Entscheidungsstichwort (Thema)
Außenprüfung neben Steuerstrafverfahren
Leitsatz (NV)
1. Der gesetzliche Vertreter einer Kapitalgesellschaft kann ebenso wie ein Steuerpflichtiger die Mitwirkung an einer Außenprüfung insoweit verweigern, als er sich dadurch wegen einer von ihm begangenen Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit belasten würde; in diesem Fall dürfen gegen ihn keine Zwangsmittel eingesetzt werden.
2. Die Befugnis des FA zur Durchführung einer Außenprüfung wird nicht dadurch beeinträchtigt, daß nach Einleitung des Steuerstrafverfahrens auch das für dieses Verfahren zuständige FA seinerseits die Steuerstraftat zu erforschen und dabei die Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln hat.
Normenkette
AO 1977 § 34 Abs. 1, § 193 Abs. 1, §§ 196, 200, 208 Abs. 1 Nrn. 1-2, § 393 Abs. 1 S. 2; GmbHG § 35 Abs. 1; BpO (St) § 4 Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Das FA ordnete bei der Astin und Bfin, einer GmbH, am 19. April 1985 eine Außenprüfung wegen diverser Steuern 1977 bis 1983 an. Gegen die Anordnung erhob die Astin Beschwerde und später Klage. Über die Klage ist noch nicht entschieden.
Am 18. April 1986 beantragte die Astin die Aussetzung der Vollziehung (AdV) der Prüfungsanordnung, nachdem das FA zuvor einen gleichlautenden Antrag abgelehnt hatte. Zur Antragsbegründung trug die Astin vor, die Prüfungsanordnung sei rechtswidrig, weil gegen ihren Gesellschafter-Geschäftsführer ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet worden sei. Die angeordnete Prüfung diene dem alleinigen Zweck, die steuerstrafrechtlichen Vorwürfe gegenüber dem Gesellschafter-Geschäftsführer zu überprüfen. Die Ermittlung von Besteuerungsgrundlagen bei Steuerstraftaten sei aber ausschließlich Aufgabe der Steuerfahndungsstelle.
Das FG gab dem Antrag der Astin statt, weil ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Prüfungsanordnung bestünden. In tatsächlicher Hinsicht müsse angenommen werden, daß die Prüfung allein steuerstrafrechtliche Ermittlungen zum Gegenstand haben solle. Gegen den Gesellschafter-Geschäftsführer der Antragstellerin sei ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Aus den Akten ergebe sich, daß wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung die Geschäftsräume der Antragstellerin hätten durchsucht werden sollen. Es sei ungewiß, ob für die beabsichtigten Ermittlungshandlungen nicht allein die Steuerfahndung zuständig sei. Zudem sei die Rechtmäßigkeit der Prüfungsanordnung auch deshalb zweifelhaft, weil die Steueransprüche für 1977 bis 1979 möglicherweise verjährt seien. Ob gleichwohl eine Betriebsprüfung möglich sei, werde in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) unterschiedlich beurteilt.
Gegen diesen Beschluß richtet sich die vom FG zugelassene Beschwerde des FA, der das FG nicht abgeholfen hat.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Ablehnung des Antrags auf Aussetzung der Vollziehung der Prüfungsanordnung vom 19. April 1985 (§ 132 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Da die Antragstellerin eine Kapitalgesellschaft ist, kann bei ihr gemäß § 193 Abs. 1 AO 1977 ohne weitere Voraussetzungen eine Außenprüfung stattfinden. Die dazugehörige Prüfungsanordnung konnte gemäß § 196 AO 1977 ergehen. Die Tatsache, daß gegen ihren Gesellschafter-Geschäftsführer ein Steuerstrafverfahren eingeleitet worden war, bedeutet bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Betrachtung der Rechtslage kein Hindernis.
