Entscheidungsstichwort (Thema)
Verhältnis des Strafverfahrens zum Besteuerungsverfahren
Leitsatz (NV)
1. Die Befugnis des Finanzamts zur Durchführung einer Außenprüfung bei einer GmbH & Co. KG wird nicht dadurch beeinträchtigt, daß gegen den Geschäftsführer der Komplementär-GmbH ein Steuerstrafverfahren läuft.
2. Im Rahmen einer Außenprüfung bei der GmbH & Co. KG kann der Geschäftsführer der Komplementär-GmbH seine Mitwirkung insoweit verweigern, als er sich dadurch wegen einer von ihm begangenen Straftat oder Steuerordnungswidrigkeit belasten würde. Der Betriebsprüfer kann in einem solchen Fall die erforderlichen Auskünfte von einem anderen Betriebsangehörigen einholen.
Normenkette
AO 1977 § 193 Abs. 1, §§ 200, 393 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin), eine GmbH & Co. KG, unterhält ein Dental-Labor. Im April 1985 ordnete der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt - FA -) bei ihr aufgrund von § 193 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) eine Betriebsprüfung für die Jahre 1977 bis 1983 an. Hiergegen erhob die Antragstellerin Beschwerde, weil mit Hilfe der Außenprüfung steuerstrafrechtliche Vorwürfe überprüft werden sollten, die gegen ihren Kommanditisten erhoben würden, der gleichzeitig Gesellschafter und Geschäftsführer ihrer Komplementär-GmbH sei. Dies aber sei allein Aufgabe der Steuerfahndung, nicht des FA. Gegen die ablehnende Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion (OFD) erhob die Antragstellerin Klage zum Finanzgericht (FG), über die noch nicht entschieden ist.
Gleichzeitig beantragte sie, die Vollziehung der Prüfungsanordnung auszusetzen. Nachdem das FA dieses Begehren abgelehnt hatte, stellte sie den Antrag bei Gericht. Das FG gab dem Antrag statt, weil ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Prüfungsanordnung beständen. In tatsächlicher Hinsicht müsse angenommen werden, daß die Prüfung allein steuerstrafrechtliche Ermittlungen zum Gegenstand haben solle. Gegen den Gesellschafter der Antragstellerin sei ein Ermittlungsverfahren eingeleitet; aus den Akten ergebe sich, daß wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung die Geschäftsräume der Antragstellerin und der Komplementär-GmbH hätten durchsucht werden sollen. Es sei ungewiß, ob für die beabsichtigten Ermittlungshandlungen nicht allein die Steuerfahndung zuständig sei. Zudem sei die Rechtmäßigkeit der Prüfungsanordnung auch deswegen zweifelhaft, weil die Steueransprüche für 1977 bis 1979 möglicherweise verjährt seien; ob gleichwohl eine Betriebsprüfung möglich sei, werde in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) unterschiedlich beurteilt.
Gegen diesen Beschluß richtet sich die vom FG zugelassene Beschwerde des FA.
Das FA beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses den Aussetzungsantrag zurückzuweisen.
Die Antragstellerin beantragt, die Beschwerde des FA zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Auf die Beschwerde des FA ist der Beschluß des FG aufzuheben und der Antrag der Antragstellerin auf Aussetzung der Vollziehung zurückzuweisen; der Rechtmäßigkeit der ergangenen Prüfungsanordnung stehen keine ernstlichen Zweifel entgegen.
1. Bei der Antragstellerin, einer gewerblich tätigen KG, konnte nach § 193 Abs. 1 AO 1977 ohne weitere Voraussetzungen eine Betriebsprüfung stattfinden; eine entsprechende Prüfungsanordnung durfte gemäß § 196 AO 1977 ergehen. Daß gegen den Geschäftsführer ihrer Komplementär-GmbH, der zugleich ihr Kommanditist ist, ein Steuerstrafverfahren eingeleitet war, bedeutet bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Betrachtung der Rechtslage kein Hindernis.
Allerdings obliegen dem Steuerpflichtigen im Rahmen einer Betriebsprüfung umfangreiche Mitwirkungspflichten (§ 200 AO 1977). Diese Pflichten sind im Fall der Antragstellerin von ihrem gesetzlichen Vertreter, d. h. der Komplementär-GmbH, zu erfüllen, für die wiederum ihr Geschäftsführer tätig wird (§ 34 Abs. 1 AO 1977; §§ 125 Abs. 1, 161 Abs. 2 des Handelsgesetzbuches - HGB -, § 35 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung - GmbHG -). Der gesetzliche Vertreter kann ebenso wie ein Steuerpflichtiger die Mitwirkung aber insoweit verweigern, als er sich dadurch wegen einer von ihm begangenen Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit belasten würde; in diesem Fall dürfen gegen ihn keine Zwangsmittel eingesetzt werden (§ 393 Abs. 1 Satz 2 AO 1977). Der Betriebsprüfer kann die erforderlichen Auskünfte alsdann von einem anderen Betriebsangehörigen einholen (§ 200 Abs. 1 Satz 3 AO 1977).
