gemäß Tz. 45 Abs. 1 Satz 5 VAO zu § 131 LAG bei nichtbuchführenden Landwirten eine individuelle Gewinnermittlung für notwendig erachtet und das Verfahren unter dem Gesichtspunkt der Schuldenentwicklung im Erlaßzeitraum nicht für anwendbar hält. Dies hat das FG verkannt und dadurch die Ermessensfehlerhaftigkeit der Beschwerdeentscheidung der Revisionsbeklagten nicht erkannt, die entgegen den Bestimmungen der VAO zu § 131 LAG die individuelle Gewinnermittlung für überflüssig gehalten und demzufolge ein Eingehen auf die Einwendungen des Revisionsklägers und eine dementsprechende Nachprüfung der Erlaßbescheide verabsäumt hat. Den Umstand, daß der Revisionskläger innerhalb der beiden Erlaßzeiträume die übernommenen Aufbauschulden durch Tilgungsleistungen gemindert hat, worauf das FG besonders hinweist, kann für den Streitfall keine Bedeutung beigemessen werden, zumal diese Schulden am Ende des zweiten Erlaßzeitraums immer noch einen Stand von 26.579 DM aufwiesen. Die Entscheidung der Revisionsbeklagten und das Urteil des FG waren daher aufzuheben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 412288

BStBl III 1966, 656

BFHE 1966, 776

BFHE 86, 776

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