Allerdings obliegen dem Steuerpflichtigen im Rahmen einer Außenprüfung umfangreiche Mitwirkungspflichten (§ 200 AO 1977). Diese Pflichten sind im Fall der Antragstellerin von ihrem gesetzlichen Vertreter, d. h. von dem Gesellschafter-Geschäftsführer zu erfüllen (§ 34 Abs. 1 AO 1977, § 35 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung - GmbHG -). Der gesetzliche Vertreter kann ebenso wie ein Steuerpflichtiger die Mitwirkung insoweit verweigern, als er sich dadurch wegen einer von ihm begangenen Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit belasten würde; in diesem Fall dürfen gegen ihn keine Zwangsmittel eingesetzt werden (§ 393 Abs. 1 Satz 2 AO 1977). Der Außenprüfer kann die erforderlichen Auskünfte alsdann von einem anderen Betriebsangehörigen einholen (§ 200 Abs. 1 Satz 3 AO 1977).
Die Befugnis des FA zur Durchführung einer Außenprüfung wird nicht dadurch beeinträchtigt, daß nach Einleitung des Steuerstrafverfahrens auch das für dieses Verfahren zuständige FA seinerseits die Steuerstraftat zu erforschen und dabei auch die Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln hatte (§ 208 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AO 1977). Hiervon bleibt jedoch gemäß § 208 Abs. 3 AO 1977 die Aufgabe und die Befugnis der FÄ zur Ermittlung des Sachverhaltes und zur Festsetzung der Steuern (§§ 85, 88 AO 1977) unberührt. Es liegt deshalb im Ermessen der zuständigen Finanzbehörden, ob sie neben oder anstelle einer Steuerfahndungsprüfung eine zusätzliche Außenprüfung durchführen. Im Streitfall hatte die Steuerfahndung es abgelehnt, gemäß § 208 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 i. V. m. §§ 193 ff. AO 1977 eine Außenprüfung bei der Antragstellerin durchzuführen. Dann aber bedeutet es keinen Ermessensfehler, wenn das FA sich seinerseits entschließt, eine Außenprüfung zur Aufklärung des Sachverhaltes durchzuführen. Die Einleitung eines Steuerstrafverfahrens gegen den Steuerpflichtigen hindert das FA nicht an eigenen Ermittlungen im Besteuerungsverfahren. Dies muß erst recht gelten, wenn - wie im Streitfall - sich das Steuerstrafverfahren nicht gegen den Steuerpflichtigen, sondern gegen seinen gesetzlichen Vertreter richtet. Deshalb muß eine beim Steuerpflichtigen anstehende Außenprüfung nicht notwendigerweise von der Steuerfahndung durchgeführt werden.
2. Das FA hat eine Außenprüfung für die Jahre 1977 bis 1983 angeordnet und damit den in § 4 Abs. 2 Satz 1 der Betriebsprüfung (Steuer) - BpO(St) - vom 27. April 1978 (BStBl I 1978, 195) im Wege der Selbstbeschränkung festgelegten Dreijahreszeitraum überschritten. Die Finanzverwaltung hat sich jedoch in § 4 Abs. 2 Satz 2 BpO(St) eine Erweiterung des Prüfungszeitraums, insbesondere beim Verdacht auf eine Straftat vorbehalten. Dabei ist nicht vorausgesetzt, daß die Steuerstraftat dem Steuerpflichtigen zur Last gelegt wird. Aus welchen Gründen im Streitfall ein derartiger Verdacht besteht, wird in der Beschwerdeentscheidung erläutert. Ein etwa zuvor bestehender Begründungsmangel ist dadurch geheilt (§ 126 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977).
Die Außenprüfung wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß die von ihr betroffenen Steueransprüche möglicherweise verjährt sind. Ob eine Steuerfestsetzungsverjährung eingetreten ist, kann erst im Besteuerungsverfahren entschieden werden. Hierbei erlangt auch die verlängerte Festsetzungsfrist für hinterzogene oder leichtfertig verkürzte Steuern Bedeutung (§ 169 Abs. 2 Satz 1 AO 1977). Der Senat schließt sich damit dem Beschluß des IV. Senats vom 30. September 1987 IV B 177/86 an. Das BFH-Urteil vom 3. Dezember 1985 VII R 17/84 (BFHE 145, 492, BStBl II 1986, 439) hat entgegen der Auffassung des FG nicht anders entschieden. Im Urteilsfall war eine Einfuhrhandelsprüfung von vornherein auf den ,,nicht verjährten Zeitraum" begrenzt worden.
Fundstellen
Haufe-Index 415561 |
BFH/NV 1988, 548 |