Die Befugnis des FA zur Durchführung der Außenprüfung wird nicht dadurch beeinträchtigt, daß nach Einleitung des Steuerstrafverfahrens auch das für dieses Verfahren zuständige FA seinerseits die Steuerstraftat zu erforschen und dabei auch die Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln hatte (§ 208 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AO 1977). Hiervon bleibt jedoch nach § 208 Abs. 3 AO 1977 die Aufgabe und die Befugnis der FÄ zur Ermittlung des Sachverhalts und zur Festsetzung der Steuern (§§ 85, 88 AO 1977) unberührt. Im Streitfall betrifft das Ermittlungsverfahren der Steuerfahndung bestimmte Edelmetallgeschäfte, an denen der Geschäftsführer der Komplementär-GmbH beteiligt gewesen sein soll. Dieser auf einzelne Tathandlungen gerichtete Verdacht der Steuerfahndung rechtfertigte für sich genommen keine umfassende Betriebsprüfung; zudem hätte sie im Streitfall bei einem Dritten, nämlich der Antragstellerin, durchgeführt werden müssen. Unter diesen Umständen konnte die Steuerfahndung die Vornahme der Betriebsprüfung vielmehr dem Betriebs-FA überlassen, um nach Abschluß der Prüfung die einschlägigen Feststellungen für Steuerstrafverfahren zu treffen. Die Einleitung eines Steuerstrafverfahrens hindert das FA nicht an eigenen Ermittlungen im Besteuerungsverfahren (BFH-Urteil vom 23. Juli 1985 VIII R 48/85, BFHE 145, 3, BStBl II 1986, 433). Dies muß erst recht gelten, wenn sich das Steuerstrafverfahren nicht gegen den Steuerpflichtigen, sondern gegen seinen gesetzlichen Vertreter richtet; daraus kann sich nicht ergeben, daß eine beim Steuerpflichtigen anstehende Betriebsprüfung nunmehr notwendig von der Steuerfahndung durchgeführt werden muß.
2. Das FA hat eine Betriebsprüfung für die Jahre 1977 bis 1983 angeordnet und damit den in § 4 Abs. 2 Satz 1 der Betriebsprüfungsordnung (Steuer) - BpO(St) - vom 27. April 1978 (BStBl I 1978, 195) im Wege der Selbstbeschränkung festgelegten Dreijahreszeitraum überschritten. Die Finanzverwaltung hat sich jedoch eine Erweiterung des Prüfungszeitraums beim Verdacht auf eine Steuerstraftat vorbehalten - § 4 Abs. 2 Satz 2 BpO(St) -. Dabei ist nicht vorausgesetzt, daß die Steuerstraftat dem Steuerpflichtigen zur Last gelegt wird. Aus welchen Gründen im Streitfall ein derartiger Verdacht besteht, wird in der Beschwerdeentscheidung der OFD erläutert; ein etwa zuvor bestehender Begründungsmangel ist dadurch geheilt (§ 126 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977).
Die Betriebsprüfung wird auch nicht dadurch gehindert, daß die von ihr betroffenen Steueransprüche möglicherweise verjährt sind. Ob eine Steuerfestsetzungsverjährung eingetreten ist, kann erst im Besteuerungsverfahren der Gesellschafter entschieden werden; hierbei erlangt auch die verlängerte Festsetzungsfrist für hinterzogene oder leichtfertig verkürzte Steuer Bedeutung (§ 169 Abs. 2 Satz 1 AO 1977). Der Senat schließt sich damit dem Urteil in BFHE 145, 3, BStBl II 1986, 433 an. Das BFH-Urteil vom 3. Dezember 1985 VII R 17/84 (BFHE 145, 492, BStBl II 1986, 439) hat entgegen der Auffassung des FG nicht gegenteilig entschieden; im Urteilsfall war eine Einfuhrhandelsprüfung von vornherein auf den ,,nicht verjährten Zeitraum" begrenzt worden.
Fundstellen
Haufe-Index 415361 |
BFH/NV 1988, 415 |